Schlagwort-Archive: Ukrainekrieg

Scheinheiligkeit nach dem Tod des Papstes

Vor wenigen Minuten hat Israels Regierung ein Kondolenzschreiben aus Anlass des Todes von Papst Franziskus wieder zurückgezogen. Der Grund: Die Kritik des verstorbenen Papstes an der brutalen Kriegsführung Israels gegen die palästinensische Bevölkerung von Gaza. Hingegen wird es vielfach als Scheinheiligkeit empfunden, dass ausgerechnet jene Politiker und Medien, die Franziskus für dessen „Linkstendenzen“ immer wieder kritisiert haben, nun in den Chor derjenigen einstimmen, die ihn würdigen.

Wolfgang Koppler*

Schon seltsam, wie man uns jetzt mit Nachrichten und Dokus zum plötzlichen, aber angesichts seines Gesundheitszustandes nicht ganz überraschenden Tod des Papstes überfüttert. Und sich in Scheinheiligkeit ergeht.

Während man zu seinen Lebzeiten jeden seiner Sätze auf die Goldwaage gelegt hat. Von den Attacken im Hinblick auf seine Haltung zum Ukrainekrieg ganz zu schweigen. Kritik an der Nato – unmöglich. Verhandlungen – ein Kniefall gegenüber dem Aggressor und völlig unmoralisch. Einige Journalisten und Politiker hätten sich wohl gewünscht, dass er die an die Ukraine gelieferten Panzer auch noch mit Weihwasser besprengen möge. Wie zur Zeit des 1. Weltkriegs, als lediglich eine Handvoll Intellektueller wie etwa Kraus und Zweig sich dem entgegenstellten. Als einsame Rufer in der militärischen Wüste.

Aber zurück zu Franziskus:
Eine Theologin meinte treffend, er hätte in keine Schublade gepasst. Am ehesten war er wohl eine Mischung aus einem Konservativen und einem Linkskatholiken. Und wollte die Kirche in gewisser Weise ein bisschen zum Urchristentum und damit zu ihren Wurzeln zurückführen. Und vor allen war er ein Mensch, der seine Grenzen kannte. Und jene der tief gespaltenen Kirche. Und so verzichtete er auf Machtworte und aktivierte die Basis durch den von ihm in Gang gesetzten synodalen Prozess, der nicht mehr so leicht aufzuhalten sein dürfte.

Heiligkeit oder gar Scheinheiligkeit war seine Sache nicht. Sodass er die Anrede „Heiliger Vater“ ablehnte und einen Journalisten, der solches versuchte, scherzhaft als „Heiliger Sohn“ titulierte. Befreiungstheologie im besten Sinne, die sich nicht nur gegen Ungerechtigkeit und Armut richtet, sondern auch gegen scheinheiligen Narzissmus und Selbstgefälligkeit. Und uns selbst befreien könnte.

Auch wir sollten unseren infantilen Narzissmus etwas mehr im Zaum halten. Journalisten, die stets mit dem Zeigefinger daherkommen, aber nicht bereit sind, etwas zu riskieren und für die eigene Überzeugung wenigstens gelegentlich gegen den Stachel zu löcken, tun den Medien nicht gut. Und unserer Gesellschaft schon gar nicht.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

EU ohne Lösungskompetenz?

Schuldzuweisungen statt Lösungsansätzen dominieren Medienberichte und EU-Politik rund um den Ukrainekrieg.

Wolfgang Koppler *

Interessant, wie sich die EU und mit ihr die Medien angesichts der sich nun ankündigenden Wende der US-Politik und einer sich auch in der Ukraine abzeichnenden Kriegsmüdigkeit winden. Hieß es bis jetzt, Abwehrkampf um beinahe jeden Preis und Verhandlungen seien unmoralisch, tauchen da und dort Berichte über die Folgen des Kriegs, ungeheure Zerstörungen und die Sinnhaftigkeit von Verhandlungen auf.

Anderseits wird die fehlende Einbindung der Ukraine in die Verhandlungen beklagt und wieder einmal der ukrainische Journalist und Hardliner Denis Trubetskoy interviewt, der den Krieg fortführen möchte und sich wünscht, dass die EU auch noch die USA als Rüstungslieferant und Finanzier ersetzen möge. Was angesichts der militärischen und finanziellen Kapazitäten Europa eher unrealistisch ist, wie Experten zugestehen.

Noch bevor die Verhandlungen überhaupt richtig begonnen haben, werden sie desavouiert. Wie wäre es, wenn sich die Europäer mit eigenen Lösungsvorschlägen einbringen würden ?

Aber es gibt ja immer noch die Hoffnung auf Aufrüstung und eine EU-Armee. Warum nicht gleich auf Kriegswirtschaft umstellen ?

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist. Er lebt in Wien.

War da was ?

Der Mainstream der Berichterstattung über den Ukrainekrieg war und ist vielfach geprägt von Kriegsrhetorik. Nun aber taucht in Medien und Politik zunehmend der Begriff Frieden auf, verbunden mit der Hoffnung auf baldige Waffenstillstandsgespräche.

Wolfgang Koppler *

Angesicht der Turbulenzen um die Regierungsbildung in Österreich und der nahezu allgemeinen Erleichterung, dass es doch nicht zum risikoreichen und die allgemeine Spaltung verschärfenden Experiment einer Kickl-Regierung kommt, ging in Politik und Medien etwas sehr Wichtiges unter: Offenbar unmittelbar bevorstehende Verhandlungen zum Ukrainekrieg.

Fast hatte man den Eindruck, dass sei den Medien ganz recht. Ersparte man sich doch die Peinlichkeit, bei vielen eine 180-Gradwendung in der diesbezüglichen Berichterstattung allzu offen zur Schau stellen zu müssen. Dass man zu diesem Thema am Rande in der ZiB2 des ORF eine eher selten ins Bild kommende Kommentatorin interviewte, war vielleicht nur Zufall.

Hab‘ ich richtig gehört, Putin ist zu Verhandlungen bereit ? Und man fasst ins Auge, auf eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine gegen entsprechende europäische Sicherheitsgarantien zu verzichten ? Oder hatte ich da eine Halluzination ? Wurde nicht genau über diese Themen zu Beginn des Krieges verhandelt und scheiterte das Ganze nicht ?

Eigentlich gar nicht so schwer zu überprüfen. Die Rache der Journalisten an den Politikern ist bekanntlich das Archiv. Die Rache der Leser an den Journalisten ist ihr Gedächtnis.
Und vielleicht darf man das Wort Frieden wieder benützen – ohne es mit desavouierenden Zusätzen zu versehen.

Nichts für ungut. Aber wenigstens ein Blick in die eigenen Artikel der letzten Jahre könnte so manchem Medienprofi nicht schaden.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist in Wien

Verabschiedung von Fritz Edlinger

Fritz Edlinger ist vergangenen Freitag (17.1.2025) unter Teilnahme einer großen Trauergemeinde am Friedhof Wien-Neustift beigesetzt worden. Die von ihm verantwortete außenpolitische Zeitschrift INTERNATIONAL wird laut jüngsten Informationen dennoch weiter erscheinen.

Udo Bachmair

Zur Erinnerung: Fritz Edlinger, Herausgeber und Chefredakteur von INTERNATIONAL, Präsident der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen, ist am 8. 12. 2024 völlig unerwartet verstorben. Der Tod des renommierten Journalisten und Publizisten hinterlässt in Österreichs Medienlandschaft und Politik eine kaum zu schließende Lücke.

Es ist ein Mensch mitten aus dem Leben gerissen worden, der sich mit großer Leidenschaft und unermesslicher Energie für Frieden und Solidarität eingesetzt hat. Seine Empathie für Notleidende galt insbesondere für das schwer geprüfte palästinensische Volk. Er prangerte das brutale Vorgehen Israels in Gaza offen als Kriegsverbrechen sowie als „Völkermord“ an. Ein Begriff, der von UNO-Kreisen über Amnesty International bis hin zu Medien außerhalb Österreichs und Deutschlands als eindeutig belegbar betrachtet wird.

Fritz Edlinger ist in Wort und Tat zudem für eine engagierte Neutralität Österreichs eingetreten. Er hat immer wieder vor einer drohenden Aushöhlung der Neutralität gewarnt. Als aktives Mitglied der von Ex-Botschafterin Gabriele Matzner angeführten „Initiative engagierte Neutralität“ ist er einer der zahlreichen Unterzeichner eines Appells an die österreichische Bundesregierung, diese möge sich auf eine Friedens- und Neutralitätspolitik besinnen, die es Österreich ermögliche, als Mediator in Konfliktfällen, Beispiele Nahost und Ukrainekrieg, zu fungieren.

Fritz Edlinger kann angesichts seines viel zu frühen Ablebens sein großes Engagement nicht mehr weiterführen. Jedoch bleibt ein kleiner Trost für seine hinterbliebenen Freundinnen und Freunde: Das hervorragende Magazin INTERNATIONAL, für das Fritz unermüdlich, gleichsam Tag und Nacht, gearbeitet hat, wird jüngsten Informationen zufolge weiter erscheinen.

INTERNATIONAL bleibt erhalten als „kritische und unabhängige außenpolitische Zeitschrift, die dem Nord-Süd-Dialog, der aktiven Neutralität, Friedensförderung und Multipolarität verpflichtet ist“, teilt der neue Chefredakteur des Blatts, der Historiker und Publizist Dieter Reinisch, mit.

Im Übrigen war Fritz Edlinger nicht nur ein persönlicher Freund, sondern auch ein Freund unserer Vereinigung für Medienkultur, die er auf verschiedenen Ebenen unterstützte.

Die ganze Geschichte

Eine hochinteressante, aber leider wenig beachtete Doku-Reihe des ORF: Österreich – die ganze Geschichte. **

Wolfgang Koppler *

Die auf ORFIII ausgestrahlte Folge „Scheuende Pferde“ über einen folgenschweren Attentatsversuch eines bosnisch-serbischen Attentäters auf den österreichisch-ungarischen Statthalter in Bosnien im Jahr 1910 ist besonders sehenswert. Weil sie zeigt, wie wenig Europa die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts aufgearbeitet hat. So leiden wir noch heute unter Konflikten, die ihren Ursprung im 19. Jahrhundert haben. Und vielleicht sogar noch weiter zurückreichen. Die Konflikte am Balkan und die tiefe Kluft zwischen West- und Osteuropa, vor allem aber die antirussischen Ressentiments sind nur zu verstehen, wenn man auf die Zeit vor dem Beginn des 1.Weltkriegs zurückblickt.

Als Reaktion auf die allzu verstandesbetonte Aufklärung, deren Grenzen an den Auswüchsen der französischen Revolution sichtbar geworden waren, hatte die Romantik die Gefühle, Leidenschaften und Sehnsüchte des Menschen entdeckt (und in der Spätromantik dann auch seine Abgründe). Es entstanden jene politischen und weltanschaulichen Bewegungen, die uns bis heute beschäftigen: Sozialismus, Liberalismus und Nationalismus. Letzterer hatte im Gefolge der napoleonischen Kriege auch Deutschnationalismus und Panslawismus zur Folge. Während der Deutschnationalismus sich von einer romantischen Bewegung hin zu einer von Überlegenheitsdünkel geprägten Deutschtümelei entwickelte, führte der Panslawismus zur Wiederentdeckung einer lange Zeit verschütteten Kultur. So musste etwa die tschechische Schriftsprache (ähnlich wie das Hebräische) von Linguisten und Historikern im 19.Jahrhundert wiederentdeckt und neu entwickelt werden, da das Tschechische nur mehr von einfachen Leuten gesprochen wurde. Die sich unterdrückt fühlenden Slawen entwickelten neues Selbstbewusstsein. Zumal sie meist von anderen Völkern bzw. Reichen dominiert wurden. Ob es die Slawen in Österreich-Ungarn oder die Serben im Osmanischen Reich waren.

Als Serbien im 19:Jahrhundert seine Unabhängigkeit erlangte, sahen sich die in Bosnien lebenden Serben von Österreich-Ungarn unterdrückt. Zumal die Habsburger 1908 Bosnien-Herzegowina nach dessen schon 30 Jahre zuvor erfolgten Besetzung auch noch okkupiert hatten. Die dort immer schon großteils zur Unterschicht zählenden Serben wollten nicht anstelle des Osmanischen Reiches eine neue, ihnen fremde (nicht orthodoxe) Großmacht als Herrscher. Die Folge waren miteinander unter dem Titel „Junges Bosnien“ agierende Rebellengruppen, die auch Attentate verübten. Der obgenannte Attentatsversuch führte zu weiteren Attentaten, die in jenem von Sarajewo 1914 gipfelten. Das hatte bekanntlich den ersten Weltkrieg zur Folge. Dass Gavrilo Princip in Serbien immer noch als Held gefeiert wird, sollte zu denken geben..

Wenn es am Schluss der Doku heißt, dass Vergangenheitsbewältigung anders aussieht, so muss man hinzufügen, dass auch die österreichische Seite ihre Schuld am 1.Weltkrieg bis heute nicht aufgearbeitet hat. Etwa jenen im Staatsarchiv zu findenden Brief von Franz Josef, in dem dieser meint, der Krieg müsse rasch erklärt werden. Weil die serbische Regierung das österreichische Ultmatum vielleicht doch noch annehmen könnte. Oder unsere allzu sehr an Brüssel und Berlin orientierte Außen- und Wirtschaftspolitik. Während wir etwa Prag, Bratislava und Budapest ziemlich stiefmütterlich behandeln.

Und was den Ukrainekrieg betrifft: Vielleicht liegt eine seiner Ursachen in einer Abwertung Osteuropas. Während die Ukrainer darum kämpfen, als Europäer anerkannt zu werden, wenden sich die Russen zunehmend mit Verachtung von Europa ab. Oder sagen wir besser: Von Brüssel. Obwohl sowohl die Ukraine als auch Russland letztlich zu Europa gehören.
Oder wo sonst liegt Moskau ? Geographisch und kulturell ?

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

** Die erwähnte ORF-Doku ist unter folgendem Link abrufbar:

https://tv.orf.at/program/orf3/oesterreic7462.html

Besinnliche Weihnachten

Politik und Medien überbieten einander zurzeit in Analysen und Kommentaren zum Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Und immer wieder bei Attentaten dieser Art taucht dabei der Begriff „Hass“ auf.

Wolfgang Koppler *

Es ist traurig, wenn man zu Weihnachten über den Hass schreiben muss. Aber es ist notwendig.

Das Attentat von Magdeburg hat viele verwirrt. Ein 50-jähriger Arzt richtet am Weihnachtsmarkt von Magdeburg ein Blutbad an. Eines jener Attentate, die von man von jungen Islamisten gewohnt ist. Aber der Mann war kein Islamist. Er stammt zwar aus Saudiarabien und die saudiarabischen Behörden hatten vor ihm gewarnt. Aber er war offenbar Antiislamist und vertrat Positionen, wie sie auch die AfD vertritt.

Verwirrend oder auch wieder nicht. Der Gerichtspsychiater Reinhard Haller hat schon vor Jahren in einer Fernsehdiskussion darauf verwiesen, dass psychisch kranke Attentäter ihren Hass überall festmachen können, so wie etwa der UNA-Bomber sich als Umweltaktivist verstand. Die Aggression ist offenbar zuerst da und sucht sich ein Ventil. Etwas, das Freud in seinem „Unbehagen in der Kultur“ schon im Jahr 1930 feststellte. Er ging davon aus, dass wir Menschen unsere Aggression letztlich nur gegen die anderen oder uns selbst richten können (letzteres vor allem in Form von Schuldgefühlen).

Meist richten wir die Aggression aber gegen die anderen. Und suchen dafür eine Begründung. Ein Feindbild, welches das Böse verkörpert, das wir in uns selbst tragen. Das kann jemand oder etwas sein, das uns wirklich bedroht oder gegen das wir kämpfen müssen. So lange wir das mit angemessenen Mitteln tun, ist dagegen auch nichts einzuwenden. Sehr oft trifft unser Hass aber Unschuldige. Menschen, denen wir alle möglichen schlechten Eigenschaften anhängen oder die wir zumindest als wesentlich „böser“ bzw. verabscheuungswürdiger einstufen als sie in Wirklichkeit sind. Das ist vor allem beim Hass oder auch nur der Abneigung gegen ganze Gruppen regelmäßig der Fall.

Ob es die Rechten, die Linken, die „Juden“, die „Ausländer“, die „Islamisten“, die „Russen“ sind. Unser Hass trifft regelmäßig Menschen, die – ebenso wie wir höchst unterschiedlich sind und in denen wir das „Böse“ verkörpert sehen. Auch wenn die meisten von uns dabei Gott sei Dank keine Attentate begehen. Aber zum Hass sind die meisten von uns fähig – selbst wenn er nur unterschwellig zutage tritt. Man sieht es auch wieder im Ukrainekrieg.

In diesem Sinne: Besinnliche Weihnachten.

* Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist, er lebt in Wien

Journalismus und Wahrheit

„Was ist wahr?“ war die Fragestellung der diesjährigen Fresacher Toleranzgespräche. In diesen Tagen erscheint das dazugehörige Jahrbuch. Einer der darin enthaltenen Beiträge widmete sich der „Wahrheitsfindung im Journalismus“.

Udo Bachmair *

Die Inanspruchnahme einer absoluten Wahrheit (im theologischen Sinn) ist und kann nicht Gegenstand journalistischer Arbeit sein. Seriösem Journalismus geht es vielmehr um den Versuch einer größtmöglichen Annäherung an die Wahrheit. Ein solcher Versuch kann u.a. mittels Recherchen aus einer Vielfalt auch alternativer Quellen erfolgen sowie durch unermüdliches Bemühen um Differenzierung. Dazu gehört nicht zuletzt ständiges Hinterfragen von Wirkung und Bedeutung traditionellen und wiederholt verwendeten Sprachgebrauchs.

Einige Beispiele dafür:

Menschen, die die wachsende Kriegsrhetorik in Politik und Medien ablehnen und auf Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen im Ukrainekrieg drängen, als „Putinunterstützer“ und „russische Trolle“ verächtlich zu machen, auch wenn sie gleichzeitig den Krieg gegen die Ukraine klar verurteilen, erscheint als eine der Verzerrungen von Wahrheit in der Berichterstattung. Sich in die jeweilige Interessens- und Bedrohungslage von Kriegsgegnern hineindenken zu können und daraus differenzierende Schlüsse zu ziehen, würde wahrheitsorientierten Qualitätsjournalismus ausmachen.

Ein Krieg ist immer auch ein Informationskrieg und beide Kriegsparteien machen Kriegspropaganda, unabhängig davon, wer nun der Aggressor und wer das Opfer ist.

westliche Medien stellen ukrainische Kriegspropaganda meist als Fakten dar, hingegen alles, was von russischer Seite kommt, als völlig unglaubwürdig und propagandistisch. Freilich ist es für journalistische Arbeit schwieriger denn je, auf seriöse Quellen zurückgreifen zu können, auch wenn ehrliche Absicht dazu besteht. Seriöse Quellen im Informationskrieg sind nämlich kaum eruierbar. Aber es wäre zumindest wünschenswert, Quellen zum Kriegsverlauf überhaupt anzugeben, was leider in Medien selten passiert.

Schon Jahre vor dem Krieg haben westliche Medien und PolitikerInnen Russland beharrlich zu einem Feindbild mit aufgebaut. Dazu tragen auch einzelne Begriffe und Worte bei, wie sie auch in der sogenannten objektiven Nachrichtensprache verwendet werden. So fällt wahrscheinlich nur wenigen auf, dass Äußerungen von russischen Politikern tendenziell mit Prädikaten wie „behaupten“, „unterstellen“, etc. versehen werden. Wenn ein US- oder EU-Politiker eine Stellungnahme abgibt, lauten die Prädikate „betonen“, „bekräftigten“, „erklären“ etc. also positiv geladene Begriffe.

Abermals sei bekräftigt, dass ein Angriffskrieg im 21.Jahrhundert in Europa ein absolutes „No Go“ sein sollte. Großmachtphantasien mit einem realen Krieg erzwingen zu wollen, ist menschenrechtlich und völkerrechtlich strikt abzulehnen. Krieg und Gewalt sind per se Verbrechen, besonders ein aggressiver militärischer Überfall. Das heißt aber nicht, dass automatisch nur der Aggressor Kriegsverbrechen begeht und Kriegspropaganda verbreitet.

Apropos „Angriffskrieg“: Dieser vor allem von APA und ORF ständig wiederholte Begriff wird kontraproduktiv dann, wenn er allzu inflatiönär verwendet wird. Denn es könnte dadurch bei MedienkonsumentInnen der Eindruck eines von oben verordneten und verpflichtenden Wordings entstehen. Die Bezeichnung „US-Angriffskrieg“ etwa für den Überfall der USA auf den Irak und andere Staaten der letzten Jahrzehnte wäre in westlichen Medien wohl auch heute noch unerwünscht bis verpönt.. US-Kriege waren nach offizieller Lesart ja meist „Befreiungskriege“..

Ähnlich beliebt in Politik und Medien ist die häufige Verwendung des Attributs „Terror“. Es ist wahr, dass etwa die Hamas zu Recht als Terrororganisation bezeichnet werden muss. Das grässliche Massaker vom 7. Oktober hat dies eindeutig bestätigt. Die Bevölkerung von Gaza dürfte das allerdings anders empfinden. Ihre Wahrheit besteht darin, die israelische Regierung wegen des brutalen Vorgehens im Gazastreifen als „Terrorregime“ zu betrachten. Niemals würden jedoch westliche Medien einen solchen Sprachgebrauch für Israels Regierung verwenden, was ja auch nicht wirklich seriös wäre.

Jedenfalls mehren sich Tendenzen, nahezu jede Kritik an der politisch weit rechts stehenden israelischen Führung mit der Keule des Antisemitismus zu beantworten. Dieser immer wiederkehrende Vorwurf gegen politische und journalistische Kritiker Israels verharmlost im Übrigen den wahren, den rassistisch motivierten Antisemitismus.

Als einer der Begriffe, der ebenfalls als verzerrte Wahrheit daherkommt bzw. umgedeutet wird, gilt das Wort Frieden. Ein ursprünglich positiv geladener Begriff, der im Umfeld zunehmender Kriegsrhetorik zum „Friedensdiktat“ oder „Diktatfrieden“ mutiert und damit abgewertet wird.

Höchst bedenkliche Begriffe, die sich ohne größere Empörung bereits langsam aber sicher eingeschlichen haben, sind aus der Nazi-Zeit entlehnte Bezeichnungen, wie „Systemparteien“, „Volksverrat“, „Fahndungsliste“, Lügenpresse, etc.. Politische Kampfbegriffe wie „EU-Wahnsinn“ oder die Kronenzeitungs-Rubrik mit „EU-Theater“ als Überschrift auf der Leserbrief-Seite, sowie etwa auch die schon zur Gewohnheit gewordene Verknüpfung von Migration mit der Beifügung illegal, verfehlen ihre fatale Wirkung ebenfalls nicht.

Beispiele, die noch beliebig fortzusetzen wären, Begriffe und Formulierungen, die jedenfalls nicht der Wahrheitsfindung dienen, sondern diese weitgehend erschweren. Dabei wären ein inhaltlich abwägender und objektiver Journalismus sowie eine Abrüstung der Worte auch im Bereich der Politik von hoher demokratiepolitischer Relevanz.

* Udo Bachmair nahm als langjähriger ORF-Redakteur und Präsident der Vereinigung für Medienkultur an den Fresacher Toleranzgesprächen zum Leitthema Wahrheit teil.

Ukrainekrieg und Propaganda

Nur Russland betreibe Kriegspropaganda, das Aggressionsopfer Ukraine hingegen nicht. Westliche Medien sind sich darin zu weiten Teilen einig. Es werden vornehmlich Politiker und Experten zitiert, die Russland schon vor Kriegsbeginn undifferenziert als Feind taxiert haben. In diese Richtung weist auch eine jüngste veröffentlichte APA-Meldung *

Wolfgang Koppler **

In ihrem 2022 im Betz-Verlag erschienenen Buch „Narzissten wie wir“ entlarvt die Psychologin Katharina Ohana unsere Gesellschaft als infantil-narzisstisch. Obwohl wir uns gerne als aufgeklärte Vernunftmenschen sehen, so sind wir doch von unseren persönlichen Erfahrungen und Gefühlen bestimmt und – ich darf ergänzen – auch von Bequemlichkeit und Herdentrieb.

Ein gutes Beispiel ist der Ukrainekrieg. Kaum ein Qualitätsmedium erlaubt sich, von der allgemeinen Kriegspropaganda abzuweichen. Und selbst die Nachrichtenagenturen – wie ich es schon in der (zu meiner Zeit noch nicht nur an den MINT-Fächern orientierten) Oberstufe des Gymnasiums gelernt habe – sorgen dafür, dass kritische Stimmen in den Medien nicht allzu laut werden. Ein beredtes Beispiel ist der untenstehende APA-Bericht unter dem Titel „Osteuropa-Historiker Karl Schlögel: Russland ist der Feind“.

Schlögel, der im scheinbar objektiven Bericht als einer der „profiliertesten Kenner Russlands“ ausgewiesen wird, fordert darin von Deutschland eine grundsätzliche Korrektur seiner Russlandpolitik, wobei er eigentlich nur die schon sattsam aus den Medien bekannten und stets auf Neue wiederholten Argumente angeführt werden: Russland hat einen Krieg in Europa angefangen. Und Deutschland (bzw. der Westen) müsse verteidigungsbereit sein, zumal hier nicht nur die Ukraine, sondern auch Europa gefährdet sei. Erinnert irgendwie an einen Kindergarten: Der Peter hat angefangen. Ist nur leider blutiger Ernst – auf beiden Seiten. Und erinnert beklemmend an die Kriegspropaganda des Ersten Weltkriegs.

Schlögel nimmt dann auch noch Bezug auf den deutschen Bundestagswahlkampf, um die Deutschen auf das gemeinsame Feindbild (das nun nicht mehr nur Putin, sondern auch Russland ist) einzuschwören. Der Ernst der Lage und die „Zeitenwende“ seien noch gar nicht ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Die Frage „Krieg und Frieden“ werde ein zentraler Punkt im deutschen Bundestagswahlkampf sein. Man dürfe nicht glauben, dem entgehen zu können, indem man die Ukraine auffordere, „Ruhe zu geben und Frieden zu machen“. Dass Schlögel Parteien wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (das für Verhandlungen eintritt), als eine Art nützliche Idioten betrachtet, die sich von Putin instrumentalisieren ließen, versteht sich von selbst.

Dass der Historiker am Ende des Berichts nicht nur vor Putin, sondern auch vor Russland als Ganzes warnt, weil auch die „russische Kultur“ im Dienst des Krieges stehe, zumal die „zivilen Kräfte“ durch Stalin, zwei Weltkriege usw. schon stark dezimiert worden seien, überrascht da ebenfalls nicht.

Selbstredend kritisiert er auch das Telefonat von Scholz mit Putin und fordert von Deutschland auch die Lieferung weitreichender Waffen, wobei er natürlich wieder einmal emotionalisierend auf die Situation in der Ostukraine Bezug nimmt. Dass die Kriegshölle dadurch kaum erträglicher werden dürfte, wird tunlichst übergangen.

Man bekommt den Eindruck nicht los, dass sich einige in Europa und den USA vor dem Frieden geradezu fürchten. Wenn der Katzenjammer um die leeren Staatskassen, die Wirtschaftskrise und die hohen Energiepreise losbricht. Und man sich den wirklich drängenden Fragen einer in Wirklichkeit multipolaren Welt stellen muss, wie der Klimakrise, dem Hunger und dem Auseinanderdriften unserer Gesellschaften (die man nicht dauernd nur mit Feindbildern zusammenhalten kann).

Und bei Schlögel fällt auf, dass er als Student sich bei Maoisten und Anarchisten betätigte, wie man seinem Wikipedia-Eintrag entnehmen kann. Mir fällt dazu nur der Kommentar Hans-Joachim-Kulenkampffs zu der durchaus ähnlichen Wandlung Yves Montands in den 80-ern ein: Ich war nie so weit links wie er, darum bin ich jetzt nicht so weit rechts wie er. Zur Erklärung: Der Kommunist Montand warnte in den 80ern in der Fernseh-Doku „La Guerre“ vor einem russischen Einmarsch in Frankreich. Zu einem Zeitpunkt, als die Sowjetunion kurz vor dem Zusammenbruch stand.

* https://www.msn.com/de-at/nachrichten/kultur/osteuropa-historiker-karl-schl%C3%B6gel-russland-ist-der-feind/ar-AA1uEkoK?ocid=msedgdhp&pc=HCTS&cvid=43462c9af9cf4261bdd151f30037a4e2&ei=16

** Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Politik- und Medienanalyst und lebt in Wien

Friedensfreunde als „Kriegstreiber“?

„Putin ist ein Krimineller, ein Mörder“ – bekräftigt der oppositionelle russische Politiker und Journalist Wladimir Kara-Mursa in nahezu jedem der zahlreichen Interviews für westliche Medien. Im jüngsten ZiB2-Interview prognostizierte Kara-Mursa einen möglicherweise kurz bevorstehenden Sturz des Putin-Regimes.

Wolfgang Koppler *

Regimewechsel in Russland kämen plötzlich, sowohl das Zarenregime als auch die Sowjetunion seien plötzlich untergegangen. Niemand wäre darauf vorbereitet gewesen. Und so würde es auch das nächste Mal sein. Niemand würde wissen, wann, wo und unter welchen Umständen Vladimir Putin seine Macht verlöre. Aber es werde geschehen, meint Putins schärfster Kritiker Kara-Mursa im gestrigen ORF-ZiB2-Interview.

Da ist wohl etwas dran. Allerdings entstand weder aus dem Untergang des Zarenreichs noch aus dem der Sowjetunion eine dauerhafte Demokratie. Nach Zar Nikolaus kamen nach einem kurzen bürgerlichen Intermezzo Lenin und Stalin an die Macht. Und nach der Wende und Boris Jelzin kam Vladimir Putin an die Reihe. Jener Zar Putin, den Kara-Mursa nun so heftig bekämpft.

Die Wahrscheinlichkeit, dass nach dem Ende der Putin-Ära in Russland eine wirklich dauerhafte und stabile Demokratie entsteht, ist also eher gering. Wobei sogar unsere Demokratien zunehmend unter Druck geraten. Auch unter den Belastungen des Ukrainekriegs, die die Spaltung unserer Gesellschaften weiter vorantreiben.

Dass Kara-Mursa dann am Ende des Interview alle jene, die „Verständnis für Valdimir Putin und seine Positionen“ hätten, also im Endeffekt alle, die nicht für eine Fortsetzung des Krieges ohne jegliche Verhandlungen sind, als „Kriegstreiber“ bezeichnet, spricht Bände.

Bei allem Verständnis für sein persönliches Schicksal. Hier geht es nicht um Sympathien oder Antipathien, auch nicht um die Sanktionen, sondern um einen Krieg, der bis jetzt wohl mehr als halbe Million Menschen das Leben gekostet hat, um unzählige Versehrte und Traumatisierte und um Kollateralschäden in allen Teilen der Welt, wie etwa den zunehmenden Hunger, für dessen Linderung nicht einmal mehr genug Geld zur Verfügung gestellt wird. Im Gegensatz zum Ukrainekrieg, der bis jetzt weit mehr als 100 Milliarden Dollar gekostet hat.

Dass dies von Kara-Mursa nicht erwähnt wird, spricht Bände. Und sein Statement inmitten einer zunehmend aufgeheizten Stimmung ist höchst problematisch.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Aggressiver Journalismus

Wenn Journalisten und Journalistinnen aggressiv werden, spürt man geradezu ihre und des gesellschaftlichen Mainstreams Unsicherheit. Nämlich dann, wenn Dinge gesagt werden, die eigentlich selbstverständlich sind, die man aber nicht aussprechen darf. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit.

Wolfgang Koppler *

Da Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der neuen deutschen Linkspartei BSW, mit größter Ruhe Dinge ausspricht, die uns allen einleuchten müssten (und im tiefsten Innersten wohl auch dem Wagenknecht-kritischen „Moderator“ Lanz und seinen Kollegen), werden manche Journalisten im Gespräch mit ihr immer wieder aggressiv. Oder sagen wir mal, höhnisch oder empört. Und ebenso die Printmedien, wie der gegenständliche Artikel in Focus-online zeigt. Dummerweise lässt sich die selbstbewusste und authentische Wagenknecht nicht provozieren, und sie sieht in ihrem eher konservativen Outfit auch nicht aus wie eine Revoluzzerin.

Dass erst einmal die Waffen schweigen müssen, um Verhandlungen im Ukrainekrieg zu ermöglichen, sollte eigentlich jedem klar sein. Wer Verhandlungen erst nach einem Sieg der eigenen Seite beginnen möchte, will in Wirklichkeit keine. Und eine solche Position zu unterstützen, ist Kriegstreiberei – auch wenn der Krieg von der anderen Seite begonnen wurde.

Ich darf darauf verweisen, dass der Westen auch schon vor dem russischen Einmarsch substantielle Verhandlungen über zumindest diskutierbare russische Forderungen abgelehnt hat – etwa was einen neutralen Status der Ukraine und den Verzicht auf eine weitere Ausdehnung der NATO betrifft. Interessanterweise wurde dann nach dem Einmarsch der Russen sehr wohl verhandelt. Es scheiterte an den Sicherheitsgarantien für eine ukrainische Neutralität. Während Biden überlegte, legte sich „Mini-Churchill“ Boris Johnson quer und brachte auch die USA zu einer Ablehnung.

Während Putin (dem die Belastungen Russlands durch den Krieg inzwischen sehr wohl bewusst sein dürften) immer wieder Verhandlungssignale aussandte (wenngleich mit Maximalforderungen, die aber meist am Beginn von Verhandlungen stehen), stellte Selenskyj klar, dass Verhandlungen erst nach einem ukrainischen Sieg in Betracht kämen.

Wenn Wagenknecht hier von einer Erhöhung der Kriegsgefahr durch den Westen spricht (wobei sie selbstverständlich den russischen Angriffskrieg ablehnt und den Ausdruck Kriegstreiberei erst auf mehrmalige Nachfrage von Lanz verwendete), so ist dies nachvollziehbar. Denn ein solcher Justamentstandpunkt kann den Krieg nur verlängern, auch dann wenn ihn der Gegner begonnen hat.

Übrigens: Bushs Angriffskrieg im Irak wird trotz erfundener Kriegsgründe bis heute nicht verurteilt. Obwohl er Jahrzehnte langes Chaos und den Aufstieg des IS zur Folge gehabt hat.

Im Übrigen wird auch eine formal rechtmäßige Verteidigung oder Rechtsdurchsetzung irgendwann unverhältnismäßig. Weil die Durchsetzung von Recht sehr oft zu neuem Unrecht führt. Kleist hat das in seinem Michael Kohlhaas wunderbar aufgezeigt. Das sieht man auch im Gazakrieg, wo der eine oder andere ORF-Journalist diesen gelegentlich als Geiselbefreiungsaktion zu verharmlosen sucht. Obwohl bis jetzt nicht nur mehr als 40.000 Menschen gestorben sind, eine unabsehbare Eskalation im Libanon droht und das Leben der Geiseln wohl eher gefährdet als gerettet wird.

* Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien