Schlagwort-Archive: Grundsatzfragen

Reflexionen zur Einseitigkeit

Selten, aber doch, erreichen uns Stimmen, die mir als Hauptverantwortlichem der Vereinigung für Medienkultur (linke) Einseitigkeit vorwerfen. Es sind dies vorwiegend Stimmen aus dem rechten politischen Spektrum, das meist auch jede liberale und menschenrechtsorientierte Position links verortet.

Udo Bachmair

Dem Vorwurf, nicht objektiv zu sein, sehen sich besonders ORF-Journalisten immer wieder ausgesetzt. Auch ich war in meiner langjährigen ORF-Laufbahn vereinzelt mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert. Dass in der Berichterstattung keine der politischen Parteien bevorzugt behandelt werden sollte, versteht sich für einen seriösen Journalisten von selbst. Außerdem ist dieser Grundsatz zumindest für den ORF gesetzlich verankert. Eigentlich auch für den außenpolitischen Bereich. Doch dort scheinen Objektivitätskriterien in der journalistischen Praxis weniger ausgeprägt. Ausgewogen hieße, dass auch globale Positionen nicht durch eine bestimmte Brille, in dem Fall durch die westliche, gesehen und beurteilt werden dürften. Auch im Sport- oder im Kulturbereich gilt einseitige Berichterstattung trotz der Vorgaben des ORF-Gesetzes als de facto „legitim“. So werden heimische Sportler im Gegensatz zu ausländischen gleichsam in den Sporthimmel gehoben. Kulturkritik ist in ihrem Selbstverständnis ebenfalls überwiegend parteiisch.

Doch was heißt objektiv und unparteiisch in Grundsatzfragen ? Heißt ausgewogen, in ethischen Fragen „halbe halbe“ zu berichten, also etwa zu 50 Prozent für die Todesstrafe einzutreten und 50 Prozent dagegen ? Oder darf bzw. sollte etwa – wie kürzlich nach einem bedrückenden TV-Film neu diskutiert – zur Hälfte für Folter zur Erlangung eines Geständnisses geschrieben werden, und zur anderen Hälfte dagegen ? Oder wenn es um weitere heikle und sensible Bereiche von Menschenwürde und Menschenrechten geht : Ist es um der Objektivität und Ausgewogenheit willen ethisch und moralisch vertretbar, Menschen in Not (halb) nicht zu helfen ? Konkret etwa den in Nässe und Dreck dahinvegetierenden Flüchtlingskindern von Moria jede Hilfe zu verweigern ? Als einzig effektive Hilfe aus der Not wäre die Aufnahme von zumindest ein paar Notleidenden hier im reichen Österreich. Das als Journalist, als NGOs, als Parteien etc. festzustellen ist als (parteipolitisch) einseitig kritisierbar und kalt abzutun ? Nur weil einige Parteien, wie Teile der SPÖ, die Grünen und vor allem NEOS ebenfalls für eine humanitäre Aktion plädieren ?

Conclusio: In Fragen von Menschen- und Grundrechten erscheint mir „Einseitigkeit“ legitim, nicht nur aus ethischen und moralischen Gründen, sondern auch aus rationell gut begründbaren sachlichen Erwägungen. Daher bin ich einseitig unabdingbar gegen Todesstrafe und Folter, einseitig unabdingbar für Menschenrechte und einseitig unabdingbar für effektive Hilfe Notleidender. Ja, da bekenne ich mich voll zur Einseitigkeit, zur Nicht-Neutralität.

Hingegen klar gegen Einseitigkeit aufzutreten, sollte in der innen- und außenpolitischen Berichterstattung gleichsam Pflicht sein. Da sollte nicht undifferenziert zwischen gut und böse unterschieden werden, zwischen schwarz und weiß, nein, Differenzierung als wesentliches Merkmal von Qualitätsjournalismus müsste das Ziel sein. Das heißt jedoch nicht, dass Kommentare automatisch objektiv und ausgewogen sein müssen, vor allem dann, wenn es um ethische Grundsatzfragen geht. Vor diesem Hintergrund sehe ich auch meine Analysen und Kommentare für die Website der Vereinigung für Medienkultur.

Europäische Werte auf dem Altar nationalistischer Politik opfern ?

Die Tragödie nach dem Brand des Flüchtlingslagers auf Lesbos bewegt die Öffentlichkeit. Nun steigt der Druck von Medien und Politik, dass auch Österreich besonders betroffene Flüchtlingskinder aufnimmt.

Udo Bachmair

Bisher haben sich nur einige EU-Länder bereiterklärt, aus humanitären Gründen völlig entkräftete Flüchtlingskinder aus dem heillos überfüllten, nun abgebrannten Lager Moria auf Lesbos aufzunehmen. Österreich, allen voran Bundeskanzler Kurz, will an der harten Haltung Österreichs festhalten. Mit dem politischen Kalkül, wie Politikanalysten meinen, bei der bevorstehenden Wiener Landtagswahl FPÖ-Stimmen für die ÖVP zu lukrieren. Die unter Erhard Busek und Peter Marboe noch bürgerlich-liberale und weltoffene Wiener ÖVP ist damit Geschichte.

Die deutschen Christdemokraten, die weitgehend christlich-sozial und bürgerlich-liberal geblieben sind, zeigen sich im Gegensatz zu den nach rechts abgedrifteten Kurz-Türkisen bemüht, europäische Werte nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch in konkretem Handeln, zu vertreten. So hat die deutsche Regierung unter der christdemokratischen Kanzlerin Merkel bereits an die 500 Menschen aus Moria aufgenommen. Allein das ebenfalls CDU-regierte Nordrhein-Westfalen will zusätzlich mindestens 1000 Flüchtlinge aufnehmen.

Auch Medien, wie der eher ÖVP-nahe KURIER, mahnen in der Causa Moria entschlossenes Handeln ein. Es bräuchte endlich eine solidarische europäische Politik in dieser Frage, schreibt Wolfgang Friedl in seinem Leitartikel. Der Autor treffend: „Mit dem Migrationsthema lässt sich hervorragend auf Stimmenfang gehen. Populisten jeder Art, manche sitzen mittlerweile an den Schalthebeln der Macht, spielen auf dieser Klaviatur perfekt. Doch will Europa, der Kontinent der Aufklärung und des Humanismus, seine Werte auf dem Altar nationalistischer Politik opfern ?“

Trotz steigenden medialen und politischen Drucks verweigern wie Österreich mehrere andere EU-Staaten die Rettung obdachlos gewordener Flüchtlingskinder aus dem niedergebrannten Lager. Eine Schande. Die grüne Wiener Spitzenkandidatin Birgit Hebein hat sich immer wieder vehement für eine humanitäre Aktion ausgesprochen. Enttäuschend für viele hingegen die Zurückhaltung der Bundesgrünen in dieser Grundsatzfrage.

Dass die Grünen in der Bundesregierung in menschenrechtlichen Grundsatzfragen so zahnlos erscheinen, garantiert zwar den soliden Weiterbestand der Koalition, doch um welchen Preis ? Um den Preis nur mehr halbherzig vertretener und nicht mehr durchsetzbarer Menschenrechte, bloß um des Machterhalts willen ? Bei der Wien-Wahl könnten jedenfalls zahlreiche grüne Stimmen der SPÖ oder vor allem NEOS zufließen, die sich menschenrechtlich besonders engagieren.