Irrt Menasse? EU-Nationalstaaten. Pro und Kontra

 Hans Högl

Robert Menasse schlug mit seinem Europa-Essay und dem Europa-Roman eine Bresche in das linke Spektrum der EU-Kritiker. Kürzlich geriet er als politischer Aktivist in die Kritik. Auf Menasses seltsamen Hymnus auf die Stadt Brüssel als Idealtypus von Europa in einer 3-sat-Sendung gehe ich nicht ein. Da kenne ich Brüssels chaotische Verwaltungsprobleme zu gut. 

Ist Menasses EU-Konzept diskussionswürdig, die  nationalstaatlichen Ebene der EU durch ein paar hundert Regionen zu ersetzen?  Wir greifen in der Antwort auf die EU-Gründungsphase zurück – primär auf  Robert Schumans Buch „Für Europa“, Hamburg 2010 (Paris 1963). Wir besuchten das Dörfchen Schily-Chazelles bei Metz mit der Gedächtnisstätte von Robert Schuman, des reellen EU-Gründungsvaters. 

Kann ein „Europa der Regionen“ mit zentraler Verwaltung ohne Nationalstaaten das Ziel sein, wie Robert Menasse es sieht ? Der bestehende, wenig präsente Ausschuss der Regionen (AdR) umfasst 337 Vertreter regionaler und lokaler Gebietskörperschaften. Wie dieser Ausschuss die (nationalen) Gliedstaaten ersetzten könnte, steht zur Diskussion. Keine Frage: Dies würde EU – Entscheidungsprozesse noch mehr lähmen als bisher.  Wir erkunden Robert Schumans Europa-Position und seinen Bezug zu Nationalstaaten auch darum, da dies wenig präsent ist. 

Schumans französische Außenpolitik ab 1946 will die Fehler von 1919 vermeiden. Er will ein Europa, in dem Solidarität der Staaten die früheren Nationalismen überwindet.

Nach langen Vorarbeiten von Jean Monnet akzeptiert Außenminister Schuman dessen Plan zur Montanunion, erörtert ihn mit ganz wenigen Vertrauten, und so kommt es nach einem regierungsinternen Krimi zur Erklärung am 9. Mai 1950. Duroselle nennt in seinem Standardwerk zur Geschichte der Diplomatie diese Erklärung eine wahre Bombe („en lancant cette véritable bombe“). Doch nun Worte von Robert Schuman selbst: „Wir müssen dem Krieg seine Existenzgrundlagen nehmen, die Versuchung unterdrücken, ihn zu führen. Niemand, auch nicht die gewissenloseste Regierung, darf ein Interesse haben, ihn zu erklären. Ich gehe noch weiter: Wir wollen ihr das Mittel nehmen, einen Krieg zu planen, ihn auf eigene Rechnung zu wagen.“ (Schuman 2010,33 f.). Und dies sollte mit dem Monnet-Schuman-Plan erreicht werden, indem die Produktion von Kohle- und Stahl, also die Basis der deutschen und französischen Waffenfabriken – von einer neuen Behörde kontrolliert wird. Schuman: Durch die Solidarität dieser Produktion ist jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich.

Schumans Rede am 9. Mai 1950 war der Zenit in seinem Wirken, und dies fünf Jahre nach dem Nazi-Alptraum. Der Ort dieser fundamentalen Erklärung war Paris (und nicht Auschwitz, wie es Menasse für Europa will). Die Montanunion – zuständig für Kohle, Stahl, Eisenerz trat am 23. Juli 1952 in Kraft. Aus der Montanunion erwuchs die Europäische Kommission.

Versöhnte Verschiedenheit. Nicht die Staaten verschmelzen!

Für Schuman galt: Europa lässt sich nur Schritt für Schritt und sektoriell realisierenEr will die Staaten koordinieren, um mehr Effizienz zu erreichen.

Unser Ziel ist nicht, die Staaten zu verschmelzen, einen Überstaat zu schaffen. Unsere europäischen Staaten sind eine historische Wirklichkeit, sie verschwinden zu lassen wäre psychologisch unmöglich.“ (Schuman 2010,18).

Nationale Überlegungen werden nicht aufgegeben, aber unter einem gemeinschaftlichen Blickwinkel gesehen. „Auf diesem alten Unterbau (der Nationen) muss ein neues Stockwerk errichtet werden. Das Überstaatliche wird auf nationaler Grundlage beruhen.“ (Ebd.).

Hierbei finden Kreise in Deutschland und Robert Menasse und viele Zeitgenossen im Diskurs schwer eine Balance. Schumans differenzierte Position wird für jene eine Problem, wo ein EU-Gliedstaat (Nationalstaat) n u r als Herd für Nationalismus und Patriotismus nur in seinen fanatischen Irrwegen gesehen wird und darum die Lösung in einem Europa der Regionen mit zentraler Verwaltung vorgeschlagen wird.

Es geht Schuman nicht um eine Fusion der Mitgliedstaaten und nicht um die Schaffung eines Superstaates. Für Schuman handelt es sich nicht darum, die ethnischen und politischen Grenzen auszuradieren. „Sie abzuschaffen käme gewiß niemand in den Sinn“ (Schuman 2010,17). Den Grenzen soll aber ihre Starrheit genommen werden, sie sollen zu Verbindungslinien werden für materiellen und geistigen Austausch.

Für den Schutz Europas

Am 13. November 2017 unterzeichneten die EU- Staaten ein Dokument, das den Grundstein für eine europäischen Verteidigungsunion legt. Schuman strebte dies ein halbes Jahrhundert vorher an.

Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) wird zwar am 27. Mai 1952 in Paris unterzeichnet, aber 1954 von Frankreich nicht ratifiziert. Gegner waren de Gaulle, die Hälfte der Sozialisten und die Kommunisten. Schuman empfand dies als bittere Niederlage. Die Ablehnung der EVG führt zu einer besonders engen Annäherung zwischen Washington und Bonn. Im Mai 1955 tritt die Bundesrepublik der NATO bei.

Eine Sternstunde für Europa wird die Unterzeichnung der Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) am 25. März 1957.

De Gaulle befürwortet 1963 den gemeinsamen Markt. Er will eine Art Konföderation, ein Europa der Vaterländer, die möglichst unabhängig im Spannungsfeld Ost-West sind. Er ist reserviert versus der atlantischen Alliance. In Europa strebt er nach einer führenden Rolle Frankreichs – mit dem Partner Deutschland.

Schumans Europa-Konzept fügt Frankreich und Deutschland ein in ein gemeinschaftliches Europa – ohne die Achse von Frankreich und Deutschland besonders hervorzuheben, wie dies de Gaulle anbahnte.

Die Erklärung vom 9. Mai 1950 war Impuls für eine welthistorische Wende. Robert Schuman wurde Brückenbauer Europas, was Menasse würdigt, aber er nimmt Schumans Bild von der Funktion der Nationen nicht zu Kenntnis. Die Schwester von Robert Menasse  nannte ihren Bruder in der „Süddeutschen Zeitung“ einen gutmeinenden „Luftikus“. Im Interview in den „Salzburger Nachrichten“ (20.3.2018) sagte Menasse: 

 „Ich würde Israel und die nordafrikanischen Staaten in die EU aufnehmen“

Da sage ich nur ironisch Prosit! 

Zum Autor: Hans Högl, em. Hochschul-Prof. Dr.Mag.mult., lic.à l`Université de Louvain, seit langem paneuropäisch engagiert. Hauptinteressen lenken ihn als Medien- u. Bildungs-Soziologen auf internationale Beziehungen und Textanalyse.  Weitere Schwerpunkte: Gemeindestudien, Bildungsfragen.

 

 

3 Gedanken zu „Irrt Menasse? EU-Nationalstaaten. Pro und Kontra

  1. Herzlichen Dank für den Artikel! Bin sehr froh über die von Dir dargestellte Sichtweise der EU, in der ich mich als Befürworter der EU wiederfinde, im Gegensatz zu den gegenwärtigen Tendenzen, die die EU zu einem Zentralstaat bzw. Einheitsbrei führen wollen.

    Liebe Grüße Gottfried

  2. Lieber Hans,
    du hast mich heute beim Frühstück besucht und höchst erfreut.
    Dein Gastkommentar ist inhaltlich und stilistisch ein außergewöhnlicher Genuss, für den ich dir danke.
    Bei meiner Deutsch-Matura im Jahre 1966 hat ich das sogenannte freie Thema gewählt „Europäer sein – ein Erbe, ein Schicksal, ein Programm“ und mich dort u.a. kritisch mit Adenauers Programm des „Europa der Vaterländer“ auseinandergesetzt.
    Liebe Grüße
    Martin

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