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Multitasking und „hirngerecht“ arbeiten

Hans Högl. Buchrezension

Hufnagl Bernd: Besser fix als fertig. Hirngerecht arbeiten in der Welt des Multitasking, Graz 2014. (Molden).

Dieses Buch ist für den Bereich „Medienkultur“ von mehrfachem Interesse. Es bietet solide wissenschaftliche Kenntnisse und diese sind sehr klar formuliert. Und Wissenschaft wird in den Dienst der Menschen gestellt. Ferner geht Hufnagl in seiner Analyse auf den Alltagsgebrauch moderner Medien ein, das ein zentrale Thema der „Medienkultur“ ist. Das Buch hat 187 Seiten, eine kurze Literaturliste, vielleicht wäre ein Index hilfreich.

Ich lernte Bernd Hufnagl, den Neurobiologen und Hirnforscher, bei der bereits angeführten Tagung in St.Pölten kennen und schätzte seinen lebendigen Vortrag. Das bewog mich, auch sein Buch zu studieren. Nun: Hirnforschung ist alles andere als ein leichtes Thema, aber es gelingt dem Autor die neuen Forschungsergebnisse verständlich zu vermitteln und praxisorientierte Folgerungen zu ziehen. So berät der Autor mit seiner Agentur größere Unternehmen, weil sie vielfach „nicht hirngerecht“ arbeiten, nicht sinnvoll mit den modernen Kommunikationsmitteln umgehen. Ähnliches trifft für uns als Privatpersonen zu.

Vor allem engt das Gefühle der permanenten Erreichbarkeit die freie Entscheidung ein. Und das ständige Unterbrochen werden im Arbeitsprozess und der häufige Wechsel von einer Aufgabe zur anderen führt zu großem Zeit- und Energieverlust und dazu, dass während einer Arbeitswoche effektiv nur zweieinhalb Tage gearbeitet wird.

Wichtig findet der Autor, das selbstmitleidende Reflektieren über Ursachen zu beenden. Der Prozess kann so in die nächste Phase übergehen:dem Nachdenken über mögliche Lösungen und Auswege und deren Umsetzung in konkrete Handlungen (p. 79 f.). So erkennen wir, dass wir für unser Lebensglück m i t-verantwortlich sind. In einer emotionalen Falle sitzen jene, die zu lange in ihrer Opferrolle verweilen und dabei eines lernen, je bedauernswerter sie auf andere wirken, desto eher wird ihnen geholfen. Damit entsteht eine emotionale Abhängigkeit von der Hilfestellung und dem Mitleid anderer, die man durch ständige Formulierung des Problems (mit klaren Dramatisierungstendenzen) aufrecht erhält.

Es geht also darum, die Opferrolle zu verlassen und festzustellen: Es ist nun einmal so passiert (also in diesem Sinne Akzeptanz der Situation!), dann gilt es selbst die (Mit) Verantwortung zu übernehmen und lösungsorientiert vorzugehen und die Zukunft zu planen. Daraus ergibt sich Optimismus und Vertrauen und erhöhte Resilienz (Umgehen Können mit Misserfolg).

Bei diesen Folgerungen musste ich auch an Politik denken, in welchem Ausmaß entwicklungspolitische Zeitschriften, Latinos selbst, aber auch Afrikaner in ihrer emotionalen Dependenz verharren und somit zu vieles schicksalshaft hinnehmen. In diesem Sinne hat die Schwester von Barack Obama klar ein Gegensignal gesetzt. Oder eine Entwicklungshelferin erzählte mir von ihren Erfahrungen im Sudan, dass die Einheimischen immer nur Hilfe von außen erwarten.

Hintergründe zum Film „Caracas – Eine Liebe“

Interview mit Luis Cordero. Er ist ein NGO – Pressesprecher in Wien und Experte für Entwicklungs-Kooperation. Er stammt aus Guatemala.

Im Kern handelt der mit dem Goldenen Löwen in Venedig ausgezeichnete Film von der Vereinsamung des Menschen in einer zunehmend unübersichtlichen Gesellschaft (Wiener Zeitung). Der Venezolaner Lorenzo Vigas erzählt im Film die Geschichte eines älteren, gut situierten Mannes, der seine zwischenmenschlichen Berührungsängste an jungen Männern vom Straßenstrich zu kurieren sucht. Die Hauptfigur Armando hat ein Problem mit menschlicher Nähe, und das ist für Latinos überraschend.

 Medienkultur: Wer diesen Film sieht, ist perplex über die Brutalität – vor allem unter jungen Leuten und den Banden Jugendlicher. Es ist ein Ausbruch an Gewalt.

Luis Cordero: Ja, das ist richtig und realistisch. Die Gewalt kommt völlig unvermutet, und Menschen werden ermordet.

Medienkultur: Aber ist dies nicht charakteristisch für viele Großstädte Lateinamerikas?

Cordero: Aber nicht in dieser brutalen Variante. In vielen Großstädten Lateinamerikas gibt es Diebstähle usw. Aber in Caracas ist dies ganz anders. Besuchern dieses Landes wird dringend geraten, nach 17 Uhr ihr Hotel nicht mehr zu verlassen. Sonst wird es absolut gefährlich. Brutale Gewalt ist allgegenwärtig.

Medienkultur: Was ist der Grund für diese spezielle Situation?

Cordero: Die menschliche Lage, die Versorgung, hat sich in den letzten Jahren in Venezuela, eigentlich einem reichen Land, dramatisch verschlechtert.

Medienkultur: Woran liegt das? Es gab doch Chavez, der viel für das Wohl des Volkes getan hat.

Cordero: Das ist richtig. Am Anfang der Regierung von Chavez wurden Unternehmer enteignet, und zu Beginn hat ja die Verteilung funktioniert. Aber dann unterließ es die Regierung in die Betriebe zu investieren, und es wurden unfähige Leute als Manager bestellt. Auch Parteifreunde. Auf die Dauer konnte das nicht gut gehen. Und so ist die Versorgung zusammen gebrochen, und der Ölpreis ist sehr niedrig, und der Staat hat kein Geld.

Medienkultur: Sehr häufig wird argumentiert, das Durcheinander wäre von außen, von den USA, angezettelt.

Cordero: Nein, das stimmt heute nicht mehr, das hat in Venezuela interne Ursachen. Und es gibt überall in Lateinamerika Korruption, und zehn, zwölf Familien beherrschen alles.

Medienkultur: Im Film kommt mehrmals vor, dass ein junger Mann den Wunsch äußert, den Vater umzubringen. Woran liegt das?

Cordero: Ich interpretiere dies so – Hugo Chavez verstand und präsentierte sich als Vater aller Venezolaner. Und viele setzten große Hoffnungen auf ihn. Und er genießt noch immer großes Ansehen. Aber es gibt auch eine riesige Enttäuschung, so unter jungen Leuten, die sich an diesem Vater rächen, jetzt unbewusst rächen, weil sie von diesem politischen Vaterbild enttäuscht sind.

In Lateinamerika sind oft die Väter absent, arbeiten monatelang in der Fremde, wo sie einer schlecht bezahlten Arbeit nachgehen. Es ist die Mutter, welche die Kinder aufzieht.