Hans H ö g l
Medien sind Wirtschaftsbetriebe und orientieren sich primär nach ökonomischen Normen, aber sie schmücken sich mit dem Etikette der Aufklärung. Darum lässt das Wort des jungen Karl Marx aufhorchen: Die erste Freiheit der Presse ist es, kein Gewerbe zu sein. Medienkritik ist alles andere als neu. Aber Medienkritik von wissenschaftlicher Publizistik schwächelt seit Jahren. Einer der Gründe: Die Universität ist durch die Verpflichtung, sich Drittmittel für die Finanzierung der eigenen Institute zu beschaffen, von großen Medien wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk abhängig geworden. Und auch darum wurde wissenschaftliche Medienkritik viel sanfter.
Demgegenüber steht der radikale Slogan „Lügenpresse“. Erst seitdem erwacht die Medienbranche, gesteht Fehler und Schwachpunkte ein, weist aber die Fundamental-Kritik zurück.
Darum kommt das Buch des Schweizer Medienwissenschafters Roger Blum: Unseriöser Journalismus? Beschwerden gegen Radio und Fernsehen in der Schweiz genau rechtzeitig und ist eine wertvolle Dokumentation. Über Jahrzehnte befasste sich Roger Blum mit Schweizer Publikumsbeschwerden versus privaten und öffentlichen Medien. Im ersten Abschnitt geht der Autor auf etwa dreißig Seiten den Beschwerdemöglichkeiten in Deutschland, Österreich, Luxemburg, Südtirol, Ostbelgien und Liechtenstein nach.
Offensichtlich verfügte er kaum über Informationen über den ORF-Publikumsrat; denn seine Worte über die Beschwerden in Österreich sind zu optimistisch und beziehen sich auf die KommAustria als rechtlicher Beschwerdeinstanz. Laut Publizistikprofessor Fritz Hausjell existieren keine Dissertationen über den ORF-Publikumsrat. Aber dessen Ablauf wird ausführlich und kritisch in meinem Beitrag in der Österreich-Onlineausgabe der „Neuen Zürcher Zeitung (nzz.at) dargestellt.
Sehr aufschlussreich ist, mit welcher Seriosität, Sorgfalt und Klugheit in der Schweiz mit Publikumsbeschwerden umgegangen wird. Blum weiß um Querulanten, denen nichts recht zu machen ist. Aber darum geht es ihm nicht. Das Schweizer Beschwerdesystem ist zweistufig. Es gibt regional-sprachliche Ombudsleute – diese stellen einen Kontakt zwischen den Beschwerdestellern und Medienvertretern her. Sind Beschwerdeführer mit den Antworten der Ombudsstellen unzufrieden, so wird die Beanstandung an die Unabhängige Beschwerdeinstanz (UBI) weitergeleitet.
Von den 643 Beschwerden, die bei der UBI seit 1984 eingegangen sind, wurden 450 materiell behandelt. Die restlichen wurden zurückgezogen oder auf anderem Weg erledigt. 84 Beschwerden wurden ganz oder teilweise gutgeheißen, dies waren also 13 % oder rund jede achte Beschwerde. (Neue Zürcher, 13. März 2012).
Also: Journalismus ist besser als sein Ruf, wenngleich Blum den allgemeinen Trend der Kommerzialisierung auch bei Schweizer Medien konstatiert. Er dokumentiert im genannten Werk ausführlich diverse Beschwerde-Entscheidungen über Themen wie: Minaretten-Initiative, Wahlsendungen, Meinungsforschung, Medienopfer, Diskriminierung, Jugendschutz, Satire, kriegerische Konflikte, Medizin, Tierschutz, Umwelt, Kultur.
Roger Blum: Unseriöser Journalismus? UVK Verlag, Konstanz 2016, Umfang: 279 Seiten.