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Europa mit religiöser Substanz?

Hans Högl

Unser Europa hat eine Vielfalt religiöser Traditionen und eine von Religion geprägte Kultur – man denke hier nur an Notre Dame von Paris. Doch in unserer wissenschaftsgläubigen Welt ist Transzendenz in Ungnade gefallen. Und gerade für eine Wiederentdeckung der Transzendenz plädiert eine bekannte ORF-Journalistin in einem Bestseller. Zweifellos ist dies als Medienlücke von speziellem Interesse für die „Medienkultur“. Und so verweise ich auf das Buch von Renata Schmidtkunz mit dem Titel: Himmlisch frei. Warum wir wieder mehr Transzendenz brauchen. Wien 2019.

Der Kontinent Europa scheint ein eindimensionaler Raum zu werden. Es geht um Profit, Konsum und Effizienz, und dies alles lässt sich in Zahlen ausdrücken. Auf der Strecke bleiben Mitgefühl, Barmherzigkeit, Nächstenliebe. Renata Schmidtkunz plädiert für ein neues Denken, um Distanz zum Weltgeschehen zu gewinnen. Und in diesem Sinn könne religiös fundierte Ethik Kraft geben für gemeinwohlorientiertes Tun und für ein gelungenes Leben.

Das Buch ist stilistisch klar und reich an Gedanken und bietet Impulse abseits vom intellektuellen Mainstream und berichtet vom überraschendem Weg einer evangelischen, kritischen Christin.

Bulgarien – Land im medialen Windschatten

Hans Högl. Sachlicher Reisebericht und Reflexionen

Nur wenige Länder in Europa bleiben medial so unbeachtet wie Bulgarien. Dies trifft auf Deutschland zu und auch auf Österreich – obgleich es ein Tor zum Osten ist, erfahren wir selten etwas über Rumänien und fast nie wirklich Substantielles mit Recherche über Bulgarien. Meine Reise mag dienen, diese Medienlücke ein wenig zu schließen.

2007 tritt Bulgarien der EU bei. Autobahnen und Schnellstraßen sind von der EU kofinanziert. Sie sind besser, als die Bulgaren selbst meinen. Gehsteige sind potenziell fußbrecherisch, Stromleitungen verwickelt und manchmal bis auf Kopfhöhe herunterhängend – so in der anmutigen Kleinstadt Balchik am Schwarzen Meer. Sofia, die Hauptstadt, putzt sich perfekt westlich heraus.

Sichtbar ist der Wunsch von Bulgaren und Bulgarinnen nach mehr Konsumgütern, so hat der Besitz von deutschen Spitzenautos hohes Prestige. Es sind ihrer gar nicht so wenige. Immerhin – es erstaunt- die Hälfte der Haushalte hat ein Auto, meist gebrauchte, berichtet ein osteuropäischer Report. Es gibt gute Hotels und Restaurants. Orts- und Straßenamen sind in kyrillischer und oft in lateinischer Schrift. Junge Bulgaren sprechen Englisch, manche Deutsch. An der Schwarzmeerküste leben insgesamt und dauerhaft 60.000 -vor allem englische Rentner, auch deutsche. Und Skandinaviern schmeckt preisgünstiger Alkohol. 

Während in Westeuropa das Jahreseinkommen Ende der 1990er Jahre noch 4-mal höher war als in Bulgarien, war es 2010 nur zweieinhalb mal so hoch. Darum sind viele Konsumpreise um die Hälfte billiger. Namhafte westliche Firmen haben Filialen. Also: da wird Cash erwartet.
Bulgarien ist heute ein noch armes Land, aber die Situation bessert sich allmählich, schreibt ein Osteuropa-Report, und der Lebensstandard erscheint höher als erwartet. Die Leute sind westlich gekleidet, doch in Begegnungen sagen sie: „90 Prozent der Bevölkerung sind arm“. 

Wir erfahren im Gespräch, dass die Menschen ihre raffinierten politischen Eliten zu duldsam hinnehmen und sich darum über ihre Landsleute wundern und anerkennend auf den Mut der Rumänen sehen. Angesichts der Flüchtlingsdebatte ist zu bedenken: Bulgarien hat seit 1990 mehr als 1,6 Millionen seiner 8,7 Mio. Einwohner verloren – wegen Abwanderung. Also: Jeder fünfte Bulgare ist ausgewandert. Ein Viertel der bulgarischen Zuwanderer in Deutschland sind Akademiker, aber im Land selbst fehlen Fachkräfte, viele Häuser stehen leer, Junge sind weggezogen und ältere Menschen fristen ihr Dasein mit beschämend kleinen Renten. Zum Glück hilft die mittlere Generation. 

Die Abwanderung lässt die Bulgaren um die Existenz ihres Landes fürchten, schreibt der bulgarische Autor Ivan Krastev im Buch „Europadämmerung“.- Selbst die bleierne Zeit des Kommunismus konnte Traditionen und den orthodoxen Glauben nicht zu Fall bringen. Doch darüber in einer Folge.

Es lohnt, dieses kulturell reiche Land zu besuchen: die Welt der Klöster und Ikonen, bedeutend Museen mit Goldschätzen von und vor den Thrakern. Berühmte Bulgaren sind die Schriftsteller Elias Canetti und Trojanow und der Künstler Christo, der Gebäude wie den Berliner Reichstag 1995 ver- und enthüllte.

Russland- und Moskaubild eines Experten

Prof. Karl Schlögel – Historiker und Russland-Experte

Hans Högl

Kürzlich kam ich von der Reise nach Moskau und St. Petersburg zurück und erlebte dieses Land in vielen Punkten sehr überraschend,  jedenfalls anders als in der üblichen Mediendarstellung.  Da meine Eigenerfahrung  punktuell ist, folge ich sinngemäß einer anschaulichen Darstellung von Karl Schlögl, mit der ich mich identifiziere.

Es gibt einen soliden Fundus von Russlandbildern jenseits der tagespolitischen Meldungen. Sie besagen: „Russland besteht nicht nur aus Katastrophen, Havarien, Streiks, Auftragsmorden, demographischem Niedergang. Es gibt ein Russland der großen Ströme, der unermesslichen Weite.“ (p. 182.). Russland, das unermessliche Land,  ist das Land der Ungleichzeitigkeit, des Nebeneinanders, Zusammenbrüche stehen neben Boomstädten. Arbeitsmigranten kommen aus Nachbarländern.

Moskau ist die Stadt der 3,4 Millionen Autos. Es gibt einen tosenden, dröhnenden Lärm, der über die Ringe und Boulevards jagenden Autos.  Der Automarkt und Autoverkehr explodiert, Supermärkte wachsen in amerikanischem Stil. Das Land hat den Kommunismus längst hinter sich gelassen und ist übergangslos im letzten Stadium des Konsumismus gelandet. (Und es besteht eine ansehnliche Mittelschicht und kleinbürgerliche Mittelständer, auf welche die Oligarchen verächtlich blicken.  In den Medien wird die soziale Welt auf Oligarchen und Arme verkürzt. Die Mittelschicht kommt nicht vor. „Mehr als eine Million zur Mittelschicht gehörenden, meist hochqualifizierten Bürgern sind ausgewandert (p. 241 f.). Russland- und Moskaubild eines Experten weiterlesen