Leise Stimme der Vernunft

Sie werden in Politik und Medien immer seltener: Stimmen der Vernunft. Eine davon bewies kürzlich Noch-SPD-Chefin Saskia Esken als Studiogast in der ZiB2. Eine Sternstunde in einer Zeit des Militarismus, des Krieges und der Scheinheiligkeit.

Wolfgang Koppler *

Ihre Zeit als SPD-Co-Vorsitzende ist zwar bald vorbei. Gefragt sind künftig Leute wie die Bundesminister Pistorius und Klingbeil. Geschmeidige Politiker, wie sie überall zu finden sind. Geschmeidig genug für Ministerämter. Esken strebte Derartiges nicht an. Haltung war ihr wichtiger. Im gegenständlichen Interview stellte sie auch Ihre Kompetenz unter Beweis. Sie vermied nicht nur jedes Fettnäpfchen, sondern zeigte auch ein Realitätsbewusstsein, das den westlichen Politikern, gleich welcher Coleur, derzeit völlig abzugehen scheint.

Auch wenn Putin derzeit auf die militärische Karte setzt und von einer Hybris erfasst zu scheint, die die wirtschaftliche Schwäche Russlands völlig außer Acht lässt, darf dies nicht dazu verleiten, auf westlicher Seite in einen ebensolchen Militarismus zu verfallen. Auch unsere Wirtschaft und vor allem unsere Gesellschaft steht auf tönernen Beinen. Etliche europäische Staaten sitzen auf einem Schuldenberg, die Trumpsche Zollpolitik zeigt uns ebenso die Grenzen des Wachstums wie die Umwelt- und Umweltkrise. Und die europäische Gesellschaft ist in Wirklichkeit ebenso gespalten wie die amerikanische. In dieser Situation auf eine neue Rüstungsspirale zu setzen könnte irgendwann zu einer schlimmeren Finanzkrise führen als 2008. Und die Gesellschaft noch weiter spalten. Vom Wahnsinn im Nahen Osten und den weitgehend verdrängten Krisenherden des Globalen Südens ganz zu schweigen.

Putins derzeitige Realitätsverweigerung rechtfertigt nicht unsere eigene. Man wird an den Verhandlungstisch zurückkehren müssen, da hat Saskia Esken völlig recht. Man sollte auch nicht vergessen, dass zu Beginn des Krieges durchaus ernsthaft verhandelt wurde und dies letztlich nur an der Verweigerung westlicher Sicherheitsgarantien scheiterte. Die inzwischen auf beiden Seiten im Zuge eines mehr als dreijährigen Krieges hochgefahrene Eskalationsspirale gilt es wieder zurückzufahren. Statt auf beiden Seiten Strafgefangene und Wehrdienstverweigerer an der Front zu verheizen.

Anhand solcher Ausnahmepersönlichkeiten wird die Unhaltbarkeit des Mainstream (welcher primär auf Feindbilder setzt) erst recht sichtbar. Dass Esken sogar Zuspruch von Persönlichkeiten aus anderen Lagern erhalten hat, wenn auch nur per Mail, spricht Bände. Die Stimme der Vernunft ist eben leise.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

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