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US-Krieg gegen den Irak kein Angriffskrieg ?

Den Ukraine- und den Irak-Krieg messen Medien und Politik mit ungleichen Maßstäben

Udo Bachmair

Es war vor 20 Jahren. 30.000 Bomben und Raketen gingen auf Bagdad, Basra, Mossul und zahlreiche andere irakische Städte nieder und ließen neben Militäranlagen auch einen Großteil der zivilen Infrastruktur des Irak in Flammen aufgehen. Zehntausende Soldaten und Zivilisten fielen der Aggression der „Koalition der Willigen“, angeführt von USA und NATO, schon in den ersten Wochen zum Opfer.

Die westlichen Medien scheuten sich jedoch, den Irak-Krieg als Angriffskrieg zu bezeichnen. Aus Sicht der USA war es verharmlosend eine „Militäroperation“, um den Irak von der Diktatur Saddam Husseins zu befreien. Es war jedoch wie die russische Invasion in der Ukraine eindeutig ein Angriffskrieg mit Verstößen gegen Grundlagen des Völkerrechts.

Im Gegensatz zu den von den USA und der NATO geführten zahlreichen Angriffskriegen wird der russische Überfall auf die Ukraine von Medien und Politik im Westen nahezu mantraartig als „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ bezeichnet. Keine Meldung, keine Information über den Ukrainekrieg kommt ohne diese Formulierung aus, als gäbe es auch hierzulande flächendeckend verpflichtendes Wording im Journalismus.

Der Autor dieser Zeilen hat als Moderator der Ö1-Journale den US-amerikanischen Überfall auf den Irak in einer Moderation als „Angriffskrieg der USA“ bezeichnet. Was folgte, war extern ein Shitstorm, intern eine Rüge in der Redaktionskonferenz mit der Bitte um eine andere Formulierung. Vorwurf damals: Wie kann man denn nur einen „Befreiungsschlag“ für das irakische Volk als Angriffskrieg bezeichnen..!?

Das Beispiel zeigt, welch ungleiche Maßstäbe in der außenpolitischen Berichterstattung angewendet werden. Auch 20 Jahre später wird in manchen Medien, wie jüngst im auffallend russlandkritischen STANDARD, die US-Aggression gegen den Irak schlicht als „Militäroperation“ verharmlost. Das ist just jener Ausdruck, mit dem Putins Propaganda den Krieg gegen die Ukraine beschönigt.

Dass der russische Präsident vor den Internationalen Strafgerichtshof gezerrt werden soll, hat Medien und Politik im Westen zum Jubel veranlasst. Sollte Putin tatsächlich Kriegsverbrechen nachgewiesen werden, wäre eine Verurteilung durchaus verständlich. Warum aber, fragen sich viele, ist nie eine Anklage gegen US-Präsident Bush wegen Kriegsverbrechen erhoben worden ? Eine der möglichen vereinfachenden Antworten : USA und NATO immer gut, Russland prinzipiell böse.

Zum Thema passend ein Zitat von ORF-Korrespondent Karim El Gawhary auf www.quantera.de – Dialog mit der islamischen Welt:

“ Es geht nicht darum, den Irak-Krieg und den Ukraine-Krieg gegeneinander aufzurechnen oder gar zu behaupten, das eine rechtfertige das andere. Aber die USA und Europa besäßen in vielen Teilen der Welt mehr Glaubwürdigkeit, würde alles mit dem gleichen Maß gemessen. Und in der arabischen Welt springen diese Doppelstandards ganz besonders ins Auge.“

Ein Tipp zu diesem und anderen internationalen Themen : www.international.or.at

Keine Debattenkultur mehr

Der deutsche Politikwissenschafter Michael Lüders ortet „hochgradige Moralisierung in Politik und Medien“. Einer der Gründe, warum es kaum noch eine Debattenkultur gebe.

Udo Bachmair

Der geschilderte Befund lasse sich gut anhand der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg belegen, erklärte der bekannte Politologe und Publizist kürzlich in einem Gespräch mit dem Internetmedium „Telepolis“

Wer sich etwa kritisch zu mehr und immer mehr Waffenlieferungen an die Ukraine äußert oder russische Motive für den ebenso falschen wie völkerrechtswidrigen Angriff auch nur zu erklären sucht (ohne sie gutzuheißen), riskiere seinen Ruf, seine Karriere. Man werde als Putinversteher oder Putin-Propagandist gebrandmarkt.

Lüders wörtlich: „Jede Differenzierung gilt offenbar als „Feindbegünstigung“. Es werde zunehmend schwieriger, differenzierende Standpunkte zu vertreten und damit dem Gut/Böse-Schema nicht zu entsprechen.

Gilt es missliebige Personen mit einem gewissen Bekanntheitsgrad aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, so gebe es nach den Erfahrungen Michael Lüders dafür etwa das bewährte Mittel, die betreffende Person zu ignorieren, ihre Publikationen ebenso wie ihre Meinungsäußerungen.

Als das deutlich brutalere Mittel sieht Lüders den inszenierten und über längere Zeit andauernden Shitstorm, mit dem Ziel, die unliebsame Person einer „character assassination“ zu unterziehen. Besonders betroffen davon sind in Deutschland etwa die Russlandexpertin Gabriele Krone-Schmalz oder die Publizistin Ulrike Guérot.

Auch in Österreich sind manche Journalisten wegen differenzierender Berichterstattung Opfer persönlicher Attacken im Internet, wie etwa der sachlich berichtende ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz. Auch renommierte Politologen, wie etwa Heinz Gärtner, die eine komplexe Causa nicht auf eine Schwarz/Weiß-Malerei reduzieren, sind in unseren Medien, leider auch im öffentlich-rechtlichen ORF, kaum mehr gefragte Interviewpartner.

Dass es inhaltlich auch anders geht, hat die von der Vereinigung für Medienkultur veranstaltete Podiumsdiskussion zum Thema „Ukraine-Krieg und die Berichterstattung westlicher Medien“ gezeigt. Der große Erfolg dieser Veranstaltung (fast 800 Zugriffe bereits auf Youtube) zeigt, dass sich viele Menschen sehr wohl differenzierende Berichterstattung zu dieser Thematik wünschen.

Die Aufzeichnung dieser vielbeachteten Podiumsdiskussion im Presseclub Concordia können Sie über folgenden Link abrufen:

Zum Zögern des deutschen Kanzlers

Journalismus hat p r i m ä r Aufgabe, zu informieren und nicht den Krieg anzuheizen

Hans H ö g l

„Das Zögern von Bundeskanzler Scholz, Leopard-Panzer zu liefern, wird vielleicht weniger“, lautete ein Satz heute im Morgenjournal (23.1.2023) um 8 Uhr früh in Ö-1 von Radio Österreich. Solche Sätze sind nicht einfach Feststellungen, was Sache ist, was eigentlich primär der Aufgabe von Journalismus entspricht, sondern sie enthalten verklausuliert einen negativen Kommentar über einen deutschen Politiker, der eine große Verantwortung trägt.

Mir fiel schon mehrmals in diversen Medien diese Neigung im Journalismus auf, diese vorsichtige Haltung des deutschen Bundeskanzlers Scholz in diesem Ukraine-Konflikt zu kritisieren. Es ist ja extrem riskant, sich in dieses Geschehen noch mehr zu verstricken. Dass dies aus polnischer Sicht anders zu bewerten ist, ist wohl klar. Doch wer will wirklich einen Krieg haben, der über das Kampfgebiet von der Ukraine h i n a u s-geht. Ich vermeide hier das leicht überstrapazierte Wort W e l t-Krieg. Diese Auseinandersetzung in der Ukraine ist ja bereits jetzt ein internationaler, extrem heikler Stellvertreterkrieg.

So unverständlich der direkte brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist, selbst wenn sich Russland indirekt über die geplante Nato-Erweiterung in ihrer Sicherheit gefährdet sah, so klar ist doch auch das Interesse von Westeuropa nicht direkt in Kriegshandlungen verwickelt zu werden, wie dies Bundeskanzler Scholz in kluger Abwägung vermeidet.

Ähnlich wie oben im Ö-1-Journal klingt ein Themenblock ausgerechnet in der Schweizer „Neuen Zürcher“ von heute (newsletter 23.1.2023) mehr kommentierend als neutral berichtend.

„Deutschlands Zögern beim Leopard-Panzer verärgert die Verbündeten“

„Das ist passiert: Der Ukraine-Gipfel in Ramstein brachte keine Einigung bei der Lieferung von Leopard-Panzern. Anstatt die «Leos» freizugeben, teilte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius den verdutzten Pressevertretern am Freitag mit, die Kampfpanzer erst einmal zählen zu lassen. Kiew reagierte enttäuscht. «Jeder Tag der Verzögerung bedeutet den Tod für Ukrainer», twitterte der ukrainische Präsidentenberater Michailo Podoljak am Wochenende. 

Darum ist es wichtig: Nun drohen Kiews engste europäische Verbündete unter Führung Polens, notfalls ohne Berlin zu handeln. Bereits im Vorfeld des Ramstein-Treffens hatte Estland am Donnerstag eine eigene Geberkonferenz in Tallinn organisiert. Dabei sagten die neun teilnehmenden Nationen – neben den drei Baltenstaaten waren das Grossbritannien, Polen, Dänemark, die Niederlande, Tschechien und die Slowakei – der Ukraine umfangreiche neue Militärhilfen zu, einschliesslich schwerer Kampfpanzer.“

NB. Selbstverständlich ist es auch Aufgabe des Journalismus, Ereignisse zu kommentieren. Aber Journalismus kann nicht die Verantwortung über Kriegsführung übernehmen.

Ukraine-Krieg: Medien im Fokus

Die Gutenberg-Universität Mainz hat eine Studie über die Berichterstattung der deutschen Leitmedien über den Ukraine-Krieg veröffentlicht. Die Ergebnisse dürften sich weitgehend auch auf Österreich umlegen lassen.

Udo Bachmair

Hauptergebnis der Studie: Die meisten deutschen Leitmedien haben im Ukraine-Krieg überwiegend für die Lieferung schwerer Waffen plädiert und diplomatische Verhandlungen als wenig sinnvoll charakterisiert. Von den insgesamt 8 untersuchten Leitmedien hielten sich nur beim SPIEGEL positive und negative Einschätzungen zur Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine sowie zur Sinnhaftigkeit diplomatischer Verhandlungen in etwa die Waage.

„Auch wenn die Berichterstattung nicht vollkommen einseitig war, überrascht die insgesamt starke Zustimmung zu Waffenlieferungen doch – vor allem vor dem Hintergrund vergleichbarer früherer Kriege, in denen deutsche Waffenlieferungen gar nicht zur Debatte standen“, beurteilt der Studienleiter Prof. Dr. Marcus Maurer, Professor am Institut für Publizistik der Universität Mainz, die Befunde.

Der Studie zufolge war die inhaltliche Berichterstattung überwiegend auf das Kriegsgeschehen sowie auf Ursachen und Folgen des Krieges fokussiert, wobei die Verantwortung für den Krieg nahezu ausschließlich bei Russland gesehen wurde.

Für Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, liegt mit der nun vorliegenden breiten Material- und Datenanalyse erstmals eine solide Grundlage für die weitere Diskussion über die „Qualität der Medienberichterstattung“ zum russischen Krieg gegen die Ukraine vor, die nicht auf persönlichen Eindrücken beruht oder auf individuellen Mutmaßungen fußt.

Analysiert wurden 4.292 Beiträge aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung, der Bild, dem Spiegel, der Zeit sowie den Hauptnachrichtensendungen Tagesschau, ZDF heute und RTL Aktuell mithilfe der Methode der quantitativen Inhaltsanalyse.

Ein Veranstaltungstipp :

Der Ukraine-Krieg und die Medien“ ist Thema einer Podiumsdiskussion am 24. Jänner um 18.30 Uhr im Presseclub Concordia, Bankgasse 8, A-1010 Wien.

Deutsche Leitmedien im Visier

Medienkritiker, unter ihnen auch der deutsche Philosoph Richard David Precht, orten angesichts „einseitiger außenpolitischer Berichterstattung und Übernahme ukrainischer Kriegspropaganda“ abnehmende Glaubwürdigkeit westlicher „Mainstream-Medien“.

Udo Bachmair

Veröffentlichte Meinung entspricht nicht zwangsläufig der Meinung der Mehrheit der Bevölkerung. Deutlich wird diese Erkenntnis etwa an der Beantwortung der Frage „Sind Sie für weitere NATO-Waffenlieferungen an die Ukraine ?“ Einer jüngsten OGM-Umfrage zufolge antworten mehr als 50 Prozent der Befragten auf diese Frage mit „Nein“. Diametral entgegengesetzt hingegen die meisten westlichen Kommentare aus Medien und Politik. Sie huldigen vielfach reinster Kriegs- und Militärlogik.

Vor allem die deutschen Grünen, früher noch wesentlicher Teil der Friedensbewegung, gefallen sich in ungewöhnlich scharfer Kriegsrhetorik. Allen voran Außenministerin Annalena Bärbock, die ganz und gar auf eine Kriegsentscheidung auf dem Schlachtfeld setzt. Für diplomatische Friedensbemühungen zur Beendigung der russischen Aggression fehlt dabei jegliche Phantasie und Absicht. Bärbock befindet sich damit in „guter“ Gesellschaft mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die ebenfalls jegliche Verhandlungsbereitschaft vermissen lässt.

Fehlentwicklungen westlicher Medien und Politik in der Haltung zum Ukraine-Krieg prangert neben anderen auch niemand Geringerer als der bekannteste deutsche Philosoph der Gegenwart, Richard David Precht, an. Precht, der keineswegs im Verdacht steht, im äußersten rechten oder linken politischen Eck angesiedelt zu sein, macht sich berechtigte Sorgen um die Auswirkung aktueller Berichterstattung von (deutschen) Leitmedien auf die Demokratie. Sorgen, die er in seinem neuen Buch mit dem Titel „Die vierte Gewalt“* eindrucksvoll niedergeschrieben hat.

„Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist, zum Beispiel in Bezug auf die Lieferung schwerer Waffen“ so lautet einer der wesentlichen Vorwürfe Prechts in dessen neuem Buch.

Precht selbst dazu in einer turbulenten Lanz-Talkshow kürzlich im ZDF : „Sowohl Journalisten als auch Politiker haben sich innerhalb sehr kurzer Zeit in der unübersichtlichen Situation des Kriegsausbruchs auf ein Narrativ geeinigt.“ Und Precht weiter: „Glauben Sie ernsthaft, dass ausgeglichen in den deutschen Leitmedien die Position der Zweifler an den Waffenlieferungen genauso breit zu Wort gekommen ist ?“ Eine befriedigende Antwort darauf ist ausgeblieben.

Der in der erwähnten ZDF-Sendung schwer unter Beschuss geratene Autor hat unterdessen gegenüber der ZEIT dafür plädiert, dass einzelne NATO-Staaten die Nicht-Aufnahme der Ukraine garantieren sollten. Das wäre eine der Maßnahmen zur Deeskalation.

Eine seriöse Reaktion auch auf diese Frage gibt es bis dato nicht. Precht muss sich hingegen mit dem üblichen Vorwurf von Militärlogikern abspeisen lassen, er sei ein „Putinversteher“ sowie ein Naivling, der einen „Diktatfrieden“ wolle. Apropos: Der Begriff Frieden wird damit in der medialen Öffentlichkeit zunehmend negativ aufgeladen. Ein offenbar bewusst gesetztes Wording, das Politik und Medien gemeinsam eifrig weiterverbreiten.

* Buch-Neuerscheinung „Die vierte Gewalt“ von Richard David Precht und Harald Welzer, Fischer-Verlag

Friedensbemühungen sinnlos ?

Sind Verhandlungen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs unrealistisch ? Nein, sagt allerdings nur eine Minderheit von JournalistInnen in westlichen Medien. Die EU lässt jegliche Vermittlungsbemühungen vermissen und überlässt Erdogan die Rolle eines Vermittlers.

Wolfgang Koppler *

Donnerstag Abend ORF-ZiB2. Wieder einmal ein markiger Ausspruch Selenskyjs anlässlich des Treffens mit Erdogan und Guterres in Lwiw: „Zuerst müssen sie unser Land verlassen und dann sehen wir weiter.“

Was wird bis dahin wohl geschehen? Jedenfalls einige Zigtausend Tote mehr. Weitere Zerstörungen. Möglicherweise auch ein neues Tschernobyl (wobei es egal ist, ob das Kraftwerk versehentlich oder absichtlich von Raketen getroffen wird, die Wirkung ist dieselbe). Und immer mehr Hunger. Die Welt besteht nämlich nicht nur aus Europa. Aber das fällt nur Guterres auf.

Am Ende des Beitrags endlich einmal klare Worte von Claudia Lind: „So lässt der ukrainische Präsident den Bemühungen Erdogans um eine friedliche Lösung wenig Spielraum“. Warum darf derart Selbstverständliches in unseren Medien kaum ausgesprochen werden ? Selenskyj mag zwar kein Nationalist sein. Ein Schauspieler ist er jedenfalls. Mit bemerkenswertem Hang zur Selbstdarstellung und offenbar wenig Interesse an Menschenleben.

Was Letzteres betrifft, ähnelt er mehr und mehr Putin. Aber vielleicht könnten Einsicht und Interessen die beiden doch zu Verhandlungen bewegen. Gerade angesichts des auf beiden Seiten fest gefahrenen Kriegs. Wie hat Christian Wehrschütz gesagt ? Verhandlungen sind das einzig Realistische. Vielleicht traut sich doch einmal ein Journalist wenigstens im Archiv nachzusehen. Bis zur Befreiung von Kiew war das nämlich auch die Devise der ukrainischen Führung: Jeder Krieg endet durch eine Vereinbarung.

Und jenen Journalisten, die das als unrealistisch erachten: Auch das Getreideabkommen wurde zunächst mit Skepsis aufgenommen. Und das vom Moskauer Korrespondenten wieder einmal bemühte Wort vom „Diktatfrieden“ lasst bitte einmal beiseite. Dieses Wort hat nämlich im 20. Jahrhundert schon ziemlich viel Unfrieden gestiftet. Es mangelt derzeit weder an Solidarität noch an Waffenlieferungen. Sehr wohl aber an Vernunft.

* Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien

Angst vor Ende des Ukraine-Kriegs?

Ich sehe selbstverständlich den Wahnsinn und die Hybris auf russischer Seite. Aber wir alle haben in einer Demokratie die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, auch auf Fehlentwicklungen auf unserer Seite hinzuweisen. Demokratie ist nämlich stets aufs Neue gefährdet. Am allermeisten durch uns selbst.

Wolfgang Koppler *

Die Eskalationsspirale ist längst im Gang. Keine Verhandlungen von Seiten der Ukraine bis Ende August. Weitere Forderungen von russischer Seite. Weitere Waffenlieferungen. Und dem sich wirklich vorsichtig äußernden österreichischen Außenminister Schallenberg wird von ZiB2-Moderator Martin Thür das Argument vom „Diktatfrieden“ entgegen gehalten, als er bloß meinte, es sollte in Zukunft vielleicht doch zu einer diplomatischen Lösung kommen. Obwohl es kreative Lösungen angesichts völkerrechtlich offener Fragen bezüglich Minderheiten und Sicherheitsdebatten genug gäbe, ohne dass irgendwer „kapitulieren“ müsste. Aber im Detail möchte ich das Völkerrechtlern und Sicherheitsexperten überlassen. Waffen sind jedenfalls genug vorhanden, um den Krieg noch sehr lange weiterzuführen und nicht nur den befürchteten „Diktatfrieden“ sondern überhaupt jeden Frieden zu verhindern. Das neueste Argument der Verhandlungsgegner ist die Befürchtung, Putin könnte einen Waffenstillstand anbieten und die Solidarität des Westens bzw. die Bereitschaft zu weiteren Waffenlieferungen könnte dann nachlassen. Angst vor einem Ende des Kriegs ? Angst, die eigene Aggression nicht mehr befeuern zu können ? Warum verhandelt man nicht wenigstens, um herauszufinden, was die Gegenseite wirklich vorhat ?

Die Katastrophe in humanitärer, wirtschaftlicher und umweltpolitischer Hinsicht ist derzeit jedenfalls vorprogrammiert. Ich darf daran erinnern, dass ein nicht unbekannter Journalist schon im ersten Golfkrieg „vom „letzteren bitteren Waffengang“ am Golf gesprochen hat. Und im Irakkrieg wurde im Magazin einer Menschenrechtsorganisation (deren Arbeit sonst durchaus wichtig ist) den Friedensaktivisten unter Verweis auf die Menschenrechtsverletzungen Saddam Husseins seinerzeit entgegen gehalten: „Jetzt sprechen die Waffen“. Was daraus wurde, wissen wir. Der Wiederaufbau dort wurde übrigens bis heute nicht in Angriff genommen. Bis der IS wiederauflebt. Weil das Geld offenbar für Waffen benötigt wird. Und die Auswirkungen des Ukrainekriegs sind noch wesentlich schlimmer. Da hilft es nicht, irgendwelche angeblichen „Extremisten“ beobachten zu lassen, wie es die deutsche Innenministerin tut (die vielleicht auch noch den Kriegsgegner Karl Kraus auf den Index der politisch inkorrekten Literatur setzen wird). Die – im Übrigen äußerst zaghaften und mit jenen der Coronagegner nicht vergleichbaren – Proteste sind nicht das Problem. Sondern die tatsächlichen Auswirkungen des Krieges.

Heute sind wir verbal scheinbar ein bisschen vorsichtiger als Anno 1914 oder auch 1991 und 2003. Aber „Kampf der Werte“. „Verteidigung der Demokratie“ (mit immer mehr Waffen) und „Diktatfrieden“ sowie Beschimpfungen von Andersdenkenden als „Putinknechte“ kommt auf dasselbe hinaus. Und dass durchaus diskussionswürdige Aufrufe wie jener der Schriftstellers Josef Haslinger und der gewiss unverdächtigen Autorin Juli Zeh etwa in der Zib2 des ORF schlicht ignoriert werden, spricht Bände. Auch realistische Experten wie Heinz Gärtner werden kaum wahr genommen. Eigentlich müssten Verhandlungsgegner und Hardliner ja höchst zufrieden sein. Sind es aber nicht. Man hat das Wort „Frieden“ durch „Diktatfrieden“ ersetzt, aber vielleicht könnte man das Wort „Frieden“ ganz aus dem Wortschatz streichen? Ewige Kampfbereitschaft ist das Ziel.

Das ist das Problem: Ist die Aggression erst einmal aktiviert, ist sie nur schwer wieder herunterzufahren. Ob an der Heimatfront. Oder auf dem Schlachtfeld. Auf beiden Seiten.

Wollen wir wirklich warten, bis eine fortgeschrittenere außerirdische Zivilisation einmal eine durch Krieg oder Klimawandel zerstörte Erde vorfindet?

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Publizist und lebt in Wien

Heulen mit Westpropaganda

Mangelnde Ausgewogenheit in der außenpolitischen Berichterstattung erscheint als ein immer wieder neu befeuertes Reizthema. Jüngstes Beispiel ein Ö1-Journal Panorama, in dem nahezu ausschließlich einer reinen Militärlogik gehuldigt wurde. Das hat den Autor des folgenden Briefs veranlasst, sich zu Wort zu melden.

Peter Öfferlbauer *

Werter ORF-Publikumsrat,
werter ORF-Stiftungsrat,
sehr geehrte Frau Vass,

ich bin bestürzt über die Auswahl der Diskussionsteilnehmer, die Sicherheit ausschließlich militärisch denken, also in der Eskalationsspirale. Nicht einmal von der Moderation kam die Frage, wie dieser Eskalation, also einem möglichen 3. Weltkrieg, zu entkommen wäre. (Lediglich der österr. Offizier Leitgeb erwähnte wenigstens die umfassende Landesverteidigung, also die nicht militärischen Aspekte.)
Dabei war Österreich in beiden Weltkriegen auf der Verliererseite – sollte da Kriegsgefahr nicht kritischer gesehen werden? die Welt nicht nur schwarz/weiß eingeteilt werden? Statt dessen heult man lieber mit der westlichen Kriegspropaganda ?

Dabei gäbe es ja genug unverdächtige kriegskritische US-Stimmen – müsste der ORF diese nicht bei solch einer Diskussion, wenn sie mehr als Westpropaganda sein will, zur Sprache bringen?? Angefangen von Kennan, der bereits 1997 in der NYT warnte, die Nato-Osterweiterung würde die russische Politik in ein unerwünschte Richtung treiben.
Oder jüngst Jeffrey Sachs: die Ukraine ist das neueste Neocon-Desaster, wenn Europa einen Funken Einsicht hätte, würde es sich von diesem Desaster distanzieren…ein verhandelter Friede wäre besser als die Opfer eines Zermürbungskrieges in Kauf zu nehmen…
oder John Mearsheimer, der die Eventualitäten der Eskalation um die Ukraine analysiert.

Hillary Clinton sieht den Ukraine Krieg nach dem „afghanischen Modell“, wo die USA die Mujahedin gegen die Sowjets bewaffneten, um sie auszubluten. Und jetzt eben Russland schwächen.
Es scheint doch, die USA wollten diesen Krieg, sonst hätten sie Putins Briefe von Dez. 2021 nicht verächtlich vom Tisch gewischt. Wenn man Krieg nicht will, verhandelt man.

Schon Cicero wusste: der mieseste Frieden ist besser als der gerechteste Krieg!
Wo bleibt hier beim ORF professionelle Objektivität, wenn diese Aspekte nicht einmal erwähnt werden?

* Dr. Peter Öfferlbauer, Ex-AHS-Lehrer sowie Vorstandsmitglied von Pax Christi, lebt als kritischer Politik- und Medienbeobachter in Wels

USA und Ukraine Krieg

New York Times fordert US-Präsidenten auf, Selenskyj Grenzen aufzuzeigen.

Hinweis eines Mitglieds der Medienkultur. Berliner Zeitung am 20.5.2022 –

New York Times hat ihre Haltung zum Ukraine-Krieg überraschend geändert, insofern vor einer Ausweitung des Krieges gewarnt und nach den Zielen Amerikas in der Ukraine gefragt wurde.

Die New York Times forderte US-Präsident Joe Biden auf, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Grenzen westlicher Unterstützung aufzuzeigen. Es könne nicht im Interesse Amerikas sein, in einen langwierigen und kostenreichen Krieg mit Russland hineingezogen zu werden. Die New York Times gibt traditionell die Haltung der Ostküstenelite in Grundsatzfragen wieder.

Plädoyer für Deeskalation

Selten hat ein Zeitungsinterview derartig hasserfüllte Postings ausgelöst wie das heute erschienene STANDARD-Gespräch mit dem Autor und Übersetzer Alexander Nitzberg zum Ukraine-Krieg.

Udo Bachmair

Der sinnlose und brutale russische Krieg gegen die Ukraine ist menschlich und völkerrechtlich unmissverständlich zu verurteilen. Dennoch sollte trotz aller berechtigten Empörung auch Platz sein für differenzierende Betrachtung von Ursachen und Hintergründen dieses Krieges. Dies hat jedoch in den Medien zurzeit kaum Platz. Und wenn, dann ausschließlich aus der Sicht von USA, EU und NATO.

Wohltuend jenseits von Kriegspropaganda und traditionell antirussischem Mainstream westlicher Berichterstattung sind Veröffentlichungen, die etwas gemäßigter und differenzierter ausfallen. So das erwähnte Interview, das STANDARD-Redakteur Ronald Pohl mit dem in Wien lebenden Autor und Übersetzer Alexander Nitzberg geführt hat.

Nitzberg ist vor allem durch vielgelobte Neuübertragungen von Bulgakov-Romanen bekanntgeworden. So etwa durch die Übersetzung des weltberühmten Ukraine-Romans „Die weiße Garde“. Nitzberg, Sohn eines Künstlerpaares, rät angesichts des jetzigen Krieges zu Mäßigung und Deeskalation.

Im Folgenden das Gespräch mit Alexander Nitzberg im Wortlaut :

„STANDARD: Präsident Putin hat die Existenz einer ukrainischen Nation regelrecht in Abrede gestellt.

Nitzberg: Ich habe Putins Rede vom 24.2. auf Russisch gehört und eine solche Passage eigentlich nicht vernommen. Russlands Außenminister Lawrow hat erst unlängst gesagt, dass das russische Volk das ukrainische respektiere und als sein Brudervolk ansehe.

STANDARD: Hat Putin nicht explizit von „Denationalisierung“ gesprochen?

Nitzberg: Er sprach wörtlich von „Denazifizierung“. Putins Rhetorik zielt also auf eine Form des ukrainischen Nationalismus, die bis zum Nazismus reicht. Blicken wir auf die beiden Sprachen: Die Wissenschaft konzediert der ukrainischen Sprache eine eigenständige Entwicklung. Aus dem Altrussischen haben sich verschiedene Sprachen entwickelt, Russisch und Ukrainisch verhalten sich zueinander wie etwa Deutsch und Niederländisch. So etwas ist immer ein Politikum: Sobald Sie behaupten, Ukrainisch sei gar keine eigenständige Sprache, sondern ein Dialekt, bewirken Sie etwas. So etwas hängt von der Perspektive ab. Was wäre der sprachliche „Urmeter“, an dem Sie Maß nähmen? Man kann derartige Definitionen nicht der Sprache selbst entnehmen.

STANDARD: Wie kann man die Katastrophe jetzt beenden?

Nitzberg: Es muss ein Faktor der Menschlichkeit das Handeln leiten, und zwar in beide Richtungen. Ich meine damit eine aktiv gelebte Neutralität. Wenn uns Bulgakows Roman Die weiße Garde etwas lehrt, dann Folgendes: Völker werden zu Spielbällen unterschiedlicher Kräfte, gerade auch solcher, die man nicht sieht. Kämpfe werden aber auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen, und die Menschen fahren einander schließlich an die Kehle. Grundfalsch wäre ein Schwarzweißmuster der Art: „Hier haben wir es mit dem Guten zu tun, dort mit dem Bösen“.

STANDARD: Hat Sie der 24. Februar überrascht?

Nitzberg: Nicht wirklich. Aber man könnte sich auch die Frage stellen: Wer kämpft hier gegen wen? Eine Antwort lautet: Russland gegen die Ukraine. Doch in Wahrheit halten sich sehr viel mehr „Spieler“ auf dem Spielbrett auf, darunter solche, die massive Eigeninteressen vertreten, wie die USA.

STANDARD: Reagiert der Westen zu emotional?

Nitzberg: Unter den Literaten und Übersetzern wird vielfach derart hysterisch reagiert, dass es mir regelrecht den Atem verschlägt, gerade in Österreich und Deutschland. Manche Übersetzer geben sich ungemein martialisch. Jeder Versuch, etwas zu dämpfen, um in sich gehen zu können, um Distanz zu gewinnen, wird so verunmöglicht. Dabei wäre es die angemessene Haltung eines Intellektuellen. Kriegszeiten sind Zeiten der Propaganda. Jeder Misserfolg wird dem Gegner in die Schuhe geschoben. Wenn Sie in einem Hochhaus sitzen und einen Granateneinschlag beobachten – woher wollen Sie wissen, von welcher Seite das Geschoss stammt? Hier in Österreich schwingen sich manche Leute nach zwei, drei Tagen zu Akteuren auf. Dabei rühren sie die Kriegstrommel. Unser „Job“ als Intellektuelle ist es doch, Zurückhaltung zu üben.

STANDARD: Viele lassen sich mitreißen?

Nitzberg: Die Frankfurter Buchmesse hat Russland ausgeladen. Das wäre an sich schon schlimm genug. Aber: Der ukrainische PEN-Club fordert die Weltbevölkerung auf, die gesamte russische Literatur zu boykottieren. Mit der Begründung, es würden in der russischen Literatur immer wieder Elemente auftauchen, die die Ukraine beleidigen! Meine Mutter, Jahrgang 1935, hat den Zweiten Weltkrieg erlebt. Sie hat als Kind Deutsch gelernt. Ich habe sie daraufhin gefragt: Wurde während des Zweiten Weltkriegs die deutsche Literatur etwa von den Behörden verboten? Sie antwortete: im Gegenteil. Man hat Goethe, Schiller, Heine rauf und runter rezitiert. Die Sowjetlehrer argumentierten, Deutschland sei eine Kulturnation mit großartigen Schriftstellern. Hitler ist der Zerstörer. Aber die eigentliche Kultur muss verbreitet werden. Wir Menschen der Schrift haben doch eine Mission. Wir müssen die Menschen zusammenbringen, unabhängig von Ethnie und Ideologie.

STANDARD: Ideologische Einschreibungen werden häufig erst nachträglich vorgenommen.

Nitzberg: Man kann Weltliteratur nicht danach beurteilen, ob irgendwelche „problematischen“ Sätze fallen. Meine Position in all den Jahren ist die gelebte Neutralität. Literatur und Kultur gehören aus der Umklammerung durch die Politik herausgelöst. Ich möchte als Übersetzer stets zeigen, ob ich nun Bulgakow oder Charms ins Deutsche übertrage: Es ist immer eine Unart, ein großes Werk der Weltliteratur ausschließlich durch die politische Brille zu lesen. Es ist sinnlos zu fragen, ob ein Werk „für“ etwas oder „gegen“ etwas ist.

STANDARD: Fehlt uns Sinn für Ambivalenz?

Nitzberg: Es gibt nur noch richtig oder falsch, gleich ob es ums Klima geht, um das Geschlecht, um die „Rasse“. Ist man für Putin, gegen Putin? Das sind doch allesamt simplifizierende Haltungen. Ich habe in den vergangenen Jahren wiederholt mit jungen ukrainischen Künstlern Debatten geführt, die rasch „heiß“ wurden. Sie wurden von meinen Freunden gelegentlich sehr nationalistisch geführt. Solche Meinungen kamen von Menschen, die sich für gewöhnlich kosmopolitisch geben. Es finden sich solche Reflexe häufig bei ursächlich emanzipatorischen Bewegungen. Muss eine engagierte Feministin zwangsläufig eine Männerhasserin sein? Wenn Sie an den ukrainischen PEN denken: Was wäre der nächste logische Schritt? Dass wir die russische Literatur verbrennen?

STANDARD: Wir denken nicht dialektisch?

Nitzberg: Nehmen Sie die Causa Gergiev her. Er ist ein erstrangiger Dirigent und wird vor eine simple Frage gestellt: Er soll ein Lippenbekenntnis leisten, das ihm Zugang zur Arbeit gewährt. Er soll abschwören. Das ist unwürdig und dem konkreten Menschen gegenüber respektlos. Selbst wenn er nicht meiner Meinung ist, muss ich das akzeptieren. Es ist doch klar, dass eine Front mitten durch ihn hindurchläuft. Und mitten durch sein Herz.“

Alexander Nitzberg (52) ist gebürtiger Russe und lebt seit 2010 in Wien. Lyrische Werke, darunter der Suhrkamp-Band Farbenklavier (2012). Zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Michail Bulgakow und Boris Sawinkow.