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Keine Chance mehr für die Wiener Zeitung

Das Ende der Wiener Zeitung im Jahr 2023 bleibt auch noch heute ein schmerzlicher Verlust an Qualitätsjournalismus in unserem Land. Ein jüngster Vorstoß aus der Zivilgesellschaft mit dem Ziel, das traditionsreiche Blatt wieder zum Leben zu erwecken, hat sich als erfolglos erwiesen.

Udo Bachmair

Es war Ende Juni 2023. Die älteste Tageszeitung der Welt, die „Wiener Zeitung“ erschien das letzte Mal in gedruckter Form. Der damaligen schwarz/grünen Bundesregierung war es vorbehalten, dieses renommierte Blatt endgültig zu Grabe zu tragen. Allen Protesten zum Trotz, die die Zeitung als außergewöhnliches Kulturgut erhalten wissen wollten. Die ÖVP-Regierungspartei und ihre Medienministerin blieben hart.

Besonders unverständlich war die unerbittliche Haltung der damaligen grünen Kultursprecherin Eva Blimlinger. In einem Gespräch erklärte sie mir gegenüber: „Dieses Blattl hat eine zu geringe Auflage, es rechnet sich nicht, wir wollen es nicht mit Millionen durchfüttern“. Meinen Hinweis, dass auch grüne Parteikollegen von ihr einen Appell pro Wiener Zeitung unterschrieben hatten, konterte Frau Blimlinger mit der Aussage: „Die haben keine Ahnung von dieser Sache“.

Ferne Hoffnung keimte auf, als unmittelbar nach der Einstellung der Wiener Zeitung der damals neue SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler gegenüber dem Kurier* Folgendes zur Causa erklärte:
„Dieses kaltschnäuzige Aus für eine Tageszeitung, die der Republik – also uns allen -gehört, die sich dem unaufgeregten Qualitätsjournalismus verschrieben hat, ist ein medienpolitischer Skandal, den ich nicht akzeptieren kann und werde.“

Und Babler weiter: „Wenn wir wieder in Regierungsverantwortung sind, dann werden wir jedenfalls Mittel und Wege suchen, um die Wiener Zeitung als gedruckte Tageszeitung zurückzuholen“.

Nun also ist die SPÖ wieder in Regierungsverantwortung und Andreas Babler nicht nur Vizekanzler, sondern auch Medienminister. Das nahm Ilse Kleinschuster, engagiertes Mitglied der Zivilgesellschaft und unserer Vereinigung für Medienkultur zum Anlass, einen Brief an Babler zu schreiben, um diesen an die damalige Aussage zu erinnern:

„Ich habe mir am 23.3. mit großer Sympathie die ORF – Pressestunde mit unserem neuen Bundesvizekanzler Herrn Babler angehört. Seine Stellungnahme in Bezug auf den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk habe ich gut gefunden und hoffe, dass es ihm gelingen wird, den österreichischen. Rundfunk in dessen derzeitigen, steuerfinanzierten Form zu erhalten.
Was von den Journalisten leider nicht nachgefragt worden ist und was auch nicht im Regierungsprogramm steht, ist die Frage nach der Wiener Zeitung‘. Wird Babler sein vor zwei Jahren gegebenes Versprechen die Wiener Zeitung als gedruckte Zeitung zurückzuholen, einlösen können?“

Eine Antwort aus der SPÖ kam prompt:

„Vielen Dank für Ihr E-Mail und Ihre freundlichen Worte. Wir haben Ihr Schreiben umgehend an das Kabinett des Herrn Vizekanzlers weitergeleitet und wurden gebeten, Ihnen direkt zu antworten. Der Herr Vizekanzler betonte, dass die Einstellung der Wiener Zeitung ein großer Verlust gewesen sei und er dazu auch klar Stellung bezogen habe. Es sei wahnsinnig schade, dass es sie in ihrer bisherigen Form nicht mehr gebe. Leider sei mit der damaligen Entscheidung auch die gesamte Struktur der Printausgabe zerschlagen worden, sodass eine direkte Rückkehr nicht ohne Weiteres möglich sei. Eine Wiederbelebung in gedruckter Form stehe zudem nicht mehr im Regierungsübereinkommen und sei – so sehr er es sich auch wünschen würde – unter den aktuellen Gegebenheiten leider sehr unwahrscheinlich.“

Eine freundliche Antwort. Aber inhaltlich natürlich enttäuschend, nicht nur für Ilse Kleinschuster, denn der anfangs fernen Hoffnung ist offenbar somit die letzte Wahrscheinlichkeit genommen worden, dass das Kulturgut Wiener Zeitung jemals wieder in gedruckter Form das Licht der Welt erblicken könnte. Trotz bekundeten guten Willens seitens des Medienministers.

• https://kurier.at/kultur/medien/spoe-chef-babler-will-wege-suchen-die-wiener-zeitung-zurueckzuholen/402504951

Verhaltene mediale Kritik

Laut Bibel sollten wir eigentlich das Salz der Erde sein. Aber unsere Medien bevorzugen anscheinend salzlose Kost.

Wolfgang Koppler *

Da können sich viele Menschen am freien Markt keine Wohnung mehr leisten, Ausmietfirmen treiben ihr Unwesen, der Klimawandel wird nur halbherzig bekämpft und der globale Süden stöhnt angesichts des Ukrainekriegs unter der Last stark gestiegener Lebensmittelpreise, während Israel trotz Protesten seinen Gazakrieg unerbittlich vorantreibt. Die mediale Kritik dazu fällt äußerst verhalten aus.

Und welche Meldungen dominieren derzeit im Internet, worüber sorgt sich unser Journalismus? Dass Unbekannte ein 1,20 m tiefes Loch in Schäubles letzte Ruhestätte gegraben haben. Sogar der deutsche Staatsschutz wurde eingeschaltet, wie sogar Qualitätsmedien wie FAZ und Standard zu berichten wissen.
Aber man kann es genauso gut in Gratiszeitungen wie OE24 nachlesen.

Wozu brauchen wir eigentlich noch Qualitätsjournalismus? Als Baldrian der Erde?

Kein Wunder, wenn die Leser in die sozialen Medien abwandern und sich gegenseitig aufhetzen. Aber nicht einmal Kritik an den sozialen Medien und dem schrankenlosen Gewinnstreben der Internetgiganten scheint mehr möglich. Macht nichts, man kann sich immerhin noch für eine Erhöhung der Presseförderung einsetzen. Ob das unsere Printmedien retten wird ?

Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Medien-Politik im Abseits?

Die Zukunft von Medien angesichts wachsender Probleme und fehlerhafter Entwicklungen ist eine der drängendsten Fragen, die nicht nur seitens der Politik einer Lösung harren.

Ilse Kleinschuster *

Noch immer, also genau neun Monate nach der „völlig unnötigen Einstellung der der Republik gehörenden Wiener Zeitung“ (Fritz Hausjell) – ‚meiner‘ abonnierten Tageszeitung, vermisse ich sie. Gerne denke ich an die Zeit zurück, in der ihre tägliche Lektüre mir geholfen hat, die Welt in ihrer Schönheit aber auch mit all ihren Widersprüchen besser verständlich zu machen.

Die Frage, die sich Clemens Pig stellt „Muss es denn wirklich eine Vision bleiben, dass Journalismus dazu dient Welterklärungen zu demokratisieren und nicht als Einbahnstraße zu begreifen“ bewegt auch mich (Clemens Pig, u.a. geschäftsführender Vorstand der Austria Presse Agentur (APA) und Autor von „Hat die Wa(h)re Nachricht eine Zukunft?“. Er sieht die APA als „Gedächtnis der Nation und andererseits als medialen Pulsschlag der Republik.“ Er wünscht sich jedoch mehr Selbsterkenntnis im Journalismus, um die Bedürfnisse und Erwartungshaltung der Menschen in Bezug auf die Medien zu verstehen und darauf entsprechend einzugehen. Als Politikwissenschafter und kritischer Journalist ist er Mitbegründer von Media-Watch – Institut für Medienanalysen GmbH, das von der APA 2001 erworben wurde. Dort gibt es seither ein eigenes Ressort für Fact-Checking, d.h. dort werden Versuche unternommen, so nahe als möglich an normative Konzepte wie Wahrheit und Objektivität heranzukommen.)

Nun aber, wo unsere Welt in den letzten Jahren im Zuge der Globalisierung immer komplexer wird, fühlen sich viele Menschen abgehängt. Die Komplexität zu simplifizieren wird immer schwieriger und es erfordert dafür Meister des journalistischen Handwerks. Zeitungen mit Redaktionen, die sich unabhängig nennen, setzen sich unweigerlich einem mörderischen Wettlauf zwischen Schnelligkeit und Richtigkeit aus. Am Ende sollte sich natürlich immer die Richtigkeit durchsetzen. Wenn nun aber Fakten-Check aus Zeitmangel wegfällt, kommt es unweigerlich zu Massenmedien mit „medialer Einigkeit“ – was die Demokratie gefährdet (siehe Richard David Precht und Harald Welzers Buch „Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“).

Wenn es also bei uns in Österreich nicht zu einem totalen Verfall der APA als unabhängiger Nachrichtenagentur kommen soll, dann muss sich diese neue Geschäftsfelder erschließen. Das kann das multimediale Verbreiten von Pressemeldungen sein, aber auch professionelle Medienbeobachtung und damit in Zusammenhang die Erstellung von Qualitätskriterien für neue Medienförderung. Dafür sollte es aber mehr staatliche Unterstützung geben, denn unabhängiger Agenturjournalismus ist ein wesentlicher Baustein für eine freie Medienwelt und damit für eine liberale Demokratie.

In seinem Gastkommentar „Visionen für analogen Journalismus!“ (DIE FURCHE vom 29. Februar 2024) schreibt Fritz Hausjell: „Wie weit nach unten soll die tagesaktuelle Medienvielfalt noch gehen, bis endlich spürbar von Medienwirtschaft und Medienpolitik gegengesteuert wird? Neugründungen von tagesaktuellen journalistischen Digitalmedien sind Mangelware oder aus unterschiedlichen Gründen (Partei- und andere Interessensnähe, journalistische Substandards), sehr mangelhafte Ersatzangebote für die Verluste im Printbereich.“ Nun, Fritz Hausjell ist ein angesehener Medienhistoriker und Medienwissenschaftler an der Universität Wien und ich vertraue seiner Kritik an Österreichs Printmedien: „Die Branche hat kaum in Forschung und Entwicklung investiert. Und Versuche, Journalismus in der digitalen Welt auf eine ausreichend finanzierte Basis zu stellen, blieben bescheiden.“

Offensichtlich, so schließe ich daraus, sind es schwere Versäumnisse im Bereich der Medien-Politik, die zu einem verhängnisvollen Vertrauensverlust in die gesamte Politik geführt haben.

Es seien daher Medienmanager gewarnt,
wenn sie ihre journalistische Tätigkeit nach wie vor gerne als Vierte Gewalt im Staate sehen wollen, dann sollten sie alle Möglichkeiten wahrnehmen und erweitern, um ihre Aufgabe als Watchdogs besser erfüllen zu können. Hier und jetzt – in Anbetracht der Notlage, so denke ich -, wäre es ihre noble Aufgabe im Namen des Gemeinwohls als verantwortungsvolle Whistleblower zu fungieren, d.h. als Verhinderer einer zunehmenden Infragestellung der demokratischen Bedeutung von Parlamenten.

Ich meine, erst wenn Journalisten imstande sind, unseren Volksrepräsentanten zu helfen, Alarm zu schlagen, sich mehr um die Lösung langfristiger Probleme zu bemühen, diese nicht durch kurzfristiges Denken in Wahlzyklen in den Hintergrund zu verdrängen, werden sie verdienterweise als die Vierte Gewalt im Staat und als Meister öffentlicher Machtüberwachung anerkannt werden.

Es wird jetzt von verantwortungsvollen Politikern die Zivilgesellschaft oft zur Hilfe gerufen, wenn es darum geht, vertrackte Probleme ins Visier zu nehmen, wie z.B. in Hinblick auf Künstliche Intelligenz, Steuerparadiese, Umweltverschmutzung, Seuchen, Menschen auf der Flucht, unregulierter Waffenhandel und endlose Zermürbungskriege.

Warum braucht es jetzt immer öfter für jedes Problem außerparlamentarische Initiativen und warum werden Bürgerräte angefordert – statt den Ruf nach Qualitätsjournalismus, nach konstruktivem Journalismus lauter werden zu lassen? Ich glaube, erst wenn diesem Ruf auf breiterer Basis Folge geleistet wird, müsste uns um die demokratische Bedeutung von Parlamenten nicht mehr so bange sein. Dann könnten wir vielleicht eher wieder Demokratie ‚neu‘ denken. Bestenfalls aus der Perspektive von Bürgern, die sich emanzipieren wollen, weil sie darin eine Garantie sehen – die Garantie für ihre Freiheit vor räuberischer Macht in all den abstoßenden Ausprägungen, einschließlich ‚unseres‘ rücksichtslosen Umgangs mit der ERDE, auf und von der wir leben.

* Gastautorin Ilse Kleinschuster ist Journalistin und engagierte Akteurin der Zivilgesellschaft. Sie lebt in Wien

Krone zum Fall Riedl

Der Fall des Gemeindebundpräsidenten und ÖVP-Bürgermeisters Alfred Riedl, dem manche Medien indirekt Korruption unterstellt haben, hat die Öffentlichkeit ausführlich beschäftigt. Nun ist die Causa seitens der Kronenzeitung mit neuen Aspekten abermals aufgerollt worden.

Wolfgang Koppler *

Man sollte eigentlich nicht zwischen Boulevardmedien und Qualitätsmedien, sondern nur zwischen gutem und schlechtem Journalismus unterscheiden. Gerade die Krone liefert immer wieder – trotz mancher reißerischer Schlagzeile und dem einen oder anderen Ausreißer – Beispiele von echtem Qualitätsjournalismus (der ja auch unterhaltsam sein darf). Der Fall Riedl selbst wurde ja schon in den Medien ausführlich dargestellt, sodass man die Vorgänge als bekannt voraussetzen darf.

Während etwa die meisten Medien angesichts von Riedls Unerschütterlichkeit bereits resigniert haben, nutzt die Krone (die den Fall durch Recherchen in Zusammenarbeit mit dem Nachrichtenmagazin Profil vor zwei Jahren ins Rollen gebracht hat), nunmehr Riedls Selbstdarstellungsbedürfnis, um ihn sich selbst entlarven zu lassen. Oder vielleicht zur Einsicht zu bringen… Unter dem unter Anführungszeichen gesetzten Titel „Mikl befeuerte Hasskampagne“ liefert Riedl nicht nur ein Sittenbild von sich selbst, sondern von weiten Teilen unserer Gesellschaft. Einige Beispiele daraus will ich den Lesern nicht vorenthalten:

„Herr Riedl, vor rund zwei Jahren haben die „Krone“ und das „Profil“ über Grundstücksgeschäfte berichtet, von denen Sie finanziell privat profitiert haben. Würden Sie alles wieder genauso machen ?“

Alfred Riedl: „Wenn man bedenkt, was aus der ganzen Geschichte entstanden ist, dann hätte ich vorher den Grund bereits den Kindern geschenkt. Aber ich will nichts verstecken. Das habe ich nicht notwendig. Ja, ich habe dort Familiengrund, wie alle anderen Grundeigentümer auch, um € 19 pro Quadratmeter verkauft. Dazu stehe ich.“

Und schließlich nach ein paar weiteren Details die nicht ganz unwesentliche Frage:
„Und darin sehen Sie keine falsche Optik ? Zumal es andere Projektvarianten gegeben hätte, die keine ihrer Flächen umfasst hätten.“
„Ich war immer fleißig und engagiert. Wesentlich ist, dass in meinem Fall alle Vorgänge transparent…“

Dass in der Folge dann auch noch Mikl-Leitner attackiert wird und Riedl sich als Opfer einer Hasskampagne sieht, versteht sich fast von selbst.

Es gibt sicher Fälle, wo – wie etwa im Fall der sogar wiederholten Veröffentlichung auch rechtlich irrelevanter Chats oder gar Gesprächsaufzeichnungen – die Medien hier und da zu weit gehen. Im Fall der – eher vorsichtigen – Berichterstattung zum Fall Riedl kann man dies wohl nicht sagen. Da fehlt es eher an Einsicht auf der anderen Seite.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Neutralität über Bord

Schade um die „Wiener Zeitung“, die Ende Juni eingestellt wird. In ihr sind bzw. waren immer wieder Berichte zu lesen, die man in anderen Medien vergeblich sucht.

Udo Bachmair

Die Wiener Zeitung, der die Regierungsparteien ÖVP und Grüne mit Ende Juni den Todesstoß versetzen, ist nicht nur generell mit Qualitätsjournalismus aufgefallen. Die älteste Zeitung der Welt hat auch immer wieder mit journalistischen Beiträgen gepunktet, die anderswo nicht erschienen sind.

Jüngstes Beispiel dafür sind von anderen Medien bewusst oder unbewusst übersehene, jedoch für Österreich durchaus relevante Äußerungen von Maria Sacharowa, der Sprecherin des russischen Außenministeriums. Sie reagierte auf eine Aussage von Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg gegenüber der deutschen Tageszeitung „Die Welt“, in der er von einem „informellen Dialog“ zwischen Wien und Moskau gesprochen hatte.

Einen solchen Dialog gebe es nicht, konterte Sacharowa. Sie erklärte- zitiert von der Wiener Zeitung – laut der russischen Nachrichtenagentur TASS :

„Österreich, das sich gegenüber Russland eindeutig auf die Seite des Westens in seiner feindlichen Politik gestellt hat, hat seine bisher unabhängige Rolle in der Außenpolitik aufgegeben und das Prinzip der Neutralität über Bord geworfen“

Harte und deutliche Worte, die eines gewissen Wahrheitsgehalts nicht entbehren. Hat sich doch Österreich, allen voran der Bundespräsident, mit undiplomatisch antirussischen Attacken (neutralitäts)politisch angreifbar gemacht. Realistische Chancen sind damit für Österreich geschwunden, als Ort von Verhandlungen zur Beendigung des völkerrechtswidrigen Krieges gegen die Ukraine in Frage zu kommen.

Kommt hinzu, dass hierzulande zunehmend Medien-Kommentare und PolitikerInnen-Äußerungen zu registrieren sind, die die Neutralität Österreichs in Frage stellen und behaupten, dass diese für unser Land keinen Schutz darstellen würde. Ein NATO-Beitritt Österreichs sei zu diskutieren. Das aber würde Russland als eine der Staatsvertragsmächte wohl endgültig vor den Kopf stoßen und die Beziehungen Wien/Moskau nachhaltig auf Eis legen. Größere Sicherheit wäre damit für Österreich nicht verbunden, warnen Experten.

Kein Machtwort zur Wiener Zeitung

Unzufriedenheit mit Alexander Van der Bellen wächst. Kein gutes Zeichen in Krisenzeiten wie diesen.

Udo Bachmair

Der Bundespräsident ist mit seiner Forderung ziemlich ins Fettnäpfchen getreten, österreichische Soldaten zu Entminungsdiensten in die kriegführende Ukraine zu entsenden. Gerade Van der Bellen als Oberbefehlshaber des Österreichischen Bundesheeres müsste bewusst sein, dass er damit eine neutralitätspolitische Grauzone betritt. Ganz abgesehen von seinem Mangel an diplomatischer Zurückhaltung, die einem neutralen Staat würdig wäre. Damit verspielt VdB Chancen Österreichs, jemals wieder als Mediator bzw. als Ort von Friedensverhandlungen in Frage zu kommen.

Während diese Wortspende Van der Bellens weithin als überflüssig betrachtet wurde, hätte man sich von ihm hingegen einen Appell zur Rettung der Wiener Zeitung seit langem erwartet. Mit dem Ziel, die schwarz/grüne Regierung dringend davon abzuhalten, der ältesten Tageszeitung, die mittlerweile auch ein Kulturgut ist und außerdem für Qualitätsjournalismus und Medienvielfalt steht, den Garaus zu machen.

Dazu Anneliese Rohrer, renommierte Journalistin, in ihrem jüngsten Presse-Kommentar :

„Es ist keine öffentliche Erklärung Van der Bellens zu finden, mit der er versucht hätte, die Regierung auf Alternativangebote zur Weiterführung der Zeitung zu verweisen. Das Gesetz muss er unterschreiben. Er hätte jedoch rechtzeitig seine Freunde bei den Grünen vom demokratiepolitischen Schaden ihrer Inkompetenz in Medienfragen überzeugen können. Dann wäre die Umgestaltung des Betriebs in eine Propaganda-Anstalt des Bundeskanzleramts zu verhindern gewesen. Denn das muss man mithilfe der Grünen erst einmal erfinden: Diese Regierung stellt der nächsten etwa unter einer Führung der FPÖ die Propagandastruktur freiwillig zur Verfügung.“

(Anneliese Rohrer in der Tageszeitung Die Presse vom 20.5.2023)

Kriegsrhetorik statt Friedensbemühungen

Westliche Medien und Politik plädieren überwiegend für ausschließlich militärische Lösungen, für den Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld. Wie Medien darüber berichten, gleicht sich oft in erstaunlicher Weise.

Udo Bachmair *

Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist absolut zu verurteilen. Es ist und bleibt unfassbar, dass eine Aggression dieser Art in Europa auch in diesem Jahrhundert noch stattfinden würde. Ein Schlag ins Gesicht jenes zivilisatorischen Fortschritts, den viele bis vor gut einem Jahr in Europa noch als existent und erreicht betrachtet hatte. Krieg ist per se ein Verbrechen.

Das heißt jedoch nicht, die Vorgeschichte des aktuellen Krieges, Kriegspropaganda, Sinnhaftigkeit sogenannter Militärlogik sowie vor allem Friedenschancen auszublenden. Besonderes Interesse gebührt dabei der Rolle der Medien und deren Verantwortung. Viele von ihnen haben sich von Differenzierung und damit auch von Qualitätsjournalismus verabschiedet. Vor allem deutsche, aber auch österreichische Medien gefallen sich vielfach darin, jene Kräfte in Politik und Medien, die auf Verhandlungen und Friedenskonzepte drängen, als naiv, nicht empathisch, als Putins Trolle, etc. abzuqualifizieren. Jene, die dringend für ein Ende der Lieferung schwerer Waffen appellieren, bevor die Lage weiter eskaliert, gelten als Realisten.

Im Grunde sind es zwei polarisierende Positionen, die den Disput rund um den Ukraine-Krieg dominieren : Einerseits die Überzeugung, ein Ende des Krieges sei nur durch einen Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld erreichbar. Andererseits die Annahme, der Krieg und weiteres Leid könnten bald nur dadurch beendet werden, dass endlich auch diplomatische Bemühungen mit Aussicht auf eine Friedenslösung sichtbar werden. Letztere Position wird von Medien und Politik im Westen mehrheitlich nicht geteilt. Im Gegenteil: Jene Menschen, die leidenschaftlich für Frieden ohne weitere schwere Waffen demonstrieren, werden als „Friedensschwurbler“, als moralisch verkommen, als Befürworter eines „Diktatfriedens“ bzw. eines „Friedensdiktats“ verunglimpft. „Putinversteher“ oder „Russlandversteher“ gelten ohnehin als Schimpfwörter schlechthin.

Wortführerinnen der Kriegsrhetorik ist die als Hardlinerin auch über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt gewordene FDP-Abgeordnete Strack-Zimmermann sowie überraschenderweise auch die grüne Außenministerin Bärbock. Ausgerechnet die Grünen, die sich früher noch als parlamentarischer Arm der Friedensbewegung verstanden haben, ergehen sich nun in militaristischer Ideologie. Bühne bieten ihnen bemerkenswerterweise vor allem die öffentlich-rechtlichen Anstalten ARD und ZDF, die wie hierzulande der ORF auch in der außenpolitischen Berichterstattung zur Ausgewogenheit verpflichtet wären. Sendungen wie „Hart aber fair“ oder „Maischberger“ oder „Anne Will“, lassen zumeist jene Podiumsgäste, die differenzierend und deeskalierend argumentieren, kaum zu Wort kommen oder werden erst gar nicht eingeladen. Auch der ORF hat sich über weite Strecken in den Mainstream eingeklinkt, Gegenpositionen zu Kriegslogik und antirussischer Feindbildpflege erscheinen weitgehend unerwünscht. Seriöse Politologen, wie Heinz Gärtner, oder engagierte Friedensforscher wie Werner Wintersteiner oder Thomas Roithner, werden selten oder nicht mehr als Studiogäste befragt.

Besonders Boulevardmedien scheinen einander in Kriegsrhetorik und Dämonisierung Russlands zu überbieten. Im Gegensatz zu Wladimir Putin wird der Präsident der Ukraine, Staatschef eines wie Russland autokratischen und korrupten Staates, im Westen zum Helden und lupenreinen Demokraten stilisiert, für den „wir“ Krieg führen.„Wir führen Krieg gegen Russland“ ließ die deutsche Außenministerin im Europarat ja ihrer wenig diplomatischen Haltung freien Lauf..

Mehrere Untersuchungen belegen mittlerweile überwiegende Einseitigkeit der meisten deutschen Leitmedien, ein Befund, der wahrscheinlich auch auf Österreich übertragbar ist. So hat „Cicero-Magazin für politische Kultur“ eine Studie veröffentlicht, die fehlende Meinungsvielfalt in der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg ortet : www.cicero.de/aussenpolitik/studie-zur-berichterstattung
Auch die deutsche Otto-Brenner-Stiftung belegt, dass die Medien „überwiegend“ für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine plädieren: www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/publikationen.
Auffallend ist dabei das Auseinanderklaffen zwischen der Meinung der Bevölkerung und der medial veröffentlichten Meinung. Umfragen zufolge sind mittlerweile mehr als 50 Prozent der Befragten gegen die weitere Lieferung schwerer Waffen ins Kriegsgebiet.

Vernebelt vom Schwarz/Weiß-Denken und dem Festhalten an einem starren Freund/Feind-Schema stellen westliche Medien ukrainische Quellen meist als ernstzunehmend dar. Von russischer Seite kommende Meldungen werden als unglaubwürdig und propagandistisch bezeichnet. Auch beim Konsum von ORF-Nachrichtensendungen bleibt als Botschaft nicht selten der Eindruck hängen, dass ukrainische „Informationspolitik“ als faktenbasiert vermittelt wird, Russland hingegen würde bloß mit Fakes und Propaganda agieren.

Dass es auch differenzierend geht, beweist immer wieder der besonnene und sachorientierte ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz, der sich jenseits bloßer Kriegsrhetorik und wegen seiner differenzierenden Wortwahl große Wertschätzung erworben hat. Wehrschütz kann auf authentische Quellen vor Ort verweisen, die meisten Redaktionen westlicher Medien können dies nicht. Deren Hauptquellen sind die großen US-nahen Agenturen, die nur eine Seite geopolitischer Weltsicht repräsentieren. Wehrschütz hat in einer gut besuchten Podiumsdiskussion der Vereinigung für Medienkultur von der „Demut des Nichtwissens“ gesprochen. D. h. es ist journalistisch durchaus korrekt, zuzugeben, dass mangels seriöser Quellen oft keine entsprechende Einschätzung eines bestimmten Sachverhalts ergeben kann.

Schon Jahre vor dem Krieg haben westliche Medien und PolitikerInnen Russland beharrlich zu einem Feindbild mit aufgebaut. Dabei helfen einzelne Begriffe und Worte, wie sie auch in Nachrichtensprache verwendet werden. So fällt auf, dass Äußerungen russischer Politiker meist mit Prädikaten wie „behaupten“, „unterstellen“, etc. versehen werden. Wenn ein US- , NATO- oder EU-Politiker eine Stellungnahme abgibt, lauten die Prädikate „betonen“, „bekräftigten“, „erklären“ etc.. Diese werden bewusst, aber oft auch unbewusst bzw. automatisiert und verinnerlicht als positiv geladene Begriffe gesetzt.

Wie ist nun die inhaltlich weitgehende Angleichung in der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg zu erklären ? Sind die JournalistInnen Opfer staatlich gelenkter Manipulation ? Im Buch „Die vierte Gewalt“ von Richard David Precht und Harald Welzer findet sich dazu eine interessante These: In den Medien gebe es „ganz eigene Echokammern einer Szene, die vor allem darauf blickt, was der jeweils andere gerade sagt oder schriebt, ängstlich darauf bedacht, bloß nicht zu sehr davon abzuweichen.“ Ein Konformismus, der auf Kosten von Qualitätsjournalismus geht und nicht zuletzt auch demokratiepolitisch bedenklich ist. Vor diesem Hintergrund machen Medien zunehmend Politik bzw. treiben die Politik vor sich her Ein Beispiel dafür der starke mediale Druck auf den deutschen Kanzler Scholz. Der hat mit dazu beigetragen, dass sich dessen zunächst eher besonnene Haltung zur Lieferung von Kampfpanzern nachhaltig gewandelt hat.

Der Irak-Krieg im Jahr 2003 war ebenfalls ein Angriffskrieg, damals ausgeführt von den USA. Nur durfte man damals diese Bezeichnung in Moderationen nicht verwenden, wie es der Autor dieser Analyse als früherer ORF-Redakteur selbst erlebt hat. Zudem sind damals völkerrechtswidrige Aspekte weitgehend ausgeblendet worden. Auch im Zusammengang mit den weiteren von NATO und den USA geführten Kriegen.

Solange der Westen sich nicht auch in die geopolitische Interessenslage Russlands hineindenken kann, Stichwort dazu die NATO-Erweiterung, so lange werden keine effektiven Friedensschritte zu erwarten sein. Leider sind auch aufseiten Russlands keine Friedenssignale zu vernehmen, Putin verharrt in seiner seltsam historisch basierten imperialistischen „Kriegslogik“. Das muss allerdings nicht so bleiben. Auch der Westen, allen voran die EU, sollten nicht auf Dauer an militaristischer Ideologie im Zusammenhang mit diesem Krieg festhalten. Gefordert wären diesbezüglich vor allem auch die Medien.

Es gilt einer von Friedensethik getragenen aktiven Friedenspolitik das Wort zu reden, die auch Kompromissen Raum geben müsste. Weiter aufheizende Kriegsrhetorik sowie fortgesetzte Feindbildpflege lassen ein sehnlichst erwartetes Kriegsende in noch weitere Ferne rücken.

• Dieser Beitrag von Udo Bachmair ist in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Spinnrad“ des Österreichischen Versöhnungsbundes erschienen

Wiener Zeitung : 1703 – 2023

Es war zu befürchten: Die Bundesregierung bestehend aus ÖVP und Grünen hat dem traditionellen Qualitätsblatt nun endgültig den Garaus gemacht.

Udo Bachmair

Trotz aller verzweifelter, aber auch hoffnungsfroher Rufe nach Rettung der Wiener Zeitung hat der Nationalrat mit den Stimmen auch der Grünen allen Ernstes diesem Qualitätsblatt den Todesstoß versetzt. Die Printausgabe der ältesten Zeitung der Welt, als Aushängeschild des Qualitätsjournalismus hierzulande längst bereits zum Kulturgut geworden, wird per Jahresmitte eingestellt.

„Eine Schande“, „ÖVP und Grüne Kulturbanausen“, „Krone-Abo für Frau Blimlinger“- so einige der Losungen auf Transparenten, die bei einem Demonstrationszug zahlreicher Menschen durch die Wiener Innenstadt mit Ziel Bundeskanzleramt mitgeführt worden sind. Doch alle Aufrufe, alle Initiativen haben nichts gefruchtet.

Dass die große Regierungspartei ÖVP an der Zerstörung der Wiener Zeitung festhalten würde, war nicht weiter überraschend. Sie hat ihren Machtanspruch und ihre Einflussversuche auf Medien spätestens seit der Kurz-Ära massiv erweitert. Dass aber auch die Grünen, früher leidenschaftliche Fürsprecher von Qualitätsmedien und Medienvielfalt stur geblieben sind, erscheint rätselhaft.

Die Mittäterschaft der Grünen am Tod der Wiener Zeitung, vor allem in Person der Mediensprecherin Eva Blimlinger, ist für Politstrategen völlig unverständlich. Vergrämen sie damit doch einen Großteil des bisher durchaus grünaffinen Medien- und Kulturbereichs. Sie wollen und können nicht begreifen, dass sie damit auch Multiplikatoren verärgern und für sie wichtige Wählerstimmen verlieren werden.

Mit engagierten Redebeiträgen pro Erhalt der Wiener Zeitung sind heute im Parlament hingegen Spitzenvertreterinnen von SPÖ, FPÖ und NEOS aufgetreten. Mit ähnlichen Begriffen und Argumenten, die schon bei der Demo vor dem Kanzleramt geäußert worden waren. Von Skandal, von Wahnsinn, von einem demokratiepolitisch besonders bedenklichen Ereignis, etc. war da die Rede.

Die SPÖ-Abgeordneten hielten demonstrativ Exemplare der heutigen Ausgabe der Wiener Zeitung mit der „Todesanzeige“ als Schlagzeile „1703 – 2023“ in Händen.

Besonders hart auch gegen seine eigene Partei, der ÖVP, ins Gericht gegangen war bei der Demo auf dem Ballhausplatz Ex-EU-Kommissar Franz Fischler: „Woher nehmen sich die ahnungsvollen Leuchten des Politikgewerbes, Medienministerin Raab und Frau Blimlinger, das Recht und die Frechheit, dieser 320 Jahre alten Institution den Garaus zu machen?“.

Auch der bekannte Medienwissenschafter (und Vizepräsident der Vereinigung für Medienkultur) Fritz Hausjell sprach vor den Demonstranten von einem „fatalen Schritt für die Demokratie, nicht zuletzt in Anbetracht der Nachrichten über Message Control und Inseratenkorruption.“ Der Chef der IG Autoren, Gerhard Ruiss, sorgte für einen optimistischen Demo-Ausklang : „Wir geben nicht auf!“

NATO-Beitritt statt Neutralität

Ein bezeichnendes Licht auf die Qualität unseres „Qualitätsjournalismus“ wirft die derzeitige Diskussion zur „sicherheitspolitischen Neuorientierung“ unseres Landes, in Wirklichkeit nichts anderes als die Forderung nach Abschied von der Neutralität und NATO-Beitritt. Denn selbstverständlich würde es nicht bei einer Bündnisfreiheit bleiben.

Wolfgang Koppler

Da wird die Moralkeule geschwungen, wie etwa im Standard und der ZiB2 des ORF und beklagt, dass „bei dem schon ein Jahr währenden Blutbad“ in der Ukraine (die zugegebenermaßen ungeschickt argumentierende) EU-Ministerin Edtstadler immer noch einen „offenen Diskurs“ verweigern würde (Standard). Und geradezu empört gefragt, was wäre, wenn alle neutral wären (Armin Wolf). Als ob ein NATO-Beitritt Österreichs irgendetwas an dem dortigen Gemetzel ändern würde, außer die innen- und außenpolitischen Spannungen zu verschärfen. Und als ob die derzeitige Eskalation noch nicht genug wäre. Oder die Bettelbesuche von Erdogan-Versteher Stoltenberg in Ankara.

Und zum Überdruss wird das sattsam bekannte Trittbrettfahrer-„Argument“ strapaziert, was im Ergebnis nichts anderes heißt, als dass sich unsere Politiker am Interesse der NATO orientieren sollten, das lästige Loch in deren Aufmarschgebiet zu schließen. Statt am Interesse ihres Landes. Denn ein sicherheitspolitischer Mehrwert für Österreich ist nicht ersichtlich. Nicht einmal das Bundesheer kann einen solchen Mehrwert wirklich darlegen, sondern gibt teilweise sogar offen zu, dass man um das Heeresbudget in den nächsten Jahren fürchtet, wenn die Diskussion abflaut. Die Konsequenzen eines nicht mehr rückgängig zu machenden NATO-Beitritts unter der Defacto-Führungsmacht USA (unter Präsidenten wie Bush und Trump) werden überhaupt ausgeklammert.

Und dann gibt es noch die völkerrechtliche Seite der Angelegenheit. Da wird zwar jeden Tag hundert Mal auf die Völkerrechtswidrigkeit des russischen Angriffskriegs verwiesen. Geht es aber um Österreichs Neutralität, ist das Völkerrecht schlichtweg „Blunzn“. Der einzige Journalist, der auf die völkerrechtliche Seite der Angelegenheit verwiesen hat, ist der Boulevardjournalist Richard Schmitt. Eine Schande für den so genannten Qualitätsjournalismus (ganz unabhängig davon, welche Auffassung man vertritt).

Und als Jurist darf ich vermerken: Er hat Recht. Die Notifikationstheorie gilt nach wie vor. Unsere Neutralität wurde sämtlichen Staaten notifiziert, mit der Möglichkeit zum Widerspruch. Schon die Aushöhlung der Neutralität im Zuge des EU-Beitritts und die Novellierung des Art 23 f BVG (Petersberg-Maßnahmen) war im Prinzip völkerrechtswidrig, wie auch eine sehr interessante Arbeit einer Grazer Juristin aus dem Jahr 2011 beweist.* Die Beendigung der Neutralität oder gar der Beitritt zu einem Militärbündnis wäre es umso mehr. Und der bekannte Einwand, dass uns die Neutralität aufgezwungen worden wäre, müsste eigentlich dazu führen, dass ein Großteil der völkerrechtlichen Vereinbarungen null und nichtig wäre, da sich nur selten zwei gleichmächtige Vertragspartner gegenüberstehen. Da könnte man zahlreiche Kriege wieder aufflammen lassen.

* https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/222526/full.pdf

Hinzugefügt sei ein Hinweis (von Udo Bachmair) auf einen weiteren brillanten Beitrag von Univ. Prof. Heinz Gärtner zum Thema „Engagierte Neutralität“:

https://www.derstandard.at/story/2000144314288/engagierte-neutralitaet-glaubwuerdig-und-nuetzlich

Feindbild Moskau

Die jüngste KURIER-Analyse von Konrad Kramar hat eine wohltuend differenzierende Sicht des Ukraine-NATO-Russland-Konflikts vermittelt. Eine Seltenheit in unseren Medien.

Udo Bachmair

Die Analyse Konrad Kramars hebt sich positiv ab von einseitigen Kommentaren in anderen westlichen Medien, die beharrlich das Feindbild Russland pflegen. Denn gerade auch dieser komplexen Causa ist mit einem bloßen Schwarz-Weiß-Denken nicht beizukommen.

Der außenpolitische Mainstream westlicher Berichterstattung unterstellt fast ausschließlich der russischen Seite die Befeuerung des Säbelrasselns zwischen Russland und der NATO. Kaum in Medien zu vernehmen ist hingegen, dass Russland sich einem Bedrohungsszenario seitens der NATO gegenübersieht.

Dem US-dominierten Militärbündnis wirft Moskau ein in jüngster Zeit besonders aggressives Verhalten mit provokanten militärischen Aktivitäten unmittelbar an der russischen Ostgrenze vor. Gleichzeitig betrachtet Russland sich durch eine immer wieder angekündigte NATO-Mitgliedschaft der Ukraine in seiner Sicherheit bedroht.

Dass Qualitätsjournalismus beide Seiten eines Konflikts beleuchten sollte, erscheint als Binsenweisheit. Diese sollte aber dennoch immer wieder in Erinnerung gerufen werden, besonders auch in geopolitischen Fragen.

( Gekürzter Beitrag eines von Udo Bachmair im KURIER erschienenen Kommentars )