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EU als Friedensunion versagt

Einem schon länger zurückliegenden FURCHE-Interview zufolge wäre EU-Ex-Präsident Juncker bereit, mit Putin Gespräche aufzunehmen. Doch er ist darum bisher nicht gebeten worden.

Udo Bachmair

Russlands Krieg gegen die Ukraine geht unvermindert weiter. Gleichzeitig werden Medienberichte darüber immer weniger. Berichte reduzieren sich weitgehend auf die umstrittene Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland, mit denen man allen Ernstes glaubt, den Krieg bald stoppen und der Ukraine zum totalen Sieg verhelfen zu können. Ungeachtet weiteren Leids, weiteren Blutzolls, weiterer Toter und Schwerverletzter sowie weiterer Kriegsverbrechen auf beiden Seiten.

Die Friedensunion EU ist zur Kriegsunion mutiert. Statt zu deeskalieren, gießen vor allem Hardliner*innen weiter Öl ins Feuer. Vor allem die grüne(?) Außenministerin Annalena Bärbock sowie die (christdemokratische?) EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen machen aus ihrer reinen Kriegslogik kein Hehl. Diplomatische Bemühungen seitens der EU sind entweder nicht sichtbar oder werden nicht ernsthaft versucht, solange die USA nicht auf ein Kriegsende setzen.

Der Westen wäre trotz seiner verständlichen Parteinahme für die überfallene Ukraine gut beraten, den richtigen Zeitpunkt für mögliche Waffenstillstandsverhandlungen dennoch nicht auf Dauer allein der Ukraine zu überlassen. Angesichts eines auf unbestimmte Zeit in Verlängerung gehenden Abnützungskrieges ist es höchste Zeit für EU-Initiativen in Richtung eines realistischen Verhandlungsfriedens. Diese sucht man allerdings vergeblich..

Der Herausgeber der renommierten FURCHE, Wilfried Stadler, meint dazu in einem Kommentar :

„Dass es zu Zugeständnissen beider Seiten kommen wird müssen, ist für die Ukraine bitter – noch bitterer wäre ein Schrecken ohne Ende“.

Ebenfalls aktuell bleibt ein schon vor Wochen in der FURCHE veröffentlichtes Interview mit dem früheren EU-Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker. Er bedauert, dass die EU seit Jahren bereits alle Beziehungen zu Russland eingestellt habe :

JUNCKER: „Ich halte das in der Nachbetrachtung für einen Fehler im Umgang mit den Russen. Wenn man einen Konflikt hat und sich weitere Konflikte anbahnen – es gab ja auch im Donbass schon erste Übergriffe ab 2014 – muss man miteinander reden, anstatt nachher die Waffen sprechen zu lassen.“
FURCHE: „Würden Sie sich dafür zur Verfügung stellen, den Kontakt suchen zu Putin?“
JUNCKER: „Solange ich nicht gebeten werde, mich da einzumischen, werde ich das nicht tun“
FURCHE: „Aber Sie würden, wenn Sie gebeten werden ?“
JUNCKER: „Ich bin nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten, solange ich nicht gebeten werde. Und bislang hat es diesen Ansatz noch nicht gegeben.“

Juncker hat in früheren stundenlangen Vieraugengesprächen Wladimir Putin und dessen Motive gut einschätzen gelernt. Er wäre jemand, der einen persönlichen Draht auch zum nunmehrigen Kriegsherrn Putin finden könnte. Doch Juncker fehlt bisher ein Verhandlungsmandat.

Gefragt erscheint zurzeit nicht Friedens,- sondern Kriegslogik und militaristische Ideologie. Mit beängstigendem Potential an weiterer Eskalation.

Deutsche Leitmedien im Visier

Medienkritiker, unter ihnen auch der deutsche Philosoph Richard David Precht, orten angesichts „einseitiger außenpolitischer Berichterstattung und Übernahme ukrainischer Kriegspropaganda“ abnehmende Glaubwürdigkeit westlicher „Mainstream-Medien“.

Udo Bachmair

Veröffentlichte Meinung entspricht nicht zwangsläufig der Meinung der Mehrheit der Bevölkerung. Deutlich wird diese Erkenntnis etwa an der Beantwortung der Frage „Sind Sie für weitere NATO-Waffenlieferungen an die Ukraine ?“ Einer jüngsten OGM-Umfrage zufolge antworten mehr als 50 Prozent der Befragten auf diese Frage mit „Nein“. Diametral entgegengesetzt hingegen die meisten westlichen Kommentare aus Medien und Politik. Sie huldigen vielfach reinster Kriegs- und Militärlogik.

Vor allem die deutschen Grünen, früher noch wesentlicher Teil der Friedensbewegung, gefallen sich in ungewöhnlich scharfer Kriegsrhetorik. Allen voran Außenministerin Annalena Bärbock, die ganz und gar auf eine Kriegsentscheidung auf dem Schlachtfeld setzt. Für diplomatische Friedensbemühungen zur Beendigung der russischen Aggression fehlt dabei jegliche Phantasie und Absicht. Bärbock befindet sich damit in „guter“ Gesellschaft mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die ebenfalls jegliche Verhandlungsbereitschaft vermissen lässt.

Fehlentwicklungen westlicher Medien und Politik in der Haltung zum Ukraine-Krieg prangert neben anderen auch niemand Geringerer als der bekannteste deutsche Philosoph der Gegenwart, Richard David Precht, an. Precht, der keineswegs im Verdacht steht, im äußersten rechten oder linken politischen Eck angesiedelt zu sein, macht sich berechtigte Sorgen um die Auswirkung aktueller Berichterstattung von (deutschen) Leitmedien auf die Demokratie. Sorgen, die er in seinem neuen Buch mit dem Titel „Die vierte Gewalt“* eindrucksvoll niedergeschrieben hat.

„Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist, zum Beispiel in Bezug auf die Lieferung schwerer Waffen“ so lautet einer der wesentlichen Vorwürfe Prechts in dessen neuem Buch.

Precht selbst dazu in einer turbulenten Lanz-Talkshow kürzlich im ZDF : „Sowohl Journalisten als auch Politiker haben sich innerhalb sehr kurzer Zeit in der unübersichtlichen Situation des Kriegsausbruchs auf ein Narrativ geeinigt.“ Und Precht weiter: „Glauben Sie ernsthaft, dass ausgeglichen in den deutschen Leitmedien die Position der Zweifler an den Waffenlieferungen genauso breit zu Wort gekommen ist ?“ Eine befriedigende Antwort darauf ist ausgeblieben.

Der in der erwähnten ZDF-Sendung schwer unter Beschuss geratene Autor hat unterdessen gegenüber der ZEIT dafür plädiert, dass einzelne NATO-Staaten die Nicht-Aufnahme der Ukraine garantieren sollten. Das wäre eine der Maßnahmen zur Deeskalation.

Eine seriöse Reaktion auch auf diese Frage gibt es bis dato nicht. Precht muss sich hingegen mit dem üblichen Vorwurf von Militärlogikern abspeisen lassen, er sei ein „Putinversteher“ sowie ein Naivling, der einen „Diktatfrieden“ wolle. Apropos: Der Begriff Frieden wird damit in der medialen Öffentlichkeit zunehmend negativ aufgeladen. Ein offenbar bewusst gesetztes Wording, das Politik und Medien gemeinsam eifrig weiterverbreiten.

* Buch-Neuerscheinung „Die vierte Gewalt“ von Richard David Precht und Harald Welzer, Fischer-Verlag

Krieg und Kriegspropaganda

Ein Krieg geht immer einher auch mit einem Informationskrieg. Kriegspropaganda betreiben alle Kriegsparteien. Besonders gut inszeniert sich dabei die Ukraine. Mit voller Unterstützung westlicher Medien. (Beitrag veröffentlicht im Magazin INTERNATIONAL Juni 2022)

Udo Bachmair

Zwei Hauptnarrative beherrschen den Disput rund um den russischen Krieg gegen die Ukraine: Erstens der Glaube daran, dass Wladimir Putin ausschließlich mit weiteren schweren NATO-Waffen in die Knie gezwungen werden könne. Russlands Präsident würde ausschließlich die Sprache militärischer Gewalt verstehen. Das zweite Narrativ besteht darin, dass immer mehr (schwere) Waffen den Krieg und unermessliches Leid nur verlängern würden und eine weitere Eskalation damit vorprogrammiert sei. Diesem Narrativ schenken westliche Medien weder Glauben noch Aufmerksamkeit. Im Gegenteil: Friedensbewegte, die noch einen Spielraum für diplomatische Bemühungen und sinnvolle Friedensinitiativen sehen, werden als „Putinversteher“ oder naive Pazifisten gebrandmarkt.

Reine Militärlogiker fühlen sich allein schon provoziert von auch nur gemäßigten Äußerungen zur komplexen Causa. So etwa von der Meinung der SPÖ-Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner, Waffen und Sanktionen allein würden nicht ausreichen, um diesen Krieg zu beenden. Man müsse „mit mehr Intensität und Anstrengungen an diplomatischen Lösungen arbeiten“. Diese Perspektive ruft bei Politik und Medien jedoch kaum ein positives Echo hervor. Vielmehr dominieren Verwunderung bis Empörung über eine solche friedensorientierte Position. Im Besonderen Boulevardmedien scheinen einander in Kriegsrhetorik und Dämonisierung Putins und Russlands überbieten zu wollen.

Die regelmäßigen Auftritte des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, einmal im Tarnanzug, festen Schrittes durch Kiew marschierend, einmal im olivgrünen Militärleibchen in einem beflaggten Studio, verfehlen ihre Wirkung nicht. Unermüdlich appelliert der zum Helden stilisierte Staatschef mit martialischen Worten an den Westen, speziell die NATO, weitere schwere Waffen zu liefern. Die schon vor dem Angriffskrieg Russlands seit Jahren bereits mit westlicher Hilfe aufgerüstete Ukraine kann auf weitere massive Waffenlieferungen hoffen. Politik und Medien im Westen begleiten sie dabei mit wohlwollender propagandistischer Unterstützung.

Was den Informationskrieg betrifft, der jeden Krieg begleitet, wirken westliche Medien nahezu gleichgeschaltet. Jenseits aller Objektivitätskriterien, die man sich als Medienkonsument gerade auch in der außenpolitischen Berichterstattung wünschen würde, dominiert einseitiger medialer Mainstream. Die Russen generell böse, die Ukrainer generell gut, so lautet vielfach die Devise. Dass damit weiterer Hass geschürt und eine noch spärlich vorhandene, aber noch mögliche Gesprächsbasis endgültig zunichte gemacht wird, interessiert nur marginal.

Vernebelt vom Schwarz/Weiß-Denken und dem Festhalten an einem starren Freund/Feind-Schema stellen westliche Medien ukrainische Quellen als ernstzunehmend dar, hingegen alles, was von russischer Seite kommt, als völlig unglaubwürdig und propagandistisch. Freilich ist es für journalistische Arbeit schwieriger denn je, auf seriöse Quellen zurückgreifen zu können, auch wenn ehrliche Absicht dazu besteht. Glaubwürdige Quellen im Informationskrieg sind nämlich kaum zu orten. Aber es wäre zumindest wünschenswert, Quellen überhaupt anzugeben, was leider auch im ORF selten passiert. Auch beim Konsum von ORF-Nachrichtensendungen bleibt als Botschaft mitunter der Eindruck hängen, dass ukrainische Informationspolitik als faktenbasiert vermittelt wird, die andere Kriegspartei hingegen agiere bloß mit Fakes und Propaganda. Dabei wäre schon der Versuch von Differenzierung im Sinne eines Qualitätsjournalismus ein Hoffnungsschimmer.

Wenn ein Sprecher des rechtsradikalen Asow-Regiments etwa in der ZiB 1 auftritt, ohne dass eine interpretierende oder differenzierende Analyse dazu beigesteuert wird, ist dies unseriös. Oder wenn in TV-Diskussionsrunden nahezu ausschließlich Kriegs- und Militärlogik verbreitet wird, wie etwa in der ARD-Sendung „Hart, aber fair“. Oder wenn in unausgewogen besetzten Diskussionsrunden wie etwa im ORF-Format „Im Zentrum“ antirussische Feindbildpflege dominiert, darf man sich nicht darüber wundern, dass Politik und Medien zunehmend an Glaubwürdigkeit einbüßen, wenn relativierende journalistische Einordnung zunehmend schwindet.

Was sollen die Menschen denn noch glauben, wenn Journalismus nicht in der Lage zu sein scheint, zu differenzieren und die Interessenslage von allen Seiten eines Konflikts her zu sehen und zu hinterfragen. Besonders krass tritt dieses Manko in einer so komplexen Causa wie der des Kriegs gegen die Ukraine zutage.
Dass es auch anders geht, beweist immer wieder der besonnene und sachorientierte ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz, der sich jenseits bloßer Kriegsrhetorik und wegen seiner nichtmartialischen und differenzierenden Beiträge großes Lob verdient. Wehrschütz kann auf authentische Quellen vor Ort verweisen, die meisten Redaktionen westlicher Medien hingegen können dies nicht. Deren Hauptquellen sind die großen US-nahen Agenturen, die nur eine Seite geopolitischer Weltsicht repräsentieren. Auch das ORF-Büro in Moskau greift kaum auf andere Quellen zurück…

Schon Jahre vor dem Krieg haben westliche Medien und PolitikerInnen Russland beharrlich zu einem Feindbild mit aufgebaut. Dabei helfen einzelne Begriffe und Worte, wie sie auch in der sogenannten objektiven Nachrichtensprache verwendet werden. So fällt kritischen Medienbeobachtern auf, dass Äußerungen russischer Politiker durchgängig mit Prädikaten wie „behaupten“, „unterstellen“, etc. versehen werden. Wenn ein US- oder EU-Politiker eine Stellungnahme abgibt, lauten die Prädikate „betonen“, „bekräftigten“, „erklären“ etc. also positiv geladene Begriffe.

Abermals sei bekräftigt, dass ein Angriffskrieg im 21.Jahrhundert in Europa ein absolutes „No go“ sein sollte. Großmachtphantasien mit einem realen Krieg erzwingen zu wollen, ist menschenrechtlich und völkerrechtlich strikt abzulehnen. Krieg und Gewalt sind per se Verbrechen, besonders ein aggressiver militärischer Überfall wie der Russlands. Das heißt aber nicht, dass automatisch nur der Aggressor Kriegsverbrechen begeht. So sind etwa Meldungen über Misshandlungen russischer Gefangener durch ukrainische Soldaten rasch von der Bildfläche verschwunden..
Auch aus politikwissenschaftlicher Perspektive findet da oft eine Verzerrung statt : Wenn „unsere“ Seite einen Krieg anzettelt, herrscht mehr Zurückhaltung, es werden wesentlich mehr Beweise für mögliche Kriegsverbrechen gesucht, bevor darüber berichtet wird. Wenn „Feinde des Westens“ dasselbe machen, ist die Empörung groß. Weil die Politik empörter ist und Medien das spiegeln. Aber auch Medien ihrerseits setzen die Politik unter Druck, noch härter gegen den „Feind“ aufzutreten. Nicht zuletzt deshalb musste sich auch der zunächst zurückhaltend gewesene deutsche SPD-Kanzler Scholz dazu durchringen, der Lieferung von schweren Waffen letztlich doch zuzustimmen

Der Irak-Krieg im Jahr 2003 war ebenfalls ein illegaler Angriffskrieg, ausgeführt von den USA. Medien waren damals aber bei Weitem nicht so empört. Wichtige Details darüber, wie verheerend sich die Invasion auf die Zivilisten im Irak ausgewirkt hat, haben Medien damals kaum beachtet. Völkerrechtswidrige Aspekte und die Tatsache, dass wir es auch beim Irak-Krieg mit einer Aggression zu tun haben, sind damals weitgehend ausgeblendet worden.
Trotz des Irakkrieges, trotz der Bomben auf Bagdad und Belgrad, trotz des gewaltsamen Regime Change in Libyen, etc. wird die NATO in westlichen Medien durchgehend als Verteidigungsbündnis verharmlost. Dass Russland und auch andere die NATO als aggressive Militärallianz wahrnehmen und sich von ihr bedroht sehen, entzieht sich bei Medien und Politik im Westen der Vorstellungskraft und stößt weitgehend auf Unverständnis. Solange der Westen sich nicht auch in die geopolitische Interessenslage Russlands hineindenken kann, Stichwort dazu die NATO-Erweiterung, so lange werden keine effektiven Friedensschritte zu erwarten sein. Von russischer Seite ist dies zurzeit ebenfalls kaum zu erwarten, Putin verharrt in seiner seltsam historisch basierten Kriegslogik. Das muss allerdings nicht so bleiben. Auch der Westen, allen voran die EU, sollten nicht auf Dauer an militaristischer Ideologie im Zusammenhang mit diesem Krieg festhalten.

Der Ukraine sei zu wünschen, so rasch wie möglich friedliche Zustände erleben zu können. Doch beide Kriegsparteien bewegen sich nicht. Dies lässt vorerst keine Hoffnung auf eine Waffenruhe oder auf Friedensverhandlungen keimen. Das Heil ausschließlich in der Lieferung schwerer Waffen zu sehen, wie es etwa die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen unermüdlich wiederholt, erscheint höchst kontraproduktiv, ein Friedenskonzept der „Friedensunion“ EU fehlt. Für kreative Überlegungen, auf nichtmilitärischem Gebiet Friedensinitiativen anzudenken, mangelt es an Willen und Phantasie. Besonders bemerkenswert ist die militante Haltung vor allem der deutschen Grünen, die sich als früherer parlamentarischer Arm der Friedensbewegung nun ins ideologische Lager der Militaristen begeben haben und damit weiter Öl ins Feuer gießen, allen voran die grüne deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Österreichs Grüne halten da nicht dagegen
Natürlich soll hier nicht einem naiven Pazifismus das Wort geredet werden, allerdings einer von Friedensethik getragenen aktiven Friedenspolitik. Diese müsste auch Kompromissen Raum geben. Eine primitive und ebenfalls naive Kriegslogik sowie weitere beharrliche Feindbildpflege lassen jedenfalls ein sehnlichst erwartetes Kriegsende in noch weitere Ferne rücken.

Vor diesem Hintergrund plädiert der renommierte Medien- und Konfliktforscher Florian Zollmann für einen „konstruktiven Journalismus“ gerade auch in der Kriegsberichterstattung. Medien schauen auf den Krieg oft wie auf eine Sportveranstaltung: Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer? Und im Prinzip ohne konstruktive Lösungen einzubringen, ohne zu schauen: Welche sind die verschiedenen Interessen, was gibt es für Lösungsstrategien, und wie kann man journalistisch deeskalierend wirken? Fragen, über die es gerade auch für die Politik rege nachzudenken gilt.

Kriegslogik schlägt Friedenslogik

Ein heißer Krieg geht immer einher auch mit einem Informationskrieg, der sämtliche Friedensalternativen ausblendet. Kriegspropaganda betreiben alle Kriegsparteien. Besonders gut inszeniert sich dabei die Ukraine.

Udo Bachmair

Die regelmäßigen Auftritte des ukrainischen Präsidenten Selensky, einmal im Tarnanzug, jüngst festen Schrittes marschierend durch die Innenstadt von Kiew, einmal im Trainingsanzug vor einer großen ukrainischen Flagge, verfehlen ihre Wirkung nicht. Mit martialischen Worten appelliert er regelmäßig an den Westen, im Besonderen an die NATO, weitere schwere Waffen zu liefern. Die schon vor dem Angriffskrieg Russlands mit westlicher Hilfe aufgerüstete Ukraine kann auf weitere massive militärische Unterstützung hoffen. Ob das die Ukraine dem „Sieg“ näherbringt, bleibt fraglich.

Was den Informationskrieg betrifft, der jeden Krieg begleitet, ist aus westlicher Sicht, im Speziellen seitens der nahezu gleichgeschaltet wirkenden Medien, die moralische Siegerin klar ausgemacht: Es ist die Ukraine. Jenseits aller Objektivitätskriterien, die man sich als Medienkonsument gerade auch in der außenpolitischen Berichterstattung wünschen würde, dominiert klar einseitiger medialer Mainstream. Die Russen generell böse, die Ukrainer generell gut, so die Devise.

Vernebelt vom Schwarz/Weiß-Denken stellen westliche Medien Ergüsse ukrainischer Kriegspropaganda meist als Fakten dar, hingegen alles, was von russischer Seite kommt, als völlig unglaubwürdig und propagandistisch. Freilich ist es für journalistische Arbeit schwieriger denn je, auf seriöse Quellen zurückgreifen zu können, auch wenn ehrliche Absicht dazu besteht. Seriöse Quellen im Informationskrieg sind nämlich kaum zu orten. Aber es wäre zumindest wünschenswert, Quellen überhaupt anzugeben, was leider auch im ORF selten passiert.

Wenn ein Sprecher des rechtsradikalen Asow-Regiments etwa in der ZiB 1 auftritt, ohne dass eine interpretierende oder differenzierende Analyse dazu beigesteuert wird, ist dies unseriös. Oder wenn in TV-Diskussionsrunden ausschließlich Kriegs- und Militärlogik verbreitet wird, wie jüngst etwa in der ARD-Sendung „Hart, aber fair“, oder wenn in unausgewogen besetzten Diskussionsrunden wie etwa im ORF-Format „Im Zentrum“ antirussische Feindbildpflege dominiert, darf man sich nicht darüber wundern, dass Politik und Medien zunehmend an Glaubwürdigkeit einbüßen.

Was sollen die Menschen denn noch glauben, wenn Journalismus nicht mehr in der Lage zu sein scheint, zu differenzieren und die Interessenslage von allen Seiten eines Konflikts zu sehen und zu hinterfragen. Besonders krass tritt dieses Manko in einem so komplexen Fall wie dem Ukraine-Krieg zutage.

Dass es auch anders geht, beweist immer wieder der besonnene und sachorientierte ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz, der sich jenseits bloßer Kriegsrhetorik und wegen seiner nichtmartialischen und differenzierenden Analysen und Reportagen großes Lob verdient. Wehrschütz kann auf authentische Quellen vor Ort verweisen, die meisten Redaktionen westlicher Medien hingegen nicht, ihre Hauptquellen sind die großen US-nahen Agenturen, die nur eine Sicht der Welt repräsentieren. Auch das ORF-Büro in Moskau greift kaum auf andere Quellen zurück..

Schon Jahre vor dem Krieg haben westliche Medien und PolitikerInnen Russland beharrlich zu einem Feindbild mit aufgebaut. Dabei helfen einzelne Begriffe und Worte, wie sie auch in der sogenannten objektiven Nachrichtensprache verwendet werden. So fällt wahrscheinlich nur wenigen auf, dass Äußerungen von russischen Politikern durchgängig mit Prädikaten wie „behaupten“, „unterstellen“, etc. versehen werden. Wenn ein US- oder EU-Politiker eine Stellungnahme abgibt, lauten die Prädikate „betonen“, „bekräftigten“, „erklären“ etc. also positiv geladene Begriffe.

Abermals sei bekräftigt, dass ein Angriffskrieg im 21.Jahrhundert in Europa ein absolutes „No go“ sein sollte. Großmachtphantasien mit einem realen Krieg erzwingen zu wollen, ist menschenrechtlich und völkerrechtlich strikt abzulehnen. Krieg und Gewalt sind per se Verbrechen, besonders ein aggressiver militärischer Überfall. Das heißt aber nicht automatisch, dass nur der Aggressor Kriegsverbrechen begeht.

Die Ukraine sollte so rasch wie möglich friedliche Zustände erleben können. Doch beide Kriegsparteien bewegen sich nicht. Dies lässt vorerst keine Hoffnung auf eine Waffenruhe oder auf Friedensverhandlungen keimen. Das Heil ausschließlich in der Lieferung schwerer Waffen zu sehen, wie es etwa die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen oder bedauerlicherweise auch die früher antimilitaristischen Grünen bevorzugen, lässt jedenfalls weiter Öl ins Feuer gießen.

Natürlich soll hier nicht einem naiven Pazifismus das Wort geredet werden, allerdings einer von Friedensethik getragenen aktiven Friedenspolitik. Eine Politik, die auch Kompromissen Raum gibt. Eine primitive und ebenfalls naive Kriegslogik lässt ein sehnlichst erwartetes Kriegsende in noch weitere Ferne rücken.