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Kriegerische Schlafwandler

Spannungsgeladene Zeiten wie diese mit drohender Steigerung des Gefahrenpotentials erinnern fatal an die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Politik und Medien halten kaum dagegen.

Fritz Edlinger *

Der bei globalbridge veröffentlichte Kommentar von Stefano di Lorenzo hat mich dazu verführt, eines der wichtigsten historischen Werke der letzten Jahre wieder in die Hand zu nehmen und zu schmökern: Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. (Dt. Verlagsanstalt 2012). Es ist – meiner Ansicht völlig zurecht – bereits früher darauf hingewiesen worden, dass die Situation in Europa in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg große Ähnlichkeiten mit den Jahren vor dem russischen Angriff auf die Ukraine am 25.2.2022 aufweist. Um es zu vereinfachen: In beiden Fällen hat es genügend Hinweise auf vorhandene, aber in ihrem Gefahrenpotential (mehr oder minder bewusst) zu wenig beachtete Interessenskonflikte gegeben. Ich darf mir erlauben, aus der Einleitung des mit 895 Seiten äußerst umfangreichen Werkes des in Cambridge lehrenden australischen Historikers zu zitieren:

„Seit Ende des Kalten Krieges ist an die Stelle des Systems globaler, bipolarer Stabilität ein weit komplexeres und unberechenbareres Gefüge an Kräften getreten, einschließlich einiger Reiche im Niedergang und aufsteigender Mächte – ein Zustand, der zum Vergleich „Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mmit der Situation in Europa anno 1914 geradezu einlädt.“ (S. 15).

„Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mit der Frage, warum der Krieg ausbrach, als damit, wie es dazu kam.“ (S. 17).

Vor allem das zweite Zitat erinnert mich auch an den völlig unsinnigen und polemischen Vorwurf an manche Analysten und Kommentatoren, sie seien „Putinversteher“. Wie bereits des öfteren festgestellt, bedeutet Verstehen nicht Akzeptieren und Unterstützen sondern einfach Entwicklungen und Situationen zu analysieren, eben zu verstehen. Dies ist meines Erachtens viel zu wenig getan worden und wird auch weiterhin sträflich vernachlässigt, sodass Europa 2022 in einen Konflikt getaumelt ist, der schon 1914 katastrophale Folgen gehabt hat und dies auch diesmal tun wird. Bei etwas mehr Kenntnis der Probleme und der unterschiedlichen Interessen und bei größerem politischen Willen, eine neuerliche Katastrophe unermesslichen Ausmaßes verhindern zu wollen, wäre dies vielleicht doch zu vermeiden gewesen.

So droht also Europa innerhalb von einem Jahrhundert bereits zum dritten Male zum Auslöser und großteils auch zum Schauplatz eines Weltkrieges zu werden. Aber eines ist meines Erachtens unbestritten: Trotz der durch nichts zu rechtfertigenden Tatsache, dass Russland diesen schrecklichen Krieg ausgelöst hat, so konnte man die Zeichen an der Wand sehr wohl bereits in den Jahren zuvor erkennen, konnte und/wollte dies aber nicht tun. Somit ist die Mitverantwortung mancher europäischer Staaten, vor allem aber auch der USA, nicht von der Hand zu weisen.

Doppelstandards als Prinzip der geopolitischen Realitäten

Im Ukrainekonflikt kommt auch ein weiteres Element der Geopolitik, welches in krassem Gegensatz zu den formellen nach 1945 vereinbarten völkerrechtlichen Spielregeln (Charta der Vereinten Nationen, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) steht, wieder einmal zum Vorschein: Doppelstandards. Es ist ganz offensichtlich, dass es nach dem Prinzip von „Quod licet Iovi not licet bovi“, weltweit und global zweierlei Recht gilt. Dass die Schöpfer der 2. Weltkriegsnachordnung selbst gewisse legale Umgehungsmöglichkeiten nicht vermeiden wollten oder konnten beweist z.B. die Regelung, dass im völkerrechtlich entscheidenden Gremium der UNO, dem Sicherheitsrat, fünf Mitgliedern (USA, Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion/Russland, China) Vetorechte eingeräumt worden sind. Damit konnten diese fünf Mächte ihnen nicht genehme verbindliche Beschlüsse verhindern. Dass es darüber hinaus vor allem von diesen Fünf auch immer wieder zur Umgehung des Sicherheitsrates gekommen ist, erinnert uns daran, dass es noch immer genügend Bedarf zu globaler Gleichberechtigung gibt.

Um mit einem kleinen Prinzip Hoffnung zu schließen: Die USA, welche seit 1945 dieses Vetorecht wohl am häufigsten angewandt haben, könnten im Hinblick auf den Angriff Israels auf den palästinensischen Gazastreifen jenen Staaten, welche seit vielen Jahren auf eine Veränderung der Machtstrukturen bei den Vereinten Nationen hinarbeiten, indirekte und nicht-gewollte Schützenhilfe geben. Die Stimmenthaltung bei der jüngsten Resolution, welche unter anderem zu einem sofortigen Waffenstillstand in Gaza aufgerufen hat, könnte durchaus den Bemühungen um die dringend benötigte Reform der UNO neue Dynamik verleihen. In diesem Sinne verweise ich auf den verlinkten Bericht von Al Jazeera.

Links:

Gehen auch wir schlafwandelnd in einen dritten Weltkrieg?

https://www.aljazeera.com/news/2024/3/26/will-the-un-ceasefire-resolution-stop-israels-war-on-gaza

* Gastautor Fritz Edlinger ist Herausgeber und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift INTERNATIONAL www.international.or.at

Wertvolle Entdeckungen

Abgesehen von Christopher Clarks ausgezeichnetem Buch „Die Preußen“- bekannt wurde bei uns der Australier u. Professor für Geschichte in Cambridge durch sein Buch über den 1. Weltkrieg „Die Schlafwandler“- wandte ich mich nun – ermüdet von vielen Wiederholungen in Medien- der Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“ zu, las eine Reihe davon und entdeckte Wertvolles.

Hans Högl

Eine Kolumne betrifft Medienkultur im engsten Sinne. Der Titel lautet: „Meinung ohne Ahnung. Das glaube ich nicht“. Meinungsfreiheit gehört zu den höchsten Gütern der Demokratie. Meinungsfreiheit wird so hochgeschätzt, dass niemand um eine Begründung gefragt wird. Es gibt ein leichtfertiges Spiel mit Meinungsfreiheit (z.B. über Impfschutz, Einsatz fossiler Energie und Gentechnik). Wer solides Wissen anbietet, sorgt dafür, dass Leute weghören.

Eine Meinung zu haben, ist einfacher und kommt beim Publikum meist gut an. Laute Überzeugungen besiegen stille Argumente. Das hohe Gut der Meinungsfreiheit verkommt zu ahnungsloser Beliebigkeit, schreibt Ernst Fischer, Professor in Heidelberg für Wissenschaftsgeschichte.

„Die Probleme der Welt meistern“ ist Titel eines Heftes in „Bild der Wissenschaft“. Es geht um Klimawandel, Artensterben, Müllberge und anderes. Davon nun Kurzbeiträge:

a) Seit mindestens 40.000 Jahren ist Homo sapiens als kulturelles Wesen zu Höchstleistungen fähig. Wir haben 7.000 Sprachen geschaffen, rund 1200 Musikinstrumente, vielerlei Tanzformen und Malstile und Dutzende Wissenschafsdisziplinen. (Einwand: Gegen Kriege fanden wir noch kein dauerhaftes Mittel.)

b) 9,4 Billionen KW-Stunden bringen Bäume auf der Erde jedes Jahr auf, um Wasser von den Wurzeln bis in die Baumkrone zu transportieren. Das ist soviel an Energie wie aus globaler Wasserkraft entsteht.

c) In Norwegen waren im ersten Halbjahr 2022 fast 80 % der Neuzulassungen reine Elektroautos. Solar- und Windstrom sind nun billiger als Kohlestrom. Die Kosten für E-Autos sinken.

d) Laut „Global Footprint Network“ nutzen wir Ressourcen unseres Planeten schon 1,7 mal so schnell, wie sie sich regenerieren. Und wenn es so weiter geht, brauchen wir bis 2050 drei Erden. Die Zeit läuft ab – darauf verweist das Buch von Mojib Latif mit dem Titel „Countdown“ (Spiegel-Bestseller). Das 1,5-Grad-Ziel werden wir de facto nicht mehr erreichen. Der Autor appelliert an Politiker, global zu denken.

e)In deutschen Großstädten setzt sich immer mehr das neue Arbeitsplatzmodell durch Coworking Spaces durch. (NB. Ich sah selbst eines in der steirischen Marktgemeinde Bad Mitterndorf).

f)Forscher suchen die Arteriosklerose, die häufigste Todesursache, zu bekämpfen. Nicht nachplappern – nachschauen war Motto von Leonardo da Vinci. Ab 1487 sezierte er Leichen (auch von Frauen) und skizzierte um 1507 als Erster den Sachverhalt der Arteriosklerose (der Terminus für Gefäßerkrankung wurde erst 1829 von Johann Lobstein geprägt).

Bei der Arteriosklerose bilden sich in den Wänden arterieller Blutgefäße Ablagerungen /genannt Plaques. Schließt sich ein Gefäß im Hirn, folgt ein Schlaganfall, schließt sich ein kaum stricknadeldünnes Blutgefäß, die den Herzmuskel versorgen, kommt es zum Herz-Infarkt.