Archiv für den Monat: Januar 2019

Atomwaffen für Europa? Arte-Medientipps

ARTE-Medientipps (H.Högl)

Sa 2.Februar 00:10 Komisch, tragisch, Österreich.Kurzfilme

Die 5.Februar 22:35 Mehr Atomwaffen für Europa?
23.30 Libanon. Mit offenen Karten 15 Min.

So 10.Februar 00:35 Arnold Schwarzenegger.Aufstieg in USA

Die 12.Februar 20:15 Goldfieber. Tödliche Nebenwirkungen.

China: Milliarden für Venezuela

Neue Zürcher (online 31.1.2019) Gastbeitrag ( ausgewählt von Hans Högl )

China bangt um seine Milliarden, die es in Venezuela investiert hat

Peking verfolgt die Wirren in Venezuela mit bangem Blick. Das lateinamerikanische Land schuldet China Milliarden. Peking hält zwar offiziell am Prinzip der Nichteinmischung fest. Dennoch knüpfen Chinas Machthaber bereits Kontakte mit der Opposition.

Brexit: Backstop und andere Begriffe

Gastbeitrag (Der Standard-online 29.1.2019-gekürzt)

BREXIT: Barnier: London muss 44 Milliarden auch bei No Deal überweisen.
Bei einem sogenannten „No Deal“ verlässt Großbritannien die EU ohne jegliche Austrittsvereinbarung am 29. März. Bei diesem Szenario, vor dem viele warnen, würden Handelsbarrieren nach Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) errichtet werden. Nachdem diese Barrieren in Kraft getreten sind, kann Großbritannien versuchen, Freihandelsabkommen mit anderen Ländern zu schließen.

Backstop

Aufgrund des Karfreitagsabkommens, das den Bürgerkrieg in Nordirland beendete, gibt es zwischen der Republik Irland und Nordirland keine „harte Grenzen“, also keine Passkontrollen oder Kontrollen von Waren und Gütern am Grenzübergang. Die Republik Irland wie auch das Vereinigte Königreich, die Isle of Man und die Kanalinseln formen die „Common Travel Area“, ein gemeinsames Gebiet mit offenen Grenzen. Der im Austrittsvertrag festgelegte Backstop ist dazu gedacht, dass die im Karfreitagsabkommen vereinbarten offenen Grenzen zwischen Nordirland und der Republik Irland auch nach einem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs bestehen bleiben. Der Backstop ist eine Art Versicherung: Er tritt nur dann in Kraft, wenn die Gespräche über die künftigen Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU nicht zum Erfolg führen.

Der Backstop sieht vor, dass das Vereinigte Königreich so lange in der EU-Zollunion bleibt, bis eine Einigung über die künftigen Handelsbeziehungen erreicht ist. Darüber hinaus müsste Nordirland gewisse Regeln des gemeinsamen Binnenmarkts befolgen. Kritiker des Backstops sehen darin die Gefahr eines Auseinanderbrechens des Vereinigten Königreichs, wenn Nordirland permanent diese Binnenmarktregeln befolgen müsste. Sie fordern daher eine zeitliche Begrenzung des Backstops, was die EU bisher ablehnt.

Handel nach WTO-Regeln

Länder, die keine Freihandelsabkommen miteinander abgeschlossen haben, tauschen Waren und Dienstleistung nach Regeln der WTO aus. Demnach setzt ein Land Zölle oder Abgaben auf Waren, die importiert werden, fest. Die EU hebt derzeit zum Beispiel hohe Zölle auf landwirtschaftliche Produkte ein. Laut WTO-Regeln müssen die Zölle aber für alle WTO-Mitglieder ohne Freihandelsabkommen gelten, einzelne Mitglieder können nicht bevorzugt behandelt werden. Wenn also Großbritannien künftig einen bestimmten Prozentsatz an Zöllen auf bestimmte Waren aus der EU einheben will, muss derselbe Prozentsatz auf dieselben Waren anderer WTO-Mitglieder eingehoben werden. Außer es gibt ein …

Freihandelsabkommen

Ein Abkommen zwischen zwei oder mehreren Staaten, das Zölle und Handelsbarrieren verringert, diese aber nicht notwendigerweise komplett beseitigt. Ziel eines solchen Abkommens ist die Steigerung des Handels zwischen den teilnehmenden Staaten durch Abbau von Handelsbarrieren. Neben Zöllen werden in Freihandelsabkommen oft auch gemeinsame Regeln und Produktstandards festgesetzt.

Gemeinsamer Binnenmarkt

Im EU-Binnenmarkt sollen Waren, Dienstleistungen, Kapital und Menschen frei zwischen den EU-Staaten sowie assoziierten Staaten … verkehren können.. Die vier Freiheiten (Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen) sind untrennbar miteinander verbunden. Besonders der freie Personenverkehr stieß in Großbritannien auf Widerstand. Diese Freiheit ermöglicht es Bürgern des EU-Binnenmarkts, ohne Einschränkungen in ein Mitgliedsland zu reisen, sich dort niederzulassen, dort zu studieren oder zu arbeiten.

Übergangsperiode

Die Übergangsperiode ist im zwischen der britischen Regierung und der EU ausgehandelten Austrittsvertrag festgesetzt. Sie dauert 21 Monate und beginnt mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU am 29. März 2019 und endet 2021, kann aber um zwei Jahre verlängert werden, falls beide Seiten dem zustimmen. In dieser Übergangsperiode würde Großbritannien weiter im Binnenmarkt bleiben, müsste sich allerdings weiter an EU-Regeln halten, hat aber in den EU-Institutionen kein Mitspracherecht mehr. Mit der Übergangsfrist gewinnen Großbritannien und die EU Zeit, um einen Vertrag über ihre künftigen Beziehungen zu verhandeln, damit der Austritt möglichst reibungslos verläuft.

Austrittsvertrag / Geregelter Austritt

Auf 585 Seiten wurde unter anderem festgelegt, wie viel Großbritannien der EU als Teil des Scheidungsdeals zahlen muss, darüber hinaus Dauer und Formalitäten der Übergangsperiode sowie die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien und die Rechte von Briten in der EU.

ARD-Doku huldigt Österreichs Kanzler

ARD-Dokumentation „glorifiziert“ Sebastian Kurz

Ist das eines öffentlich-rechtlichen Mediums würdig ?

Udo Bachmair

„Wollte eigentlich nicht Berufspolitiker werden, sondern einen anständigen Beruf erlernen“

Mit diesem denkwürdigen Eingeständnis eines Regierungsschef hat die jüngst ausgestrahlte ARD-Dokumentation über das politische Wunderkind Sebastian Kurz begonnen.

Die Doku geriet zu einer streckenweise peinlichen Huldigung des jüngsten Regierungschefs Europas. Der Wiener ARD-Korrespondent Michael Mandlik war dem Charme des Strahlemanns offenbar voll erlegen. Öffentlich-rechtlich und ausgewogen sieht anders aus.

Wenig kritische Distanz zu Kurz und dessen „Mitte-Rechtsregierung“ war auch seitens des Politikanalysten Thomas Hofer zu vernehmen. Überraschend sanft auch der Chefredakteur des Falter, Florian Klenk. Der dürfte von Kurzens bahnbrechendem Durchmarsch derart überzeugt sein, dass er ihn sogar zum Langzeitkanzler über mehrere Regierungsperioden adelt.

Bloß am Koalitionspartner FPÖ ließ die ARD-Doku kein gutes Haar. Wegen zahlloser als rechtsextrem konnotierter „Einzelfälle“ wurde er sozusagen als Klotz am perfekten Bein von Sebastian Kurz dargestellt, ohne auch dessen Rolle kritisch zu analysieren.

Kein Wort darüber, wie oft der Kanzler zu welchen Rechts-Außen-Unsäglichkeiten seines Juniorpartners geschwiegen hat.

Kein Wort darüber, dass Kurz immer wieder auf Kosten von Minderheiten und Asylwerbern, die „ins Sozialsystem einwandern“, vordergründig politisches Kapital schlägt.

Kein Wort darüber, dass damit ein sich selbst als christdemokratisch einstufender Politiker Begriffe wie Empathie, Humanität und Menschenrechte nicht allzu ernst zu nehmen scheint.

Das belegt auch der Umstand, dass Kurz kaum jemals Bedenken gegen die Überstellung von Flüchtlingen in libysche Folterlager geäußert hat. Da ändert sich auch nichts daran, wenn auch Bundespräsident Van der Bellen – sogar in Anwesenheit des von Kurz herzlich in Wien empfangenen Regierungschefs Libyens – bekräftigt, dass die Rückschiebung von Flüchtlingen in die erwähnten Lager „gar nicht geht“.

Die ARD-Doku, produziert vom Bayrischen Rundfunk, zeichnet ein insgesamt fast ausschließlich positives Bild von Österreichs Kanzler. In der ZIB 24 des ORF fiel dazu in der Nachbetrachtung das Wort „glorifizierend“. Kein Wunder, denn auch deutsche Medien erliegen der perfekten Selbstinszenierung des hochbegabten Jungpolitikers.

Journalistische Kritikfähigkeit sollte dabei jedoch nicht verloren gehen. Ein „no go“ für ein öffentlich-rechtliches Medienunternehmens wie die ARD, von dem eigentlich Differenzierung und Ausgewogenheit zu erwarten wäre.

Deutsche wollen nur gewinnen! Postings

Hans Högl.Kurzkommentar.

Mich irritiert in den Sportdebatten des Publikums und auch in den Medienberichten, dass es fast ausschließlich um Sportler des eigenen Landes geht, als müssten diese immer siegen. Das folgende Beispiel betrifft deutsche Postings. Wir Österreicher sind da keinenfalls um einen Deut besser. Identifikation mit befreundeten Europäern- vergiss es! Weltbürgertum – wo bleibst Du?

ORF.at Sport.Debatte. Handball-WM 2019

Deutschland verspielt Bronze in letzter Sekunde. Es war zwar nur das kleine Finale, aber die deutschen Handballer wollten unbedingt die Bronzemedaille bei der WM. Doch die Franzosen waren in der zweiten Halbzeit zu clever.(Spiegel online)

Postings- Debatte: OT Handball-WM!

spacejam, 27.01. 16:05
GER-FRA
In der letzten (!) Sekunde der Siegtreffer für die Franzosen, damit Bronze gewonnen.Für Deutschland bleibt eine WM zum Vergessen. Schlussendlich viel Aufwand um nichts!

Antworten
berserker59, 27.01. 16:19
und dafür hat der ZDF das streif-rennen geopfert? oh mann… ^^

spacejam, 27.01. 16:25
Ja! Unglaublicher Anfänger-Fehler im taktischen Bereich der Deutschen 10 Sekunden vor Abpfiff!

Politische Gustostückerl in ARTE

Medientipp (Hans Högl)

Der deutsch-französische Kultursender verdient wahrlich mehr Aufmerksamkeit. Nur rund jede/r 100. im deutschsprachigen Raum sieht ARTE. Am kommenden Dienstag (29.1) bietet ARTE höchst interessanter Dokus für außenpolitisch Interessierte. Kurze Rückmeldungen dazu von unseren Lesern würden uns freuen.

17:15 – 17:40 K u b a – Auf zu neuen Ufern. Doku

17:40 – 18:35 B h u t a n- Königreich der Glücklichen. Reisedoku. Staatsziel von Bhutan ist Glücklich-Sein der Menschen.

21:05 – 22:00 M a o. Vermeintlicher Vater des modernen China. Doku

22:00 – 22:55 Exit. Mein Weg aus dem Hass. Von links über rechtsextrem zu Aussteigerin. Ein Porträt. (Film aus Norwegen)

22:55 – 23:50 Gewalt von links: Eine Bewegung zwischen Protest und Gewalt.Meist wenig beachtet. Hoher Organisationsgrad der Bewegung in Europa.

23:50 -00.05 Mit offenen Karten. Migration in A f r i k a. Diese sehr kurze Sendung bringt meist exzellente Hintergrundinfos.

Welthistorische Jahre

Karl-Heinz Hinrichs (EVAL-Bewegung-Ramsau Steiermark). Gastbeitrag.

EVAL ist eine öko-soziale Bewegung, hat eine enorme Datenbank aufgebaut und nimmt teil an der „Initiative Zivilgesellschaft“. Auch wir, die „Vereinigung der Medienkultur“, sind Mitglied dieser Initiative. Das folgende Schreiben erinnert an große historische Ereignisse, die im Alltag der Medienwelt oft übersehen werden. Darum greifen ich diesen Text auf und habe ihn geringfügig geändert.(Hans Högl)

Es mag übertrieben klingen, aber das Jahr 2019 hat das Potenzial ein Jahr mit großer Bedeutung zu werden: der Zeitpunkt, wo die (ökologische) Trendumkehr begann.

Die Jahre mit der Zahl 9 am Ende scheinen eine große geschichtliche Bedeutung zu haben. Historiker definieren aus der Gesamtsicht der Fakten die Geschichte.

1789 war die französische Revolution mit welthistorischer Bedeutung.

1929 begann mit dem „Schwarzen Freitag“- eine bis dahin nie erlebte Weltwirtschaftskrise mit welthistorischer Bedeutung.

1939 Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.

1989 fielen genau 200 Jahre nach der Französischen Revolution die Berliner Mauer und die Sowjetunion mit welthistorischer Bedeutung.

Menschenrechte: FPÖ-Innenminister überschreitet rote Linie

Kickls Verhältnis zum Rechtsstaat gestört ?

Udo Bachmair

Für die meisten Medien, aber auch für Politiker aller Parteien außer der FPÖ ist klar:
Innenminister Kickl hat die rote Linie ( wieder einmal ) weit überschritten. Vor dem Hintergrund der schon länger bekannten Skepsis seiner Partei gegenüber der Menschenrechtskonvention hat Kickl nun also noch einmal nachgelegt:

„Ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“.

Die Reaktionen in Politik, Justiz und Medien sind überwiegend kritisch bis empört. So hat Kickl laut dem renommierten Richter Friedrich Forsthuber am „Wertegerüst unserer Rechtsordnung“ gerüttelt. „Es gibt keine Demokratie light, keine Menschenrechte light.“ Das Verständnis von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaat müsse vor allem auch seitens der Zivilgesellschaft verteidigt werden, bekräftigt Forsthuber gegenüber dem Kurier.

Die angesprochene Zivilgesellschaft gibt in dieser Frage ein kräftiges
Lebenszeichen. Neben zahlreichen anderen Besorgten um Rechtsstaat und Demokratie hat sich nun auch eine prominente frühere ORF-Stimme zu Wort gemeldet: Chris Lohner. Mit dem Hinweis „Ich kann jetzt nicht mehr anders“ hat sie an Bundesprädident  Van der Bellen via Facebook folgenden offenen Brief geschickt:

„Ich meine, es ist jetzt höchste Zeit, dass Sie Ihre Möglichkeiten als Bundespräsident dieses Landes nützen, um den ständigen Attacken dieser Regierung auf die Demokratie Einhalt zu gebieten und zwar mit aller Härte und Deutlichkeit. Es ist unerträglich geworden, täglich von Rechts- und Menschenrechtsverletzung, Verhetzung, verdrehten Tatsachen und dem steten Versuch, das Volk dieses Landes zu spalten, zu hören und zu lesen. Ich bitte Sie inständig, einzugreifen und dem grausigen Treiben ein Ende zu machen und ich bin nicht allein mit dieser Bitte! Mit herzlichen Grüßen in der Hoffnung, dass mein Posting sehr bald von Ihnen gelesen wird. Chris Lohner, Wien“

Die Antwort des Bundespräsidenten steht noch aus. Ob er noch deutlicher wird als in seiner bisherigen Stellungnahme, bleibt abzuwarten. Gäbe es hierzulande eine Rücktrittskultur, müsste der Innenminister nach der Infragestellung der Menschenrechtskonvention, die noch dazu Verfassungsrang hat, seinen Hut nehmen. Wann, wenn nicht jetzt. Ein ähnlicher Fall etwa in Deutschland würde klare Konsequenzen nach sich ziehen.

 

Welt der Familie. Romantipp. J. Franzen: Die Korrekturen

Hans Högl: Leben mit dem  Roman. Rezension

Erfahrene Journalisten empfehlen Berufsnovizen, gehobene Literatur zu lesen. Auch Belletristik ist potentiell Medienkultur. Gibt es moderne Bücher, die den verblichenen Titel "Klassiker" verdienen? fragt ein Beitrag in der niveauvollen Monatszeitschrift "Datum" und nennt den Roman "Die Korrekturen" von Jonathan Franzen, erschienen 2001.

Meist lese ich sozio-politische Texte. Von „Korrekturen“ ließ ich nicht mehr los, griff immer wieder danach. Wo bin ich jetzt ? fragte ich mich des öfteren, denn die Sequenzen von Ort und Zeit sind mit Raffinement konzipiert. In der Mitte des inneren und äußeren Geschehens ist eine „reale“ Familienwelt: ein alt gewordenes Ehepaar, ein sturer, seniler Typ eines Ingenieurs, eine rüstige, gern keppelnde Frau, und wir tauchen ein in das moderne Leben der zwei Söhne und der Tochter und wie geschickt sie ihre Lebenswelt vor den Eltern kaschieren. Sie sind besten Alters. Und die fünf Charaktere sind überaus verschieden.

Die Grundierung des Romans -amerikanische Mittelklasse- ist Westeuropäern näher als vermutet. Der Spannungsbogen gipfelt im familiären Weihnachtsfest. Der Roman hat eine sprachlich-geschliffene Klinge, die deutsche Übersetzung ist überaus gelungen.

Wort-Schmankerl aus „Korrekturen“

-Der schlafende Alfred (Vater) war eine „Symphonie aus Schnarchen, Schnaufern und Röchlern“. – (Tochter) Denis hatte vom Vater „den einschüchternden Gestus moralischer Autorität“.

– Mutter Enid wünscht einen Schwiegersohn mit adrettem Haarschnitt, aus einer traditionbewussten Familie stammend und unverdorben trotz der unsäglichen Unterhaltungsidustrie. Sie stellt dem Gegenüber Fragen, um in Antworten „mögliche Subtexte und versteckte Erwartungen“ zu erkunden.

– (Sohn) Chip häuft Preise und Stipendien auf, die „im akademischen Königreich die gültige Währung“ haben (Er verlor aber seine Lehrtätigkeit…. und kam auf Abwege).

-„Genug, genug. Was andere machen ist mir schnurz“ sagt (Vater) Alfred zu seinem Sohn Gary, der für das technisches Patent seines Vaters von einer Firma wesentlich mehr herausholen will, als ein Firmennotar dafür anbietet.

 

Journalistische Selbstkritik?

Neue Zürcher. Gastbeitrag. Online 23.1.2019

Hat sich beim früheren, zu Unrecht an den grossen Pranger der Öffentlichkeit gestellten Bundespräsidenten Christian Wulff irgendeine Zeitung, ein Sender oder verantwortlicher Redaktor persönlich entschuldigt? Im Gegenteil, sein Buch «Ganz oben, ganz unten», in dem Wulff die erbarmungslose Demontage seiner Person schildert, wurde von vielen Rezensenten gleich wieder mit Häme bedacht. Und wie sieht es jetzt im Fall des «Spiegel»-Hochstaplers Claas Relotius mit der journalistischen Selbstkritik aus? Die Frage beschäftigt auch die Autorin Susanne Gaschke. Für sie bietet der jüngste Medienskandal eine Gelegenheit, über die Entfremdung zwischen den Medienmachern und dem Publikum nachzudenken. Vermutlich werden die konkurrierenden Medien dazu zurückfinden müssen, einander gegenseitig auch in Qualitäts- und Sorgfaltsfragen stärker auf die Finger zu schauen, so schwer das in der gemütlichen kollegialen Beziehung fallen mag. Denn eine andere zuverlässige Instanz für Medienkritik als die Medien selbst habe unsere demokratische Öffentlichkeit nun einmal nicht, so Gaschkes Fazit in ihrem Feuilleton-Beitrag.

Wir fügen noch Texte aus diesem Kommentar an und heben Textteile hervor:

Misstrauen und politische Ahnungslosigkeit

Parallel zum Misstrauen gedeiht die Gleichgültigkeit: Seit mehr als zehn Jahren beobachtet das Institut für Demoskopie Allensbach, wie das Interesse der 14- bis 29-jährigen Deutschen an Politik, Wirtschaft, Geschichte, aber auch an Literatur oder klassischer Musik kontinuierlich schwindet. In den USA sieht es ähnlich aus.

Der Politikwissenschafter Torben Lütjen beschreibt, was passieren kann, wenn Misstrauen und politische Ahnungslosigkeit sich verbinden: Er spricht von einer Art «entgleister Aufklärung». Nach seiner Lesart hat sich das antiautoritäre, «kritische» Denken in den westlichen Gesellschaften so sehr durchgesetzt (und vulgarisiert), dass inzwischen auch jene, die politisch «rechts» zu verorten sind und bei denen man autoritäre Einstellungen vermuten würde, davon ergriffen wurden. Von früheren Autoritäten wollen sich diese neuen Antiautoritären nichts mehr sagen lassen; sie laufen nicht der Herde hinterher, sie recherchieren «die» Wahrheit selbst im Netz, sie durchschauen die Täuschungsabsicht des Systems. So kontraintuitiv das vielleicht klinge, schreibt Lütjen, es handele sich dabei durchaus um eine «individuelle Selbstermächtigung». Nur dass die derart selbst Ermächtigten, weil sie den offiziellen Quellen aufgrund höherer Einsicht ja nicht glauben können, besonders zu Verschwörungstheorien neigen.

Der amerikanische Autor Dave Eggers hat in seinem verstörenden Roman «Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?» (2014) einen Antihelden dieses verqueren Bewusstseins erstehen lassen. Argumentativ ist dem gefährlich verwirrten, aber ungeheuer überzeugten jungen Mann in der Erzählung nicht beizukommen – am Ende wird er von Spezialkräften der Armee erschossen. Das wäre keine verlockende Perspektive für die Entwicklung des Diskursklimas.

Journalistisches Verhalten braucht Kritik

…..  Ab heute glauben wir euch Journalisten kein Wort mehr! Der Prozess der Entfremdung wäre, erstens, ohne das Internet undenkbar: Erst das Internet bietet die alternativen Quellen, erst das Internet bringt Zehntausende von Gleichgesinnten zusammen, bestätigt störungsfrei vorgefasste Meinungen, erlaubt anonyme Beleidigungen Andersdenkender.

Zweitens haben die Medien erheblichen Anteil am Kontaktverlust zum Publikum. Darüber ist meist wenig zu lesen: Für Journalisten scheint ihr eigenes Tun oft im toten Winkel zu liegen. Es ist schon erstaunlich, dass eine Branche, die Kritik für ihre wesentliche Aufgabe hält, sich selbst mit dem Kritisiertwerden oft so schwertut. Sicher, gelegentlich gibt es Aufwallungen von Selbstbezichtigung und Reue. Etwa im Falle des, wie wir inzwischen wissen, zu Unrecht an den ganz grossen Öffentlichkeitspranger gestellten Bundespräsidenten Christian Wulff. Oder wie eben jetzt im Fall des «Spiegel»-Hochstaplers. Doch sehr nachhaltig sind diese Anfälle von Selbstkritik bisher nicht gewesen…..

 Beim «Spiegel» ist das Selbstbewusstsein immer besonders ausgeprägt. Aber es steht zu fürchten, dass viele Vertreter des Berufsstands diesen Immunitätsanspruch teilen. Die unausgesprochene Grundannahme der Journalisten lautet zu oft: Wir sind die Guten, wir haben keine eigenen Interessen, wir stehen für die Kritik an den Mächtigen, wir können die Wahrheit erkennen. Es ist schon klar, dass Journalisten nach alldem streben müssen – aber jede Lebenserfahrung spricht dagegen, dass das immer gelingt. In Sachen Relotius war nun wirklich nichts mehr zu retten, weshalb der «Spiegel» dann eben die tollste selbstkritische Titelgeschichte, die beste Fehleraufarbeitung aller Zeiten, den schonungslosesten Umgang mit einem Ex-Mitarbeiter präsentierte – und alles war wundervoll geschrieben.

Zerrbild korrekter Berichterstattung

Das Bittere an der Relotius-Geschichte ist, dass sie gerade von Ressentiment geprägte Mitbürger weder wundert noch entsetzt. Und es ist doppelt bitter, dass die «Reportagen» von Claas Relotius diesem (Zerr-)Bild von politisch korrekter Berichterstattung vollkommen entsprachen: Randvoll sind sie mit dumpf-reaktionären Trump-Wählern, herzzerrreissenden syrischen Flüchtlingskindern und zu Unrecht in Guantánamo Eingekerkerten. Wären sie der Redaktion auch unter umgekehrten politischen Vorzeichen durchgerutscht?

Nun setzen sich natürlich auch die Chefredaktoren nicht an den Konferenztisch und beschliessen dort eine möglichst einheitliche und bevormundende Linie der Berichterstattung. Aber der Journalismus ist ein Milieu, eine Sphäre, ein gesellschaftliches Subsystem, das seine Angehörigen prägt – durch kulturelle Vorbilder und Tradition, durch ökonomische Zwänge und manchmal auch durch Moden und Ideologien. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist es zum Beispiel zunehmend unmodern geworden, dass Journalisten ganz klar einer Partei oder einer politischen Überzeugung zuzuordnen sind: «Neutral» sollte ihre Berichterstattung sein. Wobei allerdings in Vergessenheit geriet, dass jeder Mensch, auch jeder Reporter, erkenntnisleitende Interessen hat – nicht nur SPD oder CDU, sondern auch männlich, weiblich oder allerlei anderes; homo oder hetero, Fleisch oder Veganer; religiös oder nicht; Hunde- oder Katzenfreund.

Unzählige Faktoren beeinflussen die Konstruktion eines Textes. Aus dem prinzipiell aussichtslosen Bemühen um Neutralität wurde bald eine bestimmte Form von Schiedsrichter-Besserwisserei, die sich nicht nur über die immer so hoffnungslos ungenügenden Politiker, Wirtschaftlenker oder Sportler erhob, sondern implizit auch über die Leser und Zuschauer. Man sagte ihnen, was sie zu denken hätten, ohne die eigene Parteilichkeit offenzulegen.

Die Quotenangst führte zu Themenkonformität: Warum haben wir diese Geschichte nicht? Die Beschleunigung durch das Netz führt oft zu einem Sieg von Schnelligkeit über Gründlichkeit. Die Krawallaffinität vieler Online-Leser führte dazu, dass die Redaktionen anfingen, nicht mehr nach Relevanz, sondern nach Klickzahlen zu gieren. Geradezu komplementär zum hektischen Quoten- und Onlinegeschäft entwickelte sich die besonders schön geschriebene Reportage, die fast an Literatur grenzt, und, siehe Relotius, offenbar dazu verführt, die sperrigen Aspekte der Wirklichkeit so lange zurechtzuphantasieren, bis sie in das ästhetische Konzept des Autors passen.

Gibt es Abhilfe?

Ein ganzes Universum von Preisen (in Deutschland ist von 250 bis 500 die Rede) ist nur dafür da, dass Journalisten gegenseitig ihre wundervoll geschriebenen Texte prämieren. Man bewirbt sich für diese Preise übrigens selbst, oftmals von den Redaktionen ermutigt. Dem breiten Publikum dürfte der ganze Zirkus weitgehend unbekannt sein. Aber vielleicht spürt es, dass viele Artikel eigentlich für die Kollegen in den Jurys geschrieben sind. Schaut man sich im unerbittlichen Internet noch einmal die dreistündige Verleihung zum Deutschen Reporterpreis 2018 an (beste Reportage: Claas Relotius), kann man das Mass an Branchen-Selbstbeweihräucherung nur schwer aushalten.

Gibt es Abhilfe? Ganz leicht sicher nicht. Vermutlich werden die konkurrierenden Medien dazu zurückfinden müssen, einander gegenseitig auch in Qualitäts- und Sorgfaltsfragen stärker auf die Finger zu sehen, so schwer das im gemütlichen kollegialen Verhältnis fallen mag.

Aber eine andere zuverlässige Instanz für Medienkritik als die Medien selbst hat unsere demokratische Öffentlichkeit nun einmal nicht. Journalisten müssen mehr Bescheidenheit und manchmal auch mehr Wohlwollen gegenüber ihren Berichtsgegenständen – und Lesern – entwickeln. Und sie brauchen eine Entschuldigungskultur, die nicht verschämt oder trotzig Fehler höchstens auf Seite 18 zugibt. Ob das alles hilft, um die Öffentlichkeit zu reparieren und Vertrauen zurückzugewinnen? Vielleicht nicht. Es aber nicht einmal versucht zu haben, hilft auf keinen Fall.