Archiv der Kategorie: Studien / Rezensionen

Kapitalismus Problem oder Lösung ?

Die Rolle der Marktwirtschaft und die Armutsbekämpfung ist Thema eines jüngst erschienenen Buches. Als Beispiele werden darin die Entwicklung der Volkswirtschaften Polens und Vietnams angeführt.

Hans Högl: Buchrezension

Rainer Zitelmann (2023): Der Aufstieg des Drachen und des Weissen Adlers. Wie Nationen der Armut entkommen. München. Finanzbuch-Verlag (FBV). Mit Anmerkungen, Personenregister und Literaturverzeichnis, 208 Seiten.

Die Positionen des Autors sind ein Gegenpol zu den in Medien (so im ORF) häufig geforderten staatlichen Eingriffen und Hilfen. Und da tönt es in Medien scheinbar (?) unwillkürlich immer wieder: der Staat möge Probleme lösen. In diesem öffentlichen Diskurs fehlt der Appell zur Selbsthilfe.

Zu meiner Position als Rezensent: Ich bin für das Prinzip der Subsidiarität, befürworte freien Markt u n d bin für adäquate Sozialleistungen des Staates, vertrete also „soziale Marktwirtschaft“, ein Wort, das in Zitelmanns Buch offenbar fehlt. Im besten Fall ist es implizit gegeben im Lob des deutschen Kanzlers Ludwig Erhard.

Zitelmanns Hauptthese ist: Nur eine Gesellschaft, die Reichtum zulässt und Reichtum positiv sieht, kann Armut überwinden (S. 5). Nach den Siegen über die Franzosen und Amerikaner sollte ab 1975 in ganz Vietnam die Landwirtschaft kollektiviert werden (99 f.), obwohl dies in China und in der UdSSR gescheitert war. Die Vietnamesen begannen 1986 mit marktwirtschaftlichen Reformen, wenige Jahre später die Polen.

In beiden Ländern ist heute der Widerstand gegen freie Markwirtschaft viel geringer als in traditionell wirtschaftsliberalen Ländern. Dies belegt der Autor in weltweiten Umfragen (S. 73-91, 156 -173). Finde ein möglichst rascher Übergang von einer Planwirtschaft zu einer freien Marktwirtschaft statt, seien Widerstände gegen die Transformation geringer. Und die Leute würden bei einem Radikalwandel das Spezifikum einer freien Marktwirtschaft besser erfassen als bei einem graduellen Übergang. Dies zur Ansicht von Rainer Zitelmann.

Positives: Beeindruckend ist der Vergleich der beiden heutigen Volkswirtschaften: Polen und Vietnam. Bei einer kürzlichen Fahrt quer durch Polen staunte nicht nur ich, sondern auch Verwandte aus Schweden, über die wirtschaftlich breite Entwicklung in Polen, auch wenn dies nur rasche Eindrücke waren. In Polen kam es im Sozialismus immer wieder zu Protesten und Arbeitsniederlegungen und zur Bildung einer freien Gewerkschaft, eigentlich ein Unding in einem sozialistischen Staat.

Zitelmann ist für Marktradikalismus, also für „Neo-Liberalismus“. Seine Vorbilder sind u.a. Margaret Thatcher, Ronald Reagan. Kein Wort findet sich bei Zitelmann (es war auch nicht sein Hauptaugenmerk) auf die misslungen Privatisierungen von Margaret Thatcher – im Gesundheits- und Verkehrswesen.

Zur Radikalkur in Osteuropa. Menschen waren nach der Transformation „offiziell“ arbeitslos (de facto waren sie es bereits früher), und die älteren Menschen darbten mit Minimalpensionen. Das übersieht Zitelmann. Meist fehlten Fachleute für die Gestaltung des freien Marktes (Polen hatte zum Glück L. Balcerowicz als Finanzminister S. 6., 52). Bei langsamem Übergang blieben oft Altkommunisten an der Macht.

Michael Gorbatschow gesteht ein, es hätte für die Transformation der riesigen Planwirtschaft wie der Sowjetunion Jahre gebraucht. Das wurde unterschätzt. Folgendes fehlt bei Zitelmann: Vorgesehen war in Russland die Ausgabe von Volksaktien an Belegschaften, doch gewitzte Personen kauften den Leuten die Aktien spottbillig ab, die Arbeiter wußten nicht um deren Wert und wurden dafür mit ein paar Flaschen Wodka abgespeist (so dargestellt im Kultursender ARTE), dies wurde Kapital für die Oligarchen in Russland. Ob das im Sinne von Zitelmann wünschenswert war?

„Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“,schreibt Zitelmann (S.15): Ausgerechnet das partiell kommunistische China trug viel dazu bei, extreme Massenarmut zu mindern: Ein pragmatischer KP-Führer sah ein, es sei wichtig, die Wirtschaft aus Fesseln zu befreien, wobei die KP die Gesamt-Macht nicht abgegeben hat.

Zitelmann vertritt die Ansicht: Wer hilft, schadet. Wir lesen nichts bei ihm über den Marshall-Plan für Europa, der uns auf die Beine geholfen hat. Sehr ausführlich geht er auf die bittere Bilanz der Entwicklungshilfe ein und übersieht in der Kritik der Projekte, dass Unsummen an Finanzhilfen an korrupte einheimische Eliten überwiesen wurden, die viel eher Eigen-Reichtum als den Wohlstand ihrer Länder im Auge hatten, also eben dies taten, was Zitelmann so wünschenswert hält…

Das Buch ist dennoch anregend, die Lektüre lohnt und bietet unbekannte Details und so eine wirtschaftliche Länderkunde Polens und Vietnams, zwei Staaten, die sich der Planwirtschaft entwunden haben. Vietnam musste sich in der langen Geschichte gegen fremde Eindringlinge zur Wehr setzen – gegen Chinesen, Mongolen, Japanern, Franzosen und Amerikanern (S. 97)

Medial überdramatisierte Welt

Menschliche Psyche findet negative Nachrichten wichtiger.

Hans Högl

Ich greife den medienkritisch – wertvollen Beitrag der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Pragmaticus“ auf. Auf S. 15 heißt es zutreffend: „Wir leben in einer überdramatisierten Welt. Das hat viel mit den Mechanismen des Mediengeschäfts zu tun. Schlechte Nachrichten verkaufen sich einfach besser, jede Webseite kann dies mit einem Klick genau überprüfen.“ Es liegt aber auch an der menschlichen Psyche: Gute Nachrichten werden als weniger wichtig und auch weniger spannend wahrgenommen.

Der Medienkonsument sollte sich fragen: Kommen auch unterschiedliche Standpunkte vor, oder berichtet das Medium gesamtheitlich einseitig zu einer Thematik? Sind die Autoren wirklich unabhängig oder verfolgen sie – wie beispielsweise NGOs und Lobbygruppen ganz spezifische Ziele der Meinungsbeeinflussung? Ähnliches gilt für Studien und Statistiken.

Unter Framing wird verstanden, aus einem realen Geschehen jene Aspekte hervorzuheben, dem dem gewünschten Erzählmuster entsprechen.

Keine 2/3-Gesellschaft

Kein Arbeitslosen -„Heer“- trotz Internet. Ein Ergebnis der Arena-Analyse 2023, die kürzlich präsentiert wurde.

Hans Högl

Österreich braucht mehr Arbeitende, als zur Verfügung stehen. 2022 konnten 70 % aller Betriebe ihren Personalbedarf nicht zur Gänze decken.

Die Arena Analyse 2023: „Chancen in Sicht“- hg. von Kovar & Partners – Verfasser: Walter Osztovics und Andreas Kovar- wurde kürzlich im österreichischen Parlament präsentiert. Daraus heben wir einen Aspekt hervor, der bisher in Medien wenig beachtet wurde.

Die Arbeit geht uns aus, so tönte es häufig in vergangenen Jahren …. Durch das Internet und die Automatisierung käme es definitiv zu einer Zwei-Drittel-Gesellschaft: Zwei werden Arbeit haben, das andere Drittel ist definitiv arbeitslos. Also rund 30 % Arbeitslose – eine schaurige Zahl! Um dem zu begegnen, böte sich als Lösung das Grundeinkommen für alle an….

Hier die dreifach begründete Entwarnung- diesen Wandel greife ich exklusiv für die Vereinigung für Medienkultur auf. Die Gründe dafür sind: demografischer Natur, der Wertwandel und gemanagte Zuwanderung.

Zur Bevölkerung: Die Zahl der geborenen Kinder betrug in Österreich 1958 knapp 120.000 (exakt: 119.755). Im Jahr 2013 waren es nur 78.235 Kinder. Es gibt also viel weniger 20-jährige, die ins Berufsleben einsteigen, als 65-jährige, die ausscheiden. Diese Schieflage wird bleiben. 1973 machte sich der Pillenknick bemerkbar, und die Zahl der Geburten fiel erstmals unter 100.000.

Doch die Generation derer, die ins Erwerbsleben einsteigen, hat auch andere Wertvorstellungen als damals. Hohes Einkommen steht nicht mehr an erster Stelle. Neben dem Wunsch nach Sinnerfüllung und Entfaltungschancen spielt auch die erwünschte Arbeitsbelastung eine Rolle. Forderung nach einer Viertage-Woche oder 30-Stunden-Teilzeitjobs gehören in Vorstellungsgesprächen zur Tagesordnung. Viele wollen eigene Ideen einbringen und/oder genügend Freizeit haben, etwas Nützliches für die Gesellschaft tun, und die Familie soll nicht zu kurz kommen.

In diesem Sinne sind Ökonomen der Ansicht. Wir brauchen eine Nettozuwanderung, ein Immigrationssaldo, von rund 21.000 Menschen, damit die Bevölkerung einigermaßen stabil bleibt. Für die österreichische Wirtschaft reicht das nicht: dafür wäre eine Nettozuwanderung von 50.000 Menschen im Jahr nötig (Arena-Analyse S. 28 f. ).

Ku-Klux-Kan: Hintergründe

Feinde der Ku-Klux-Kan

Hans Högl: Zur ARTE- Doku über die Ku-Klux-Kan

Es war gestern ein Glückstreffer, diese Doku gesehen zu haben. Von den Ku-Klux-Klan hatte ich bisher nur eine vage Vorstellung von seltsam verkleideten, radikalen Figuren in den USA. Diese Doku verwies auf Hintergründe im amerikanischen Bürgerkrieg und schildert ihr Entstehen zu einer Massenbewegung in den Südstaaten und ihren Einfluss auf die Gesetzgebung und wer als Feinde dieser Bewegung gelten, nämlich nicht nur die Schwarzen….Die Dokumentation kann in der ARTE-Mediathek abgerufen werden.

ARTE- Dienstag 4. Juli ab 20.15 „Der Ku-Klux-Klan. Die Geschichte eines Hasses“

Ein Buchautor klärt auf

Drei Epochen der Aufklärung sieht der Buchautor Thomas Halik: der Vernunft, Emotionalität, des Klimas. „Aufklärung“ bietet er auch in anderen Fragen.

Hans H ö g l

Passagen aus dem Buch: Thomas Halik (2022): Der Nachmittag des Christentums.Eine Zeitansage,Freiburg, Herder, 317 S.- mit Index und Anmerkungen. Der tschechische Soziologe und Theologe Thomas Halik schrieb ein epochales Buch – primär zur Zukunft des Christentums. Ich greife daraus einige Passagen auf, die meiner Ansicht nach im Sinne der Medienkultur von Interesse sind. Halik schreibt sinngemäß:

Die erste Aufklärung hat die Epoche der Moderne eröffnet. In ihr sieht Thomas Halik die Emanzipation der Vernunft (17./18.Jahrhundert – vgl. Jahr 1789). In der zweiten Aufklärung wurde gegen die vorausgehende Generation der Eltern revoltiert, die den 2. Weltkrieg und den „Kalten Krieg“ erlebt haben. Die zweite Aufklärung ist die Emanzipation der Emotionalität (u. Sexualität – vgl. Jahr 1968). Die dritte Aufklärung legt großen Wert auf ökologische Verantwortung – angesichts des unbestreitbaren Klimawandels und lehnt neoliberalen Kapitalismus und unbeschränktes Wachstum ab und fordert einen alternativen Lebensstil. Eine globale mediale Aufmerksamkeit habe das „Auftreten der Kinderprophetin Greta Thurnberg gewonnen“ (p. 169 f.).

Doch Halik meint auch, das Wort „Krise“ gehört zu den am meisten benutzten Worten unserer Zeit. Kein Wunder, dass es schon viele Menschen ermüdet und gereizt reagieren lässt. Gab es denn eine Zeit ohne Krisen, ist unsere Zeit mit ihren Krisen wirklich außergewöhnlich? fragt er (p. 89). Das Misstrauen gegen die jetzige ökonomische und politische Weltordnung spiele dem politischen Extremismus, Populismus und Fanatismus in die Hände.

Ähnlich wie in der Zeit der Wirtschaftskrise der 30-er Jahre des 20. Jahrhunderts radikalisieren sich die Linke und die Rechte. In manchen postkommunistischen Ländern kommt die nationalistische Rechte zur Macht, während sich vor allem im akademischen Milieu mancher amerikanischer und westeuropäischer Universitäten die Anhänger der radikalen linken Ideologie des Multikulturalismus und der Politischen Correctness zu ihren Gegnern mit einem solchen Maß an Intoleranz, Arroganz und Fanatismus verhalten, dass es fast an ideologischen Säuberungen aus der Zeit der Kommunismus erinnert (p. 168 f.).

.

Wahre und falsche Darstellung

Binäre Gegenüberstellung zu einfach

Hans Högl

Das Wort „Fake“ hat der frühere US-Präsident Donald Trump gern in den Mund genommen und Fakes selbst reichlich produziert. Zuletzt ist in Medien davon weniger die Rede. Doch zwischen wahr und falsch, zwischen Fake und Fiktion, zu unterscheiden, bleibt für die Medienkultur, Kommunikation und die Literatur eine Kernfrage. Damit hat sich der Schweizer Germanist Thomas Strässle des Näheren befasst (Vgl. Büchlein: Fake und Fiktion. Über die Erfindung der Wahrheit. Edition Akzente, Hanser 2019), und er hat dies bei einem Vortrag in Lech/Arlberg gut erläutert.

Davon zentrale Aussagen: Fake bedeutet im amerikanischen Slang Täuschung, Schwindel, so tun also ob. Abgeleitet von factitious (unecht, künstlich), in dem factual ( tatsächlich, wirklich) und fictious (eingebildet, erfunden) verbunden sind. Dies leitet sich wiederum vom lat. facere (machen) bzw. fingere (erdichten) ab (p. 15).

Wer ein Fake herstellt, tut es nicht nur willentlich, sondern auch wissentlich.

In der Regel stellen wir wahr und falsch gegenüber, denken in binärer Opposition. Doch dies -so Strässle- ist die halbe Wahrheit; denn nicht jede Fiktion ist ein Fake. So gibt es viele Formen der Fiktion (Märchen, Fabel, Parabeln, fantastische Erzählungen und symbolische Gedichte, absurde Dramen usw.), die keinen Anspruch erheben, faktisch zu gelten, wie der Fake es immer tut.

Zum faktualen Erzählen gehören Reportagen, Chroniken, Reiseberichte, Zeitungsnotizen und Biografien historischer Personen (p. 34).

Besonders spannend ist ein Kapitel über einen Märchen-Archäologen, der versucht, die reellen Hintergründe des Märchens von Hänsel und Gretel im Spessart und von Hexenverbrennung im Dreißigjährigen Krieg darzustellen.

Atomare Bedrohungen: Ukraine/Taiwan

Dr. Daniel Ellsberg ist kürzlich gestorben. Ein bestürzendes You-Tube-Gespräch von Daniel Ellsberg (Er war Militär-Analytiker des Pentagon zu Fragen atomarer Kriegsführung) mit dem weltberühmten Forscher Noam Chomsky.

Hans Högl

Kurz: Inhalte von dem außerordentlichen Gespräch: Putin hat es zustande gebracht, sich als Feind Europas erneut zu positionieren. So stellt sich Europa gern unter den Schirm der USA, die somit „Europa in der Tasche“ hat. Vorbei ist die Idee eines friedlichen Europas von Lissabon bis inklusive Russland, wie es u.a. Gorbatschow 1989 vorsah- bei den Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung.

Zur Position der Krim. Für Russland ist, die Krim zu halten, ein definitives Ziel, obwohl diese Selenskij zurück haben will.

Das Gespräch betraf auch Pläne zu einem Atomkrieg im Jahr 1983. Es wurde überlegt, alle größeren Städte Russlands und Chinas zu bombardieren. Doch man erinnerte sich an die Bombardierung von Dresden u. anderen Städten, als danach gefährlicher Rauch in die Stratosphäre aufstieg.

Ein solch` atomares Bombardement auf alle wichtigeren russische und chinesische Städte hätte zur Folge, dass sich 70 % des Sonnenlichts auf Jahre verdunkeln und und dies eine Hungernot und Tod für Milliarden von Menschen auslösen würde- wobei bestenfalls Argentinien davon verschont bliebe.

Das Gespräch betraf auch China und Taiwan und die Kriegsvorbereitungen der USA und die Aktiengewinne von Konzernen.

NB. Hans Högl befasste sich in seiner Diplomarbeit in Louvain (Belgien) mit dem Verrat der Pentagon Papiere durch Daniel Ellsberg (Titel: „Wirkungsformen von Informationen“ 1972) Es war ein Text-Vergleich von „Le Monde“ mit denen in der „Frankfurter Allgemeinen“ als Echo auf die Publikationen von „New York Times“). In seiner nichtpublizierten Dissertation in Wien 1978 griff ich das Thema erneut auf. Der Titel lautete: „Presse in der Demokratie und Möglichkeiten rationaler politischer Urteilsbildung“ (Umfang 156 Seiten). Die „Pentagon Papiere“ zu lesen ist noch heute sehr lesenswert.

Ein Teilziel der Untersuchung war, wie das Porträt von Daniel Ellsberg in „Le Monde“ und in der FAZ dargestellt wurde und worin die Unterschiede lagen. Im März 2023 gab Daniel Ellsberg bekannt, dass bei ihm ein inoperabler Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert wurde und er nur noch schätzungsweise drei bis sechs Monate zu leben hat. Er starb am 16. Juni 2023 im Alter von 92 Jahren.

Denkanstöße zum Feminismus

Gleichheits- oder Differenz-Feminismus ? Welcher der beiden gilt nun?

Hans Högl

Das diesjährige Taschenbuch „Denkanstöße 2023“ (Verlag Piper) enthält vorzügliche Impulse aus Gesellschaft, Philosophie und Wissenschaft in Form von Auszügen. Darin zeigt sich, dass gewisse Themen nicht einfach hin beiläufig, wie manchmal in Medien zu thematisieren sind. So hinterfrage ich den missglückten Titel „Wer liest heute noch Bücher?“- das war die Überschrift in einem sonst seltenen „Standard“-Beitrag zur ausgezeichneten Städtischen Wiener Hauptbücherei.

Radio Ö 1 rückt nicht nur gelegentlich Frauen-Themen, so deren Pensionslücke, in den Fokus. Doch das allgemeine Thema verdient breite Aufmerksamkeit. Das zeigen Artikel im genannten Taschenbuch. So heißt es im Vorwort: Dass Frauen und Männer heute noch immer nicht komplett gleichberechtigt sind, belastet das Miteinander. Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld plädieren deshalb in diesem Sinne für einen Ausgleich (S. 87- 109). Hingegen macht sich Tobias Haberl auf die Suche nach einer neuen Männlichkeit („Der gekränkte Mann“ S. 109-128).

Ich nenne kontrastierende Trends zu Frauen im Taschenbuch: So wird der Geschlechter-Gleichheit (Gleichheits-Feminismus) ein solcher der Geschlechter-Differenz (Differenz-Feminismus) gegenübergestellt (S. 99).

ARTE-Tipps für Juni

ARTE bietet auch im Juni qualitativ hochwertige Dokus. Eine Auswahl.

Hans H Ö G L

ARTE gilt als ein Qualitäts -TV-Sender Europas. Als Medien-u. Bildungs-Soziologe wähle ich aus dem Juni-arte-Magazin Medientipps – vor allem Dokus – für das Publikum der Vereinigung für Medienkultur und freue mich auf Rückmeldungen.

– DIE ROTE FINI. Die Österreicherin Rudolfine Steindling bringt den DDR-Handel in Schwung. Wo sind die DDR- Millionen gnä`Frau? Nach dem Mauerfall bleiben Millionen verschwunden. Geschichtsdoku: Arte Do 1. Juni 20.15-21.05 / abrufbar bis 30.6.
___
Die WAGNER GRUPPE. RUSSLANDS Söldner in der Ukraine. Prigoschins Söldner kämpften auch in Syrien und Afrika. Arte Doku 6.Juni 20.15

– Außergewöhnliche FRAUEN: Power, Protest, Emanzipation (Themenabend)

THATCHER-Jahre: Radikal neoliberal. Sie begründet eine Ära, privatisierte, lehnte Sozialstaat u. Gewerkschaften ab. Ronald Reagan: ein Geistesverwandter. Arte Die 13. Juni 20.15-21.50 in Mediathek bis 11.8.

Frauen beim Aufstieg ausgebremst. Titel: „Die gläserne Decke“ Die 13.6. 21.50-23.15
—-
– Der LOUVRE. Weltkultur und Weltkunst. 24. Juni 20.15-21.50 Mediathek bis 22.8.
—-
– Filmbiografie: Rosa Luxemburg 26. Juni 20.15-22.10

Kriegsrhetorik statt Friedensbemühungen

Westliche Medien und Politik plädieren überwiegend für ausschließlich militärische Lösungen, für den Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld. Wie Medien darüber berichten, gleicht sich oft in erstaunlicher Weise.

Udo Bachmair *

Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist absolut zu verurteilen. Es ist und bleibt unfassbar, dass eine Aggression dieser Art in Europa auch in diesem Jahrhundert noch stattfinden würde. Ein Schlag ins Gesicht jenes zivilisatorischen Fortschritts, den viele bis vor gut einem Jahr in Europa noch als existent und erreicht betrachtet hatte. Krieg ist per se ein Verbrechen.

Das heißt jedoch nicht, die Vorgeschichte des aktuellen Krieges, Kriegspropaganda, Sinnhaftigkeit sogenannter Militärlogik sowie vor allem Friedenschancen auszublenden. Besonderes Interesse gebührt dabei der Rolle der Medien und deren Verantwortung. Viele von ihnen haben sich von Differenzierung und damit auch von Qualitätsjournalismus verabschiedet. Vor allem deutsche, aber auch österreichische Medien gefallen sich vielfach darin, jene Kräfte in Politik und Medien, die auf Verhandlungen und Friedenskonzepte drängen, als naiv, nicht empathisch, als Putins Trolle, etc. abzuqualifizieren. Jene, die dringend für ein Ende der Lieferung schwerer Waffen appellieren, bevor die Lage weiter eskaliert, gelten als Realisten.

Im Grunde sind es zwei polarisierende Positionen, die den Disput rund um den Ukraine-Krieg dominieren : Einerseits die Überzeugung, ein Ende des Krieges sei nur durch einen Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld erreichbar. Andererseits die Annahme, der Krieg und weiteres Leid könnten bald nur dadurch beendet werden, dass endlich auch diplomatische Bemühungen mit Aussicht auf eine Friedenslösung sichtbar werden. Letztere Position wird von Medien und Politik im Westen mehrheitlich nicht geteilt. Im Gegenteil: Jene Menschen, die leidenschaftlich für Frieden ohne weitere schwere Waffen demonstrieren, werden als „Friedensschwurbler“, als moralisch verkommen, als Befürworter eines „Diktatfriedens“ bzw. eines „Friedensdiktats“ verunglimpft. „Putinversteher“ oder „Russlandversteher“ gelten ohnehin als Schimpfwörter schlechthin.

Wortführerinnen der Kriegsrhetorik ist die als Hardlinerin auch über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt gewordene FDP-Abgeordnete Strack-Zimmermann sowie überraschenderweise auch die grüne Außenministerin Bärbock. Ausgerechnet die Grünen, die sich früher noch als parlamentarischer Arm der Friedensbewegung verstanden haben, ergehen sich nun in militaristischer Ideologie. Bühne bieten ihnen bemerkenswerterweise vor allem die öffentlich-rechtlichen Anstalten ARD und ZDF, die wie hierzulande der ORF auch in der außenpolitischen Berichterstattung zur Ausgewogenheit verpflichtet wären. Sendungen wie „Hart aber fair“ oder „Maischberger“ oder „Anne Will“, lassen zumeist jene Podiumsgäste, die differenzierend und deeskalierend argumentieren, kaum zu Wort kommen oder werden erst gar nicht eingeladen. Auch der ORF hat sich über weite Strecken in den Mainstream eingeklinkt, Gegenpositionen zu Kriegslogik und antirussischer Feindbildpflege erscheinen weitgehend unerwünscht. Seriöse Politologen, wie Heinz Gärtner, oder engagierte Friedensforscher wie Werner Wintersteiner oder Thomas Roithner, werden selten oder nicht mehr als Studiogäste befragt.

Besonders Boulevardmedien scheinen einander in Kriegsrhetorik und Dämonisierung Russlands zu überbieten. Im Gegensatz zu Wladimir Putin wird der Präsident der Ukraine, Staatschef eines wie Russland autokratischen und korrupten Staates, im Westen zum Helden und lupenreinen Demokraten stilisiert, für den „wir“ Krieg führen.„Wir führen Krieg gegen Russland“ ließ die deutsche Außenministerin im Europarat ja ihrer wenig diplomatischen Haltung freien Lauf..

Mehrere Untersuchungen belegen mittlerweile überwiegende Einseitigkeit der meisten deutschen Leitmedien, ein Befund, der wahrscheinlich auch auf Österreich übertragbar ist. So hat „Cicero-Magazin für politische Kultur“ eine Studie veröffentlicht, die fehlende Meinungsvielfalt in der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg ortet : www.cicero.de/aussenpolitik/studie-zur-berichterstattung
Auch die deutsche Otto-Brenner-Stiftung belegt, dass die Medien „überwiegend“ für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine plädieren: www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/publikationen.
Auffallend ist dabei das Auseinanderklaffen zwischen der Meinung der Bevölkerung und der medial veröffentlichten Meinung. Umfragen zufolge sind mittlerweile mehr als 50 Prozent der Befragten gegen die weitere Lieferung schwerer Waffen ins Kriegsgebiet.

Vernebelt vom Schwarz/Weiß-Denken und dem Festhalten an einem starren Freund/Feind-Schema stellen westliche Medien ukrainische Quellen meist als ernstzunehmend dar. Von russischer Seite kommende Meldungen werden als unglaubwürdig und propagandistisch bezeichnet. Auch beim Konsum von ORF-Nachrichtensendungen bleibt als Botschaft nicht selten der Eindruck hängen, dass ukrainische „Informationspolitik“ als faktenbasiert vermittelt wird, Russland hingegen würde bloß mit Fakes und Propaganda agieren.

Dass es auch differenzierend geht, beweist immer wieder der besonnene und sachorientierte ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz, der sich jenseits bloßer Kriegsrhetorik und wegen seiner differenzierenden Wortwahl große Wertschätzung erworben hat. Wehrschütz kann auf authentische Quellen vor Ort verweisen, die meisten Redaktionen westlicher Medien können dies nicht. Deren Hauptquellen sind die großen US-nahen Agenturen, die nur eine Seite geopolitischer Weltsicht repräsentieren. Wehrschütz hat in einer gut besuchten Podiumsdiskussion der Vereinigung für Medienkultur von der „Demut des Nichtwissens“ gesprochen. D. h. es ist journalistisch durchaus korrekt, zuzugeben, dass mangels seriöser Quellen oft keine entsprechende Einschätzung eines bestimmten Sachverhalts ergeben kann.

Schon Jahre vor dem Krieg haben westliche Medien und PolitikerInnen Russland beharrlich zu einem Feindbild mit aufgebaut. Dabei helfen einzelne Begriffe und Worte, wie sie auch in Nachrichtensprache verwendet werden. So fällt auf, dass Äußerungen russischer Politiker meist mit Prädikaten wie „behaupten“, „unterstellen“, etc. versehen werden. Wenn ein US- , NATO- oder EU-Politiker eine Stellungnahme abgibt, lauten die Prädikate „betonen“, „bekräftigten“, „erklären“ etc.. Diese werden bewusst, aber oft auch unbewusst bzw. automatisiert und verinnerlicht als positiv geladene Begriffe gesetzt.

Wie ist nun die inhaltlich weitgehende Angleichung in der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg zu erklären ? Sind die JournalistInnen Opfer staatlich gelenkter Manipulation ? Im Buch „Die vierte Gewalt“ von Richard David Precht und Harald Welzer findet sich dazu eine interessante These: In den Medien gebe es „ganz eigene Echokammern einer Szene, die vor allem darauf blickt, was der jeweils andere gerade sagt oder schriebt, ängstlich darauf bedacht, bloß nicht zu sehr davon abzuweichen.“ Ein Konformismus, der auf Kosten von Qualitätsjournalismus geht und nicht zuletzt auch demokratiepolitisch bedenklich ist. Vor diesem Hintergrund machen Medien zunehmend Politik bzw. treiben die Politik vor sich her Ein Beispiel dafür der starke mediale Druck auf den deutschen Kanzler Scholz. Der hat mit dazu beigetragen, dass sich dessen zunächst eher besonnene Haltung zur Lieferung von Kampfpanzern nachhaltig gewandelt hat.

Der Irak-Krieg im Jahr 2003 war ebenfalls ein Angriffskrieg, damals ausgeführt von den USA. Nur durfte man damals diese Bezeichnung in Moderationen nicht verwenden, wie es der Autor dieser Analyse als früherer ORF-Redakteur selbst erlebt hat. Zudem sind damals völkerrechtswidrige Aspekte weitgehend ausgeblendet worden. Auch im Zusammengang mit den weiteren von NATO und den USA geführten Kriegen.

Solange der Westen sich nicht auch in die geopolitische Interessenslage Russlands hineindenken kann, Stichwort dazu die NATO-Erweiterung, so lange werden keine effektiven Friedensschritte zu erwarten sein. Leider sind auch aufseiten Russlands keine Friedenssignale zu vernehmen, Putin verharrt in seiner seltsam historisch basierten imperialistischen „Kriegslogik“. Das muss allerdings nicht so bleiben. Auch der Westen, allen voran die EU, sollten nicht auf Dauer an militaristischer Ideologie im Zusammenhang mit diesem Krieg festhalten. Gefordert wären diesbezüglich vor allem auch die Medien.

Es gilt einer von Friedensethik getragenen aktiven Friedenspolitik das Wort zu reden, die auch Kompromissen Raum geben müsste. Weiter aufheizende Kriegsrhetorik sowie fortgesetzte Feindbildpflege lassen ein sehnlichst erwartetes Kriegsende in noch weitere Ferne rücken.

• Dieser Beitrag von Udo Bachmair ist in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Spinnrad“ des Österreichischen Versöhnungsbundes erschienen