Der Medien- und Bildungssoziologe Prof. Hans Högl, Autor des Buches „Hinter den Fassaden des Tourismus. Dörfer im Stress“, beschäftigt sich mit Alltagshandeln in städtischen und ländlichen Gemeinden. Das nun abgesagte sogenannte Mistfest der zuständigen Wiener Magistratsabteilung nimmt Hans Högl zum Anlass für den folgenden Beitrag
Hans Högl
Hier nur ein Kriserl, zum leidigen Müllproblem und seinen Texturen in Wien. Feste sind auf Familiäres oder auf Brauchtum und Religion bezogen. Ein Fest ist nicht alltäglich. Nicht so bei der Mistwirtschaft der MA 48. Sie plante ein Mistfest am Wochenende in Hernals. Wie kam es zur Idee und zum Aufruf dieses seltsamen Festes?
Das ist denk-würdig.
Nun fiel das Wiener Mist-Fest ins Wasser. Geplant waren Attraktionen und Stände im Freien. Der Kulturphilosoph dreht sich- hörte er davon – noch im Grabe um. Aber die Abteilung Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark (MA 48) hatte ein Fest mit Attraktionen und Stände im Sinne. Was mit Abfall passiert, ist nicht beiläufig. Was da allein in Haushalten anfällt, erstaunt und will entsorgt werden.
Bürgermeister Zilk erkannte die Ambivalenz, Industriereste zu hinterlassen und entkräftete Kritik, indem er aus der Müllanlage in der Spittelau ein Hundertwasser- Kunstwerk gestalten ließ. Seit Inbetriebnahme der Müllverbrennungs-Anlage (MVA) Pfaffenau in Simmering entstehen aus 250.000 Tonnen Müll jährlich etwa 65 Gigawatt Stunden Strom. Damit können zig-tausende Haushalte versorgt werden. Seit 1993 muss Müll österreichweit getrennt entsorgt werden, in Städten und auf dem Land.
Wiens Bürgermeister Ludwig lächelt uns von Plakaten entgegen, umgeben von lieben „Mistbuam“. Beim Friedhof Hernals ist das beträchtliche Areal einer Müllanlage. Ein halbes Dutzend Arbeiter stehen Entsorgern zu Hilfe. In riesige Müllcontainer kommt Abfall: Problemstoffe, Altpapier und – eisen, Schrott, elektronische Geräte, Plunder, Ramsch, Krimskram, Gerümpel, Schlacke, Sperr- und Sondermüll. Dies wird geordnet, weggefahren, verbrannt, noch Brauchbares als Sonderstück weitergegeben. Doch wenden wir uns leidigen, professionell gedrechselten Müll-Sprüchen zu, die dem Städter begegnen.
Ein Blick auf Perlen der Müll-Texte
Die „Mist“-Texte – auf Mülleimer der MA 48 geklebt – gerieren sich teils halblustig: „Halt die City Pretty!„. „Thrashtag“.“ Es klingt anglophil und südländisch: „Mülle Grazie“. Oder: „Der Dreckshop Store – Bitte füttern!“ Ja, da schimmert Witz durch.
Einiges macht nachdenklich. Verlieren wir einen Gedanken daran. Sprach-Spott klingt in manchen Müll-Sprüchen durch: „Mach`s kleiner, warat feiner“ – „I tram vom Mist“. „Ich gehöre zur Famüllie“. „I bim sauber! „Ich hab` Dich vermist“. „A echter Wiener haut nix runter“. Redet ein Ausländer holprig, verdrehen Einheimische ihre Worte spöttisch.
Robert Sedlaczek schreibt in „Wenn ist nicht würdelos“ vom kurzzeitigen OefB-Teamchef Karel Brückner aus Olmütz, der bei seinem ersten Presseauftritt holprig Deutsch sprach, worauf Sportjournalisten dies in Häme bemerkten und und an Giovanni Trapattonis Sager erinnerten: „Ich habe fertig“.
Manche Texte klingen akzeptabel: „Mist im Kübel ist nicht übel“. „Bitte füttern“. „Du hast es in der Hand. Bau keinen Mist.“ -Manchmal klingt Humor durch: „Sinnlose Anträge hier einbringen“/ „Nächster Halt Mistkübel“. „Unsere Stadt hat Abfall satt“. „Restverwerter“. „Klima-Schmutz-Expert*in“. „Der tut nix! Der will nur Müll“. „Mir schmeckt´s halt“.
Einfache Sprache – wohl anfangs in Schweden gepflegt – ist ein Anliegen. Ob die genannten Müll-Sprüche immer sinnvoll und passend- und hilfreich sind – fürs Nebenbei- Erlernen der deutschen Umgangssprache, wo so viele ohne Schulabschluss und dann ohne Arbeit bleiben? Vielleicht wären in einfacher Sprache andere Worte zu finden?
Kürzlich parkte vor dem Haus ein PKW einer renommierten Marke. Der Fahrer hinterließ als Wegwurf Getränkedosen, entsorgt neben dem Auto. Einen Tag danach lagen noch Rest herum. Dosen zu gar nicht fernen Mülleimern zu bringen, kam dem Fahrer nicht in den Sinn. Rasch die Vermutung: Dies sind Leute (geografisch) von da unten. Aber werfen wir nicht selbst Papierkartons weg, ohne sie zu zerteilen? Waren-Hüllen per Internet bestellt. Manches landet an falscher Stelle: Zigarettenreste bei U-Bahnen. Darum nun die drohende Aufschrift „Wirf dein Geld nicht weg. 50 € für verlorene Tschickstummel“.
Auch Fahrräder haben ein Schicksal. Eine Zürcher Zeitung schreibt: „Es gibt doch einige Sachen im Leben, ….denen man etwas nachtrauert, wenn sie plötzlich aus dem Alltag verschwinden. In meinem Fall sind es die stets gleichen trostlosen Velos am Abstellplatz beim Bahnhof, die ich teilweise wochenlang antreffe. Bleibt eines hier länger als 30 Tage am selben Ort stehen, sammelt es Entsorgung+Recycling Zürich ein. So kommt es zur erklecklichen Zahl von 3.000 Velos im Jahr. Doch beruhigen wir uns: Die fahrbaren Velos werden für gute Zwecke eingesetzt.“ Auch in Wien stehen Fahrräder herum oder Angebote, die zu wenig genützt werden.
Im übertragenen Sinn weist der Liedermacher und Lyriker Thomas Andreas Beck vom Müll und Dreck im Süden Wiens auf garstiges, gemeines Alltagsverhalten. Er nahm in einem Grätzel den Dreck wahr und sah dies klarer, als er eine Innenstadt-HTL- besuchte. Und er fand akzeptablere mitmenschliche Beziehungen.
Und er, Thomas Andreas Beck, korrigiert eine vorschnelle Mediensicht: Ist von Banden die Rede, wird rasch auf ethnische Wickel unter Migranten verwiesen. Beck: Bandenkriminalität am Reumann-Platz ist kein Ausländerproblem. „Wir waren toxisch männlich, Favoriten gegen Simmering“. „Der Keller ist dem Österreicher sein Aussichtsturm“, heißt sein aktueller Lyrikband.
Abschließend Spitzenleistungen der Mülltexte und ein sinniger Gedanke:
„Ich lass` mich gern papierln“ „Hasta la mista Baby?“-.Sind Mistfeste Holy Days?
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