Archiv der Kategorie: BERICHTE / ANALYSEN

Militarisierung in Medien und Politik *

In Politik und Medien greifen Aufrüstung und Militarisierung weiter um sich. Am Beispiel des Ukraine- und des Gazakriegs zeichnet sich eine besonders unheilvolle Entwicklung ab.

Udo Bachmair *

Der Ukrainekrieg und die Medien

Verstärktes Aufrüsten in Worten und Taten gibt zunehmend Anlass zur Sorge. Wachsende Kriegsrhetorik in Politik und Medien verheißen nichts Gutes. Der unheilvollen Entwicklung könnte seriöser und differenzierender Journalismus begegnen. Der Mangel eines solchen lässt sich zurzeit vor allem am Beispiel der Berichterstattung westlicher Medien zum Ukraine- und Gazakrieg belegen.

Im Fall des Ukrainekriegs wird ein russisches Bedrohungspotential herbeigeschrieben und -geredet, das angeblich ganz Europa bedroht. Hand in Hand mit einem schon traditionellen antirussischen Feindbild, an dem medial und auch seitens politischer Akteure bereits seit langem konsequent gearbeitet wird. Die enorme Aufrüstung der EU wird somit begleitet und angeheizt durch entsprechende verbale Munition mit speziell militaristischem Wording.

Putin habe die Absicht, ganz Europa zu überfallen, heißt es immer wieder seitens russophober Hardliner, unter ihnen etwa EU-Mandatar Helmut Brandstätter. Der Ex-Kurier-Chefredakteur befindet sich damit in mehr oder weniger, ja eher weniger guter Gesellschaft mit militaristischen Wortführerinnen, wie Kommissionspräsidentin Von der Leyen, der Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses der EU-Kommission, Strack-Zimmermann sowie nicht zuletzt mit Ex-Außenministerin Bärbock, die längst vergessen hat, dass die Grünen einmal Motor der Friedensbewegung waren. Die EU-Außenbeauftragte Kallas komplettiert die Riege an Kriegsrhetorikerinnen.

Ein diplomatisches Engagement der EU, diesen unnötigen Krieg zu beenden, lässt weiterhin zu wünschen übrig. Anstatt die gefährliche Lage zu kalmieren, hat der neue deutsche Kanzler Merz Öl ins Feuer gegossen mit der Ankündigung noch reichweitenstärkerer Raketen, die nun problemlos auf den Moskauer Zentralraum und andere Städte Russlands abgeschossen werden könnten. Die damit einhergehende Kriegsrhetorik bringt es auch mit sich, dass etwa der Begriff Frieden zu einem negativ geladenen Begriff mutiert ist. Er wird vorwiegend zu Begriffen wie Diktatfrieden oder Friedensdiktat umgemünzt.

Grundsätzlich ist klar: Kriegspropaganda betreiben immer beide Seiten eines Konflikts. Gleichgeschaltet wirkende Medien und auch zahllose PolitikerInnen gehen hingegen davon aus, dass nur Russland Kriegspropaganda betreibt, nicht aber auch die Ukraine. Daraus resultiert jener durch diverse Studien bereits mehrfach belegte Eindruck, dass in der westlichen Berichterstattung ukrainische Propaganda oft als „faktenbasiert“ präsentiert wird, russische hingegen als bloße Propaganda. Friedensrhetorik hingegen wird als naiv abgetan, eine solche würde Aggressoren, wie Putin, nur weiter ermuntern, wird argumentiert.

In Politik und Medien wird zunehmend vermittelt, dass ein Sieg der Ukraine unbedingt nötig sei, da ansonsten die Existenz ganz Europas auf dem Spiel stünde. Damit wären auch „unsere westlichen Werte“ betroffen. Aber man fragt sich, ob denn die Ukraine diesbezüglich tatsächlich Vorbild sein könne, ein Staat, der hinsichtlich Korruption und Pressefreiheit weltweit die hintersten Ränge belegt. Ungeachtet dessen wird ein Sieg gegen Russland von Politik und Medien gleichsam zur Pflicht erkoren. „Wir müssen kriegstüchtig werden“, tönt es vor allem aus Deutschland, angestimmt und befeuert auch vom SPD-Verteidigungsminister Pistorius.

Vor diesem Hintergrund verdichtet sich der Eindruck, dass auch die öffentlich-rechtlichen Medien, die zur Objektivität auch in der außenpolitischen Berichterstattung verpflichtet wären, die Politik vor sich hertreiben, immer mehr und immer weiter aufzurüsten. Angesichts der enormen Profite der Waffenkonzerne sowie der Interessenslage der NATO fehlt offenbar jeglicher Wille, weiterer intensiver Aufrüstung abzuschwören. Es läge natürlich auch am russischen Präsidenten, größere Verhandlungsbereitschaft zu bekunden, auch wenn ihm der Westen noch so sehr die kalte Schulter zeigt.

Aus Moskauer Sicht hat der Westen mit der NATO-Erweiterung bis an die Grenzen Russlands eine besonders gefährliche Entwicklung provoziert. Jede Bereitschaft und Fähigkeit scheinen dafür zu fehlen, sich auch in die Position Russlands hineindenken zu können. So wird die subjektiv gefühlte Bedrohung durch die westliche Militärallianz ebenfalls als bloße Propaganda abgetan. Diesbezügliche Einseitigkeit erscheint besonders schmerzlich dann, wenn sie in einem neutralen Staat wie Österreich gang und gäbe ist. Auch hierzulande werden besorgte Menschen, die auf Friedensverhandlungen drängen, als „russische Trolle“ verächtlich gemacht.

Schon Jahre vor dem Krieg haben westliche Medien und PolitikerInnen Russland beharrlich zu einem Feindbild hochstilisiert. Dabei helfen einzelne Begriffe und Worte, wie sie auch in der vermeintlich objektiven Nachrichtensprache verwendet werden. So werden in Meldungen und Kommentaren Äußerungen russischer Politiker tendenziell mit Prädikaten wie „behaupten“, „unterstellen“ etc. versehen. Wenn ein ukrainischer oder EU Politiker eine Stellungnahme abgibt, lauten hingegen meist die Prädikate „betonen“, „bekräftigten“, „erklären“ etc., also positiv geladene Begriffe.
Abermals sei bekräftigt, dass ein Angriffskrieg im 21. Jahrhundert in Europa ein absolutes „No Go“ sein sollte. Großmachtphantasien mit einem realen Krieg erzwingen zu wollen, ist menschen- und völkerrechtlich strikt abzulehnen. Krieg und Gewalt sind per se Verbrechen, besonders ein aggressiver militärischer Überfall. Das heißt aber nicht, dass automatisch nur der Aggressor Kriegsverbrechen begeht.

Leider muss sich auch der ORF manche Kritik gefallen lassen. So werden überwiegend ExpertInnen in Ö1-Journale oder ZiB 2-Sendungen eingeladen, die undifferenziert proukrainisch und militaristisch argumentieren. Damit werden auch die zahlreichen Hintergründe, die mit zum Ausbruch des Krieges 2014 bzw. 2022 geführt haben, weitgehend ignoriert. Einer der vorbildlichen Ausnahmen unter den ORF-Redakteuren ist Christian Wehrschütz. Er bleibt trotz mancher Widerstände gegen ihn beharrlich bei seinem journalistischen Ethos, objektiv zu bleiben im Sinne von Audiatur et altera pars.

Es wäre falsch, allen JournalistInnen vorzuwerfen, sich auch in heiklen außenpolitischen Fragen nicht um Objektivität und Seriosität zu bemühen. Manchen aber scheint nicht bewusst zu sein, dass sie sich für eine Seite (pro Ukraine, pro Israel) vor den Karren spannen lassen. Unter der einfachen Devise: Die Einen gut, die Anderen böse. Somit bleibt das bereits lange aufgebaute Feindbild Russland weitgehend unverrückbar. Außenpolitische Ressorts sind personell so sehr ausgedünnt worden, dass für die Nutzung ausreichend alternativer Quellen kaum noch Zeit bleibt. So wird medial meist das präsentiert, was die großen westlichen Agenturen mit ihrem speziellen Wording vermitteln.

Nicht zuletzt aus diesem Grund polemisieren manche heimischen Medien und PolitikerInnen gegen die Neutralität. In einigen Kommentaren wird unverhohlen Stimmung aufbereitet für einen Beitritt Österreichs zur NATO. Dabei böten sich für Österreich als neutralen Staat große Chancen, Kriegsparteien an einen Tisch zu holen. Nur: Österreichs Neutralität hat massiv Schaden erlitten durch eine österreichische Außen- und „Neutralitäts“-Politik, die den Namen längst nicht mehr verdient, die sich bei globalen Konflikten jeweils einseitig positioniert.

Der Gazakrieg und die Medien

Angesichts des immer brutaler werdenden Vorgehens der israelischen Regierung unter Netanjahu wächst die Kritik an dessen Kriegskabinett mehr und mehr. Vor allem Frankreich, Großbritannien und Kanada haben gegen die Kriegsführung Israels Stellung bezogen. Auch der deutsche Kanzler Merz hat überraschend klare Worte der Kritik zur überbordenden Reaktion Israels auf das Hamas-Massaker gefunden. Das offizielle Österreich hingegen zeigt sicher eher zurückhaltend mit direkter Kritik am potentiellen Kriegsverbrecher Netanjahu.

Im Gegensatz zu Ländern außerhalb Österreichs und Deutschlands erscheint es hierzulande als absolutes Tabu, von Völkermord zu sprechen. In unseren Medien, etwa in der reichweitenstarken ZiB1 ist vorsichtig von Umsiedelung die Rede, beschönigendes Wort für Vertreibung. Experten, die klar von Völkermord und Vertreibung sprechen, wie etwa der deutsche Politologe Lüdders, werden hierzulande weitgehend verschwiegen. Irritierend erscheint auch, dass eine humanitäre Bewegung wie die Sozialdemokratie nicht größeren Mut fasst, die Hölle auf Erden, wie UNO-Hilfsorgane die Lage in Gaza beschreiben, klar als Kriegsverbrechen zu bezeichnen.

Ausnahme Ex-Bundespräsident Heinz Fischer, der sich beeindruckend deutlich von der rechtsextremen Regierung Israels distanziert hat. Umgehend sah er sich dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt. Nicht nur in der Servus-TV-Sendung „LinksRechtsMitte“ , in der Fischer vom rechtslastigen Soziologen Heinzelmaier sowie auch von Puls 4 Chefredakteurin Milborn als dezidiert antisemitisch bezeichnet wurde, auch in einem ORF-Talk mit dem Ex-ÖVP-Abgeordneten Engelberg wurde die Antisemitismus-Keule gegen Fischer eifrig geschwungen.

Immer wieder ist auch die Rede von einem Krieg Israels gegen die Hamas. Die Realität zeigt jedoch, dass mit bereits mehr als 50.000 Toten und 100.000en Verletzten und Verkrüppelten hemmungslos vor allem die Zivilbevölkerung ins Visier genommen wird. Doch Israels Propaganda spricht von gezielten Angriffen auf Hamas-Terroristen. Umgekehrt sehen Menschen in Gaza auch die israelische Regierung als „Terrorregime“. Doch niemals würden westliche Medien einen solchen Sprachgebrauch für Israels Regierung verwenden bzw. verwenden dürfen.

Würde ein (österreichischer) Journalist es wagen, von Angriffskrieg Israels gegen Gaza zu schreiben, bekäme er nicht nur einen gewaltigen Shitstorm zu spüren, sondern auch berufliche Existenzprobleme. „Kriegsverbrechen“, „Völkermord“ oder wie erwähnt „Angriffskrieg“ wären in Mainstream Medien absolut verpönt. Die Formulierung „Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine“ hingegen wird fast zur journalistischen Pflicht. Wenn man etwa von der sogenannten Faktencheck-Abteilung der APA ausgeht, die diese Formulierung „empfiehlt“. Die Bezeichnung „Ukrainekrieg“ sei zu neutral und verharmlose die Rolle Putins als Aggressor.

Der Versuch einer Sprachregelung als Vorgabe für einen freien und seriösen Journalismus? Einer solchen Entwicklung gilt es entgegenzuwirken.

* Der (leicht gekürzte) Beitrag von Udo Bachmair ist erstmals von der Solidarwerkstatt Linz (Redaktionsschluss Anfang Juni) veröffentlicht worden. Abrufbar ist der Beitrag (in voller Länge) via www.solidarwerkstatt.at/frieden-neutralitaet/aufruestung-in-politik-und-medien

Selbstvergöttlichung

Die Unberechenbarkeit und der Narzissmus von US-Machthaber Donald Trump bieten ausreichend Stoff für kritische Äußerungen in Medien und Politik. Auch andere autoritäre politische Führer geben zunehmend Anlass zur Sorge.

Wolfgang Koppler *

Wir alle haben Trump zwar für einen extremen Narzissten, aber doch auch für einen Deal-Maker gehalten. Und angenommen, dass er, wenn er etwas ankündigt bzw. androht, in Wirklichkeit nur mit dem Säbel rasselt, aber dann doch irgendwie einlenkt. Ob im Zollstreit mit der EU oder bei militärischen Einsätzen. Sein Vorgehen in seiner ersten Amtszeit, wo er – mit Ausnahme eines eher symbolischen Bombardements in Syrien – sich aus Kriegen eher heraushielt und auch innenpolitisch mehr verbal als wirklich radikal vorging, legte diesen Schluss nahe.

Mit der Umgehung des Kongresses durch den Einsatz von Dekreten, dem Einsatz der Nationalgarde gegen die eigene Bevölkerung und der nunmehrigen Bombardierung des Iran ist klar, dass Trumps erste Amtszeit mit seiner nunmehrigen „Herrschaft“ nicht vergleichbar ist. Die USA bewegen sich nun auch augenscheinlich in Richtung Diktatur. Und Europa und Israel detto. Es ist eine Entwicklung, die in Wirklichkeit schon Ende der 70- Jahre mit dem Neoliberalismus von Thatcher und Reagan in Gang bekommen ist. Grenzenlose Freiheit für die Wirtschaft, zunehmende Rechtlosigkeit des einfachen „Untertanen“.

Je mehr die Angst vor dem Kommunismus schwand, desto mehr konnte man auf Sozialstaat und Demokratie verzichten. Und als „Elite“ in Wirtschaft, Politik und Medien seinen infantilen Narzissmus ausleben. Jene Selbstvergöttlichung des Menschen, wie sie schon in der Antike an der Wiege Europas Pate stand. Die zwar ästhetisch ansprechenden, aber kalten und leblosen griechischen und römischen Statuen legen ebenso Zeugnis davon ab wie die Philosophie eines Aristoteles, der Gott zum unbewegten Beweger des Alls, eine Art Uhrmacher dekretierte, dem man nur endlich auf die Schliche kommen müsse. Immerhin: Wir haben mit diesem materialistisch-rationalistischen Denken die Atombombe entdeckt. Und die künstliche Intelligenz, mit der wir uns überflüssig machen. Damit uns die Welt trotzdem nicht zu kalt und unwirtlich vorkommt, dürfen sich schöngeistige Seelen auf ein abstraktes Wahres, Gutes und Schönes berufen und sich einem weltfremden Kunstgenuss und Fortschrittsglauben hingeben.

So lange Trump, Musk, Netanjahu, Merz und Putin es zulassen. Und wir uns vor dem Klimawandel in klimatisierte Räume flüchten können.

Das ist wohl nicht jene Weisheit, die Sokrates suchte. Auch der suchte schon mit der Laterne nach „Menschen“ und bekämpfte vergeblich den infantilen europäischen Narzissmus. Damals in Form der egozentrischen Sophisten. Heute nennt man sie Intellektuelle.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Cancelkultur im Visier

Zum Bereich kritischer Medienkultur gehört zweifellos der Begriff „Cancelkultur“. In dem Buch „Denkanstöße 2025“ (Verlag Piper ) wird dies entsprechend formuliert (S. 135 ff).
Zitate ausgewählt von

Hans Högl

„Cancelkultur ist die kulturelle Praxis, andere, vor allem abweichende Meinungen – zum Schweigen zu bringen, deren Auffassungen von den eigenen abweichen, meist ohne dass den Betroffenen eine faire Chance eingeräumt wird, sich zu verteidigen oder sich zu rehabilitieren.
Cancelkultur ist darauf gerichtet, unliebsame Meinungen zum Verstummen zu bringen.

Dies beinhaltet im Einzelnen:

a) dass Äußerungen abweichender Meinungen unterbunden, behindert oder erschwert werden
b) dass es Personen, die diese Meinungen haben, zum Schweigen bringt, aus dem Diskurs ausgrenzt oder zumindest marginalisiert
c) Personen, die diese Meinungen haben, tötet, verfolgt oder ihnen Nachteile auferlegt, die die Freiheit ihrer persönlicher Lebensgestaltungen beeinträchtigen.“

Leise Stimme der Vernunft

Sie werden in Politik und Medien immer seltener: Stimmen der Vernunft. Eine davon bewies kürzlich Noch-SPD-Chefin Saskia Esken als Studiogast in der ZiB2. Eine Sternstunde in einer Zeit des Militarismus, des Krieges und der Scheinheiligkeit.

Wolfgang Koppler *

Ihre Zeit als SPD-Co-Vorsitzende ist zwar bald vorbei. Gefragt sind künftig Leute wie die Bundesminister Pistorius und Klingbeil. Geschmeidige Politiker, wie sie überall zu finden sind. Geschmeidig genug für Ministerämter. Esken strebte Derartiges nicht an. Haltung war ihr wichtiger. Im gegenständlichen Interview stellte sie auch Ihre Kompetenz unter Beweis. Sie vermied nicht nur jedes Fettnäpfchen, sondern zeigte auch ein Realitätsbewusstsein, das den westlichen Politikern, gleich welcher Coleur, derzeit völlig abzugehen scheint.

Auch wenn Putin derzeit auf die militärische Karte setzt und von einer Hybris erfasst zu scheint, die die wirtschaftliche Schwäche Russlands völlig außer Acht lässt, darf dies nicht dazu verleiten, auf westlicher Seite in einen ebensolchen Militarismus zu verfallen. Auch unsere Wirtschaft und vor allem unsere Gesellschaft steht auf tönernen Beinen. Etliche europäische Staaten sitzen auf einem Schuldenberg, die Trumpsche Zollpolitik zeigt uns ebenso die Grenzen des Wachstums wie die Umwelt- und Umweltkrise. Und die europäische Gesellschaft ist in Wirklichkeit ebenso gespalten wie die amerikanische. In dieser Situation auf eine neue Rüstungsspirale zu setzen könnte irgendwann zu einer schlimmeren Finanzkrise führen als 2008. Und die Gesellschaft noch weiter spalten. Vom Wahnsinn im Nahen Osten und den weitgehend verdrängten Krisenherden des Globalen Südens ganz zu schweigen.

Putins derzeitige Realitätsverweigerung rechtfertigt nicht unsere eigene. Man wird an den Verhandlungstisch zurückkehren müssen, da hat Saskia Esken völlig recht. Man sollte auch nicht vergessen, dass zu Beginn des Krieges durchaus ernsthaft verhandelt wurde und dies letztlich nur an der Verweigerung westlicher Sicherheitsgarantien scheiterte. Die inzwischen auf beiden Seiten im Zuge eines mehr als dreijährigen Krieges hochgefahrene Eskalationsspirale gilt es wieder zurückzufahren. Statt auf beiden Seiten Strafgefangene und Wehrdienstverweigerer an der Front zu verheizen.

Anhand solcher Ausnahmepersönlichkeiten wird die Unhaltbarkeit des Mainstream (welcher primär auf Feindbilder setzt) erst recht sichtbar. Dass Esken sogar Zuspruch von Persönlichkeiten aus anderen Lagern erhalten hat, wenn auch nur per Mail, spricht Bände. Die Stimme der Vernunft ist eben leise.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Gesellschaft menschlicher machen

Politik und Medien beschäftigt zurzeit nur ein Thema: Der Amoklauf von Graz und die dramatischen Folgen stehen zurecht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Darüber hinaus aber lässt ähnliche Anteilnahme für die täglichen Todesopfer des Ukraine- und des Gazakriegs zu wünschen übrig, oder auch für Menschen hierzulande, die von inhumanem Handeln betroffen sind.

Wolfgang Koppler *

„Lichter der Liebe in dunkelster Stunde“ titelt die Boulevardzeitung „Heute“ zu einem Bild mit Menschen in Graz, die vor einem Meer von Kerzen stehen. Und die Oberösterreichischen Nachrichten ÖÖN drucken – etwas nüchterner – auf der Titelseite einen Aufruf des Bundespräsidenten zum Zusammenhalt ab – auf schwarzem Grund. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig fordert dann noch im Gemeinderat „als Antwort auf Hass und Gewalt ein umso stärkeres Bekenntnis zu Zusammenhalt und Respekt.“

Noch nie war das Wort Zusammenhalt so oft zu hören wie jetzt. Und überall zeigt man Anteilnahme und Betroffenheit. Selbst unsere Fußballer müssen angesichts der tragischen Ereignisse in Graz ihren 4:0-Erfolg gegen Montenegro zu einer „Randnotiz“ erklären. Und man hält überall Schweigeminuten ab. Sogar beim Nova Rock Festival ist eine solche geplant – das kostet nichts und macht sich gut, zumal die Veranstaltung ansonsten wie geplant ablaufen kann.

Man zeigt Herz, weil es sich so gehört. Ob man wirklich eines hat, ist eine andere Frage. Vielleicht sollte man Journalisten wie Lesern einmal den Besuch einer Bettenstation in einem Seniorenheim empfehlen. Da gibt es Leute, die bekommen nie Besuch. Die Stadt Wien sucht sogar ehrenamtliche Helfer – mit wenig Erfolg natürlich. Davon, wie unmenschlich es des Öfteren in Wirtschaft und Politik zugeht, will ich gar nicht reden. Und von unser aller Bequemlichkeit, die uns hindert, gegen Unfairness den Mund auf zu machen.

Da ist Kerzen anzünden einfacher. Und Schweigeminuten abzuhalten.

Ich will jetzt nicht behaupten, dass man mit mehr Engagement Amokläufe verhindern kann. Aber es könnte unsere Gesellschaft menschlicher machen. Und vielleicht doch den einen oder die andere vom Durchdrehen abhalten. Einen Versuch wär’s wert.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Von Medienplattformen gegängelt?

Ob in Kaffeehäusern oder Öffis oder sonst wo beobachtet: Immer weniger bis gar keine Zeitungen werden mehr gelesen. Belegt auch von Studien, dass bis zu 40-jährige UserInnen Printmedien und auch traditionelle elektronische Medien weitgehend ignorieren. Junge Menschen sind stattdessen umso mehr im Internet unterwegs, sie geraten dort aber in neue mediale Abhängigkeiten. Und es stellen sich für sie u.a. die Fragen: „Pay Content versus Quality Content?“ oder „Wieviele Netflixe darf ein Online-Medium kosten?“:

Ilse Kleinschuster *

Plagt viele junge Menschen diese Frage, weil sie sich frei von medialer Zwangs-Berichterstattung bzw. – Unterhaltung fühlen wollen, weil sie die Fesseln eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks ablehnen, aber letztlich doch mit den Streaming-Diensten nicht ganz zurechtkommen?

Waren Online-Medien nicht zunächst einmal gratis und haben sie nicht erst im Lauf der Jahre Bezahl-Content im Mainstream fix etabliert?

Geht’s hier letztlich nicht auch um die Frage, inwieweit wir uns von den großen Medienplattformen gegängelt fühlen (sollten), wenn wir erkennen, wie sie uns reinlegen. Und was wohl eine Befreiung aus ihren Fängen kosten würde?!? Meredith Whittaker, Präsidentin von Signal, einer Non-Profit-Organisation, die nicht gewinnorientiert arbeitet, was kein Nice-to-have sei, wie sie sagt, sondern ein fundamentaler Teil der eigenen Integrität. Denn wäre dem nicht so, so müsste man laut Whittaker das gleiche Geschäftsmodell anwenden wie die meisten Großen der Branche: das Monetarisieren von persönlichen Daten. ttps://www.derstandard.at/story/3000000195689/signal-chefin-warum-vertrauen-wir-konzernen-die-bloss-an-ihre-aktionaere-denken

Diese Frage zur Integrität der medialen Plattformen und damit des gestörten Vertrauens in objektive Berichterstattung (sofern diese überhaupt objektiv sein kann) beschäftigt mich schon lange, aber jetzt umso mehr seit ich mit Werbung für das neue Online-Medium „JETZT“ förmlich überflutet werde. Brauch‘ ich das? – bis heute bin ich mir nicht ganz sicher. Warum soll ich Abonnentin werden von etwas was ich noch nicht kenne. Da unterstütze ich doch lieber das Team von „Unsere Zeitung – die Demokratische“, einer online-Zeitung, die sich 10 Jahre bewährt hat. Ich hoffe, es gibt sie noch länger!
Seit es ‚meine‘ „Wiener Zeitung“ nicht mehr in der Print Version gibt, kauf‘ ich mir abwechselnd eine von den gängigen Tageszeitungen in der Trafik. Hin und wieder leiste ich mir auch eine von der Sorte premium Qualität.

Am 6.6. 2025 ist das neue FEUILLETON herausgekommen – ich habe die Print-Version um 6 Euro in meiner Trafik erstanden und schätzte mich glücklich, gleich einen Artikel von Bernhard Baumgartner darin zu entdecken. Der Titel lautet: Wie viele Netflixe darf ein Online-Medium kosten? DIE STREAMING-DIENSTE haben die Realität von Pay-Content etabliert. Aber sie haben damit auch eine Grenze gesetzt. Diese liegt bei ihrem monatlichen Abopreis. https://feuilleton.online/sites/site0329/media/downloads/das_feuilleton_mediadaten_2025.pdf

Tja, ich liebe ihn, diesen Qualitätsjournalismus – und bin froh, dass es ihn noch gibt, diesen ‚premium‘ Journalismus, wie er einst in der gedruckten Wiener Zeitung üblich war, mit seinem Fokus auf intellektuellem, kreativ und witzig gestaltetem Journalismus abseits des üblichen Nachrichtengeschehens. Er hat mich in jungen Jahren als politischer Mensch geprägt. Und man darf nicht vergessen, dass seine Inhalte von Menschen erstellt werden, die davon leben müssen, d.h. dafür ein Gehalt wollen.

Hin und wieder gebe ich auch gerne mehr als 3 Euro für die Erste österreichische Boulevardzeitung, den AUGUSTIN, aus.

#Netflix, diesen Kanal hab‘ ich zwar (mein Enkel hat mich an- oder sagt man eingeschlossen), aber ich nutze ihn nicht. Mein TV-Bedarf ist vornehmlich gedeckt mit ORF, 3-Sat und ARTE.

Tagsüber höre ich gern Radio (ORF-Ö1). Vergangenen Donnerstag habe ich auf ORF-Ö1 ‚Doublecheck‘ gehört, da ist mir manches klarer geworden: „Die Gründung eines neuen Mediums in Österreich erfordert mehr als nur Mut. Die Bereitschaft für journalistische Inhalte zu zahlen, ist gering und das Vertrauen in die Branche lässt zu wünschen übrig. Gleichzeitig profitieren etablierte Medienunternehmen von großzügigen Förderungen und Inseratenschaltungen. Das Digitalmedium „JETZT“ ist dennoch überzeugt, dass es Bedarf für innovative Ansätze gibt. Derzeit werden Mitglieder gesucht, um den Start zu ermöglichen – ob dies gelingt, wenn man die Katze im Sack kaufen muss? Skepsis ist angebracht, insbesondere nach dem kürzlichen Aus des Medienprojekts „tageins“, das nach knapp zwei Jahren aufgeben musste. Konstruktiver, ruhiger Journalismus funktioniere einfach nicht. Doch es gibt auch positive Beispiele: Das inklusive Medium „andererseits“ beweist, dass Erfolg möglich ist, wenn Vision und Engagement stimmen. #doublecheck hat bei denen, die noch hoffen, und jenen, die die Hoffnung vorerst begraben mussten, nachgefragt.“ https://oe1.orf.at/player/20250605/797329/1749141503145

Also, soweit ist’s für mich jetzt klarer. Ich bin ja auch der Meinung, dass die Medienpolitik durch einen offenen Beteiligungsprozess gesteuert werden soll. Und ja, dieser sollte möglichst demokratisch sein, denn die Medien sind eine unabdingbare Notwendigkeit für das Funktionieren unserer Demokratie. Am funktional ‚bequemsten‘ scheint mir halt ein (gebührenpflichtiger) öffentlich-rechtlicher Rundfunk und eine öffentlich-rechtliche Tageszeitung – aber das ist wohl eine Utopie!

Nun, zumindest aber wünsche ich mir zunächst eine radikale Reform unseres derzeitigen ORF – ich unterstütze daher die Initiative zum offenen Online-Beteiligungsprozess „ORF 2032“ – www.unser-orf.at

* Gastautorin Ilse Kleinschuster ist Journalistin und aktives Mitglied der Zivilgesellschaft und der Vereinigung für Medienkultur

Krieg gegen Gaza: Kein Recht zu schweigen

Ein besonders bemerkenswerter Kommentar zur brutalen Vorgangsweise Israels in Gaza ist in der Zeitung Haaretz erschienen. Er stammt vom bekannten Journalisten Gideon Levy, Mitherausgeber der einzigen linksliberalen regierungskritischen Tageszeitung Israels. Der Titel des Kommentars:

„Deutschlands Verrat am Holocaust“*

Gideon Levy

Deutschland hat das Andenken an den Holocaust und seine Lehren verraten. Ein Land, das es als seine höchste Aufgabe ansah, nicht zu vergessen, hat vergessen. Ein Land, das sich selbst versprochen hatte, niemals zu schweigen, schweigt. Ein Land, das einst „Nie wieder“ sagte, sagt nun „wieder“, mit Waffen, mit Geld, mit Schweigen. Kein Land sollte besser als Deutschland darin sein, „widerwärtige Prozesse zu erkennen“. Jeder Deutsche weiß viel mehr darüber als Yair Golan. Hier in Israel ist dieser Prozess in vollem Gange, doch Deutschland hat ihn noch nicht als solchen erkannt. Erst kürzlich ist es aufgewacht, aber zu spät und mit zu wenig Wirkung.

Wenn Deutschland den Flaggenmarsch in Jerusalem sieht (bei den diesjährigen Feierlichkeiten wurden Aufrufe zum Völkermord normalisiert und die toten Kinder von Gaza verspottet), muss es die Reichskristallnacht vor Augen haben. Wenn es die Parallelen nicht sieht, verrät es die Erinnerung an den Holocaust. Wenn es auf Gaza blickt, muss es die Konzentrationslager und Ghettos sehen, die es selbst errichtet hat. Wenn es die hungernden Menschen in Gaza sieht, muss es die elenden Überlebenden der Lager sehen. Wenn es die faschistischen Reden israelischer Minister und anderer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens über Mord und Zwangsumsiedlung, darüber, dass es «keine Unschuldigen» gibt und über das Töten von Babys hört, muss es die schaurigen Stimmen aus seiner Vergangenheit hören, die dasselbe auf Deutsch gesagt haben.

Es gibt kein Recht zu schweigen. Deutschland muss die Fahne des europäischen Widerstands gegen das, was im Gazastreifen geschieht, hochhalten. Doch es hinkt weiterhin hinter dem Rest Europas hinterher, wenn auch mit Unbehagen, nicht nur wegen seiner Vergangenheit, sondern auch wegen seiner indirekten Verantwortung für die Nakba, die ohne den Holocaust wahrscheinlich nicht stattgefunden hätte. Deutschland hat auch eine teilweise moralische Schuld gegenüber dem palästinensischen Volk.

Die israelische Besatzung wäre ohne die Unterstützung der Vereinigten Staaten und Deutschlands nicht möglich gewesen. Während dieser ganzen Zeit galt Deutschland als Israels zweitbester Freund. Diese Freundschaft war umfassend und bedingungslos. Jetzt wird Deutschland für seine langen Jahre der strengen Selbstzensur bezahlen, in denen es verboten war, Israel, das heilige Opfer, zu kritisieren.

Jede Kritik an Israel wurde als Antisemitismus abgestempelt. Der gerechte Kampf für die Rechte der Palästinenser wurde kriminalisiert. Ein Land, in dem ein großes Medienimperium von seinen Journalisten als Bedingung für ihre Anstellung verlangt, niemals Israels Existenzrecht in Frage zu stellen, kann nicht behaupten, die Meinungsfreiheit zu achten. Und wenn Israels derzeitige Politik seine Existenz gefährdet, sollte man dann nicht das Recht haben, es zu kritisieren?

In Deutschland ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, Israel zu kritisieren, egal was es tut. Das ist keine Freundschaft, das ist Versklavung an eine Vergangenheit, und das muss angesichts der Ereignisse in Gaza ein Ende haben. Die „besondere Beziehung“ kann kein Gütesiegel für Kriegsverbrechen sein. Deutschland hat kein Recht, den Internationalen Strafgerichtshof, der als Reaktion auf seine Verbrechen eingerichtet wurde, zu ignorieren, indem es darüber debattiert, wann es einen wegen Kriegsverbrechen gesuchten israelischen Ministerpräsidenten einladen soll. Es hat kein Recht, die Klischees der Vergangenheit zu wiederholen und Blumen in Yad Vashem niederzulegen, 90 Autominuten von Khan Yunis entfernt.

Deutschland steht nun vor seiner schwersten moralischen Prüfung seit dem Holocaust. Wenige Wochen nach dem Einmarsch Wladimir Putins in die Ukraine war es Deutschland, das die Sanktionen gegen Russland anführte. Zwanzig Monate nach der Invasion des Gazastreifens hat Deutschland noch immer keine Schritte gegen Israel unternommen, abgesehen von den gleichen Lippenbekenntnissen wie andere europäische Länder.

Deutschland muss sich ändern, nicht trotz seiner Vergangenheit, sondern gerade wegen ihr. Es reicht nicht, dass Bundeskanzler Friedrich Merz sagt, dass die Bombardierung des Gazastreifens nicht mehr zu rechtfertigen sei. Er muss Maßnahmen ergreifen, um sie zu stoppen. Es reicht nicht, dass Außenminister Johann Wadephul sagt, dass Deutschland sich nicht „in eine Lage bringen lassen wird, in der wir Zwangssolidarität zeigen müssen“.

Es ist Zeit, dass Deutschland sich mit den Opfern solidarisch zeigt und sich von den Fesseln der Vergangenheit befreit, die es von den Lehren des Holocaust entfremden. Deutschland kann nicht weiter tatenlos zusehen und sich mit halbherzigen Verurteilungen begnügen. Angesichts der schrecklichen Lage in Gaza ist dies Schweigen – das beschämende Schweigen Deutschlands.

*Auf diesen Kommentar von Gideon Levy hat uns der auch in der Nahostfrage besonders engagierte friedensbewegte Ex-ORF-Journalist Adalbert Krims aufmerksam gemacht.
Man könne „Deutschland“ übrigens auch als „Österreich“ mitlesen, meint Krims wohl zurecht.

„Klare Haltung“?

Österreichs Politik und Medien halten sich bzgl. Kritik an Israels überschießender militärischer Gewalt in Gaza sowie den Plänen zur Vertreibung von Palästinenserinnen und Palästinensern auffallend zurück. Nach einem Appell von Altbundespräsident Heinz Fischer hat Österreichs Regierung endlich eine Stellungnahme abgegeben, verbunden jedoch mit einer eher verhaltenen Ermahnung der israelischen Führung.

Udo Bachmair *

Israels rechtsextreme Regierung setzt den Angriffskrieg gegen Gaza unvermindert fort. Mehr als 50.000 Palästinenser und Palästinenserinnen, unter ihnen zahlreiche Kinder, sind bereits Opfer des brutalen Vorgehens des Netanjahu-Regimes geworden. Ganz zu schweigen von der unendlichen Zahl an Verletzten und Verkrüppelten. Manche Medien und politische Akteure außerhalb Österreichs und Deutschlands sprechen offen und unverblümt von Völkermord.

Völlig anders Österreichs Regierung: Sie hat sich nach langer Zeit des Zuschauens und einseitiger Parteinahme nun zu eher sanfter Kritik an Israels Führung durchgerungen: Netanjahu möge doch so nett sein, geht da sinngemäß hervor, das Völkerrecht zu beachten, dem etwa die geplante „Umsiedelung“ (beschönigendes Wort für „Vertreibung“) widerspreche. Eine im Vergleich zu anderen EU-Staaten übervorsichtige Kritik an der gewalttriefenden und menschenverachtenden Politik des israelischen „Kriegskabinetts“.

Österreichs Regierung habe mit dieser Kritik eine „klare Haltung“ gezeigt, lässt Außenministerin Beate Meinl-Reisinger verlauten. Doch eine klare Haltung, auch Israel zu verurteilen für seine Gräueltaten und nicht nur die Hamas, sieht wohl anders aus. Einem potentiellen Kriegsverbrecher mit solcher Zurückhaltung zu begegnen, spricht ebenfalls für sich. Kommt hinzu, dass es erst des Appells von Altbundespräsident Heinz Fischer bedurft hatte, dass die Regierung sich überhaupt mit deren „klarer Haltung“ zu Wort meldete.

Ein Trauerspiel bzw. Armseligkeit einer österreichischen Außenpolitik, deren Selbstverständnis sich bereits seit Jahren wegbewegt von einer aktiven Friedens- und Neutralitätspolitik.

* Der Kurzkommentar von Udo Bachmair ist wortgleich, allerdings mit dem Titel „Trauerspiel einer österreichischen Außenpolitik“, heute auch in der Tageszeitung „Die Presse“ erschienen. Eine längere Fassung findet sich in der Internetzeitung „Unsere Zeitung-die Demokratische“

Nachlese zum Tag der Pressefreiheit

Am 3. Mai war der Welttag der Pressefreiheit. Österreich ist im Ranking ein paar Plätze nach vorne gerutscht. Ein ermutigendes Zeichen, wenngleich Österreich mit Platz 22 an den hohen Grad an Pressefreiheit in den skandinavischen Ländern bei weitem nicht herangerückt ist.

Ilse Kleinschuster *

Wenn „Medienvielfalt in Gefahr ist“ und „kritischer Journalismus stört“ – und wenn darüber in einer Tageszeitung mit relativ hoher Auflage ausführlich berichtet wird, dann kann doch nicht aller Tage Abend für den Journalismus sein. Siehe DerStandard.at/Wochenende

Was mich aber noch mehr beruhigt – bei allem Verständnis für die Aufgeregtheit um die Gefährdung der Pressefreiheit auch in unseren Breitengraden – ist die am vergangenen Samstag stattgefundene Verleihung des CONCORDIA-Preises an Armin Thurnher im Sitzungssaal des österreichischen Parlaments. Siehe unter: www.derstandard.at/story/3000000267978/fuer-die-freiheit-der-medien-kaempfen-concordia-preise-verliehen

Darüber hinaus freut es mich, dass dieser Preis des Presseclubs Concordia auch verliehen wurde an: Barbara Tóth (Falter) für ihre Aufarbeitung der publizistischen Hetzjagd auf die Journalistin Alexandra Föderl-Schmid, an die Journalisten Christof Mackinger und Johannes Greß für eine Reportage über die Sweatshop-Zustände hinter den Kulissen von Donau-Kreuzfahrten, erschienen im STANDARD.

Ich hoffe, dass die Verbesserung Österreichs im Ranking der Pressefreiheit um zehn Plätze nicht nur der Verschlechterung anderer Staaten zu verdanken ist. Es gibt mir grundsätzlich Vertrauen in unsere kritischen Medien, wenn ich höre, dass sich die Regierung jetzt stärker für medienpolitische Rahmenbedingungen einsetzten will und ich hoffe, dass sich der Journalismus bei uns nicht zu sehr von den Social-Media-Propagandaplattformen hertreiben lässt.

*Gastautorin Ilse Kleinschuster lebt als Journalistin und besonders engagiertes Mitglied der Zivilgesellschaft in Wien

Scheinheiligkeit nach dem Tod des Papstes

Vor wenigen Minuten hat Israels Regierung ein Kondolenzschreiben aus Anlass des Todes von Papst Franziskus wieder zurückgezogen. Der Grund: Die Kritik des verstorbenen Papstes an der brutalen Kriegsführung Israels gegen die palästinensische Bevölkerung von Gaza. Hingegen wird es vielfach als Scheinheiligkeit empfunden, dass ausgerechnet jene Politiker und Medien, die Franziskus für dessen „Linkstendenzen“ immer wieder kritisiert haben, nun in den Chor derjenigen einstimmen, die ihn würdigen.

Wolfgang Koppler*

Schon seltsam, wie man uns jetzt mit Nachrichten und Dokus zum plötzlichen, aber angesichts seines Gesundheitszustandes nicht ganz überraschenden Tod des Papstes überfüttert. Und sich in Scheinheiligkeit ergeht.

Während man zu seinen Lebzeiten jeden seiner Sätze auf die Goldwaage gelegt hat. Von den Attacken im Hinblick auf seine Haltung zum Ukrainekrieg ganz zu schweigen. Kritik an der Nato – unmöglich. Verhandlungen – ein Kniefall gegenüber dem Aggressor und völlig unmoralisch. Einige Journalisten und Politiker hätten sich wohl gewünscht, dass er die an die Ukraine gelieferten Panzer auch noch mit Weihwasser besprengen möge. Wie zur Zeit des 1. Weltkriegs, als lediglich eine Handvoll Intellektueller wie etwa Kraus und Zweig sich dem entgegenstellten. Als einsame Rufer in der militärischen Wüste.

Aber zurück zu Franziskus:
Eine Theologin meinte treffend, er hätte in keine Schublade gepasst. Am ehesten war er wohl eine Mischung aus einem Konservativen und einem Linkskatholiken. Und wollte die Kirche in gewisser Weise ein bisschen zum Urchristentum und damit zu ihren Wurzeln zurückführen. Und vor allen war er ein Mensch, der seine Grenzen kannte. Und jene der tief gespaltenen Kirche. Und so verzichtete er auf Machtworte und aktivierte die Basis durch den von ihm in Gang gesetzten synodalen Prozess, der nicht mehr so leicht aufzuhalten sein dürfte.

Heiligkeit oder gar Scheinheiligkeit war seine Sache nicht. Sodass er die Anrede „Heiliger Vater“ ablehnte und einen Journalisten, der solches versuchte, scherzhaft als „Heiliger Sohn“ titulierte. Befreiungstheologie im besten Sinne, die sich nicht nur gegen Ungerechtigkeit und Armut richtet, sondern auch gegen scheinheiligen Narzissmus und Selbstgefälligkeit. Und uns selbst befreien könnte.

Auch wir sollten unseren infantilen Narzissmus etwas mehr im Zaum halten. Journalisten, die stets mit dem Zeigefinger daherkommen, aber nicht bereit sind, etwas zu riskieren und für die eigene Überzeugung wenigstens gelegentlich gegen den Stachel zu löcken, tun den Medien nicht gut. Und unserer Gesellschaft schon gar nicht.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien