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Kriegerische Schlafwandler

Spannungsgeladene Zeiten wie diese mit drohender Steigerung des Gefahrenpotentials erinnern fatal an die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Politik und Medien halten kaum dagegen.

Fritz Edlinger *

Der bei globalbridge veröffentlichte Kommentar von Stefano di Lorenzo hat mich dazu verführt, eines der wichtigsten historischen Werke der letzten Jahre wieder in die Hand zu nehmen und zu schmökern: Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. (Dt. Verlagsanstalt 2012). Es ist – meiner Ansicht völlig zurecht – bereits früher darauf hingewiesen worden, dass die Situation in Europa in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg große Ähnlichkeiten mit den Jahren vor dem russischen Angriff auf die Ukraine am 25.2.2022 aufweist. Um es zu vereinfachen: In beiden Fällen hat es genügend Hinweise auf vorhandene, aber in ihrem Gefahrenpotential (mehr oder minder bewusst) zu wenig beachtete Interessenskonflikte gegeben. Ich darf mir erlauben, aus der Einleitung des mit 895 Seiten äußerst umfangreichen Werkes des in Cambridge lehrenden australischen Historikers zu zitieren:

„Seit Ende des Kalten Krieges ist an die Stelle des Systems globaler, bipolarer Stabilität ein weit komplexeres und unberechenbareres Gefüge an Kräften getreten, einschließlich einiger Reiche im Niedergang und aufsteigender Mächte – ein Zustand, der zum Vergleich „Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mmit der Situation in Europa anno 1914 geradezu einlädt.“ (S. 15).

„Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mit der Frage, warum der Krieg ausbrach, als damit, wie es dazu kam.“ (S. 17).

Vor allem das zweite Zitat erinnert mich auch an den völlig unsinnigen und polemischen Vorwurf an manche Analysten und Kommentatoren, sie seien „Putinversteher“. Wie bereits des öfteren festgestellt, bedeutet Verstehen nicht Akzeptieren und Unterstützen sondern einfach Entwicklungen und Situationen zu analysieren, eben zu verstehen. Dies ist meines Erachtens viel zu wenig getan worden und wird auch weiterhin sträflich vernachlässigt, sodass Europa 2022 in einen Konflikt getaumelt ist, der schon 1914 katastrophale Folgen gehabt hat und dies auch diesmal tun wird. Bei etwas mehr Kenntnis der Probleme und der unterschiedlichen Interessen und bei größerem politischen Willen, eine neuerliche Katastrophe unermesslichen Ausmaßes verhindern zu wollen, wäre dies vielleicht doch zu vermeiden gewesen.

So droht also Europa innerhalb von einem Jahrhundert bereits zum dritten Male zum Auslöser und großteils auch zum Schauplatz eines Weltkrieges zu werden. Aber eines ist meines Erachtens unbestritten: Trotz der durch nichts zu rechtfertigenden Tatsache, dass Russland diesen schrecklichen Krieg ausgelöst hat, so konnte man die Zeichen an der Wand sehr wohl bereits in den Jahren zuvor erkennen, konnte und/wollte dies aber nicht tun. Somit ist die Mitverantwortung mancher europäischer Staaten, vor allem aber auch der USA, nicht von der Hand zu weisen.

Doppelstandards als Prinzip der geopolitischen Realitäten

Im Ukrainekonflikt kommt auch ein weiteres Element der Geopolitik, welches in krassem Gegensatz zu den formellen nach 1945 vereinbarten völkerrechtlichen Spielregeln (Charta der Vereinten Nationen, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) steht, wieder einmal zum Vorschein: Doppelstandards. Es ist ganz offensichtlich, dass es nach dem Prinzip von „Quod licet Iovi not licet bovi“, weltweit und global zweierlei Recht gilt. Dass die Schöpfer der 2. Weltkriegsnachordnung selbst gewisse legale Umgehungsmöglichkeiten nicht vermeiden wollten oder konnten beweist z.B. die Regelung, dass im völkerrechtlich entscheidenden Gremium der UNO, dem Sicherheitsrat, fünf Mitgliedern (USA, Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion/Russland, China) Vetorechte eingeräumt worden sind. Damit konnten diese fünf Mächte ihnen nicht genehme verbindliche Beschlüsse verhindern. Dass es darüber hinaus vor allem von diesen Fünf auch immer wieder zur Umgehung des Sicherheitsrates gekommen ist, erinnert uns daran, dass es noch immer genügend Bedarf zu globaler Gleichberechtigung gibt.

Um mit einem kleinen Prinzip Hoffnung zu schließen: Die USA, welche seit 1945 dieses Vetorecht wohl am häufigsten angewandt haben, könnten im Hinblick auf den Angriff Israels auf den palästinensischen Gazastreifen jenen Staaten, welche seit vielen Jahren auf eine Veränderung der Machtstrukturen bei den Vereinten Nationen hinarbeiten, indirekte und nicht-gewollte Schützenhilfe geben. Die Stimmenthaltung bei der jüngsten Resolution, welche unter anderem zu einem sofortigen Waffenstillstand in Gaza aufgerufen hat, könnte durchaus den Bemühungen um die dringend benötigte Reform der UNO neue Dynamik verleihen. In diesem Sinne verweise ich auf den verlinkten Bericht von Al Jazeera.

Links:

Gehen auch wir schlafwandelnd in einen dritten Weltkrieg?

https://www.aljazeera.com/news/2024/3/26/will-the-un-ceasefire-resolution-stop-israels-war-on-gaza

* Gastautor Fritz Edlinger ist Herausgeber und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift INTERNATIONAL www.international.or.at

Nachdenken über echte Menschenwürde

Über die Krise der Menschenrechte ist in letzter Zeit viel berichtet worden. Reflexionen über echte Menschenwürde haben dabei jedoch weitgehend gefehlt.

Wolfgang Koppler *

75 Jahre sind es nun her seit der Erklärung der Menschenrechte durch die UNO. Am 10.12.1948 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in einer Resolution verkündet. Die Medien haben sich diesem Jahrestag in zahlreichen Beiträgen gewidmet, die – soweit ersichtlich – fast alle zu dem Schluss kommen, dass die Menschenrechte in einer Krise stecken.

Auch UNO-Generalsekretär Guterres kommt in einem am Dienstag in der ORF-Sendung ZiB2-History ausgestrahlten Interview zu dem Schluss, dass bei der Verwirklichung der Menschenrechte schon seit Längerem mehr Rückschritte als Fortschritte zu verzeichnen sind. Gefährdet sei schon einmal das wichtigste Grundrecht, nämlich jenes auf Leben. Sieht man sich die Leichtfertigkeit an, mit welcher in zahlreichen Kriegen Menschenleben geopfert werden – ob von Verteidiger- oder Angreiferseite – muss man Guterres Recht geben. Da zählen auch Hunderttausende Tote wenig. Von Hunger und Armut in den so genannten Entwicklungsländern (die durch Kriege und Klimakrise verschärft werden) ganz zu schweigen.

Da werden Menschenrechte oft zum leeren Wort. Das Recht auf Leben und erst recht zivile und politische Rechte. Kein Wunder, wenn dann jene, die sich`s leisten können, in die materielle Selbstverwirklichung fliehen. Und demokratische Mitbestimmung geringschätzen.

Alle Menschen sind gleich an Würden und Rechten geboren…Ganz kalt lässt uns der Satz in der Präambel trotzdem nicht. Schon rein intuitiv würde dem jeder Mensch zustimmen. Es ist unser aller Sehnsucht nach Menschlichkeit. Erst wir Europäer schafften es, aus Menschen eine Sache zu machen. Das römisch-rechtliche Denken konstruierte Sklaven als Sache, was den Sklavenhandel wesentlich erleichterte. Bis weit ins 19.Jahrhundert.

Und unser materialistisch-naturwissenschaftliches Denken lieferte die Voraussetzungen, Menschen abzuwerten.
Wurde nicht auch der Rassismus naturwissenschaftlich begründet ? Oder die angeblich geringere Intelligenz der Frauen ? Und liefern wir nicht auch jetzt noch rationale Begründungen für die angebliche Überlegenheit des neoliberalen Kapitalismus ? Obwohl er nicht nur die Welt, sondern auch unsere eigenen Gesellschaften und die Demokratie ruiniert ?

Wir versachlichen alles. Auch den Staat als res publica. Statt als lebendiges Gemeinwesen.

Es ist Zeit, über echte Menschenwürde nachzudenken. Über globale Werte. Im Rahmen der UNO.

Sie könnten vielleicht die Grundlage für die Erklärung der Menschenrechte liefern. Ob man Letztere nun aktualisiert oder nicht.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist. Er lebt in Wien.

Das Ende der Menschenrechte?

Die ORF-Sendereihe PUNKT EINS des renommierten Radiosenders Ö1 ist zum Fixpunkt interessanten und spannenden Hörerlebnisses geworden. Thema der jüngsten Sendung waren die Menschenrechte.

*Ilse Kleinschuster

Nun, der Zeitpunkt für eine Suche nach den Menschenrechten war schon besser – aber, die Hoffnung stirbt zuletzt! Nach einer „Gemeinsamen Sicherheit“ wird immerhin noch gesucht!
Ist es denn wirklich nicht möglich, aus den UNO-Berichten der 1980-er Jahre, insbesondere dem Bericht der Palme-Kommission, auch für die gegenwärtige Lage Anhaltspunkte für das angemessene Herangehen an die existentiellen Menschheitsprobleme des 21.Jhts. zu finden? Wenn nun die Politik der Weltmächte zunehmend versagt, dann muss heute doch der Druck zur Umsteuerung von unten, aus den Völkern bzw. den Zivilgesellschaften kommen.

Auch wenn der Palme-Bericht II aus dem Jahr 2022 einen konkret formulierten Appell an die Weltgemeinschaft enthält, „die internationale Ordnung in den Griff zu bekommen, um Kriege zu verhindern, die globale Erwärmung aufzuhalten, Pandemien zu bekämpfen und globale Herausforderungen zu bewältigen“, so ist das zwar löblich, aber ohne einen sanktionsfähigen Internationalen Gerichtshof offensichtlich nicht möglich.

Wie wäre es die UNO zu stärken (finanziell z.B. durch Abgaben der großen Konzerne auf die Gemeingüter an die Staaten (Staatendividende) – oder, eine UN-Sonderversammlung zu den Themen Abrüstung, Entspannung und Sicherheit damit zu beauftragen, eine jährliche Senkung der Militärausgaben verbindlich festzulegen, um die freiwerdenden Mittel für die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung des Übergangs zu klimafreundlicherem Wirtschaften und der generellen Friedenskonsolidierung zu verwenden?

Ich finde, Europa als Wiege der Aufklärung und der „UN-Menschenrechtserklärung“ käme dabei eine besondere Rolle zu, ich höre aber zumeist nur Kriegsgeschrei, umso mehr möchte ich hier und jetzt auf die Rolle einer starken Friedensallianz aufmerksam machen, der Sie auch beitreten können: www.abfang.org

*Gastautorin Ilse Kleinschuster ist aktives Mitglied der Zivilgesellschaft. Die von ihr erwähnte Ö1-Sendung zum Thema Menschenrechte können Sie unter folgendem Link nachhören:

www.oe1.orf.at/programm/20231103#739105/Das-Ende-der-Menschenrechte

EU auf Kriegslogik-Kurs

Nicht nur seitens Russlands, auch seitens der EU überwiegt Kriegsrhetorik. Mit tatkräftiger Medien-Unterstützung.

Udo Bachmair

Es ist ein Jammer. Kein Ende des Kriegs gegen die Ukraine ist absehbar. Kriegspropaganda auf beiden Seiten vernebeln den Blick auf höchst nötige Friedensinitiativen. Der Aggressor Russland verharrt in Starre. Aber auch seitens der „Friedensunion“ EU fehlen jegliche Signale, die auf Bemühungen zur Entspannung der Lage hindeuten könnten. Ganz im Gegenteil: Nach dem Vorbild der USA und der NATO mangelt es auch der EU an auch nur bescheidenen Versuchen, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen. So wird Kommissionspräsidentin von der Leyen nicht müde, täglich ihre Hasstiraden Richtung Moskau abzusetzen, sonst nichts. Damit werden noch mögliche letzte Reste einer Gesprächsbasis mit dem russischen Präsidenten restlos zunichte gemacht.

Kein einziges nichtmilitärisches Konzept der EU, kein einziger sinnvoller Vorschlag zur Konfliktbeilegung liegt vor. Was bleibt, ist die „Strategie“, die Ukraine weiter massiv aufzurüsten. Brandgefährlich.

Schwere Waffen, schwere Waffen, schwere Waffen, so lautet das Mantra Brüssels, das sehenden Auges eine weitere Eskalation in Kauf nimmt.

Die Enttäuschung über die Union wächst, die im Gegensatz etwa zur UNO ausschließlich in miliärischen Optionen und medial eifrig unterstützter Feindbildpflege ihr Heil sieht. Für alternative Lösungsansätze fehlen sowohl Phantasie wie auch Intellekt.

Enttäuschend auch, dass der bisher besonnene deutsche Kanzler Olaf Scholz nun doch dem Druck nachgegeben und grünes Licht für die Lieferung schwerer Waffen im Ukraine-Einsatz gegeben hat. Vergessen dabei wird, dass dies Russland als Kriegserklärung des Westens betrachten kann. Ganz abgesehen vom historisch sensiblen Aspekt der schweren Hypothek der NS-Vergangenheit, in der 20 Millionen russische Zivilisten Opfer der deutschen Wehrmacht wurden..

Die Vorgangsweise des Westens unter der kranken Logik „Schwere Waffen-Frieden schaffen“ sind jedenfalls als fahrlässiges und eskalierendes Unterfangen Deutschlands und der angeblich friedlichen EU einzuschätzen.

Ähnliche Sorgen umtreibt auch Fritz Edlinger, Herausgeber und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift „International“ deren jüngste Ausgabe soeben erschienen ist. www.international.or.at

Für die Wiener Zeitung hat Edlinger zu r Causa folgenden Kommentar verfasst :

Alternativen zum „Sieg auf dem Schlachtfeld“ suchen

Fritz Edlinger

Die EU betrachten viele als höchst erfolgreiches Friedensprojekt. Dies bekräftigte auch 2012 die Verleihung des Friedensnobelpreises international. Ruft man sich die jüngsten Stellungnahmen führender EU-Vertreterinnen und -Vertreter in Erinnerung (Außenbeauftragter Josep Borrell: „Dieser Krieg wird auf dem Schlachtfeld gewonnen werden“), ist die EU allerdings auf dem besten Weg, Friedenspolitik neu zu definieren

Mit den massivsten jemals verhängten Wirtschaftssanktionen und -zig Milliarden Euro an Waffenhilfe soll der Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld garantiert und der Aggressor Russland besiegt werden. Zögerliche Politiker wie der deutsche Kanzler, der sich offensichtlich noch an Willy Brandts Ostpolitik erinnern kann, werden von den Medien und auch den eigenen Koalitionspartnern heftig kritisiert. Man fühlt sich an „Die letzten Tage der Menschheit“ („Serbien muss sterbien!“, „A jeder Russ? An Schuss!“) erinnert. Auch die weitgehend gleichgeschaltete mediale Berichterstattung leistet ihren Beitrag zur verstärkt auf militärische Stärke ausgerichteten „Sicherheits“-Politik der EU.

In diesem Zusammenhang ist es sicher kein Zufall, dass in der europäischen Berichterstattung die pazifistische ukrainische Widerstandsbewegung so gut wie nirgends vorkommt. Sie passt einfach nicht ins militaristische Konzept der Proponenten der US/Nato-Sicherheitsdoktrin, die leider auch die politische Führung in Kiew teilt.

Aber es gibt Alternativen. Es ist keine Frage, dass die russische Invasion aufs Schärfste zu verurteilen ist. Trotz oder gerade wegen des Heldentums der ukrainischen Bevölkerung sowie der perfekten medialen Inszenierung des Präsidenten Wolodomyr Selenskyj und seiner mitunter recht anmaßend agierenden internationalen Vertreterinnen und Vertreter, vor allem aber angesichts der unvorstellbaren menschlichen und materiellen Opfer des ukrainischen Volkes sollte man doch den Mut aufbringen, die dominante bellizistische Logik infrage zu stellen.

Um gleich bei der Europäischen Union zu bleiben, so stünde es gerade dieser Friedensnobelpreisträgerin gut an, die jüngste Initiative von UN-Generalsekretär António Guterres in Richtung eines sofortigen humanitären Waffenstillstandes ohne Wenn und Aber zu unterstützen, gegebenenfalls sich sogar daran zu beteiligen. Ein gemeinsamer Besuch von Guterres mit EU-Ratspräsident Charles Michel in Kiew und Moskau wäre zweifellos sinnvoller als die zahllosen Solidaritätsbesuche von EU-Granden in Kiew und wenigen Sondierungstelefonate mit Moskau.

Es stünde auch dem immerwährend neutralen Österreich gut an, sich verstärkt an der Diskussion über Alternativen zum – bis zum endgültigen Sieg geführten – Krieg zu beteiligen. Und sich auch schon Gedanken über die Nachkriegsordnung zu machen. Noch besser wären konkrete friedensschaffende Maßnahmen. Zum Beispiel könnte man zumindest einen Teil der gigantischen Ausgaben für Waffen zur Planung des Wiederaufbaues verwenden, Österreich könnte etwa Geld und Personal für die konkrete Ausarbeitung eines zukünftigen Neutralitätskonzeptes anbieten. Es gäbe also genügend Möglichkeiten, mehr als weitere Waffen zu finanzieren.

Verletzung des Völkerrechts nur in China?

Erstaunliche Kritik an Menschenrechtsverletzungen des Westens

Hans Högl: Buchrezension. Nils Melzer (2021): Der Fall Assange. Geschichte einer Verfolgung, München. Piper, 1. Aufl.

Bei der Olympiade wird auf Verletzungen der Menschenrechte in China hingewiesen. Mit Recht. Aber wir im Westen sollten auch selbstkritisch sein. Nils Melzer ist Völkerrechtsprofessor, ernannt zum UNO- Sonderberichtserstatter für Folter, ein unbezahltes Ehrenamt. Der gebürtige Schweizer Melzer befasst sich schon 20 Jahre mit dem Kriegsvölkerrecht (p.14) und hat auf vier Kontinenten Gefangene, Häftlinge und Angehörige besucht.Er war Rot-Kreuz-Delegierter in Kriegsgebieten.

Das Buch „Der Fall Assange“ (2021) berichtet auf 336 Seiten von der Untersuchung dieses Falles. Anfangs wollte Melzer dies nicht – weil negativ voreingenommen durch Medienberichte, in denen Assange als „Vergewaltiger, Hacker, Spion und Narzist“ punziert wurde (p. 30). Doch dann untersuchte er den Fall Assange zwei Jahre und rund 10.000 Seiten Verfahrensakte und Korrespondenz.

„Ich schreibe dieses Buch, weil ich bei meiner Untersuchung des Falles Julian Assange auf konkrete Hinweise von politischer Verfolgung, schwerer Justizwillkür und vorsätzlicher Folter und Misshandlung gestoßen bin. Die betroffenen Staaten weigern sich aber, bei der Aufklärung dieser Hinweise mir mir zu kooperieren und die völkerrechtlich verlangten Untersuchungsmaßnahmen einzuleiten.“ (p. 14).

„Ich habe allen vier direkt involvierten Staaten – Großbritannien, Schweden, Ecuador und den USA…mehrfach meine Bedenken kundgetan, Klarstellungen verlangt und konkrete Maßnahmen empfohlen. Keine der vier Regierungen war bereit, sich auf einen konkreten Dialog einzulassen.“ (p. 14f). „Auch innerhalb der UNO-Systems erhielt ich – abgesehen von …Einzelpersonen- kaum Unterstützung“(p.14f.) -auch nicht von der Hochkommissarin für Menschenrechte. Da er innerhalb des Systems nicht weiterkam, entschloss er sich zu diesem Buch.

Seine Folgerung: An Assange soll ein Exempel statuiert werden- zur Abschreckung aller, die die schmutzigen Geheimnisse der Mächtigen ans Licht bringen wollen. Die Bedeutung des Falles Assange macht ein Systemversagen sichtbar, das die Integrität demokratisch-rechtsstaatlicher Institutionen „in schwerer Weise untergräbt“( p. 15f) Für Melzer ist der Fall Assange „die Geschichte schwerster Justizwillkür in westlichen Demokratien, die sich im Bereich des Menschenrechtsschutzes sonst gerne als Vorzeigestaaten darstellen“ (p. 16).

Total-Kritik aus dem Hinterhalt

Hans Högl

Jeden Sonntag in der „Krone“, der meist gelesenen Zeitung Österreichs“ und der westlichen Welt,erscheint der Kommentar „Offen gesagt“ von Dr. Tassilo Wallentin. Er kritisiert darin Alles und Jedes, und die Fangemeinde folgt ihm. Mit Wucht schleudert er uns seinen Kommentar „um die Ohren!“ Nichts „passt“ ihm: Seine Hauptfeinde sind die EU, die Europäische Zentralbank, die Bargeld-Abschaffer, der internationale Handel. Wer wird nicht disqualifiziert, in Grund und Boden verdammt? Doch da und dort hat er recht, das ist verführerisch: Handelt nicht die EZB bedenklich, macht nicht die EU Fehler?

Er will nichts bessern, reformieren. Dann müsste er das Pro und Kontra abwägen. Nein – er will Anderes, nur was denn wirklich? Oder ist ist dies nur hohles Krawall-Schlagen, um die Menge Benachteiligter zu befriedigen? Also Bestätigung von Ressentiments? Als ich berichte, mich mit Dr. Wallentin zu befassen, sagt mir ein Politologe: „Das lohnt sich nicht. Er will das bestehende System destabilisieren„. Was heißt: Indem er es gnadenlos kritisiert, unterminiert er eine tragende Säule nach der anderen in unserem Demokratie-Gebäude – bis es vielleicht einstürzt. Es kann sein, dass er sich dessen gar nicht bewusst ist, aber seine Kommentare sind „Wirkungsformen“!

Die Sonntagsbeilage der „Krone“ ist bunt, mit schönen Landschaften, volkstümlichen Trachten, mit Worten zum Sonntag vom Herrn Kardinal, mit Erotiktipps und Reisebildern. Die Leserinnen und Leser genießen es entspannt, und da schleicht sich das verborgene Gift der Worte von Tassilo ein und schlägt messerscharf in die sanft gestimmte Sonntagsherzen.

Die Kritik am „System“ war ein Kampfbegriff in den 30-iger Jahren: Und da sich damals die Demokratien durch den Streit allzu kleiner Parteien lähmten, schlug die Stunde und tödliche Chance einer einzigen Partei. Wollen wir das? Will es die „Krone“? Die Ibiza-Affäre hat deren Chefredakteur nachdenklich gemacht. Was ist Absicht, was kommerzielle Berechnung? Es ist schwer, dies auseinander zu dividieren.

Dr. Tassilo Wallentin macht die Leute (noch) unzufriedener, redet eine Katastrophe herbei. Lohnt es sich darum, wie in meinem vorigen Beitrag, sich mit seinen Dogmen zu befassen? Er will bei uns nicht die Schweizer Demokratie einführen, sondern beweisen: Wir haben keine Demokratie! Sein Echo findet sich in „Krone“-Leserbriefen.

Verdacht schöpfte ich, als Tassilo W. forderte, die UNO abzuschaffen. Ich schrieb ihm, dass Hitler gleich nach Ergreifen der Macht sich von internationalen Bindungen und Organisationen löste, um freie Hand zu haben. Darauf bekam ich von Dr. Wallentin keine Antwort. Die Kommentare von ihm in „offen gesagt“ sind eben nicht offen. Er hat eine andere Agenda: Er will unser politisches System kippen und aushebeln, er übt Totalkritik aus dem Hinterhalt. Was wird dann besser?

Essay zur Nuklearrüstung. Hiroshima-Tag

Gabriele Prohaska-Marchried,

Friedensaktivistin, Drehbuchautorin. Ihr Roman: „Das schöne Lied der Marie Anne Mozart“

Tagaus, tagein kein Medium ohne das Flüchtlingsthema: als Flüchtling von Seite 1 mitunter fremdländisch suspekt, nicht selten als furchterregendes Phantom durchs Netz geisternd. Der wirklich große Schrecken hingegen bleibt zumeist ausgeblendet: das verschärfte Risiko eines unbeabsichtigten oder beabsichtigten Atomschlags, zu dessen Herbeiführung Atom-U-Boote, strategische Bomber und Raketensprengköpfe „modernisiert“ werden. (So erhalten etwa Interkontinentalraketen nunmehr statt bisher je einen Atomsprengkopf atomare Mehrfachsprengkörper mit unterschiedlichen Zielkoordinaten.)

Die USA, Russland und China rittern um militärische Dominanz zu Wasser, Luft und Erde und im Weltraum. Welche Atommacht denkt da noch an die Umsetzung von Artikel VI des Atomwaffensperrvertrages mit der Verpflichtung zur raschen und vollständigen Abrüstung von Nuklearwaffen? (Bemerkung am Rande: Ist es in Anbetracht der Militarisierung des Weltraums nicht an der Zeit, auch „Weißt Du, wie viel Sternlein stehen…?“ zu modernisieren?) Essay zur Nuklearrüstung. Hiroshima-Tag weiterlesen