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Si vis pacem para pacem

Kriegsberichterstattung und Propaganda, Neutralität und Streben nach Frieden: einige der Aspekte, die das Spannungsfeld von Politik und Medien mehr denn je charakterisieren.

Udo Bachmair *

Kriegsrhetorik in Politik und Medien greift immer weiter um sich. Vor diesem Hintergrund mutiert Frieden zunehmend zu einem negativ geladenen Begriff. Er wird vorwiegend in Kombination mit Begriffen wie Diktatfrieden oder Friedensdiktat verwendet. In der veröffentlichten Meinung dominiert die ausschließliche Sinnhaftigkeit aller militärischen Lösungen. Das veranschaulichen die aktuellen Beispiele der Kriege in der Ukraine und Gaza besonders deutlich.

Grundsätzlich erscheint klar: Kriegspropaganda betreiben immer beide Seiten eines Konflikts.

Gleichgeschaltet wirkende westliche Medien und auch zahllose PolitikerInnen gehen davon aus, dass nur Russland Kriegspropaganda betreibt, nicht aber auch die Ukraine.
Daraus resultiert jener durch diverse Studien bereits mehrfach belegte Eindruck, dass in der Kriegsberichterstattung vieler unserer Medien, besonders aber der deutschen, ukrainische Kriegsrhetorik und Propaganda oft als faktenbasierte Inhalte präsentiert werden, gemischt mit einem sich weiter radikalisierenden Wording. Friedensrhetorik hingegen wird als naiv abgetan, eine solche würde Aggressoren, wie Putin, nur weiter ermuntern.

Am Anfang des Ukraine-Krieges war noch die territoriale Integrität der Ukraine oder Hilfe vor Ort im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung. Danach wurde medial zunehmend vermittelt, dass ein Sieg der Ukraine unbedingt nötig sei, die Existenz und der Fortbestand ganz Europas würden ansonsten auf dem Spiel stehen. Damit auch „unsere westlichen Werte“. Aber man fragt sich, ob denn die Ukraine diesbezüglich tatsächlich als Vorbild dienen könne, ein Staat, der hinsichtlich Korruption oder Pressefreiheit weltweit die hintersten Ränge belegt.
Ungeachtet dessen wird ein Sieg gegen Putin von Politik und Medien gleichsam zur Pflicht erkoren.

Damit entfällt folgerichtig jede Verpflichtung zu Bemühungen für Waffenstillstandsgespräche und eine baldige friedliche Lösung.
Eine Forderung, die kürzlich auch der Papst erhoben hat – und er musste sich vom traditionell antirussischen Standard-Journalisten Hans Rauscher umgehend als Unterstützer eines Aggressors rügen lassen u.a. mit der Äußerung:

„Der Heilige Vater weiß nicht, wovon er da redet“

In derselben Zeitung feuerte Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie die Rüstungskonzerne an mit den Worten:

„Die Rüstungsindustrie könnte durchaus mehr produzieren!“.

Speziell in Deutschland verdichtet sich der Eindruck, dass die meisten Medien, ausgerechnet auch die öffentlich-rechtlichen, die zur Objektivität auch der außenpolitischen Berichterstattung verpflichtet wären, die Politik vor sich hertreiben, immer mehr und immer weiter aufzurüsten.
Beispiel der Druck auf Kanzler Olav Scholz, unbedingt schwere Panzer an Kiew zu liefern, eine Forderung, der er nach einigem Zögern schließlich doch nachgekommen ist.
Oder jüngst: Noch zögert Scholz, die weit reichenden gegen Russland gerichteten Taurus-Raketen zu liefern. Er trotzt damit dem Druck der konservativen Opposition sowie vor allem auch dem Boulevard, wie der allmächtigen BILD-Zeitung.

Eine Frage der Zeit, bis Scholz wieder in die Knie geht..?

Schließlich kommt Druck auch aus seiner Ampelkoalition, aus der FDP, allen voran seitens der mittlerweile als hartnäckige Kriegstreiberin kritisierten Chefin des außenpolitischen Bundestagsausschusses, Strack -Zimmermann. Besonders auch seitens der Grünen, allen voran der im Selbstverständnis nach wie vor grünen Außenministerin Annalena Bärbock. Sie hat sich in den Augen von Beobachtern als kriegsbegeisterte militaristische Hardlinerin entpuppt. Sie scheint vergessen zu haben, dass die Grünen sich früher einmal als parlamentarischer Arm der Friedensbewegung verstanden haben – eine Absurdität, ein Hohn sondergleichen, wenn man ihre aktuelle Haltung betrachtet.
Ganz zu schweigen von der EVP-Politikerin und EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen, die ebenfalls den Eindruck einer militaristischen Einpeitscherin erweckt, ohne auch nur einen einzigen Lösungsvorschlag präsentieren zu können.

Jedenfalls muss Frau Von der Leyen auch jene fahrlässige Untätigkeit der Europäischen Union insgesamt bezüglich Bemühungen um eine diplomatische Lösung und eine Beendigung des Blutvergießens angelastet werden. Im Sinne der Waffenlobby und im Interesse von NATO und USA fehlt offenbar jeglicher Wille, weiterer intensiver Aufrüstung abzuschwören und zumindest zu versuchen, mit Moskau diplomatisch oder persönlich in Kontakt zu treten. Optimismus über eine wohlwollende Gesprächsbereitschaft Putins hält sich zurzeit freilich in Grenzen.

Aber Versuche wären’s doch wert !

Putin machts natürlich seinen Gegnern mit seiner völkerrechtswidrigen Aggression in der Ukraine leicht – und so läge es auch an ihm, erneut Verhandlungsbereitschaft zu zeigen, auch wenn ihm der Westen noch so sehr die kalte Schulter zeigt.
Zuviel Porzellan wurde auch seitens des Westens und der gefährlichen Erweiterung der NATO bis an die Grenzen Russlands zerschlagen. Jede Bereitschaft und Fähigkeit scheint dafür zu fehlen, sich auch in den Kriegsgegner Russland hineindenken zu können. So wird die subjektiv gefühlte und aus Sicht Moskaus ernstzunehmende Bedrohung durch die NATO-Erweiterung ebenfalls als bloße Propaganda abgetan.

Einseitigkeit in Bezug auf die Beurteilung des Ukrainekrieges bzw. der Mangel an differenzierten und differenzierenden Betrachtungsweisen in Politik und Medien erscheinen besonders schmerzlich dann, wenn sie in einem neutralen Staat wie Österreich gang und gäbe sind.–

Leider muss sich da auch mein altes Unternehmen ORF manche Kritik gefallen lassen. So werden überwiegend Experten und Expertinnen in Ö1-Journale, ZiB 2-Sendungen oder Punkt.Eins.-Sendungen eingeladen, die undifferenziert proukrainisch und militaristisch argumentieren. So werden auch die zahlreichen Hintergründe, die mit zum Ausbruch des Krieges 2014 bzw. 2022 geführt haben, weitgehend ignoriert.

Die meisten JournalistInnen-KollegInnen fühlen sich im Strom des antirussischen Mainstreams wahrscheinlich wohler, einzelne, die Waffenstillstandsverhandlungen oder Friedensgespräche fordern, werden als Putinversteher gebrandmarkt, die angeblich nur dem Kriegsherrn in Moskau in die Hände spielen wollen. Sie geben ihren Widerstand gegen den Mainstream meist bald auf.
Einer der vorbildlichen Ausnahmen unter den ORF-Redakteuren, Christian Wehrschütz, wird sich auch nicht mehr lange halten können, denn leider wird nicht nur in Kiew, sondern auch hierzulande gegen ihn Stimmung gemacht und ihm dadurch der Weg in die Pension erleichtert.

Es ist ja nicht so, dass pauschal alle JournalistInnen sich nicht zumindest bemühen würden, auch in heiklen außenpolitischen Fragen einigermaßen objektiv und seriös zu berichten. Vielen ist einfach nicht bewusst, dass sie sich für eine Seite (pro Ukraine, pro Israel) vor den Karren spannen lassen. Unter der Devise: Die Einen sind gut, die Anderen nur böse.
Davon lebt freilich der Boulevard, leider aber auch sogenannte seriöse Medien wie der ORF oder der Standard etc.
So ist und bleibt das bereits lange aufgebaute Feindbild Russland unverrückbar. –

Ein Grundproblem besteht u.a. darin, dass die außenpolitischen Ressorts, auch die im ORF, personell ausgedünnt worden sind, sodass oft weder Zeit noch Energien mehr bestehen für die Verwendung auch ausreichend alternativer Quellen. So bekommen MedienkonsumentInnen zu einem großen Teil serviert, was die beiden großen westlichen Agenturen mit ihrem speziellen Wording und ihrer US-orientierten Sicht der Welt vermitteln und vorbeten.

Die andere Seite der Propaganda, die der russische TV-Kanal „Russia today“ betreibt, ist der westlichen Zensur zum Opfer gefallen und nicht mehr empfangbar. Demokratiepolitisch und im Sinne der Meinungsvielfalt problematisch. Dabei wäre es doch interessant und aufgeklärten MediennutzerInnen zumutbar, auch die andere Seite zu hören, auch wenn Propagandainhalte überwiegen.

Umso lauter polemisieren manche PolitikerInnen und heimische Medien gegen die Nützlichkeit der Neutralität Österreichs. In Kommentaren etwa der Zeitungen Standard oder Kurier wird mehr oder weniger unverhohlen Stimmung aufbereitet für einen Beitritt Österreichs zur NATO.
Dabei hätte Österreich hätte als neutrales Land große Chancen, Vertreter der Kriegsparteien an einen Tisch zu holen. Wien als UNO-Standort, Wien als Austragungsort internationaler Konferenzen, wäre prädestiniert dafür.

Nur: Österreichs Neutralität hat Schaden gelitten durch eine österreichische Außenpolitik, die den Namen nicht verdient, die sich bei globalen Konflikten jeweils relativ einseitig positioniert.
Nicht nur in der Ukrainefrage – etwa wenn das Parlament Selenskyj zu einer seiner Propagandareden einlädt – oder wenn auf dem Gebäude des Bundeskanzleramts ausschließlich die israelische Fahne gehisst und nicht auch Empathie für das Leid der palästinensischen Bevölkerung symbolisiert wird –

All das ist freilich nicht ein formaler Verstoß gegen die immerwährende bewaffnete Neutralität, jedoch gegen den Geist der Neutralität gerichtet.

Sollte eine weitere Aushöhlung der Neutralität erfolgen oder gar ein NATO-Beitritt Österreichs Realität werden, wäre eine mediative und friedensstiftende Rolle Österreichs wie zu Zeiten Bruno Kreiskys jedenfalls endgültig verspielt.

Werden wir nicht müde, da klar dagegenzuhalten !

* Der Beitrag entspricht einer leicht gekürzten Textgrundlage für ein Referat, das Udo Bachmair bei einer Veranstaltung der „GewerkschafterInnen gegen Atomenergie und Krieg“ am 13.3.2024 im Amerlinghaus in Wien gehalten hat

Bedrohliches Kriegsgetöse (2)

Medien und Politik schüren Angst und Panik vor einem Angriff Russlands auf die EU und die NATO. Das erhöht die Zustimmung zu weiterer hemmungsloser Aufrüstung.

Wolfgang Koppler *

„Die NATO ist nicht nur von außen bedroht“, lautet ein Artikel jüngst in den Oberösterreichischen Nachrichten (OÖN). Darüber ein Foto mit Panzer und drauflos stürmenden Soldaten. Stoltenberg und das NATO-Emblem haben offenbar ausgedient und wirken zu wenig kriegerisch.

Anlässlich des uns bevorstehenden 75-Jahr-Jubiläums der NATO im April und wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Probleme im Westen müssen natürlich Ängste vor inneren und äußeren Feinden geschürt werden. Auch um die Opferbereitschaft der Bevölkerung zur Erhöhung der Rüstungsbudgets zu steigern. Und so beginnt der Autor natürlich mit dem äußeren Feind Russland. Ein zunehmend kriegerischer russischer Präsident Putin könnte das Militärbündnis in weniger als einem Jahrzehnt angreifen, wird der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius zitiert (vielleicht sollte er noch seinen Vornamen ändern: Boris könnte zu russisch wirken).

Wer weiß, was dann sein wird ? Auf jeden Fall wäre Putin dann an die 80. Und wer weiß, ob er dann noch am Leben sein wird, wer dann in Russland überhaupt an der Macht ist. Und Russland hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Interesse, Polen, das Baltikum oder gar Schweden anzugreifen. Das sind – aus der Sicht Russlands – keine strategisch oder auch nur kulturell – bedeutsamen Gebiete. Alles andere ist bloße Spekulation und Kaffeesudleserei. Genauso gut können wir uns auf einen Angriff der Außerirdischen vorbereiten oder auf einen Ausbruch eines der 50 Supervulkane, die es auf der Erde gibt. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit werden wir aber angesichts der jetzt schon besorgniserregenden Daten in 10 Jahren den Klimawandel und das Elend in den Entwicklungsländern weit stärker zu spüren bekommen als uns lieb ist. Aber mit solchen weitaus realistischeren Vorhersagen steigert man keine Rüstungsbudgets,

Um Politik und Bevölkerung aber trotzdem zu sensibilisieren, muss man Horrorvisionen erzeugen und sich dabei auf Experten berufen. Wie das auch Pistorius tut: „Unsere Experten rechnen mit einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren, in dem dies möglich sein könnte“ (man beachte das Wort „möglich“ und mein obiges Stichwort „Kaffeesudleserei“). Da es dem Autor scheinbar darum zu tun ist, die Panik noch zu steigern, stellt er in der Folge einige Suggestivfragen: „Ist der Angriff Russlands gegen die Ukraine nur ein Testlauf, um zu sehen, wie ernst es den westeuropäischen Staaten mit ihrer Verteidigungsbereitschaft ist ? Falls es Putin gelingen sollte, die Ukraine niederzuringen, wendet er sich dann seinem Hauptfeind ‚NATO‘ zu ? Testet er den Artikel 5 des NATO-Vertrages“ ? (Anm: Beistandspflicht)

Um diesen geradezu bohrenden, aber eher substanzlosen Fragen Nachdruck zu verleihen (wobei der Autor zugesteht, dass seine Visionen in Westeuropa als eher unwahrscheinlich abgetan werden), wird dann Schwedens Oberbefehlshaber General Michael Byden zitiert, der die Schweden aufgefordert hätte, sich „mental“ auf den Krieg vorzubereiten. Und dann folgt noch einmal Pistorius, der in seinem Interview die schwedischen Warnungen „aus skandinavischer Sicht als verständlich“ bezeichnet hätte. Ich würde eher sagen, aus Sicht der skandinavischen Regierung und der Militära, die den sich jetzt bald zwei Jahre hinziehenden Beitrittsantrag ja irgendwie rechtfertigen müssen.

Und natürlich darf im gegenständlichen ÖON-Artikel der Hinweis auf die historisch verständliche Besorgnis der Polen nicht fehlen. Weshalb Polen gegenwärtig gefährdet sein sollte, kann der Autor nicht darlegen.

Da dies alles wenig stichhaltig ist, um eine massive Erhöhung der europäischen Verteidigungsbudgets zu begründen, darf natürlich auch die Angst vor einem möglichen Sieg Trumps bei den kommenden US-Präsidentschaftswahlen nicht fehlen. Dieser hat ja – im Gegensatz zu Biden – an Europa und seinen antirussischen Reflexen wenig Interesse und liebt mehr die Auseinandersetzung mit China, Wenn dass kein Grund ist, die europäischen Verteidigungsbudgets hinaufzuschrauben ? Endlich auf die lästige „Friedensdividende“ zu verzichten ? Zumal die Polen ihr Rüstungsbudget schon unter der PiS-Partei auf 4 % (und heuer auf mehr als 4 %) hinaufgeschraubt haben ?

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Klar & deutlich

Einmal mehr empfiehlt der Autor des folgenden Beitrags die leicht lesbare Monatsschrift „Klar & Deutlich“, die in Münster erscheint.

Hans H ö g l

Es ist paradox: Menschen, die Kriege auslösen und unzählige Tote verursachen, genießen sehr viel mehr Aufmerksamkeit als Personen, die mutig vor Kriegen warnten – wie Berta von Suttner. Auch Kritik an zu vielen Einwanderern wird gern gepflegt oder im Kontrast dazu jeder Ausdruck daran abgelehnt. Mit anderen Worten, es geht je um Parteipolitik. Wie steht es aber darum, wenn Problemlösungen u.a. zu Pisafolgen angeboten werden – für bekannte Sprachdefizite, die mit der Migration naturgemäß gegeben sind?

Bereits am 4. Jänner wies ich auf die leicht lesbare Monatszeitschrift „Klar und deutlich“ hin. Heute bringe ich stark gekürzte Texte aus der Jännerausgabe 2024, die ich mir bestellte. Auf S.1 wird auf die Europawahl, jene in den USA und Russland hingewiesen. Da heißt es: „Durch Wahlen können Menschen mitbestimmen, wer das Land regiert. Regiert eine Partei gegen die Wünsche der Menschen?“ Dann bekommen sie bei der nächsten Wahl sicher weniger Stimmen. Durch solche Aussagen wird in einfacher Sprache klargemacht, dass Wahlen sehr wichtig sind.

Kurz die Erklärung der Europäischen Union (EU): „Ein Zusammenschluss von aktuell 27 europäischen Ländern“.

Auf der bunten Seite drei heißt es: „Wenn wir einen Brief verschicken, geht das so: Auf den Umschlag schreiben wir Name, Straße, Hausnummer. In Costa Rica gibt es solche Adressen nicht. Man schreibt zum Beispiel: An Pedro Luca in der Stadt Colon, 200 m südlich der Kirche im gelben Haus mit blauen Fenstern.“

Auf der Seite „Natur und Wissenschaft“ der Monatsschrift geht es u.a. um die Angst vor der Schlange Kreuzotter. Viele Leute fürchten sich vor ihr. „Die Schlange flüchtet aber eher vor Menschen.“ Sie beißt nur, wenn sie in die Enge getrieben wird.

Diese Beispiele mögen genügen. Lassen wir die Hinweise auf das gesunde Wintergemüse und die Erklärung von Bräuchen, so des Dreikönigstages und der Sternsinger.

Das Jahresabo der großformatigen Monatsschrift mit 8 Seiten kostet für Einzelpersonen € 50, für Institutionen € 70. Zu bestellen über Verlag „Spaß am Lesen“ Postf. 10 04 30 D- 48053 Münster oder info@spassamlesenverlag.de. Der Verlag gibt auch leicht lesbare Bücher heraus. Es ist lobenswert, dass die Hauptbibliothek der Stadt Wien diese Zeitschrift führt.

Kultur der Unmenschlichkeit

Das neue ORF-Magazin „Weltweit“ hat kürzlich ein interessantes Thema aufgegriffen: Die Spekulation auf dem Internationalen Wohnungsmarkt.

Wolfgang Koppler *

Jahrzehnte lang haben Politik und Medien diese Entwicklung verschlafen. So wie überhaupt die Auswüchse des Neoliberalismus. Dieser wurde ja in den 80-ern und 90-ern sogar begrüßt. Auch von vielen Journalisten. Jens Tschebull etwa forderte meiner Erinnerung nach damals im Profil die Abschaffung der wettbewerbsverzerrenden Wohnbauförderung und den völlig freien Wohnungsmarkt. Für jene, die sich das nicht leisten könnten, müsse man halt Obdachlosenheime errichten. Nicht einmal die letztlich vom Staat eingedämmte Finanzkrise 2008 konnte an dieser Vergötzung des Marktes wirklich etwas ändern.

Und das Elend breiter Bevölkerungsschichten, wie es sich etwa in den USA abzeichnet, schon gar nicht. Diejenigen, die sich dort kein Eigenheim leisten können, sind auf die Mietwohnungen am freien Wohnungsmarkt angewiesen. Und der ist in der Hand international agierender Immobilieninvestoren. Im Beitrag wurde ein Mieter gezeigt, der sich ergebenislos über eine Rattenplage beschwerte. Und das bei Mieten von 2000 Dollar für eine Einzimmerwohnung. Kein Wunder, dass in den USA immer mehr in den seinerzeit so genannten „Thatcher-Betten“ auf der Straße landen.

Global Players wie Blackstone (Immobilien im Wert von mehr als 900 Milliarden Dollar) machen sich aber auch in Europa breit. Etwa in Dänemark, Deutschland, den Niederlanden und sogar Schweden. Horrende Mieten, die sich bei jeder Neuvermietung noch einmal steigern. Beschwerden über Missstände werden von der Hausverwaltung ignoriert. Geht man damit an die Öffentlichkeit, wird seitens des Vermieters mit Polizei und Kündigung gedroht.

Dass derartige Unternehmen von Demokratie und Meinungsfreiheit nicht viel halten, mussten auch die Journalisten von „Weltweit“ bei ihren Recherchen erfahren. Sie erhielten schon nach kurzer Zeit ein Mail von Blackstone, das ihnen zeigte, wie sie bei ihren Recherchen in den USA beobachtet wurden. Die von ihnen kontaktierten Mieter seien natürlich nur Querulanten…

Die Sozialdemokraten haben das Thema Wohnen in den letzten Jahren verschlafen, wie die deutsche Ministerin für Wohnen und Bau in dem Beitrag ganz offen zugab, Die Konservativen sowieso. Treffend die Bemerkung eines Mieters: Das Recht auf Wohnung wurde durch das Recht auf Spekulation ersetzt.

In dem hochinteressanten Beitrag hat mir allerdings eines gefehlt: Die Beschäftigung mit der Situation In Österreich, wo die Situation zwar noch besser ist, aber der soziale Wohnbau in den letzten Jahren angesichts steigender Bau- und Grundkosten und zu geringer Wohnbauförderung fast zum Erliegen gekommen ist. Und Kritik an der EU fehlte ebenfalls. Mit dem Thema Wohnen beschäftigt sich man dort allenfalls dann, wenn man Angst um den Wettbewerb hat. So mussten die Niederlande ihre Wohnbauförderung kürzen: Wegen Wettbewerbsverzerrung. Griechenland ist da geradezu vorbildlich: Dort gibt es überhaupt keinen sozialen Wohnbau mehr. Wieder einmal ein Zeichen, was in der EU Vorrang hat: Profit und Wettbewerb.

Dass sich diese Situation durch den Ukrainekrieg und die geplante europäische Aufrüstung verschärfen wird, ist klar. Denn die Gelder werden anderswo fehlen. Für Waffen ist ja immer Geld da. Seltsamerweise auch bei den Sparefrohs. Eine Kultur der Unmenschlichkeit.

https://www.swiss-architects.com/de/architecture-news/meldungen/wohnbauforderung-in-gefahr

https://www.derstandard.at/story/2000110039625/eu-laender-wohnbeihilfen-statt-wohnbaufoerderung

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als freier Journalist und Jurist in Wien

Dem Blickfeld entrückt

Verdeckt vom Ukraine- und dem Gazakrieg sind andere Kriege und Konflikte aus dem Blickfeld westlicher Politik und Medien verschwunden. Besonders stiefmütterlich behandeln Medien den globalen Süden, im Besonderen Afrika, und dort im Speziellen die schlimme Situation im Sudan.

Wolfgang Koppler *

Was dort passiert, interessiert kaum. Oder wann wurde in der ZiB2 das letzte Mal über die katastrophale Lage in Somalia oder im Südsudan berichtet? Oder die Konflikte zwischen Ägypten und Äthiopien um das Wasser des Nil und einen geplanten Staudamm. Es ist auch kein wirkliches Thema für die EU oder die USA, die mehr damit beschäftigt sind, sich gegen den globalen Süden zu wappnen. Militärisch natürlich.

Selbst die unvermindert anhaltenden Kämpfe im Sudan und die katastrophale Lage dort sind etwa für die ZiB2 schon seit dem Sommer kein Thema mehr. Obwohl dort inzwischen 7,5 Millionen Menschen auf der Flucht sind und auch noch eine Hungersnot droht , weil die Kornkammer des Sudan, der Bundesstaat Jezira, von den Paramilitärs eingenommen wurde. Auch in der Hauptstadt Khartum fehlt es an Wasser, Strom und leistbaren Lebensmitteln. Als das islamistische Regime von Al Bashir gestürzt wurde, herrschte Jubel (auch im ORF). Der sehr bald der Ernüchterung wich. Die zivile Übergangsregierung musste weichen. Das Militär übernahm auch formal die Macht. Und dann brachen innerhalb des Militärs Kämpfe aus. Die regulären Streitkräfte unter Abdel Fattah Burjan gegen die arabischstämmigen rapid support Forces (RSF) von Mohammed Daglo. Es ist einerseits ein ethnischer Konflikt (arabischstämmiger RSF gegen schwarzafrikanische Gruppen), wie er sich schon bei Abspaltung des christlichen Südsudan abzeichnete. Wobei gerade im Sudan auch der Klimawandel eine große Rolle spielt, der den Kampf um Wasser und Weideland, insbesondere im Darfur-Konflikt verschärfte. Und damit Spannungen zwischen den Volksgruppen.

Andererseits werden diese Konflikte natürlich von außen geschürt. Weshalb trotz Hunger und Elend den Bürgerkriegsparteien nie die Waffen ausgehen. Schon in den Fällen der seinerzeitigen Abspaltung des christlichen Südsudan vor einigen Jahren spielten Rohstoffe wohl eine große Rolle. Im schon seit Jahren unabhängigen Südsudan etwa liegen 75 % der sudanesischen Ölreserven. Aber die Unabhängigkeit hat der Masse der Bevölkerung dort wenig gebracht. Die Menschen hungern und die FAO war aufgrund mangelnder Bereitschaft der Geberländer sogar zeitweise gezwungen, die Essensreserven zu kürzen. Zudem gibt es dort ebenfalls bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppen. Das Interesse des Westens ist enden wollend. Hauptsache, der Südsudan ist unabhängig, und Al-Bashir ist weg.

Noch schlimmer die Situation im „Mutterland“ Sudan, wo selbst die humanitäre Hilfe immer schwieriger wird. Auch hier Unterstützung der Aufständischen von außen. In diesem Fall von den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die die USA auf diplomatischem Weg einzubremsen suchen. Da es sich aber nicht um antiwestliche „Bösewichte“ wie den Iran oder Putin handelt, natürlich nur vorsichtig. Und die EU schläft überhaupt. Der Ukrainekrieg ist schließlich wichtiger. Und die bevorstehenden EU-Wahlen.

Immerhin darf das ZDF darüber berichten. Zumal auch größere Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa zu erwarten sind. Auch neuer Nährboden für Terror könnte angesichts des von Chaos, Elend und Kriegsverbrechen entstehen. Stichwort Somalia. In österreichischen Medien weitgehend Schweigen.

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/sudan-krieg-vertreibung-100.html

https://www.deutschlandfunk.de/sudan-kaempfe-unruhen-militaer-102.html

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Echtes BIO oder Mogelpackung?

Fair, bio, klimapositiv: Schlagworte

Gekürzter Text vom Blog „Perspective Daily“ (Hans Högl)
12. September 2023

Im Supermarkt landen Kartoffeln aus »regionalem und kontrolliertem Anbau«, »ressourcenschonender« Glasreiniger und »biobasierte« Müllbeutel im Einkaufskorb. Auf dem Weg zum Bus, der mit »100% erneuerbaren Energien« betrieben wird, werben »klimapositive« Unternehmen an der Plakatwand. Zu Hause angekommen, gönnen wir uns einen Schluck »klimaneutrales« Wasser aus der Leitung, wie die Stadtwerke stolz verkünden.

Im Alltag werden wir nur so von Produktversprechen zugeballert. Alle wollen sie uns überzeugen, wie toll und nachhaltig sie sind. Dabei formulieren Unternehmen ihre Produktversprechen kurz und eingängig mit bekannten Schlagworten, doch bleiben gleichzeitig möglichst vage – so wie Horoskope. Denn dann füllen Verbraucher:innen die Versprechen automatisch mit den Inhalten, die sie erwarten möchten. Belastbare Nachweise, dass Unternehmen ihre Versprechen auch erfüllen, gibt es nur selten.

Wie selten, das hat eine große Onlineuntersuchung der Europäischen Kommission in Kooperation mit nationalen Verbraucherbehörden 2021 herausgefunden. Die Behörden gehen in 42% der Fälle von Greenwashing aus, also übertriebenen, falschen oder irreführenden Produktversprechen. Um der Verbrauchertäuschung einen Riegel vorzuschieben, hat die Europäische Kommission Regeln für Ökomarketing erarbeitet, so wie es sie für gesundheitsbezogene Angaben schon gibt. Diesen haben das Europäische Parlament und der Europäische Rat im Mai zugestimmt:

Die neuen Regeln sollen in Zukunft irreführende Werbung und allgemeine Umweltaussagen wie »umweltfreundlich, natürlich, biologisch abbaubar, klimaneutral oder öko« verbieten, wenn diese nicht detailliert belegt werden können.
Aus der Werbung muss hervorgehen, wenn es Einschränkungen gibt oder Versprechen nur auf Teile eines Produktes zutreffen. Wenn etwa nur der Flaschendeckel ressourcenschonend produziert wird, die Flasche selbst aber nicht. Oder die Komponenten eines Smartphones besonders langlebig sind, der Akku aber nicht.
Es sollen nur noch Nachhaltigkeitskennzeichnungen zugelassen werden, die vorher zertifiziert worden sind oder von öffentlichen Behörden eingeführt wurden.

Medienkampagne gegen Babler

Nicht zuletzt die Macht der Medien wird beim SPÖ-Parteitag in Linz den Ausschlag für Hans Peter Doskozil geben.

Udo Bachmair

Medien haben sich in den vergangenen Tagen voll auf Andreas Babler eingeschossen. Rechtzeitig vor dem Parteitag am Sonntag in Linz. Zur Freude Hans Peter Doskozils und seiner Anhänger. Sie können sich bereits siegessicher fühlen. Vor allem der Boulevard nützt teils aus dem Zusammenhang gerissene Zitate weidlich aus, um die Chancen des linken Kandidaten für den SPÖ-Vorsitz zu minimieren. Bemerkenswert, dass auch Zeitungen wie DER STANDARD eine undifferenziert einseitige Kampagne gegen Babler fahren.

„Ich bin ein Marxist“ ( hinsichtlich der theoretischen Grundlagen Marx-scher Gesellschaftskritik ) sowie „Natürlich bin ich kein Marxist, wenn man es so interpretiert“ ( auf die Frage, ob Babler die Diktatur des Proletariats anstrebt..): 2 Äußerungen, die nicht zwangsläufig im Widerspruch zueinander stehen müssen. Sie reichen jedoch für die veröffentlichte Meinung aus, Babler als ungeeignet für die Funktion des SPÖ-Vorsitzenden darzustellen.

Wieder einmal wird-voraussichtlich erneut erfolgreich-die alte Kommunismus-Keule ausgepackt. Wer die marxistische Theorie als hilfreich zur Erklärung ökonomischer und gesellschaftlicher Entwicklungen sieht, gilt in der intellektuell unterfordernden Debatte als Unterstützer des Stalinismus, der etliche Millionen Opfer gefordert hat. Argumente, dass strikt antikommunistische politische Systeme, wie der Nationalsozialismus sowie der Kapitalismus Abermillionen an Opfern verursacht haben, gelten freilich nicht. Ganz zu schweigen von der blutigen Geschichte des Kolonialismus.

Die Medienkampagne gegen Babler dürfte jedenfalls nicht ohne Auswirkung auf das Abstimmungsverhalten der Parteitagsdelegierten sein. Sollte Bablers Konkurrent Hans Peter Doskozil um den Parteivorsitz den Sieg davontragen, wäre dies auch ein weiterer Beleg für die Macht der Medien, die überwiegend Stimmung für Doskozil machen, dem man offenbar den brutalen Abschuss der Parteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner verzeiht. Dass Doskozil mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit eine Koalition mit der FPÖ auch auf Bundesebene eingehen wird bzw. würde, wird offenbar nicht bedacht.

Kommt hinzu, dass nun ein weiteres Zitat Bablers gegen ihn verwendet wird, nämlich seine kritischen, zugegeben übertriebenen Äußerungen zu EU und NATO. Unglücklich formulierte Aussagen, teils aus dem Zusammenhang gerissen, die für ziemliche Aufregung gesorgt und zu weiteren medialen Shitstorms gegen Babler geführt haben. Die Äußerung Bablers, die EU sei das aggressivste Militärbündnis, sei „dumm“, wie Natascha Strobl, Politologin und Babler-Unterstützerin, heute gegenüber dem STANDARD eingestand. Zumindest wurde damit eine Diskussion über die zunehmend militaristisch orientierte Rolle der EU angestoßen. Kritik an dieser muss jedenfalls erlaubt sein.

(Siehe dazu auch den Gastbeitrag von Wolfgang Koppler unter dem Titel „EU-Kritik verpönt“.)

Großer Magen in der „Krone“

„Krone“- ein Chamäleon-Medium?

Hans Högl

Ein Versuch, der „Kronen-Zeitung“ fair zu begegnen: Ja, sie redet den Leut` zu oft nach dem Mund, hat aber hat auch einen Kompass: Das sei anerkannt.

– Sie ist je zu traditionell-christlichem Brauchtum wertschätzend. Das passt manchen nicht.
– Sie folgt in Ökologie-Fragen einer Linie !

Doch die EU ist für die „Krone“-Redaktion ein Kreuz:

– Sie ist zu komplex, überfordert den Horizont der Leser:
– Die mögen – wie üblich- keppeln und raunzen – vgl. „Krone“- Rubrik: Das „EU-Theater“
– Im Falle Andreas Babler rudert sie zurück und zerreißt sich das Maul über seine Sager :

„Die EU ist das aggressivste, außenpolitische Bündnis“ (Krone 31.5, S.2) und 1994 war er gegen den EU-Beitritt. Da heißt es Stop für die „Krone“. Das g´hört sich für einen SPÖ-Chef nicht.

NB. Babler wollte in Traiskirchen eine Gruppe der (Linzer) Solidarwerkstatt gründen, wie darin vor kurzem zu lesen war. Und die Solidarwerkstatt ist nicht nur EU-kritisch, sondern fundamental EU-feindlich.

Die „Wiener Zeitung“ schildert die damaligem Pro – und Kontra-Argumente der Sozialdemokraten zum EU-Beitritt. Der Titel der Analyse „Rote Ambivalenzen“ (1. Juni). Eine so differenzierte Sprache wäre für „Krone“-Leser unzumutbar.

EU-Kritik verpönt

Andreas Babler, Kandidat für den SPÖ-Vorsitz, ist wegen seiner vor 3 Jahren getätigten kritischen Äußerungen zu EU und NATO ins Visier fast aller Medien geraten.

Wolfgang Koppler *

Andreas Babler hat etwas Ungeheuerliches getan: Er hat die EU kritisiert und ihren Reformbedarf aufgezeigt. Das Rauschen im Blätterwald war die unausweichliche Folge dieses Sakrilegs. Denn die EU ist eine Art Gottersatz. Für die Medien und die von ihnen produzierte öffentliche Meinung. So wie es vorher die Nation und noch früher der durch das Gottesgnadentum sanktionierte Herrscher war. Den man genauso wenig kritisieren durfte wie heutzutage NATO und EU. Denn an Gott, tätige Nächstenliebe oder so etwas Ähnliches haben ja immer nur die wenigsten geglaubt. Darum haben wir die Religion meist vergötzt. In Form irgendwelcher Bilder, die wir den anderen vorhielten.

Jetzt müssen wir halt an die EU glauben. Und dürfen nicht einmal auf ihre Widersprüchlichkeiten, Struktur- und Wertemängel hinweisen. Auch wenn diese auf der Hand liegen:

1. Militarismus: Die EU wird zunehmend zu einem Militärbündnis. Das angeblich den Frieden sichern soll. Von dem wir ziemlich weit entfernt sind. Und das nicht nur wegen Putin und dessen anachronistischem Weltbild. Sondern auch wegen des Vorrückens von NATO und EU bis ans Schwarze Meer. Was irgendwann mit den russischen Interessen kollidieren musste. Der russische Angriffskrieg hat wohl auch, aber nicht nur mit Putins Ehrgeiz zu tun. Was Politiker wie Kissinger und Macron längst begriffen haben. Nur leider sonst niemand. Ich darf den Ausspruch eines ehemaligen Bundeskanzlers anlässlich des Beitritts von Rumänien und Bulgarien in einer Fernsehdiskussion in Erinnerung rufen: Die EU steht jetzt am Schwarzen Meer. Kommentar überflüssig.

2. Demokratiedefizit: In der EU ist immer soviel von freiheitlich-demokratischen Werten die Rede. Tatsächlich werden inzwischen weit mehr als 60 % der nationalen Gesetze von jenem Rahmen beeinflusst, den die EU und ihre Organe vorgeben. Also durch EU-Richtlinien und Verordnungen. Das EU-Parlament hat diesbezüglich keinerlei Initiativrecht. Dieses liegt bei der von finanzstarken Lobbys beeinflussten Kommission. Zusätzlich gibt es auch noch – ganz offiziell – den European Round Table, welcher der „EU-Gesetzgebung“ beratend zu Seite stehen soll, aber in Wirklichkeit – wie Untersuchungen von NGOs gezeigt haben – ganz entscheidend mitmischt. Dort drin sitzen – erraten ! – die Vertreter europäischer Großkonzerne. Für die Finanzwirtschaft gibt es ein ähnliches Gremium. Und so kommen im Sozial- genauso wie im Umweltbereich – wieder richtig geraten -meist Alibimaßnahmen heraus, die Industrie und Finanzwirtschaft nicht wirklich weh tun.

3. Wertedefizit: Und damit sind wir bei den Werten, die unser Leben und unser System bestimmen. In erster Linie das Geld. Nicht das, was wir als Zahlungsmittel verwenden. Sondern das, was in unserer Gesellschaft den Wert von Menschen ausmacht. Und jene Wirtschaftsdaten, die das Handeln unserer Eliten bestimmen. Sie halten das für linken Schmafu ? Gut, dann fragen Sie sich einmal, weshalb jedes Jahr eine Liste der reichsten Menschen erstellt wird. Und zwar nicht nur für die Regenbogenpresse. Bill Gates, Elon Musk und Jeff Bezos strengen sich ja schließlich nicht umsonst so an, ihr Geld zu vermehren. Sondern weil man mit Geld mehr „wert“ ist. Und die Politik hat dafür zu sorgen, dass dieser wundersamen Geldvermehrung keine Steine in den Weg gelegt werden. Und den Reichen der Weg zu mehr noch mehr Reichtum geebnet wird. Dahinter steht die uralte puritanische Ethik, dass man damit prädestiniert für den Himmel sei. Nur halt zunehmend ohne Religion und Moral. Dass dabei die uralten immateriellen Werte von Weisheit, Mäßigung und gesellschaftlicher Gerechtigkeit ebenso wie die eigentliche Menschenwürde auf der Strecke bleiben, ist klar.

Und dass jemand, der die Zivilcourage hat, dies aufzuzeigen, von Politik und Medien attackiert wird, ist ebenfalls klar. Denn es sind unsere eigenen europäischen Lebenslügen, an denen wir nur allzu gern hängen: Wir als Verbreiter von Freiheit, Demokratie und Menschenwürde. Statt von Elektronikschrott und Textilmüll an Afrikas Stränden. Im Namen unserer (wirtschaftlichen und persönlichen) Freiheit.

Andreas Babler hat eine andere Freiheit in Anspruch genommen. Die des Gewissens.

* Gastautor Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

EU als Friedensunion versagt

Einem schon länger zurückliegenden FURCHE-Interview zufolge wäre EU-Ex-Präsident Juncker bereit, mit Putin Gespräche aufzunehmen. Doch er ist darum bisher nicht gebeten worden.

Udo Bachmair

Russlands Krieg gegen die Ukraine geht unvermindert weiter. Gleichzeitig werden Medienberichte darüber immer weniger. Berichte reduzieren sich weitgehend auf die umstrittene Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland, mit denen man allen Ernstes glaubt, den Krieg bald stoppen und der Ukraine zum totalen Sieg verhelfen zu können. Ungeachtet weiteren Leids, weiteren Blutzolls, weiterer Toter und Schwerverletzter sowie weiterer Kriegsverbrechen auf beiden Seiten.

Die Friedensunion EU ist zur Kriegsunion mutiert. Statt zu deeskalieren, gießen vor allem Hardliner*innen weiter Öl ins Feuer. Vor allem die grüne(?) Außenministerin Annalena Bärbock sowie die (christdemokratische?) EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen machen aus ihrer reinen Kriegslogik kein Hehl. Diplomatische Bemühungen seitens der EU sind entweder nicht sichtbar oder werden nicht ernsthaft versucht, solange die USA nicht auf ein Kriegsende setzen.

Der Westen wäre trotz seiner verständlichen Parteinahme für die überfallene Ukraine gut beraten, den richtigen Zeitpunkt für mögliche Waffenstillstandsverhandlungen dennoch nicht auf Dauer allein der Ukraine zu überlassen. Angesichts eines auf unbestimmte Zeit in Verlängerung gehenden Abnützungskrieges ist es höchste Zeit für EU-Initiativen in Richtung eines realistischen Verhandlungsfriedens. Diese sucht man allerdings vergeblich..

Der Herausgeber der renommierten FURCHE, Wilfried Stadler, meint dazu in einem Kommentar :

„Dass es zu Zugeständnissen beider Seiten kommen wird müssen, ist für die Ukraine bitter – noch bitterer wäre ein Schrecken ohne Ende“.

Ebenfalls aktuell bleibt ein schon vor Wochen in der FURCHE veröffentlichtes Interview mit dem früheren EU-Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker. Er bedauert, dass die EU seit Jahren bereits alle Beziehungen zu Russland eingestellt habe :

JUNCKER: „Ich halte das in der Nachbetrachtung für einen Fehler im Umgang mit den Russen. Wenn man einen Konflikt hat und sich weitere Konflikte anbahnen – es gab ja auch im Donbass schon erste Übergriffe ab 2014 – muss man miteinander reden, anstatt nachher die Waffen sprechen zu lassen.“
FURCHE: „Würden Sie sich dafür zur Verfügung stellen, den Kontakt suchen zu Putin?“
JUNCKER: „Solange ich nicht gebeten werde, mich da einzumischen, werde ich das nicht tun“
FURCHE: „Aber Sie würden, wenn Sie gebeten werden ?“
JUNCKER: „Ich bin nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten, solange ich nicht gebeten werde. Und bislang hat es diesen Ansatz noch nicht gegeben.“

Juncker hat in früheren stundenlangen Vieraugengesprächen Wladimir Putin und dessen Motive gut einschätzen gelernt. Er wäre jemand, der einen persönlichen Draht auch zum nunmehrigen Kriegsherrn Putin finden könnte. Doch Juncker fehlt bisher ein Verhandlungsmandat.

Gefragt erscheint zurzeit nicht Friedens,- sondern Kriegslogik und militaristische Ideologie. Mit beängstigendem Potential an weiterer Eskalation.