Archiv der Kategorie: Medienverantwortung / Medienrecht

Beliebtes Anti-ORF-Bashing

Hinhauen auf den ORF hat Tradition. Trotz aller auch berechtigten Kritik ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk aber allein schon aus demokratiepolitischen Gründen unverzichtbar.

Udo Bachmair *

Anti-ORF-Bashing war schon früher beliebt, jetzt feiert es angesichts neuer Entwicklungen -Beispiele Gagen sowie Haushaltsabgabe – fröhliche Urständ‘. Für konstruktive Kritik am ORF hingegen liegen durchaus Gründe vor. Nicht jedoch für dessen Zerschlagung, die sich manche vor allem aus dem FPÖ-Dunstkreis wünschen.

Freilich ist die Optik der veröffentlichten Spitzeneinkommen einer Minderheit im ORF denkbar schlecht. Viele fühlen sich zu Recht provoziert, wenngleich sich die hohen ORF-Gagen verglichen mit Managergehältern in der Privatwirtschaft im Rahmen des Üblichen in einer freien Marktwirtschaft bewegen, auch wenn einem darob übel werden könnte.

Extreme Einkommensunterschiede sind auch innerhalb des ORF selbst gewaltig und sorgen für Unmut. So besteht etwa zwischen teils kärglich verdienenden freien MitarbeiterInnen und Höchstverdienenden, deren Einkommen oft nicht ihrer Leistung entsprechen, ein eklatantes Missverhältnis.

Neben der Empörung über die Spitzengagen steht der ORF auch in Bezug auf die (schlecht kommunizierte) Haushaltsabgabe weiter im Visier der Kritik. Der auch medial aufgeheizte Unmut richtet sich dabei paradoxerweise gegen eine Abgabe, die im Vergleich zur früheren GIS-Gebühr niedriger ausgefallen ist.

Darüber hinaus findet sich der ORF seit jeher- nicht ganz zu Unrecht- wegen des Vorwurfs parteipolitisch motivierter Postenbesetzungen immer wieder in den Schlagzeilen. Besonders nervend nicht zuletzt für unabhängige ORF-JournalistInnen waren und sind traditionelle Einflussversuche von außen. Besonders hervorgetan hat sich bereits vor 20 Jahren der damalige FPÖ Politiker Peter Westenthaler. Er sitzt seit kurzem abermals im höchsten ORF-Gremium. Von ihm wird ORF-intern neuerliche Interventionitis befürchtet. Aber auch dieses Mal werden sich ORF-RedakteurInnen bei ihrer insgesamt guten Arbeit nicht stören lassen.

Westenthaler gefällt sich dennoch weiter darin, ungebremst in Servus-TV-Talkshows-sowie als Dauergast bei Oe24 Attacken gegen den ORF und dessen MitarbeiterInnen zu reiten. Das Anti-ORF-Bashing von außen wird damit gleichsam durch eines von innen ergänzt. So ist der ORF für Westenthaler generalisierend eine „Propagandamaschinerie“. Dem ZiB2-Anchor Armin Wolf unterstellt er „politische Agitation“. Vorwürfe, die nach meiner persönlichen Erfahrung als einer von Wolfs Ex-ORF-Kollegen haltlos sind.

Als ORF-Redakteur und Ö1-Journal-Moderator hatte ich selbst einschlägige Erfahrung mit Anrufen Westenthalers bis hinein ins Studio in der Zeit der ersten ÖVP/FPÖ-Regierung. Es ist fraglich, ob jemand als Aufsichtsratsmitglied eines Unternehmens, das er in aller Öffentlichkeit angreift, tatsächlich geeignet ist. Als einem Stiftungsratsmitglied des ORF stünde es jedenfalls gut an, dessen Interessen zu vertreten und nicht die einer politischen Partei.

Kritik am ORF ist legitim, gerade auch, wenn er manchmal Objektivitätsgebote im Zusammenhang mit Reizthemen wie Neutralität/NATO, Ukraine- oder Gazakrieg verletzt. Verallgemeinerndes Hinhauen auf den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, dem eine demokratiepolitisch wichtige Rolle zukommt, entbehrt aber jeder Grundlage und Sachlichkeit.

* Dieser Beitrag von Udo Bachmair, Ex-ORF-Redakteur und verantwortlich für die Vereinigung für Medienkultur, ist auch als Gastkommentar im KURIER (Ausgabe 20.4.2024) erschienen.

NATO-Propaganda im ORF

In der jüngsten ZiB2 des ORF war der umstrittene ehemalige NATO-Chef Rasmussen zu Gast. Allzu kritische Fragen brauchte er sich nicht gefallen lassen. So konnte er seine Kriegsrhetorik weitgehend ungebremst verbreiten.

Wolfgang Koppler *

Dass der ORF den ehemaligen NATO-Generalsekretär Rasmussen zu einem Interview ins ZiB2-Studio einlud, ließ schon angesichts der Vergangenheit Rasmussens Schlimmes befürchten. Als dänischer Ministerpräsident hatte er eine Teilnahme eines dänischen Kontingents am Irakkrieg befürwortet und zudem – trotz offenbar gegenteiliger Geheimdienstberichte – das Vorhandensein irakischer Massenvernichtungswaffen behauptet. Was etwa Tony Blair das Amt kostete. Man kann dies alles problemlos den seinerzeitigen Medienberichten entnehmen. In der ZiB2 wurde nur erwähnt, dass Rasmussen die ukrainische Regierung berät..

Das gestrige von Armin Wolf geführte Interview mit Rasmussen übertraf allerdings auch die Erwartungen von an immer mehr zugespitzter Kriegsrhetorik bereits gewöhnten Zusehern. Da wurde die erfolgreiche Abwehr des iranischen Drohnenangriffs auf Israel mit Unterstützung Großbritanniens und der USA zum Anlass genommen, ein entsprechendes Eingreifen des Westens auch in der Ukraine zu fordern. Wolf fragte zwar nach, ob dies nicht zu einer weiteren Eskalation und zu einer direkten Konfrontation NATO-Russland führen könne, verließ sich aber dann auf Rasmussens substanzlose Bestreitung einer derartigen Gefahr.

Auch eine Einladung zu einem NATO-Beitritt der Ukraine wurde von Rasmussen befürwortet, weil alles andere Putin nur zu einer Weiterführung des Krieges verlocken würde. Auch wenn Rasmussen nur von „Einladung“ sprach, klang es für einen unbefangenen Zuseher sogar danach, als ob die Ukraine schon während des Krieges beitreten sollte. Was gegen den Nordatlantikvertrag verstoßen und schon per se zu einer unmittelbaren Konfrontation führen würde. Was Wolf zwar erwähnte, sich aber auch hier mit einer substanzlosen Bestreitung Rasmussens begnügte. Gefordert wurde natürlich auch noch der Einsatz von Langstreckenwaffen und wurden die diesbezüglichen Bedenken von Deutschen und Amerikanern gerügt.

Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus kommen einem da in den Sinn. Was macht der Krieg aus den Menschen ?

Dass Rasmussen Macrons Ansicht, man solle auch den Einsatz von NATO-Bodentruppen nicht ausschließen, unterstützte, ist angesichts der obigen Äußerungen nur mehr selbstverständlich. Beängstigend, wenn die Industriellenvereinigung einen solchen Mann nach Wien einlädt. Noch beängstigender, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk eines neutralen Landes in einer solch aufgeheizten und gefährlichen weltpolitischen Situation diesem auch noch Gelegenheit biet, derart problematische und selbst in Brüssel und Washington umstrittene Ansichten zu propagieren.

Das gegenständliche ZiB2-Interview war jedenfalls das genaue Gegenteil von Deeskalation.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien.

Kriegerische Schlafwandler

Spannungsgeladene Zeiten wie diese mit drohender Steigerung des Gefahrenpotentials erinnern fatal an die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Politik und Medien halten kaum dagegen.

Fritz Edlinger *

Der bei globalbridge veröffentlichte Kommentar von Stefano di Lorenzo hat mich dazu verführt, eines der wichtigsten historischen Werke der letzten Jahre wieder in die Hand zu nehmen und zu schmökern: Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. (Dt. Verlagsanstalt 2012). Es ist – meiner Ansicht völlig zurecht – bereits früher darauf hingewiesen worden, dass die Situation in Europa in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg große Ähnlichkeiten mit den Jahren vor dem russischen Angriff auf die Ukraine am 25.2.2022 aufweist. Um es zu vereinfachen: In beiden Fällen hat es genügend Hinweise auf vorhandene, aber in ihrem Gefahrenpotential (mehr oder minder bewusst) zu wenig beachtete Interessenskonflikte gegeben. Ich darf mir erlauben, aus der Einleitung des mit 895 Seiten äußerst umfangreichen Werkes des in Cambridge lehrenden australischen Historikers zu zitieren:

„Seit Ende des Kalten Krieges ist an die Stelle des Systems globaler, bipolarer Stabilität ein weit komplexeres und unberechenbareres Gefüge an Kräften getreten, einschließlich einiger Reiche im Niedergang und aufsteigender Mächte – ein Zustand, der zum Vergleich „Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mmit der Situation in Europa anno 1914 geradezu einlädt.“ (S. 15).

„Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mit der Frage, warum der Krieg ausbrach, als damit, wie es dazu kam.“ (S. 17).

Vor allem das zweite Zitat erinnert mich auch an den völlig unsinnigen und polemischen Vorwurf an manche Analysten und Kommentatoren, sie seien „Putinversteher“. Wie bereits des öfteren festgestellt, bedeutet Verstehen nicht Akzeptieren und Unterstützen sondern einfach Entwicklungen und Situationen zu analysieren, eben zu verstehen. Dies ist meines Erachtens viel zu wenig getan worden und wird auch weiterhin sträflich vernachlässigt, sodass Europa 2022 in einen Konflikt getaumelt ist, der schon 1914 katastrophale Folgen gehabt hat und dies auch diesmal tun wird. Bei etwas mehr Kenntnis der Probleme und der unterschiedlichen Interessen und bei größerem politischen Willen, eine neuerliche Katastrophe unermesslichen Ausmaßes verhindern zu wollen, wäre dies vielleicht doch zu vermeiden gewesen.

So droht also Europa innerhalb von einem Jahrhundert bereits zum dritten Male zum Auslöser und großteils auch zum Schauplatz eines Weltkrieges zu werden. Aber eines ist meines Erachtens unbestritten: Trotz der durch nichts zu rechtfertigenden Tatsache, dass Russland diesen schrecklichen Krieg ausgelöst hat, so konnte man die Zeichen an der Wand sehr wohl bereits in den Jahren zuvor erkennen, konnte und/wollte dies aber nicht tun. Somit ist die Mitverantwortung mancher europäischer Staaten, vor allem aber auch der USA, nicht von der Hand zu weisen.

Doppelstandards als Prinzip der geopolitischen Realitäten

Im Ukrainekonflikt kommt auch ein weiteres Element der Geopolitik, welches in krassem Gegensatz zu den formellen nach 1945 vereinbarten völkerrechtlichen Spielregeln (Charta der Vereinten Nationen, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) steht, wieder einmal zum Vorschein: Doppelstandards. Es ist ganz offensichtlich, dass es nach dem Prinzip von „Quod licet Iovi not licet bovi“, weltweit und global zweierlei Recht gilt. Dass die Schöpfer der 2. Weltkriegsnachordnung selbst gewisse legale Umgehungsmöglichkeiten nicht vermeiden wollten oder konnten beweist z.B. die Regelung, dass im völkerrechtlich entscheidenden Gremium der UNO, dem Sicherheitsrat, fünf Mitgliedern (USA, Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion/Russland, China) Vetorechte eingeräumt worden sind. Damit konnten diese fünf Mächte ihnen nicht genehme verbindliche Beschlüsse verhindern. Dass es darüber hinaus vor allem von diesen Fünf auch immer wieder zur Umgehung des Sicherheitsrates gekommen ist, erinnert uns daran, dass es noch immer genügend Bedarf zu globaler Gleichberechtigung gibt.

Um mit einem kleinen Prinzip Hoffnung zu schließen: Die USA, welche seit 1945 dieses Vetorecht wohl am häufigsten angewandt haben, könnten im Hinblick auf den Angriff Israels auf den palästinensischen Gazastreifen jenen Staaten, welche seit vielen Jahren auf eine Veränderung der Machtstrukturen bei den Vereinten Nationen hinarbeiten, indirekte und nicht-gewollte Schützenhilfe geben. Die Stimmenthaltung bei der jüngsten Resolution, welche unter anderem zu einem sofortigen Waffenstillstand in Gaza aufgerufen hat, könnte durchaus den Bemühungen um die dringend benötigte Reform der UNO neue Dynamik verleihen. In diesem Sinne verweise ich auf den verlinkten Bericht von Al Jazeera.

Links:

Gehen auch wir schlafwandelnd in einen dritten Weltkrieg?

https://www.aljazeera.com/news/2024/3/26/will-the-un-ceasefire-resolution-stop-israels-war-on-gaza

* Gastautor Fritz Edlinger ist Herausgeber und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift INTERNATIONAL www.international.or.at

Si vis pacem para pacem

Kriegsberichterstattung und Propaganda, Neutralität und Streben nach Frieden: einige der Aspekte, die das Spannungsfeld von Politik und Medien mehr denn je charakterisieren.

Udo Bachmair *

Kriegsrhetorik in Politik und Medien greift immer weiter um sich. Vor diesem Hintergrund mutiert Frieden zunehmend zu einem negativ geladenen Begriff. Er wird vorwiegend in Kombination mit Begriffen wie Diktatfrieden oder Friedensdiktat verwendet. In der veröffentlichten Meinung dominiert die ausschließliche Sinnhaftigkeit aller militärischen Lösungen. Das veranschaulichen die aktuellen Beispiele der Kriege in der Ukraine und Gaza besonders deutlich.

Grundsätzlich erscheint klar: Kriegspropaganda betreiben immer beide Seiten eines Konflikts.

Gleichgeschaltet wirkende westliche Medien und auch zahllose PolitikerInnen gehen davon aus, dass nur Russland Kriegspropaganda betreibt, nicht aber auch die Ukraine.
Daraus resultiert jener durch diverse Studien bereits mehrfach belegte Eindruck, dass in der Kriegsberichterstattung vieler unserer Medien, besonders aber der deutschen, ukrainische Kriegsrhetorik und Propaganda oft als faktenbasierte Inhalte präsentiert werden, gemischt mit einem sich weiter radikalisierenden Wording. Friedensrhetorik hingegen wird als naiv abgetan, eine solche würde Aggressoren, wie Putin, nur weiter ermuntern.

Am Anfang des Ukraine-Krieges war noch die territoriale Integrität der Ukraine oder Hilfe vor Ort im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung. Danach wurde medial zunehmend vermittelt, dass ein Sieg der Ukraine unbedingt nötig sei, die Existenz und der Fortbestand ganz Europas würden ansonsten auf dem Spiel stehen. Damit auch „unsere westlichen Werte“. Aber man fragt sich, ob denn die Ukraine diesbezüglich tatsächlich als Vorbild dienen könne, ein Staat, der hinsichtlich Korruption oder Pressefreiheit weltweit die hintersten Ränge belegt.
Ungeachtet dessen wird ein Sieg gegen Putin von Politik und Medien gleichsam zur Pflicht erkoren.

Damit entfällt folgerichtig jede Verpflichtung zu Bemühungen für Waffenstillstandsgespräche und eine baldige friedliche Lösung.
Eine Forderung, die kürzlich auch der Papst erhoben hat – und er musste sich vom traditionell antirussischen Standard-Journalisten Hans Rauscher umgehend als Unterstützer eines Aggressors rügen lassen u.a. mit der Äußerung:

„Der Heilige Vater weiß nicht, wovon er da redet“

In derselben Zeitung feuerte Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie die Rüstungskonzerne an mit den Worten:

„Die Rüstungsindustrie könnte durchaus mehr produzieren!“.

Speziell in Deutschland verdichtet sich der Eindruck, dass die meisten Medien, ausgerechnet auch die öffentlich-rechtlichen, die zur Objektivität auch der außenpolitischen Berichterstattung verpflichtet wären, die Politik vor sich hertreiben, immer mehr und immer weiter aufzurüsten.
Beispiel der Druck auf Kanzler Olav Scholz, unbedingt schwere Panzer an Kiew zu liefern, eine Forderung, der er nach einigem Zögern schließlich doch nachgekommen ist.
Oder jüngst: Noch zögert Scholz, die weit reichenden gegen Russland gerichteten Taurus-Raketen zu liefern. Er trotzt damit dem Druck der konservativen Opposition sowie vor allem auch dem Boulevard, wie der allmächtigen BILD-Zeitung.

Eine Frage der Zeit, bis Scholz wieder in die Knie geht..?

Schließlich kommt Druck auch aus seiner Ampelkoalition, aus der FDP, allen voran seitens der mittlerweile als hartnäckige Kriegstreiberin kritisierten Chefin des außenpolitischen Bundestagsausschusses, Strack -Zimmermann. Besonders auch seitens der Grünen, allen voran der im Selbstverständnis nach wie vor grünen Außenministerin Annalena Bärbock. Sie hat sich in den Augen von Beobachtern als kriegsbegeisterte militaristische Hardlinerin entpuppt. Sie scheint vergessen zu haben, dass die Grünen sich früher einmal als parlamentarischer Arm der Friedensbewegung verstanden haben – eine Absurdität, ein Hohn sondergleichen, wenn man ihre aktuelle Haltung betrachtet.
Ganz zu schweigen von der EVP-Politikerin und EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen, die ebenfalls den Eindruck einer militaristischen Einpeitscherin erweckt, ohne auch nur einen einzigen Lösungsvorschlag präsentieren zu können.

Jedenfalls muss Frau Von der Leyen auch jene fahrlässige Untätigkeit der Europäischen Union insgesamt bezüglich Bemühungen um eine diplomatische Lösung und eine Beendigung des Blutvergießens angelastet werden. Im Sinne der Waffenlobby und im Interesse von NATO und USA fehlt offenbar jeglicher Wille, weiterer intensiver Aufrüstung abzuschwören und zumindest zu versuchen, mit Moskau diplomatisch oder persönlich in Kontakt zu treten. Optimismus über eine wohlwollende Gesprächsbereitschaft Putins hält sich zurzeit freilich in Grenzen.

Aber Versuche wären’s doch wert !

Putin machts natürlich seinen Gegnern mit seiner völkerrechtswidrigen Aggression in der Ukraine leicht – und so läge es auch an ihm, erneut Verhandlungsbereitschaft zu zeigen, auch wenn ihm der Westen noch so sehr die kalte Schulter zeigt.
Zuviel Porzellan wurde auch seitens des Westens und der gefährlichen Erweiterung der NATO bis an die Grenzen Russlands zerschlagen. Jede Bereitschaft und Fähigkeit scheint dafür zu fehlen, sich auch in den Kriegsgegner Russland hineindenken zu können. So wird die subjektiv gefühlte und aus Sicht Moskaus ernstzunehmende Bedrohung durch die NATO-Erweiterung ebenfalls als bloße Propaganda abgetan.

Einseitigkeit in Bezug auf die Beurteilung des Ukrainekrieges bzw. der Mangel an differenzierten und differenzierenden Betrachtungsweisen in Politik und Medien erscheinen besonders schmerzlich dann, wenn sie in einem neutralen Staat wie Österreich gang und gäbe sind.–

Leider muss sich da auch mein altes Unternehmen ORF manche Kritik gefallen lassen. So werden überwiegend Experten und Expertinnen in Ö1-Journale, ZiB 2-Sendungen oder Punkt.Eins.-Sendungen eingeladen, die undifferenziert proukrainisch und militaristisch argumentieren. So werden auch die zahlreichen Hintergründe, die mit zum Ausbruch des Krieges 2014 bzw. 2022 geführt haben, weitgehend ignoriert.

Die meisten JournalistInnen-KollegInnen fühlen sich im Strom des antirussischen Mainstreams wahrscheinlich wohler, einzelne, die Waffenstillstandsverhandlungen oder Friedensgespräche fordern, werden als Putinversteher gebrandmarkt, die angeblich nur dem Kriegsherrn in Moskau in die Hände spielen wollen. Sie geben ihren Widerstand gegen den Mainstream meist bald auf.
Einer der vorbildlichen Ausnahmen unter den ORF-Redakteuren, Christian Wehrschütz, wird sich auch nicht mehr lange halten können, denn leider wird nicht nur in Kiew, sondern auch hierzulande gegen ihn Stimmung gemacht und ihm dadurch der Weg in die Pension erleichtert.

Es ist ja nicht so, dass pauschal alle JournalistInnen sich nicht zumindest bemühen würden, auch in heiklen außenpolitischen Fragen einigermaßen objektiv und seriös zu berichten. Vielen ist einfach nicht bewusst, dass sie sich für eine Seite (pro Ukraine, pro Israel) vor den Karren spannen lassen. Unter der Devise: Die Einen sind gut, die Anderen nur böse.
Davon lebt freilich der Boulevard, leider aber auch sogenannte seriöse Medien wie der ORF oder der Standard etc.
So ist und bleibt das bereits lange aufgebaute Feindbild Russland unverrückbar. –

Ein Grundproblem besteht u.a. darin, dass die außenpolitischen Ressorts, auch die im ORF, personell ausgedünnt worden sind, sodass oft weder Zeit noch Energien mehr bestehen für die Verwendung auch ausreichend alternativer Quellen. So bekommen MedienkonsumentInnen zu einem großen Teil serviert, was die beiden großen westlichen Agenturen mit ihrem speziellen Wording und ihrer US-orientierten Sicht der Welt vermitteln und vorbeten.

Die andere Seite der Propaganda, die der russische TV-Kanal „Russia today“ betreibt, ist der westlichen Zensur zum Opfer gefallen und nicht mehr empfangbar. Demokratiepolitisch und im Sinne der Meinungsvielfalt problematisch. Dabei wäre es doch interessant und aufgeklärten MediennutzerInnen zumutbar, auch die andere Seite zu hören, auch wenn Propagandainhalte überwiegen.

Umso lauter polemisieren manche PolitikerInnen und heimische Medien gegen die Nützlichkeit der Neutralität Österreichs. In Kommentaren etwa der Zeitungen Standard oder Kurier wird mehr oder weniger unverhohlen Stimmung aufbereitet für einen Beitritt Österreichs zur NATO.
Dabei hätte Österreich hätte als neutrales Land große Chancen, Vertreter der Kriegsparteien an einen Tisch zu holen. Wien als UNO-Standort, Wien als Austragungsort internationaler Konferenzen, wäre prädestiniert dafür.

Nur: Österreichs Neutralität hat Schaden gelitten durch eine österreichische Außenpolitik, die den Namen nicht verdient, die sich bei globalen Konflikten jeweils relativ einseitig positioniert.
Nicht nur in der Ukrainefrage – etwa wenn das Parlament Selenskyj zu einer seiner Propagandareden einlädt – oder wenn auf dem Gebäude des Bundeskanzleramts ausschließlich die israelische Fahne gehisst und nicht auch Empathie für das Leid der palästinensischen Bevölkerung symbolisiert wird –

All das ist freilich nicht ein formaler Verstoß gegen die immerwährende bewaffnete Neutralität, jedoch gegen den Geist der Neutralität gerichtet.

Sollte eine weitere Aushöhlung der Neutralität erfolgen oder gar ein NATO-Beitritt Österreichs Realität werden, wäre eine mediative und friedensstiftende Rolle Österreichs wie zu Zeiten Bruno Kreiskys jedenfalls endgültig verspielt.

Werden wir nicht müde, da klar dagegenzuhalten !

* Der Beitrag entspricht einer leicht gekürzten Textgrundlage für ein Referat, das Udo Bachmair bei einer Veranstaltung der „GewerkschafterInnen gegen Atomenergie und Krieg“ am 13.3.2024 im Amerlinghaus in Wien gehalten hat

Hier die Aufzeichnung der gesamten Veranstaltung :

Medien-Politik im Abseits?

Die Zukunft von Medien angesichts wachsender Probleme und fehlerhafter Entwicklungen ist eine der drängendsten Fragen, die nicht nur seitens der Politik einer Lösung harren.

Ilse Kleinschuster *

Noch immer, also genau neun Monate nach der „völlig unnötigen Einstellung der der Republik gehörenden Wiener Zeitung“ (Fritz Hausjell) – ‚meiner‘ abonnierten Tageszeitung, vermisse ich sie. Gerne denke ich an die Zeit zurück, in der ihre tägliche Lektüre mir geholfen hat, die Welt in ihrer Schönheit aber auch mit all ihren Widersprüchen besser verständlich zu machen.

Die Frage, die sich Clemens Pig stellt „Muss es denn wirklich eine Vision bleiben, dass Journalismus dazu dient Welterklärungen zu demokratisieren und nicht als Einbahnstraße zu begreifen“ bewegt auch mich (Clemens Pig, u.a. geschäftsführender Vorstand der Austria Presse Agentur (APA) und Autor von „Hat die Wa(h)re Nachricht eine Zukunft?“. Er sieht die APA als „Gedächtnis der Nation und andererseits als medialen Pulsschlag der Republik.“ Er wünscht sich jedoch mehr Selbsterkenntnis im Journalismus, um die Bedürfnisse und Erwartungshaltung der Menschen in Bezug auf die Medien zu verstehen und darauf entsprechend einzugehen. Als Politikwissenschafter und kritischer Journalist ist er Mitbegründer von Media-Watch – Institut für Medienanalysen GmbH, das von der APA 2001 erworben wurde. Dort gibt es seither ein eigenes Ressort für Fact-Checking, d.h. dort werden Versuche unternommen, so nahe als möglich an normative Konzepte wie Wahrheit und Objektivität heranzukommen.)

Nun aber, wo unsere Welt in den letzten Jahren im Zuge der Globalisierung immer komplexer wird, fühlen sich viele Menschen abgehängt. Die Komplexität zu simplifizieren wird immer schwieriger und es erfordert dafür Meister des journalistischen Handwerks. Zeitungen mit Redaktionen, die sich unabhängig nennen, setzen sich unweigerlich einem mörderischen Wettlauf zwischen Schnelligkeit und Richtigkeit aus. Am Ende sollte sich natürlich immer die Richtigkeit durchsetzen. Wenn nun aber Fakten-Check aus Zeitmangel wegfällt, kommt es unweigerlich zu Massenmedien mit „medialer Einigkeit“ – was die Demokratie gefährdet (siehe Richard David Precht und Harald Welzers Buch „Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“).

Wenn es also bei uns in Österreich nicht zu einem totalen Verfall der APA als unabhängiger Nachrichtenagentur kommen soll, dann muss sich diese neue Geschäftsfelder erschließen. Das kann das multimediale Verbreiten von Pressemeldungen sein, aber auch professionelle Medienbeobachtung und damit in Zusammenhang die Erstellung von Qualitätskriterien für neue Medienförderung. Dafür sollte es aber mehr staatliche Unterstützung geben, denn unabhängiger Agenturjournalismus ist ein wesentlicher Baustein für eine freie Medienwelt und damit für eine liberale Demokratie.

In seinem Gastkommentar „Visionen für analogen Journalismus!“ (DIE FURCHE vom 29. Februar 2024) schreibt Fritz Hausjell: „Wie weit nach unten soll die tagesaktuelle Medienvielfalt noch gehen, bis endlich spürbar von Medienwirtschaft und Medienpolitik gegengesteuert wird? Neugründungen von tagesaktuellen journalistischen Digitalmedien sind Mangelware oder aus unterschiedlichen Gründen (Partei- und andere Interessensnähe, journalistische Substandards), sehr mangelhafte Ersatzangebote für die Verluste im Printbereich.“ Nun, Fritz Hausjell ist ein angesehener Medienhistoriker und Medienwissenschaftler an der Universität Wien und ich vertraue seiner Kritik an Österreichs Printmedien: „Die Branche hat kaum in Forschung und Entwicklung investiert. Und Versuche, Journalismus in der digitalen Welt auf eine ausreichend finanzierte Basis zu stellen, blieben bescheiden.“

Offensichtlich, so schließe ich daraus, sind es schwere Versäumnisse im Bereich der Medien-Politik, die zu einem verhängnisvollen Vertrauensverlust in die gesamte Politik geführt haben.

Es seien daher Medienmanager gewarnt,
wenn sie ihre journalistische Tätigkeit nach wie vor gerne als Vierte Gewalt im Staate sehen wollen, dann sollten sie alle Möglichkeiten wahrnehmen und erweitern, um ihre Aufgabe als Watchdogs besser erfüllen zu können. Hier und jetzt – in Anbetracht der Notlage, so denke ich -, wäre es ihre noble Aufgabe im Namen des Gemeinwohls als verantwortungsvolle Whistleblower zu fungieren, d.h. als Verhinderer einer zunehmenden Infragestellung der demokratischen Bedeutung von Parlamenten.

Ich meine, erst wenn Journalisten imstande sind, unseren Volksrepräsentanten zu helfen, Alarm zu schlagen, sich mehr um die Lösung langfristiger Probleme zu bemühen, diese nicht durch kurzfristiges Denken in Wahlzyklen in den Hintergrund zu verdrängen, werden sie verdienterweise als die Vierte Gewalt im Staat und als Meister öffentlicher Machtüberwachung anerkannt werden.

Es wird jetzt von verantwortungsvollen Politikern die Zivilgesellschaft oft zur Hilfe gerufen, wenn es darum geht, vertrackte Probleme ins Visier zu nehmen, wie z.B. in Hinblick auf Künstliche Intelligenz, Steuerparadiese, Umweltverschmutzung, Seuchen, Menschen auf der Flucht, unregulierter Waffenhandel und endlose Zermürbungskriege.

Warum braucht es jetzt immer öfter für jedes Problem außerparlamentarische Initiativen und warum werden Bürgerräte angefordert – statt den Ruf nach Qualitätsjournalismus, nach konstruktivem Journalismus lauter werden zu lassen? Ich glaube, erst wenn diesem Ruf auf breiterer Basis Folge geleistet wird, müsste uns um die demokratische Bedeutung von Parlamenten nicht mehr so bange sein. Dann könnten wir vielleicht eher wieder Demokratie ‚neu‘ denken. Bestenfalls aus der Perspektive von Bürgern, die sich emanzipieren wollen, weil sie darin eine Garantie sehen – die Garantie für ihre Freiheit vor räuberischer Macht in all den abstoßenden Ausprägungen, einschließlich ‚unseres‘ rücksichtslosen Umgangs mit der ERDE, auf und von der wir leben.

* Gastautorin Ilse Kleinschuster ist Journalistin und engagierte Akteurin der Zivilgesellschaft. Sie lebt in Wien

Richtige Worte gefunden

Kürzlich in der ZiB2 lieferte Bundeskanzler Karl Nehammer eine Überraschung. Er fand klare Worte zum Ukrainekrieg sowie zu Österreichs Neutralität.

Wolfgang Koppler *

Ich habe Bundeskanzler Nehammer, der diese Amt vielleicht gar nicht so gerne übernahm, bis jetzt immer für etwas hölzern und „patschert“ gehalten. Das Interview, das Armin Wolf mit ihm in der ZiB2 vom 28.2. führte, belehrte mich eines Besseren.

Es ging um den Ukraine-Sondergipfel in Paris, an dem Nehammer teilnahm und sich dort für Verhandlungen im Ukrainekrieg aussprach. Ein Tabuthema für Journalisten und Armin Wolf zeigte keine sonderliche Begeisterung, das bis jetzt vorherrschende Motto „Gerechtigkeit um jeden Preis“ aufzugeben und statt dessen wieder Vernunft, Menschlichkeit und Pragmatismus walten zu lassen.

Nehammer betonte zunächst die Solidarität Österreichs mit der Ukraine, unsere humanitäre Unterstützung und die Beteiligung an den westlichen Sanktionen. Es brauche aber neue Lösungen zur Beendigung des Konflikts. Er sprach von „westlichen Echokammern“ der USA, Kanada und der europäischen Staaten, welche die Spannungen stattdessen verschärfen würden. Etwa, das bis jetzt kaum ein Politiker auszusprechen wagte, das aber auf der Hand liegt.

Nicht an Bord genommen worden seien aber die BRICS-Staaten, welche sehr einflussreich seien in Bezug auf den russischen Präsidenten. Es brauche mehr Miteinander.

Nehammer parierte geschickt das von Wolf ins Spiel gebrachte Argument der strategischen Antiguität und Macrons Forderung nach dem Einsatz von NATO-Truppen, indem er auf dieGefahr einer nicht mehr zu stoppenden Eskalationsspirale und einer unmittelbaren Konfrontation von NATO-Truppen und russischen Soldaten verwies. Es gelte, eine weitere Ausweitung des Kriegs, allenfalls in einen Weltkrieg zu verhindern.

Wolf bohrte dann natürlich noch weiter nach und verwies auf die schon seit längerem kolportierte Anwesenheit von NATO-Soldaten zur Ausbildung und Aufklärung (offenbar nach dem Motto: is eh scho wuascht). Nehammer verwies auf die – eigentlich jedem einleuchtende – Unterscheidung zwischen offiziell anwesenden (kämpfenden) Truppen und inoffiziell im Hintergrund tätigen Einsatzgruppen. Wobei er sogar zugab, dass sich „nach Meinung von Experten“ tatsächlich bereits Spezialeinsatzkräfte auf ukrainischem Territorium befänden. Das sei mit einer unmittelbaren Konfrontation NATO-Russland aber nicht vergleichbar.

Hinsichtlich des derzeit aufgeschaukelten Konflikts um Transnistrien lieferte der Bundeskanzler sogar interessante Hintergrundinformation. In Wirklichkeit geht es dort um Waffenlager mit großen Mengen an Munition aus sowjetischer Zeit, an denen sowohl die Ukraine als auch Russland Interesse haben. Nebenbei bemerkt: Ein Eingreifen Russlands scheint dort schon aus geographischen und logistischen Gründen eher unwahrscheinlich.

Schließlich kam geradezu drehorgelartig von Seiten Wolfs der Einwand, dass Verhandlungen angesichts von Putins Sturheit aussichtslos seien, zumal dieser ja an den Verhandlungstisch kommen und ja von selbst den Krieg beenden könnte. Putin ist schuld, Putin ist schuld… Da könnten wir Diplomaten überhaupt einsparen und durch die Militärs ersetzen. Abgesehen davon, dass Putin erst jetzt wieder bei seiner Rede an die Nation nur in wenigen Zeitungen erwähnte Verhandlungssignale aussandte, indem er Gespräche mit den Westen über eine neue strategische Weltordnung forderte.

Nehammer fand auch hier die richtigen Worte. Man müsse mit Putin „auf Augenhöhe verhandeln, nicht belehrend“, zumal Russland sich in einer Sackgasse befinde und keines seiner Ziele erreicht habe. Im Gegenteil: Die NATO sei durch die Beschlüsse über höhere Verteidigungsausgaben gestärkt und zudem durch Finnland und Schweden erweitert. Anmerkung: Das wird wohl auch den Russen bewusst sein. Aber je mehr man sie abwertet, desto mehr betonieren sie sich ein. Sowohl Russen als Ukrainer tragen uralte Verwundungen mit sich herum.

Es sei wichtig, wie man aus diesem Konflikt wieder herauskomme. Dazu bedürfe es aber vieler Verhandlungsschritte.

Natürlich durfte auch die von Wolf schon des Öfteren ins Spiel brachte Debatte über Österreichs Neutralität und deren Sinnhaftigkeit nicht fehlen. Eingeleitet wurde diese mit dem sattsam bekannten Argument der Journalisten: Da unsere Neutralität durch die Zusage an Teilnahme bestimmter EU-Maßnahmen eingeschränkt wurde, können wir sie gleich aufgeben („is eh scho wuascht“, um dem Wiener Fatalismus entgegenzukommen).

Auch hier argumentierte Nehammer bemerkenswert klar und nachvollziehbar. Unsere Neutralität sei schon deshalb nützlich, weil sie uns zumindest außerhalb der EU außenpolitischen Spielraum biete, den wir sonst nicht hätten. Vor allem in den Kontakten zu den großen BRICS-Staaten Indien und Brasilien, die sich für eine Friedenslösung einsetzten und gute Kontakte zu Russland hätten. Eine derartige Bewegungsfreiheit hätten wir als NATO-Staat nicht (weil diese Länder dem westlichen Militärbündnis eher reserviert gegenüberstehen).

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien

Anti-ORF-Polemik

Ex-Politiker Peter Westenthaler sitzt erneut für die FPÖ im obersten Gremium der ORF. Als ehemaliger Ö1-Moderator sind mir seine Interventionsversuche noch gut in Erinnerung.

Udo Bachmair *

Peter Westenthaler, früherer FPÖ-Klubobmann, später BZÖ-Politiker, bevor er dann neuerlich zum FPÖ-Sympathisanten mutierte, zieht also wieder in das höchste Gremium des ORF, in den Stiftungsrat, ein. Ausgerechnet in jenes Unternehmen, das er bei jeder Gelegenheit anprangert und attackiert. Schon zur Jahrtausendwende war er Mitglied dieses Aufsichtsorgans, des damaligen ORF-Kuratoriums.

Ist es vertretbar, dass ein Mitglied des Aufsichtsrates eines Konzerns sein eigenes Unternehmen und dessen Mitarbeiter in der Öffentlichkeit immer wieder heruntermacht und beschimpft? Genau das hat Westenthaler als Dauergast im ORF-kritischen Fellner-Sender Oe24 immer wieder getan. Er ist dort gleichsam zum Anti-ORF-Polemiker vom Dienst geworden.

Auch weitere Bedenken, dass laut ORF-Gesetz ein Mitglied des Stiftungsrates keiner Beschäftigung in einem Konkurrenzunternehmen nachgehen darf, rührt Westenthaler nicht. Im Gegenteil: Er droht mehr oder weniger damit, den ORF aufmischen zu wollen. Sein neues Naheverhältnis zu Herbert Kickl kann da durchaus dienlich sein, spätestens in Zeiten eines möglichen „Volkskanzlers“. Natürlich bestehen hin und wieder auch Gründe für berechtigte Kritik an so mancher ORF-Berichterstattung, wie etwa an der außenpolitischen Schlagseite in oft wenig differenzierenden Analysen zu den Kriegen in der Ukraine und in Gaza.

Verallgemeinerndes Hinhauen auf den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, dem eine demokratiepolitisch wichtige Rolle zukommt, entbehrt aber jeder Grundlage und Sachlichkeit. Diese lässt Westenthaler in seinen manchmal hasserfüllt wirkenden Verbalattacken weitgehend vermissen. Auch aus diesem Grund erscheint er vielen als denkbar ungeeignetster Mann für die verantwortungsvolle Funktion eines Stiftungsratsmitglieds. Nicht zuletzt angesichts bevorstehender ORF-Reformen kann sich das Unternehmen keinen Aufsichtsrat leisten, der nicht uneingeschränkt seriös agiert.

ORF-intern sattsam bekannt
Westenthaler ist ORF-intern sattsam bekannt für seine Interventionsversuche zugunsten der FPÖ in seiner früheren Funktion im höchsten ORF-Gremium. Als ORF-Redakteur und Ö1-Journal-Moderator hatte ich selbst damals einschlägige Erfahrung mit Anrufen Westenthalers bis hinein ins Studio. Seine beharrlichen Beeinflussungsversuche in der Zeit der ersten ÖVP/FPÖ-Regierung waren zu seinem Leidwesen allerdings kaum erfolgreich. Wer Westenthaler kennt, kann davon ausgehen, dass seine Interventionitis nach einigen Jahren Unterbrechung einmal mehr prolongiert und damit die insgesamt gute Arbeit der ORF-RedakteurInnen wiederholt gestört wird.

Westenthaler sieht im ORF generalisierend eine „reine Propagandamaschinerie“. Armin Wolf unterstellt er „politische Agitation“. Vorwürfe, die meiner Erkenntnis und persönlichen Erfahrung nach ziemlich haltlos sind. Wolf gehört zu jenen Journalisten, die sich ernsthaft und penibel recherchierend auf jede Moderation und jedes Interview vorbereiten und nicht müde werden, konstruktiv kritisch zu hinterfragen.

Der ORF-Redakteursrat weist zu Recht auf Bestimmungen des ORF-Gesetzes hin, wonach ein Stiftungsratsmitglied ausschließlich im Interesse des Unternehmens zu agieren habe und nicht im Auftrag einer politischen Partei.

* Der Beitrag ist heute in der Tageszeitung Die Presse als Gastkommentar erschienen und hat zahlreiche Reaktionen ausgelöst

Publikumsrat: Termine 2024

Es sei wieder einmal an den ORF-Publikumsrat erinnert, die Hörer- und Sehervertretung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Sitzungen sind frei zugänglich.

Hans Högl

Damit das ORF-Publikum eine Mitsprache hat, wurde der Publikumsrat eingerichtet. Darin sind viele Organisationen Österreichs vertreten. Es lohnt eine Teilnahme an diesen Plenarsitzungen, um zu sehen und selbst zu erfahren, wie dies abläuft. Diese Sitzungen sind öffentlich zugänglich- leider nur im ORF-Zentrum auf dem Küniglberg (Wien 13). Der ORF lässt auch selber Studien durchführen, auch qualitative und ist gut über die Zugriffe informiert.

Abgesehen von Positiva, sollte auch negative Kritik zum Ausdruck kommen, allerdings schärfer als der Biss einer Weinbergschnecke, wie ein Beobachter der „Wiener Zeitung“ einmal schrieb. Wünschenswert wäre sicherlich, wenn es solche Sitzungen auch regional gäbe, z.B. in Salzburg und Graz. In der Schweiz ist eine regionale Verteilung Realität.

Sitzungstermine 2024
Donnerstag, 14. März 2024, 10.00 Uhr
Donnerstag, 6. Juni 2024, 10.00 Uhr
Donnerstag, 19. September 2024, 10.00 Uhr
Donnerstag, 21. November 2024, 10.00 Uhr

Reaktionen (sie sind meist leider überwiegend negativ) können auch an den ORF-Kundendienst gerichtet werden oder direkt an den Publikumsrat oder an kundendienst@orf.at oder Tel. 01 870 70-30 oder direkt an Journalisten/innen: vorname.familienname@orf.at

Mit zweierlei Maß

In einer KURIER-Analyse vom 22.2.2024 werden Ähnlichkeit und Vergleichbarkeit der Fälle Assange und Nawalny in Frage gestellt. Diese Position gilt es zu hinterfragen.

Udo Bachmair

„Was Nawalny passiert ist, kann auch Julian passieren“ äußerte sich Assanges Ehefrau Stella zu Recht besorgt. Westliche Politik und Medien bemühen sich nun hartnäckig, diese These zu falsifizieren. Als ein Beispiel von mehreren sei Caroline Ferstls Analyse „Assange, der Nawalny des Westens“ jüngst im KURIER herausgegriffen.

Die Autorin kritisiert an der Äußerung von Stella Assange, diese würde damit das US-Justizsystem mit dem im autoritären Russland gleichsetzen. Man fragt sich sehr wohl, wo denn da im Gefängnisalltag der große qualitative Unterschied zu russischen Straflagern liegen soll. Menschenrechtsorganisationen zufolge gibt es da wie dort Berichte über Folter.

Und warum erscheint der Autorin die Einschätzung, dass auch Assange politischer Gefangener ist, so weit hergeholt? Diese Charakterisierung liegt ja klar auf der Hand. Assange hat sich mit seinen Recherchen über brutale Einsätze in Angriffskriegen der USA natürlich den Zorn und Hass der US-Führung zugezogen, die ihn nun lebenslänglich ausschalten will.

Es fällt auf, dass in dieser KURIER-Analyse kein einziges Mal das Wort „Kriegsverbrechen“ vorkommt, die Julian Assange mutig aufgedeckt hat. Das Wording „Kriegsverbrechen“ und „Kriegsverbrecher“ scheint nur für Russland oder Putin reserviert zu sein, nicht jedoch für die USA oder George Bush. Der schon sattsam bekannte außenpolitische Einheitsbrei westlicher Medien lässt Letzteres freilich nicht zu.

Ja, und woher will denn die Autorin der Analyse so genau wissen, dass die Anklagepunkte gegen Assange „strafrechtlich haltbar“ sind? Müsste diese Schlussfolgerung nicht auch für den Fall Nawalny gelten? Denn auch dem russischen Regimegegner werden Spionage und Geheimnisverrat vorgeworfen. Dies stellt ebenfalls eine Vergleichbarkeit der beiden Fälle dar.

Eine weitere Ähnlichkeit ist die der Existenzbedrohung. So ist zu befürchten, dass der „freie und menschenrechtsorientierte“ Westen, im Besonderen die USA, Assange sehenden Auges einem Mord auf Raten im harten US-Strafvollzug ausliefern werden. „Was Nawalny passiert ist, kann auch Assange passieren.“ So falsch kann diese These also nicht sein.

Kommt hinzu, dass ein negativer Ausgang der Causa Assange, sprich ein aus den Motiven Hass und Vergeltung resultierendes lebenslanges Wegsperren eines politisch unliebsamen Investigativjournalisten kein unwesentliches Kriterium für die Chancen künftiger Meinungs- und Pressefreiheit sein wird.

Kritik an Punkt Eins

Es ist gut, dass es Punkt Eins gibt, eine ORF-Sendereihe, die immer wieder Lob verdient, nicht jedoch die jüngste Ausgabe zum Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine.

Udo Bachmair

Der renommierte ORF-Kultur- und Informationssender Ö1 ist dieses Mal in seiner Sendung „Punkt Eins“ seinem insgesamt zu Recht guten Ruf nicht gerecht geworden. Die komplexe Causa Ukrainekrieg ist vom eingeladenen „angeblichen“ (O-Ton eines Hörers) Experten Alexander Dubowy mit dem in den Leitmedien üblichen rein westlichen Narrativ abgehandelt worden.

Jede andere, jede differenzierende Sicht wird der Einfachheit halber mit dem Vorwurf abgetan, sie sei genährt von russischer Propaganda bzw. russischer Desinformation. Dass jeder Krieg auch ein informationskrieg ist und demnach beide Kriegsparteien Propaganda betreiben, scheint neben dem Experten auch Moderator Philipp Blom nicht bewusst zu sein.

Anders ist es nicht zu erklären, dass Blom als Moderator seine Rolle insofern missbraucht hat, als er seiner persönlichen Meinung mit längeren Stellungnahmen Ausdruck gegeben und statt kritischem Nachfragen an den Studiogast das westliche Narrativ uneingeschränkt bedient hat.

Hörer, die die Einseitigkeit der Sendung kritisiert haben, sind mit dem Trick des ständigen Dazwischenfragens und Dagegenhaltens am Ausführen ihrer Gegenpositionen immer wieder unterbrochen worden. Kein freundlicher Dienst am Kunden sowie kein Vorbild, auch andere Meinungen ungehindert zu Wort kommen zu lassen.

Die Sendung brachte für politisch Interessierte und wache BürgerInnen jedenfalls keinen Erkenntnisgewinn. Außer, dass sich auch Ö1 (in der erwähnten Sendung) vor den Karren westlicher Aufrüstungspropaganda und plump antirussischer Polemik spannen hat lassen. Schade. Eine Chance ist vertan worden, eine komplexe Causa einigermaßen sachlich und differenziert zu betrachten.