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Neutralität in kriegerischen Zeiten

Gut besuchte Podiumsdiskussion in Wien unter Mitwirkung der Vereinigung für Medienkultur

Udo Bachmair

„Neutralität in Zeiten von Krisen und Kriegen“ war das Thema einer viel beachteten Podiumsdiskussion* im Kultur- und Veranstaltungszentrum Amerlinghaus in Wien. Veranstaltet wurde der Diskussionsabend von den Gewerkschaftern gegen Atomenergie und Krieg sowie der Vereinigung für Medienkultur.

Bemerkenswerterweise war im Wahlkampf für die NR-Wahl das Thema „Krieg 8nd Frieden“ sowie die Rolle der österreichischen Neutralität kaum ein Thema. Dabei wäre Österreich als neutraler Staat und UNO-Standort prädestiniert dafür, als diplomatischer Mediator und Initiator von Gesprächen zur Beendigung der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten aktiv zu werden. Doch eine einseitige Außenpolitik der schwarz-grünen Außenpolitik in den vergangenen Jahren – weit entfernt von Bruno Kreiskys nützlichen und erfolgreichen diplomatischen Aktivitäten – hat den Geist der Neutralität weitgehend untergraben.

Die Chance auf eine effektive friedensorientierte Außenpolitik ist ähnlich der Tatenlosigkeit der EU-Kommission sträflich vernachlässigt worden.
Darauf aufmerksam zu machen haben sich jüngst vor allem SPÖ-Chef Andi Babler und KPÖ-Vorsitzender Tobias Schweiger bemüht, allerdings weitgehend ignoriert von den heimischen Medien. Babler und Schweiger plädieren uneingeschränkt für die Sinnhaftigkeit und Aufrechterhaltung der Neutralität. Von Expertenseite sieht vor allem der renommierte Politikwissenschafter Heinz Gärtner die Neutralität Österreichs als Sicherheitsgarantie für unser Land.

Mitglieder der Initiative Engagierte Neutralität wie Bundesheer-General Günther Greindl, seinerzeit Oberbefehlshaber der österreichischen UNO-Truppe auf dem Golan, oder die beherzte Diplomatin und Ex-Botschafterin Gaby Matzner sowie der bei den Gewerkschaftern gegen Krieg besonders aktive Wilfried Leisch bekräftigten in der erwähnten Veranstaltung ihre klare Pro-Neutralitäts- und Anti-NATO-Position. Udo Bachmair, Präsident der Vereinigung für Medienkultur, gab u.a. zu bedenken, dass Politik und Medien nach der NR-Wahl Befürwortern eines NATO-Beitritt Österreichs mehr Raum für entsprechende Propaganda öffnen könnten.

Die Aufzeichnung der Podiumsdiskussion im Amerlinghaus, genauer gesagt der Anfangsstatements, sind unter folgendem Link abrufbar:

www.youtube.com/watch?app=desktop&v=NixOIY2N8bQ

Vom Ego zum Selbst

Mitunter findet sich auch in Boulevardblättern Interessantes. Etwa das, was NEOS-Gründer und Ex-NR-Abgeordneter Matthias Strolz zu seinem nunmehr endgültigen Rückzug aus der Politik getwittert hat.

Wolfgang Koppler

Ob Matthias Strolz sich nun wirklich für immer aus der Politik oder gar aus der Öffentlichkeit zurückzieht, ist hier nicht so wichtig. Auch nicht, ob ihm das, was er hier zu dem, was man in der zweiten Lebenshälfte anpeilen sollte, schildert, wirklich gelingt. Aber die Richtung, die er hier für unsere Persönlichkeitsentwicklung in einer besonders egoistischen und egozentrischen Kultur vorgibt, das Wesentliche worauf es ankommt, wäre für uns alle interessant. Besonders für Angehörige der so genannten Eliten aus Politik, Medien und Wirtschaft.

Zunächst beschreibt Strolz jene Egozentrik, die seiner Ansicht nach die erste Lebenshälfte prägt. Das Streben nach meist materieller Selbstverwirklichung, das die Presse vor einigen Monaten treffend als Flucht (vor dem Wesentlichen, wie etwa den Anforderungen der Gemeinschaft) bezeichnete. Strolz, der selbst nicht ganz frei von Egozentrik ist, hat da wohl auch seine eigenen Erfahrungen geschildert. Strolz nennt es etwas beschönigend, den Versuch, sich an Projekte und Menschen zu binden. Der mE wohl meist in Verlorenheit und Einsamkeit endet. Strolz meint zu Recht, dass viele dieser (materiellen Selbstverwirklichungs-)Logik bis zum Lebensende anhaften.

Und spricht Strolz unter Bezugnahme auf C.G. Jung von der Einladung in der zweiten Lebenshälfte vom Ego zum Selbst zu reifen, zur eigenen Personenmitte vorzustoßen. Was nur gelingt, wenn wir dabei „unsere Schattenseiten integrieren“. Die nachstehenden Ausführungen sind manchen vielleicht zu philosophisch oder zu esoterisch – aber das ist hier nicht so wichtig. Aber zu uns selbst, zu unseren Abgründen und dann vielleicht – wenn uns davor schaudert – zu unserer positiven Intuition vorzustoßen, das ist wohl allgemeingültig.

Und könnte für jede und jeden, vor allem aber für Politiker, Unternehmer und Journalisten wichtig sein, Um sich nicht allzu sehr in Egozentrik und Feindbildern zu verlieren, ob es der ach so unvernünftige „Pöbel“, Putin oder sonst jemand ist. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zur Veränderung in Medien, Wirtschaft und Politik. Und würde auch die Klagswut bei einigen eindämmen. Und die Eigenständigkeit fördern. Anstelle von Echokammern.

https://x.com/matstrolz/status/1838489030524117379?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1838489030524117379%7Ctwgr%5E8dea7ae1fa63f195f297926abff25dc48bbfe3fa%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.heute.at%2Fs%2Fpolit-knall-neos-comeback-von-strolz-abgeblasen-120060730

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Kriegsbegeisterter Ex-Politiker

Boris Johnson, konservativer Ex-Premierminister Großbritanniens, macht in Politik und Medien weiter von sich reden. Allerdings nicht zu seinem Vorteil.

Wolfgang Koppler *

Boris Johnson ist ein unfreiwilliger Narr. Er stellt mit seiner infantil-narzisstischen Art nicht nur sich selbst, sondern auch den Mainstream bloß. Zwar getraut sich sonst kaum jemand, derart offen seine Kriegs- und Tapferkeitsphantasien zur Schau zu stellen, wie es Johnson tut. Was Kriegsbegeisterung und Dämonisierung des Gegners betrifft, stehen Johnson aber auch etliche andere Politiker und Journalisten nicht nach. Ob man Putin – trotz der klar erkennbaren Kapazitätsgrenzen von russischer Armee und Wirtschaft und völlig anders gearteter Interessenlage – Angriffe auf Schweden, Finnland oder das Baltikum zutraut oder ob man immer weiter reichende Waffen statt Verhandlungen fordert – auch hier zeigt sich, dass man den Boden des Rationalen längst verlassen hat.

Da sind Johnsons Träume von der Fremdenlegion, die er am Telefon äußerte, nichts ahnend, dass am anderen Ende Komiker saßen, ja geradezu amüsant. Leider muss man schon bei Fokus Online nachsehen, um sich angesichts der falschen Kriegsbegeisterung bei dem Exzentriker Boris Johnson etwas zu erheitern.

https://www.msn.com/de-at/nachrichten/other/w%C3%BCrde-fremdenlegion-gern-selbst-anf%C3%BChren-boris-johnson-f%C3%A4llt-auf-russen-komiker-herein-und-gibt-wildes-interview/vi-AA1q6gcV?cvid=0d92246d7d8c48dcc71b4bdda0d5b5ac&ei=9

Der ehemalige Premierminister Großbritanniens Boris Johnson wurde erneut von zwei russischen Komikern hereingelegt. Das Gespräch wurde Anfang der Woche auf der russischen Webseite RuTube veröffentlicht. Während des Gesprächs gibt Johnson verschiedene bizarre Aussagen zum besten.

* Gastautor Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien

Neutralität und Sicherheit

Einladung zur Vorwahl-Diskussion

Mi., 11. September 2024, 19.00 Uhr

Stiftgasse 8, 1070 Wien, Amerlinghaus, Galerie, 1. Stock

Heute: Ukrainekrieg, Gazakrieg. Morgen: Nahostkrieg und noch mehr Kriege? In Zeiten von Krisen und Kriegen ist eine tatsächliche Politik der immerwährenden Neutralität Österreichs und das Auftreten gegen die Kriegstreiber in Ost und West und das Eintreten für sofortigen Waffenstillstand, Friedensverhandlungen und Frieden notwendiger denn je! Nicht nur die Politik, vor allem auch die Medien sollten dafür einen konstruktiven Beitrag leisten.

NEUTRALITÄT UND SICHERHEIT – ein Thema, das nicht den Rechten, Neokonservativen und Neoliberalen überlassen werden darf.

TeilnehmerInnen:

Udo Bachmair
Redakteur, Moderator, Präsident der Vereinigung für Medienkultur

Gabriele Matzner
Juristin; Publizistin, Diplomatin und Botschafterin a.D.

Günther Greindl
General i.R., Leiter von UN-Missionen, Präsident von Aufbruch-Österreich

Daniela Gruber-Pruner
Mitglied des Bundesrates, SPÖ, Schriftführerin des Bundesrates

Rihab Toumi
Vorsitzender der Sozialistischen Jugend (SJ) Wien

Wilfried Leisch
Gewerkschafter:innen gegen Atomenergie und Krieg / Österr. Solidaritätskomitee

Michael Kösten
Moderation
*
Veranstalter:

GewerkschafterInnen gegen Atomenergie und Krieg
Vereinigung für Medienkultur

Anmeldung erwünscht: ggae@gmx.at * Freier Eintritt, Spenden erbeten * www.atomgegner.at

Medialer Einheitsbrei

Kriegsrhetorik und Jubelberichterstattung überwiegen angesichts des ukrainischen Angriffs auf russisches Territorium. Ungeachtet aller neuen Eskalationsstufen.

Wolfgang Koppler *

Geradezu beifällig berichtet der deutsche Merkur über den Einsatz deutscher Panzer bei der ukrainischen Offensive in Kursk. Es wird zwar kurz auf die Debatte über den Einsatz deutscher Waffen in Russland Bezug genommen, dabei jedoch auf die Stellungnahme des Vorsitzenden des deutschen Verteidigungsausschusses Bezug genommen, wonach es sich seit der Übergabe an die Ukraine um deren Waffen handle und Vorstöße auf russisches Gebiet völkerrechtlich Teil eines Verteidigungskrieges seien. Basta.

Kein Wort über die Gefahr einer Eskalation und erst kein Wort zur historischen Belastung, zumal im Gebiet von Kursk die letzte Offensive der Deutschen im Zweiten Weltkrieg stattfand. Auch die katastrophale Situation in der Ostukraine bleibt im gegenständlichen Artikel unerwähnt. Jubelberichterstattung, die an die Kriegspropaganda des ersten Weltkriegs erinnert. Lobend erwähnen muss man in diesem Zusammenhang Heidi Riepl in den OÖN, die die diesbezügliche westliche Kriegspropaganda kritisch unter die Lupe nahm und Marie-Claire Zimmermann, die im Interview mit Gerhard Mangott (der trotz formaler Zulässigkeit den Nutzen der Offensive in Frage stellte) die historischen und Putins Feindbild einer nazistischen Ukraine verstärkenden Bezüge erwähnte.

Der Artikel im Merkur lässt einen trotzdem schaudern. Zumal er sich inhaltlich kaum von der Berichterstattung anderer Medien abhebt. Wie kann man in einer angeblich toleranten, humanen und demokratischen Gesellschaft derart plumpe Propaganda betreiben und jegliche Kritik daran als links- oder rechtsextrem, pazifistisch oder populistisch abtun ? Wie kann man etwa die guten Umfragewerte der durchaus differenziert argumentierenden Sahra Wagenknecht damit abtun, sie spiele auf der „populistischen Klaviatur“, wie es Andreas Pfeifer in einem ZiB2-Beitrag über die ostdeutschen Wahlen vom 21.8 tat ? Während Stefan Lenglinger den Experten Hans Vorländer von der TU Dresden immerhin und nicht ganz unberechtigt fragte, ob die deutsche Bundespolitik die zu erwartenden Ergebnisse der ostdeutschen Landtagswahlen bei ihrer Haltung zum Ukrainekrieg ignorieren werde können ?

Wer hätte je daran gedacht, dass die deutschen Grünen und die CDU sich einmal in Kriegsrhetorik gegenseitig überbieten würden ? Kein Wunder, dass mainstream-Wähler sich scharenweise von der Ampelkoalition abwenden und gleich zur CDU abwandern. Geh zum Schmied und nicht zum Schmiedl…

Aber man muss dem Boulevard irgendwie dankbar sein, Er zeigt schonungslos und ohne Hemmungen, wo Politik und Medien inzwischen gelandet sind.

www.merkur.de/politik/deutsche-panzer-in-ukrainischer-offensive-gegen-russland-hohe-verluste-in-kursk-93232146.html

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien

Taylor Swift und das Echo

Die Echokammern funktionieren – nicht nur im Ukrainekrieg.

Wolfgang Koppler

Unisono meinten etwa ORF-Innenpolitikexperte Webhofer ebenso wie der Standard schon am Donnerstag, dass es ein falsches Signal gewesen wäre, das Swift-Konzert abzusagen. Der Westen müsse zeigen, dass er sich von Terroristen nicht davon abhalten lässt, business (und entertainment) as usual fortzuführen.

Dabei war damals schon bekannt, dass ein mutmaßlicher Komplize des in Ternitz festgenommenen Neunzehnjährigen als Teil des Facility Service Zugang zum Stadion hatte. Und wie man nun weiß, erfolgten die ausländischen Geheimdienstinformationen zu dem geplanten Anschlag relativ kurz vor dem Konzert. Die Handlungsweise des Veranstalters ist also durchaus nachvollziehbar. Die „Jetzt erst recht“-Haltung mancher Journalisten schon weniger. Ganz gleich, wie ausgegoren der Plan des Verdächtigen war – für Messerattentate von Komplizen (die sich vielleicht ebenfalls denken: Jetzt erst recht) wäre immer noch Zeit gewesen.

Ebenso engstirnig: Die in der ZiB2 gerade penetrant verfochtene Ablehnung der Überwachung von Messengerdiensten. Selbst als die gewiss liberale und ausgesprochen unverdächtige Strafrechtlerin Ingeborg Zerbs diese – im Fall schwerster Straftaten – für verhältnismäßig und verfassungsrechtlich unbedenklich erklärte, blieb Margit Laufer bei ihrer Skepsis. Auch der diesbezügliche ZiB-Beitrag war von – wenig sachlichen – Datenschützern geprägt. Nachdem aber 80 § der Telekommunikation inzwischen über Messengerdienste abläuft – wie Zerbs nachvollziehbar darlegte, ist eine derartige Überwachung bei entsprechendem Gerichtsbeschluss wohl nicht schwerwiegender als eine Telefonüberwachung. Und eine solche würde im Falle schwerwiegender Straftaten ja auch niemand in Frage stellen.

Die Nymphe Echo war in der antiken Mythologie eine eher traurige Gestalt. Vielleicht sollte man sich dessen in Politik und Medien wieder bewusst werden. Und gelegentlich selbst Überlegungen anstellen.

Kleiner Lichtblick: Zumindest in den Printmedien entdeckt man nun – reichlich spät – die Problematik der Sozialen Medien für die Entwicklung von Jugendlichen. Jahrzehntelang hat man hier zugesehen und diese geradezu als demokratische Errungenschaft bejubelt. Vielleicht sollte man auch einmal unserem Freiheitsbegriff hinterfragen, der die Ausbeutung von Mensch und Umwelt zugunsten von Milliardengewinnen als unbedenklich oder zumindest in Kauf zu nehmendes Risiko einstuft- Sofern nicht gerade ein nicht mehr zu kaschierender Skandal auftaucht.

Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Diplomatie mehr denn je gefordert

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist wie viele andere Kriege auch ein Informationskrieg. Propaganda für die eine oder andere Seite überwiegt je nach Standpunkt und Interessenslage. Westliche Politik und Medien haben sich nach jahrzehntelanger antirussischer Feindbildpflege konsequenterweise voll auf die Seite Kiews geschlagen und plädieren mehrheitlich für die Lieferung immer schwererer Waffen. Dabei überbieten sie einander an Kriegsrhetorik. Friedensrhetorik ist kaum zu vernehmen. Vor diesem Hintergrund ist bzw. wäre eine differenzierte und deeskalierende Annäherung an diese komplexe Causa höchst nötig und sinnvoll. Ein eher positives Beispiel dafür hat nun die Politikwissenschafterin Nina Chruschtschowa geliefert. Sie war jüngst Interview-Gast in der ZiB 2
(Einleitungstext Udo Bachmair)

Wolfgang Koppler *

Nina, Chruschtschowa, die Enkelin von Nikita Chruschtschow, die seit den 90-er Jahren in der USA lebt und zur Eröffnung der Salzburger Festspiele nach Österreich eingeladen wurde, war mir zwar schon seit längerem bekannt, ebenso ihre auch dem Westen gegenüber kritische Haltung. Trotzdem fürchtete ich angesichts der aufgeheizten Stimmung und des öffentlichen Druckes, dass auch sie langsam mürbe gemacht worden wäre.

Ich war angenehm überrascht. Dass sie den Angriffskrieg ablehnt, hat sie schon früher deutlich gemacht, indem sie betont hat, ihr Großvater hätte diesen Krieg niemals angefangen.

Sie lehnt aber die Kategorien Gut und Böse ab und sieht eine Mitverantwortung der USA und Europas. Die Diplomatie hätte nach den ersten Kriegsmonaten ausgesetzt, obwohl sie gerade in einem Krieg mehr denn je gefordert sei. Den Besuch des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba in Peking bzw. die Vermittlungsbemühungen Chinas sah sie positiv und ließ aufhorchen, als sie meinte, dass es nun auch in der Ukraine Erwartungen gebe, den Krieg vielleicht bis Jahresende zu beenden.

Sie zeigte sich aber realistisch genug, die Chancen auf eine Friedenslösung aus heutiger Sicht als gering einzuschätzen. Die Haltung auf beiden Seiten hätte sich (Anm: nach Jahren unablässiger Kriegsführung und Propaganda) verhärtet und Putin sähe sich derzeit im Vorteil, zumal die Sanktionen nicht die vom Westen erhoffte Wirkung gezeitigt hätten.

Trotzdem sah sie Verhandlungen nicht als aussichtslos an, wobei sie es vermied, konkrete Lösungsvorschläge zu machen. Wohl deswegen, weil man im derzeitigen Stadium nichts präjudizieren sollte. Die Parteien müssen selbst den Kompromiss erarbeiten und ihre Schmerzgrenzen feststellen. Sie ließ aber anklingen, dass weder das Thema Neutralität noch Gebietsfragen unüberwindbare Hindernisse darstellten.

Angenehm wieder einmal die zurückhaltende und nur die wirklich notwendigen Fragen stellende ZiB 2-Moderatorin Marie-Claire Zimmermann. Mich störte lediglich die Bezeichnung „Kommunistenchef“ für Chruschtschow. Dem verstorbenen Staats- und Parteichef verdanken wir immerhin den Staatsvertrag, der in der sowjetischen Führung gar nicht so unumstritten war. Auch sein letztlich eleganter Kompromiss der zugegebenermaßen von ihm ausgelösten Kubakrise sollte nicht vergessen werden, da er zeigt, wie man mit ein bisschen Kreativität und Flexibilität auch aus scheinbar ausweglosen Situationen wieder herauskommt: Man entschloss sich hinter den Kulissen, nicht nur die russischen Raketen aus Kuba, sondern auch die amerikanischen aus der Türkei abzuziehen. Was im Westen lange Zeit verschwiegen wurde.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Gute Nacht, Journalismus?

Millionen für Massenmedien ohne journalistisches Ethos schaden der Demokratie! Braucht‘s eine Stärkung der Medienvielfalt?

Ilse Kleinschuster *

Im Südwind-Magazin, einer von mir sehr geschätzten Zeitschrift für internationale Politik, Kultur und Entwicklung – https://www.suedwind-magazin.at/millionen-fuer-die-massenmedien/ – war kürzlich zu lesen: „Einige wenige bekommen sehr viel Geld und bleiben dementsprechend mächtig. Eine Stärkung der Medienvielfalt schaut anders aus.“
Mag sein, dass die Medienkrise zuvorderst eine ökonomische und regulatorische ist! Ich kann mir schwer vorstellen, dass in Folge der Journalismus in Österreich total unterminiert wird, denn, würde das nicht bedeuten, dass mit dem Wegfall sämtlicher öffentlicher Förderungen und Inserate in der Mehrzahl der noch bestehenden Tageszeitungen und in etlichen Verlagen das Licht ausgeht. Und das kann von Seiten der Politik wohl nicht gewollt sein!?!

Ich kann mir aber gut vorstellen, dass wir es in Österreich doch auch irgendwann einmal schaffen, dass – durch den Wegfall öffentlicher Subventionen – die Zahlungsbereitschaft der Menschen für unabhängige Medien beflügelt wird. Zeigt sich nicht bereits der Ansatz zu einem neuen Mäzenatentum im Journalismus an? Werden in den neuen digitalen Medien nicht immer stärker einzelne Personen sichtbar, die geschickt eine riesengroße Anhängerschaft mobilisieren und sie anzusprechen verstehen. Jedoch, Vorsicht! -Wie steht es nun wirklich mit dieser Vertrauenserosion und dem behördlich verfolgten Verdacht gekaufter Berichterstattung?

Ist es nicht das Schlimmste, das einer Massendemokratie passieren kann, Massen-/Leitmedien des Boulevard ohne journalistisches Ethos zu haben? Denn, wenn Demokratie nicht länger nur eine Frage des Systems, sondern auch eine Frage der Haltung und des Charakters der handelnden Personen sein soll, dann Gute Nacht, Demokratie! Und wenn Leitmedien die Komplexität des Zeitgeschehens nicht mehr allgemein verständlich vermitteln können, ohne dabei zu manipulieren, dann Gute Nacht, Journalismus! Es ist ein Teufelskreis! –„Mehr als an Geld fehlt es der Politik am Willen gute Rahmenbedingungen zu gestalten“, so Walter Hämmerle in seiner Publikation „Die unreife Republik – zum Zustand Österreichs“.

Tja, aber wie steht’s denn mit dem Willen der Zivilgesellschaft– Rahmenbedingungen zu schaffen, die sinnstiftenden Journalismus unterstützen, einen Journalismus, der als „vierte Gewalt“ im Staat dazu beiträgt, dysfunktionale Dinge zu verändern?

Diese „vierte Gewalt“ also, die ohne gesetzlich verankerte Gewalt mittels wahrhaftiger Berichterstattung und Vermittlung der öffentlichen Meinung eine Kontrollfunktion über die drei Staatsgewalten, Legislative, Exekutive und Judikative ausüben soll, um Machtmissbrauch zu verhindern. Sind die Österreicher*innen als Medien-Konsument*innen en kritisch oder nehmen sie was ihnen geboten wird -, am liebsten gratis! Das demokratische Selbstbewusstsein der Österreicher hält der ehemalige Chefredakteur der „Wiener Zeitung“ (heute Chef der Innenpolitik bei der „Kleinen Zeitung“) für unterentwickelt. Er mahnt eine parteiübergreifende Initiative für bessere Verwaltung ein, um dieser „Alibipolitik, wo das Erzählte reicht und nicht das Erreichte zählt“, ein Ende zu bereiten.

Zunächst einmal wäre schon viel gewonnen, wenn die Bürgerschaft fähig wäre, die PRESSE als public service, als einen öffentlichen Dienst, zu sehen, vergleichbar dem Gesundheits- und Bildungssystem, das ja eigentlich nicht marktfähig und deshalb nicht kommerzialisiert ist, sondern als gemeinnützige und öffentlich-rechtliche Einrichtungen zu organisieren wäre (etwa als eine Art Klima- und Umweltjournalismus). Kaum vorstellbar? – ein europäisches, öffentlich-rechtliches Netzwerk, das der algorithmischen Logik der kommerziellen Netzwerke nicht folgt, weil es ihnen nicht folgen muss -, ein öffentlich-rechtlicher Europafunk? – Ein nachhaltiger Aufklärungsjournalismus, der sich seiner eigenen Existenzvoraussetzungen bewusst und diesen verpflichtet ist: ein konstruktiver Journalismus, der sich mit der Demokratie gemein macht?

Nun ja, vielleicht ist das zu hoch gegriffen und wir sollten uns schon mal mit der Forderung nach qualitativen Voraussetzungen begnügen in dem Sinne, dass „der Kern des Journalismus weder darin liegt, Spielwiese für die individuellen weltanschaulichen Vorlieben der Journalistinnen und Journalisten zu sein, noch darin, jedem Ablenkungsmanöver der Politik eine Plattform zu bieten. Sein Ziel muss es sein, Sinn von Unsinn zu trennen, und den Menschen zu ermöglichen, sich ihre eigene Meinung zu den Themen der Zeit zu bilden. Dazu muss die Distanz zur Politik wachsen und die Kommunikationsübermacht regierender Parteien beschränkt werden. Längst arbeiten in den Content-Abteilungen von Ministerien und Landesregierungen mehr Menschen als in den Redaktionen.“ (Zitat Walter Hämmerle aus „Die unreife Republik“).

Nun hat aber in der Öffentlichkeit ein starker Strukturwandel stattgefunden und auch das bestehende Mediensystem befindet sich im radikalen Umbruch. Womöglich müssen wir uns grundsätzlich von der Idee stabiler Rahmenbedingungen im Hinblick auf Massenmedien und Journalismus verabschieden.

Wenn sich nun die Politik hinsichtlich der Ursachen für aktuelle Krisen solchen Fragen nicht wirklich gestellt hat, so haben sich kreative Menschen sehr wohl längst damit auseinandergesetzt und erkannt, dass Innovationen wie Künstliche Intelligenz ständig für neue Chancen, aber auch Gefahren sorgen.

Ich selbst stamme aus einer Zeit, in der Zeitunglesen und Fernsehen genügten, um sich als durchschnittlich gut informierter Mensch zu fühlen. Manchen werde ich nicht viel Neues berichten, aber vielleicht ist doch noch nicht allgemein bekannt, was ich kürzlich über den Newsletter vom Presseclub CONCORDIA aus dem letzten Teil einer 3-teiligen Sende-Reihe #journalimus erfahren habe – www.w24.at/Sendungen – # ZUKUNFT – Medienzukunft in Wien – mit Daniela Kraus, der Geschäftsführerin des Presseclubs Concordia, Andy Kaltenbrunner (Medienforscher) und drei jungen Medienunternehmer*innen, Tatjana Lukas (Gründerin des Happy House Media), Julia Herrnböck, Plattform für investigativen und Datenjournalismus, DOSSIER und Stefan Apfel (#media).
Die Frage ist zunächst, wen erreicht Journalismus noch und wo und mit welchen Ideen und Formaten? Papier sei nur noch bei Älteren beliebt. 2/3 aller Menschen seien online, um klassisch Nachrichten zu hören. Alle anderen wählen verschiedene Kanäle, Podcasts und Videos. Diese Vielfalt sei wohl eine große Chance!

Eine Social Media Plattform in Digitalformat wie #media – erreicht vor allem sehr junge Leute, die Zahl der Rückmeldungen ist stärker als bei Print aufgrund permanenter Interaktionen! D.h. enorme Reichweite durch Livestreams (50.000 Zuschauer, eventuell bis zu einer Million).

‚DOSSIER‘ – eine mediale, gemeinnützige Redaktion, die versucht Leute an investigativen und Daten-Journalismus heranzuführen, zu verschiedenen Themen auf verschiedenen Formaten. Jetzt auch als Print-Format, das Magazin! Die ehrlich kritische Aufbereitung der Inhalte ist dort wichtig, soziale Interaktion auch in der Redaktion werden als ein Beitrag zu Demokratie und Gesellschaft gesehen.

Über Social Media-kanäle werden zunächst viele Menschen erreicht, dann werden Angebote zur Diskussion, Information und Aufklärung gemacht, z.B. per kurzen Videos und Podcasts. Das nennt sich „Trojanischer Journalismus“! Wie aber wird Vertrauen gewonnen? Personalisierung sei dafür wichtig und trage auch zur Transparenz bei. Dafür bedarf es starker Quellenangaben-Tools, um für Verantwortlichkeit zu sorgen.

Wie nun aber kommt Journalismus zum Publikum und wie das Publikum zu den Medien?!? Natürlich braucht es dazu die Medien mit der großen Reichweite und auch analoge Veranstaltungen (diverse Streuungsmittel – z.B. Live-Chats mit Lagerfeuercharakter!)

Social Media-Plattformen wie Tik Tok, Instagram u.a. werden zusätzlich mit Podcasts und Newslettern verbunden. So entstehen mediale Biotope, die weitgehend kostenlos sind. Das ist zwar ein stark demokratischer Zugang –aber, ist das demokratiepolitisch nicht dennoch ein Problem!?!

Es geht also heute sehr wohl um das Entstehen eines starken medialen Pioniergeists und großer Experimentierlust bei jungen Menschen und Freigeistern, am Rand! Das sei gut so, aber dazu braucht es doch auch unternehmerischen Geist von Menschen, denen es mehr als um Gewinn, um Freiheit geht! Wie also kann Lust am Lernen, an Ausprobieren von Neuem, aber auch Mut zum Scheitern, zu sinnstiftendem Journalismus führen?!? Selbst wenn in großen Media-Unternehmen oft mutige Leute sind, die sich als Innovatoren betätigen wollen, werden ihnen rasch Grenzen gesetzt, weil zu viel auf dem Spiel stehe (Geld/Arbeitsplätze!).

Wovon leben diese unternehmerisch-motivierten Journalisten, denen es meist auch um Kritik an Systemfehlern, um Anstoß zu Verbesserungen (Socialism!) geht – Ein dafür vorbildliches Medienprojekt ist ‚Zetland‘, ein Mitglieder-finanziertes Unternehmen mit Text- und Audiojournalismus – www.zetland.dk

Da Geld also auch hier wieder die große Rolle spielt und investigative, werbefreie Medien davon abhängig sind, hat die Wirtschaftsagentur Wien eine Medien-Initiative eingerichtet – https://medieninitiative.wien/ueber-uns

Erwünscht sind natürlich gewisse Qualitätskriterien für die Fördervergabe. Kritiker meinen, es wäre darüber hinaus wünschenswert, wenn Medienförderung noch weitergedacht würde, dafür bräuchte es aber mehr Zusammenhalt innerhalb der Branche! Förderung vom Staat hat auch Schattenseiten, daher mögen Überlegungen weitergegeben werden, wie etwa jene in Bezug auf das Bewusstsein der Leser*innen (den persönlichen Medienkonsum und seine Steuerung – im Sinne der Demokratie!)

Letzten Endes glaube ich, dass aktueller Journalismus auf jeden Fall in seiner Berichterstattung mutiger werden sollte, ohne fürchten zu müssen, als aktivistisch gescholten zu werden. Es braucht normativen Journalismus mithilfe normativer Wissenschaft – nur das könnte den notwendigen Perspektivenwechsel herbeiführen. Zu behaupten, Journalismus muss neutral sein, ist unsinnig.
Wenn heute für allgemein notwendige sozial-ökologische Veränderungen (eine nachhaltige Entwicklung!) mehr Verständnis gefordert wird, wenn dafür mehr Fürsprecher (gestärkte Vielfalt in den Medien!) gesucht werden, dann muss – sowohl analoge wie digitale – Journalismus-Ausbildung auf Verantwortungsethik fokussiert werden. Ethische Haltung basierend zumindest auf den bereits erkämpften menschen- und verfassungsrechtlichen Grundlagen sollte als roter Faden in den Redaktionen dienen!

* Gastautorin Ilse Kleinschuster ist engagiertes Mitglied der Zivilgesellschaft

Humor verzweifelt gesucht…

Politik und Medien erscheinen weitgehend humorbefreit. Dabei müsste gerade in harten Zeiten wie diesen zwischendurch auch Spielraum für entlastendes Durchatmen und Lachen sein.

Wolfgang Koppler *

„Zwei Mal am Tag lachen“, empfahl Viktor Matejka einmal als Rezept für ein langes Leben: „Einmal über sich und einmal über die anderen“. Leider ist der Humor fast völlig aus den Medien verschwunden und um ihn zu finden, muss man schon auf Jahrzehnte alte Satiren zurückgreifen. Etwa auf den Satirenband „Wer, wenn nicht er“ von Profil-Journalist Rainer Nikowitz aus der Ära Schüssel. Unter den 101 Satiren ist mir eine zur Nationalratswahl 2002 aufgefallen, als die FPÖ von 27 % auf 10 % rutschte. Und Schüssel kurzzeitig zum Shootingstar wurde.

Die Dialoge sind so umwerfend komisch, dass ich einen Auszug daraus zitieren möchte. Und sie zeigen, wie rasch sich die politische Landschaft verändert, aber nicht unsere Politiker und deren Wähler. Eine Aufforderung zu etwas weniger Ernst und Ehrfurcht. Und mehr Humor und Selbstbewusstsein. Das Leben ist zu kurz, um in falschem Respekt zu erstarren. Dazu passt vielleicht des damaligen blauen Sozialministers Herberts Haupts fiktiver Besuch mit einer fliegenden Wahlkommission in einem Altersheim. Dumm nur, dass er zwischendurch mit dem in einer Kletterwand hängenden, von der sich abzeichnenden Wahlkatastrophe völlig überrumpelten Jörg Haider telefonieren muss:

„Griaß Gott scheen, Muatterl“

„“Wer san denn Sie nocha ?“

„I bin da Sozialminister Haupt aus SpittalandaDrau“

„I gib nix. I hob ka Geld“.

„Nana, mir kamerten nur wegen der Wahl.“

„Heans, i bin zwaraneinzig. Was hab i für a Wahl?“

„Nationalratswahl warat heit.“

„Aaah, i bin a Schwarze. San se a a Schwarzer ?“

„Naja, i…(sein Handy läutet), entschuldigens, i muass kurz…hallo? Ja, servas , Jörg. I bin da grad mit da fliegenden…Ja…, eh…, jetzt reg die net auf, sonst fallst ma no oba…“

„A was, des geht scho. Die Schwester hot mi eh angschnallt.“

„A Wahnsinniger, ja.“

„A bissl verkalkt, des in i scho. Oba wahnsinnig verbitt i mir.“

„A widerlicher lippenloser Gnom. Sowieso issa des.“

„Schauns ihn söba an. I bin zwaraneinzig, Was ham es für a Ausred?“

„Eine falsche Sau, du sagst es !“

„Schwester, der komische Mann schimpft mi dauernd.“

„Was? Wart amol. Jörg. I maan do net Ihna“.

„Wen dann?“

„ I red da am Telefon.“

„Telefon? Für mi? Gebn‘ S‘ her!

„Na, des is net für Ihna!“

„Schwester!“

„Pscht, machens da kan Skandal!“

„Na guat…. Jörg, da will a Dame mit dir reden (gibt ihr das Handy)

„Hallo? San se a Schwarza. Der andre Herr hat gsagt, er is ana.“

„Sans narrisch?“

„Und jetzt schimpft er wieda. I glaub, i hätt’s net verraten solln. Was ? Heans, se kennan oba schiach redn.“

„Aus, jetzt gebns ma des Telefon zruck!“

„Wonn mi endlich omal wer anruft ? Sicha net.“

„Her damit!“

„Schwesta !“

Dieser Dialog und zahleiche andere Szenen in diesem Buch zeigen, dass im so genannten Abendland weder die Sonne noch unsere Kultur wirklich untergehen können. Weil kaum jemanden einmal ein – menschliches – Licht aufgegangen ist. Und inzwischen ist uns auch der Humor abhanden gekommen. Statt dessen wird todernst für verlogene Ideale gekämpft. Oder eigentlich lassen wir auch noch andere dafür kämpfen.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Kriegerische Schlafwandler

Spannungsgeladene Zeiten wie diese mit drohender Steigerung des Gefahrenpotentials erinnern fatal an die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Politik und Medien halten kaum dagegen.

Fritz Edlinger *

Der bei globalbridge veröffentlichte Kommentar von Stefano di Lorenzo hat mich dazu verführt, eines der wichtigsten historischen Werke der letzten Jahre wieder in die Hand zu nehmen und zu schmökern: Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. (Dt. Verlagsanstalt 2012). Es ist – meiner Ansicht völlig zurecht – bereits früher darauf hingewiesen worden, dass die Situation in Europa in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg große Ähnlichkeiten mit den Jahren vor dem russischen Angriff auf die Ukraine am 25.2.2022 aufweist. Um es zu vereinfachen: In beiden Fällen hat es genügend Hinweise auf vorhandene, aber in ihrem Gefahrenpotential (mehr oder minder bewusst) zu wenig beachtete Interessenskonflikte gegeben. Ich darf mir erlauben, aus der Einleitung des mit 895 Seiten äußerst umfangreichen Werkes des in Cambridge lehrenden australischen Historikers zu zitieren:

„Seit Ende des Kalten Krieges ist an die Stelle des Systems globaler, bipolarer Stabilität ein weit komplexeres und unberechenbareres Gefüge an Kräften getreten, einschließlich einiger Reiche im Niedergang und aufsteigender Mächte – ein Zustand, der zum Vergleich „Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mmit der Situation in Europa anno 1914 geradezu einlädt.“ (S. 15).

„Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mit der Frage, warum der Krieg ausbrach, als damit, wie es dazu kam.“ (S. 17).

Vor allem das zweite Zitat erinnert mich auch an den völlig unsinnigen und polemischen Vorwurf an manche Analysten und Kommentatoren, sie seien „Putinversteher“. Wie bereits des öfteren festgestellt, bedeutet Verstehen nicht Akzeptieren und Unterstützen sondern einfach Entwicklungen und Situationen zu analysieren, eben zu verstehen. Dies ist meines Erachtens viel zu wenig getan worden und wird auch weiterhin sträflich vernachlässigt, sodass Europa 2022 in einen Konflikt getaumelt ist, der schon 1914 katastrophale Folgen gehabt hat und dies auch diesmal tun wird. Bei etwas mehr Kenntnis der Probleme und der unterschiedlichen Interessen und bei größerem politischen Willen, eine neuerliche Katastrophe unermesslichen Ausmaßes verhindern zu wollen, wäre dies vielleicht doch zu vermeiden gewesen.

So droht also Europa innerhalb von einem Jahrhundert bereits zum dritten Male zum Auslöser und großteils auch zum Schauplatz eines Weltkrieges zu werden. Aber eines ist meines Erachtens unbestritten: Trotz der durch nichts zu rechtfertigenden Tatsache, dass Russland diesen schrecklichen Krieg ausgelöst hat, so konnte man die Zeichen an der Wand sehr wohl bereits in den Jahren zuvor erkennen, konnte und/wollte dies aber nicht tun. Somit ist die Mitverantwortung mancher europäischer Staaten, vor allem aber auch der USA, nicht von der Hand zu weisen.

Doppelstandards als Prinzip der geopolitischen Realitäten

Im Ukrainekonflikt kommt auch ein weiteres Element der Geopolitik, welches in krassem Gegensatz zu den formellen nach 1945 vereinbarten völkerrechtlichen Spielregeln (Charta der Vereinten Nationen, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) steht, wieder einmal zum Vorschein: Doppelstandards. Es ist ganz offensichtlich, dass es nach dem Prinzip von „Quod licet Iovi not licet bovi“, weltweit und global zweierlei Recht gilt. Dass die Schöpfer der 2. Weltkriegsnachordnung selbst gewisse legale Umgehungsmöglichkeiten nicht vermeiden wollten oder konnten beweist z.B. die Regelung, dass im völkerrechtlich entscheidenden Gremium der UNO, dem Sicherheitsrat, fünf Mitgliedern (USA, Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion/Russland, China) Vetorechte eingeräumt worden sind. Damit konnten diese fünf Mächte ihnen nicht genehme verbindliche Beschlüsse verhindern. Dass es darüber hinaus vor allem von diesen Fünf auch immer wieder zur Umgehung des Sicherheitsrates gekommen ist, erinnert uns daran, dass es noch immer genügend Bedarf zu globaler Gleichberechtigung gibt.

Um mit einem kleinen Prinzip Hoffnung zu schließen: Die USA, welche seit 1945 dieses Vetorecht wohl am häufigsten angewandt haben, könnten im Hinblick auf den Angriff Israels auf den palästinensischen Gazastreifen jenen Staaten, welche seit vielen Jahren auf eine Veränderung der Machtstrukturen bei den Vereinten Nationen hinarbeiten, indirekte und nicht-gewollte Schützenhilfe geben. Die Stimmenthaltung bei der jüngsten Resolution, welche unter anderem zu einem sofortigen Waffenstillstand in Gaza aufgerufen hat, könnte durchaus den Bemühungen um die dringend benötigte Reform der UNO neue Dynamik verleihen. In diesem Sinne verweise ich auf den verlinkten Bericht von Al Jazeera.

Links:

Gehen auch wir schlafwandelnd in einen dritten Weltkrieg?

https://www.aljazeera.com/news/2024/3/26/will-the-un-ceasefire-resolution-stop-israels-war-on-gaza

* Gastautor Fritz Edlinger ist Herausgeber und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift INTERNATIONAL www.international.or.at