Archiv der Kategorie: MEDIEN SPEZIAL

Rezepte gegen Polarisierung

„Zukunftsfähige Demokratie. Wie kann unsere Gesellschaft entpolarisiert werden“ war der Titel einer Veranstaltung im Presseclub Concordia aus Anlass der Demokratiewoche.

Ilse Kleinschuster *

„Wie stellen wir uns mit demokratischen Mitteln den Herausforderungen der Klimakrise, der wachsenden sozialen Ungleichheit und der Migration? Wie können wir gemeinsam die gesellschaftliche Polarisierung überwinden? Was macht unsere Demokratie zukunftsfähig? Wie kann die Gesellschaft entpolarisiert werden?“ waren die im Mittelpunkt stehenden Fragen.

In den beiden einführenden Referaten erfuhr man, wie sehr jetzt an Gegenstrategien zu einem „autoritären Populismus“ gearbeitet werden müsse, wobei Maximilian Steinbein (Verfassungsblog und Autor) meinte, es läge die Herausforderung vor allem bei den Konservativen, dieser Polarisierung entgegenzuwirken. Es gälte jetzt Mehrheiten zu schmieden, Bürgerrechte zu stärken und die Emanzipation von Kommunen zu fördern.

Barbara Blaha vom Momentum Institut durchlief im Eiltempo all die möglichen Gründe für das Entstehen und Erstarken von Ohnmachtsgefühlen. Es sei diese Entwicklung kein Wunder, wenn Vertrauen ‚weggespart‘ werde.

Katharina Rogenhofer (Klimaforscherin, Kontext-Institut) entgegnete, es würde allerdings einer ‚stabilen Gesellschaft‘ schwer fallen, auf einem nicht-intakten Planeten leben zu müssen. Sie sprach sich daher für mehr Mitsprache, Mitdenken und vor allem vernünftiges „Zusammendenken“ aus. Freiheit und Sicherheit seien letztlich die besten Garanten für eine zukunftsfähige Gesellschaft.

Erich Fenninger (Direktor der Volkshilfe & Armutsforscher) sprach von einer aktuellen Zwischen-Zeit als einer „Zeit der Monster“. NGO-Bashing, Limitierung des Vertrauensindex, zunehmendes Außerachtlassen der Verwundbarkeit des Menschen, Vernachlässigung der Menschenrechte. Grundrechte müssen wieder eingefordert werden.

Last but not least war der Migrationsforscher Rainer Bauböck (Global Citizenship Observatory) am Wort. Er sprach von dem großen Dilemma, in dem die Welt-Gesellschaft sich befindet und er bedauerte, mit welcher Ignoranz die Politik Zukunftsfragen ausklammere – wodurch alle Strategie ohne Erfolg bleibe. Es herrschten Koalitionen in scheindemokratischer Legitimität. Man müsse daher die Demokratien aus der Unsichtbarkeit herausholen, öffentlich mehr Debatten führen, um gegebenenfalls Miss-Information besser orten zu können.

Natürlich gab’s auch hier wieder die Möglichkeit das Publikum zu Wort kommen zu lassen, und so konnte auch ich meine drängende Frage an Rainer Bauböck richten: Ob er sich vorstellen könne, dass autoritärer Populismus, der ja heute in einer globalisierten Welt, in der das Finanz- und Fiskalsystem außer Kontrolle geraten ist – nur mit Unterstützung der ‚parasitären Macht- und Besitzeliten‘ bestehen kann, durch die ‚Entstehung einer ökologischen Klasse‘ (wie von Bruno Latour und Nikolaj Schultz in einem Memorandum beschrieben) eingeschränkt werden könnte.

Die Antwort war für mich sehr befriedigend. Rainer Bauböck hat sich als Migrationsforscher offensichtlich mit den Gefahren, die das Weiterbestehen unserer Gesellschaft bedrohen, ausführlich beschäftigt – und ihm geht es nicht um Gefährdung der Integrität nationaler Gesellschaften, sondern, so hörte ich heraus, also letztlich nicht nur um Migration und das Wissen um die damit verbundenen Gefahren. Der Erfolg, so Bauböck, noch rechtzeitig vor dem Abgrund bremsen zu können, hänge von unserer Fähigkeit ab, grundsätzlichere Gefahren zu erkennen.

Klimawandel und Atomenergie, beides sei Ausdruck einer überheblichen menschlichen Zivilisationsentwicklung, so Bauböck. Es ginge jetzt aber vor allem und nicht (nur) um staatliche Souveränität, um Autonomie in internationalen Beziehungen im Handel und militärischen Strategien, sondern darum, pfleglich mit dem Boden umzugehen, den Planenten wieder bewohnbar zu machen. Eine allgemeine Übereinstimmung, wie diese widersprüchlichen Ziele zu erreichen wären, dazu fehle noch das Politikverständnis. Dieses wieder zu entwickeln erfordere einen Perspektivenwechsel. Ob das gelingt, ist fraglich, hänge aber sicher von der ökologischen Bewegung ab.

Ja, ich denke viel darüber nach und ich meine, die in letzter Zeit – primär durch mediale Berichterstattung – starke Bewirtschaftung von Angst ist eine antidemokratische Strategie, der wir etwas entgegensetzen sollten. Erinnern wir uns einfach öfter der guten Gefühle, die wir im Freundeskreis, in sozial-kulturellen Gemeinschaften oder einfach allein in der Natur hatten. In dieser Hinsicht werde ich jetzt versuchen, die Fragen zu beantworten.

* Gastautorin Ilse Kleinschuster ist besonders engagiertes Mitglied der Zivilgesellschaft

Friedenstüchtig statt kriegstüchtig

Die Friedensdemonstration der „Initiative 18. Oktober“ in Wien stand unter der Devise „Für Frieden und Neutralität, für ein souveränes Österreich“. Im Folgenden der leicht gekürzte Text einer bei der Schlusskundgebung gehaltenen Rede von

Udo Bachmair

„Wir müssen kriegstüchtig werden“. Immer öfter, immer stärker hallt dieses Wort, diese Aufforderung durch Medien und Politik.
Neben anderen ausgerechnet auch ein prominenter Sozialdemokrat, ein sogenannter Sozialdemokrat, kann dies nicht oft genug bekräftigen nämlich Deutschlands Verteidigungsminister Pistorius.

Und an der Spitze der EU sind es vor allem Hardlinerinnen, die sich in Kriegsrhetorik ergehen – Kommissionspräsidentin von der Leyen und EU-Außenbeauftragte Kallas, angetrieben und angeheizt von Hardlinerinnen wie der FDP-Mandatarin Strack-Zimmermann. Nicht zu vergessen Ex-Außenministerin Bärbock von den Grünen, die sich einmal – man glaubt es heute kaum- als wesentlicher Teil der Friedensbewegung verstanden haben.

Kriegstüchtigkeit“ lautet also das Gebot. Mit unermüdlichen Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel hat sich Europa gleichsam in den Kriegsmodus gestürzt. Hunderte von Milliarden Euro werden in die profitgeile Rüstungsindustrie gepumpt.

Um den Aufrüstungs-Wahnsinn den Menschen schmackhaft zu machen, spielen Medien eine besondere Rolle. Durch die ständige Wiederholung des Narrativs, ganz Europa sei durch das verhasste Feindbild Russland bedroht, soll die Bevölkerung sozusagen auch mental kriegstüchtig gemacht werden, geistig vorbereitet werden auf einen sogenannten NATO-Verteidigungs- bzw. Präventivkrieg gegen Russland.

Sinnvollere auszugebende Milliarden etwa für Soziales und für Bildung bleiben dabei auf der Strecke.

„Es herrscht Krieg. Es ist auch unser Krieg„. Mit diesen Worten hat der polnische Ministerpräsident Tusk Ende September beim „Warschauer Sicherheitsforum“ die Rüstungsaktien in die Höhe getrieben. Allzu viele Akteure in Politik und Medien stimmen ihm zu. Was ist das anderes als Kriegseuphorie, die westliche Gesellschaften zu erfassen droht oder bereits erfasst hat?

Der Militäranalyst und sogenannte Sicherheitsexperte Gady, Dauergast in ORF-Studios, erklärt zur Frage von Sicherheitsgarantien Europas für die Ukraine: „Das heißt gegen Russland in den Krieg zu ziehen..“ Kriegsrhetorik, die in ORF-Interviews weitgehend unwidersprochen bleibt.

„Nachrüstung“ statt Aufrüstung nennt es beschönigend etwa ÖVP-Verteidigungsministerin Tanner – sie spricht von Notwendigkeit der Nachrüstung zum „Schutz der Neutralität“. Für Neutralitätsfreunde und -freundinnen eine Propagandalüge.

Gerade die Neutralität kann als stabile Schutzgarantie für unser Land dienen, wenn sie, wie es der renommierte Politologe Heinz Gärtner so trefflich auf den Punkt bringt, wenn sie sich als glaubwürdig und nützlich erweist.

Österreichs Außen- und Neutralitätspolitik in den letzten Jahren ist diesbezüglich ihrer Aufgabe leider nicht nachgekommen, sie hat sich vor allem im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg und dem Gazakrieg fahrlässig ohne Wenn und Aber auf eine Seite gestellt. Während sie zurecht die Invasion Russlands in der Ukraine geißelt, steht Österreichs Regierung unter ÖVP-Kanzler Stocker unverbrüchlich auf Seiten Israels und der in Teilen rechtsextremen Regierung Netanjahu .

Kein Wort des Bedauerns zu den Kriegsverbrechen in Gaza etwa auch in einem Kurier-Interview mit Ex-Kanzler Kurz am 15.10. im Kurier. Eine gestraffte Entgegnung dazu von mir ist heute in der Samstagausgabe des Kurier erschienen :

Er ist nicht gerade für Differenzierungen bekannt, gilt er doch nicht gerade als Parade-Intellektueller: Ex-Kanzler und Geschäftsmann Sebastian Kurz. Er hat zwar die Brutalität des Terrorangriffs vom 7. Oktober zu Recht gegeißelt, jedoch kein Wort echten Bedauerns über Kriegsverbrechen oder das mutmaßliche Genozid am palästinensischen Volk in Gaza gefunden. Die apokalyptischen Bilder zu den hemmungslosen Zerstörungen sowie die mehr als 60.000 Toten, unter ihnen vor allem Frauen und Kinder, scheinen Kurz und seine antipalästinensischen Gesinnungskollegen kaum zu berühren. Dies offenbar geschuldet der unverbrüchlichen Nähe zu der in Teilen rechtsextremen Regierung unter Netanjahu. Dessen mögliche Verurteilung als Kriegsverbrecher würde wohl der vermeintlichen „linken Justiz“ zugeschrieben.“ (Auszug aus dem Leserbrief)

Im Gegensatz zur berechtigten klaren Verurteilung des brutalen Massakers vom 7. Oktober hat neben Kanzler Stocker auch Außenministerin Meinl-Reisinger nur ganz sanfte Kritik an der menschenverachtenden Vorgangsweise Israels in Gaza geäußert, kein deutliches Wort hingegen zu den unfassbaren Gräueln gegen die Zivilbevölkerung und gewaltigen Zerstörungen, die Israel den Palästinensern zugefügt hat – eine Schande!

Jedenfalls führt Österreich als neutraler Staat groteskerweise eine NATO-orientierte Außenpolitik, die dem Geist der Neutralität klar widerspricht. –
Österreich hat damit auch jede Chance verwirkt, wieder einmal als Mediator bei internationalen Konflikten zu fungieren, wie noch zu Zeiten des legendären Bruno Kreisky.

Auch heute noch wäre gerade Wien als UNO-Stadt, als Standort der OESZE, geradezu prädestiniert dafür, wieder Ort von Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen zu sein. Das hat diese Regierung, das haben aber auch schon Regierungen davor, leider verspielt.
Kommt verschärfend hinzu, dass Österreichs Außenministerin bei allen möglichen Gelegenheiten die Neutralität in Frage stellt. Sie provoziert damit immer wieder eine Diskussion über einen potentiellen NATO-Beitritt Österreichs

Eine Teilnahme an EU/NATO-Kriegsvorbereitungen wäre nicht nur ein klarer Widerspruch zur Neutralität, nein, sie wäre auch eine nicht zu unterschätzende Gefahr für unser Land.

Wehren wir uns, solange es noch nicht zu spät ist – Es lebe die Neutralität, es lebe der Frieden und ein souveränes Österreich!

Und vor allem: Nicht kriegstüchtig, sondern friedenstüchtig müssen wir werden im Sinne von

SI VIS PACEM PARA PACEM statt „Si vis pacem para bellum“

Afrika medial unterbelichtet

Ein leider sträflich vernachlässigtes Thema im ORF ist Afrika, wenn man man von den leider nur selten ausgestrahlten Beiträgen der engagierten ORF-Korrespondentin Margit Maximilians absieht.

Wolfgang Koppler *

Da muss man schon einmal auf andere Sender ausweichen. Der Pragmaticus mit Moderator Roger Köppel von der Zürcher Weltwoche widmete sich am Sonntag Abend auf ServusTV mit interessanten Interviewpartnern dem in den nächsten Jahrzehnten schon von der Bevölkerungsentwicklung, aber auch von den Rohstoffen her immer bedeutsamer werdenden Kontinent. Und den Fehlern, die Europa auch in der postkolonialen Ära hier immer wieder passiert sind. Etwa der Zwang zur Öffnung afrikanischer Märkte, um diese mit eigenen Waren zu überschwemmen. Und die lokalen Märkte zu ruinieren. Stichwort: Subventionierte Lebensmittel aus der EU.

Oder eine Entwicklungshilfe, die einfach Schulen oder Krankenhäuser hinstellte mit fix und fertig importierter Ausstattung, die dann sehr rasch verschwand. Wie ein ehemaliger deutscher Botschafter feststellte. Hier zeigte der am Ende der Sendung zu Wort gekommene österreichische Entwicklungshelfer Ablinger von der auf privater Basis arbeitenden ICEP., dass vor allem Mikrokredite einen sehr günstigen Effekt haben: Menschen erhalten Startkapital als Kleinunternehmer, stellen andere an, bilden sie aus und auf diese Weise multipliziert sich die Starthilfe über ihre Familien und die ihrer Mitarbeiter. Darin war er sich sogar mit dem eher skeptischen Exbotschafter Seitz einig.

Was wie wirtschaftliche Kooperation im Großen betrifft, hinkt Europa – wie schon so oft – China hinterher. Zumal China vor allem in Rohstoffförderung investiert und Kredite und Infrastrukturprojekte im Paket anbietet. Wobei die Weiterverarbeitung natürlich bei chinesischen Unternehmen bleibt. Europa könnte sich hier vielleicht als besserer Partner anbieten, indem es sich etwas mehr auf die afrikanische Wirtschaft schaut – was ja angesichts der Migrationsthematik auch im eigenen Interesse wäre. Aber auch hier bleibt es bei Visionen: Wie dem in Deutschland schon lange diskutierten und auch von Kreisky vorgeschlagenen Marshallplan für Afrika.

Interessant auch, wie unterschiedlich sich die Situation in den mehr als 50 afrikanischen Ländern gestaltet. Während etwa Ghana und Kenia eine relativ positive wirtschaftliche und politische Entwicklung aufweisen, herrscht im Sudan Bürgerkrieg und auch im übrigen Sahel weitgehend Elend. Faktum ist jedenfalls: Afrikas Bevölkerung weist ein Durchschnittsalter von 25 auf, Europa eines von 47 Jahren. Und angesichts der europäischen Überalterung wird geregelte Migration immer wichtiger.

Fazit: Ein hochinteressanter Beitrag zu einem sonst in den Medien eher stiefmütterlich behandelten Thema. Einziger Wermutstropfen: Die gerade in Afrika sich immer stärker auswirkende Klimakrise wurde eher stiefmütterlich behandelt und nur im Rahmen der in den nächsten Jahren wohl zunehmend erforderlichen Katastrophenhilfe behandelt. Das kann aber das Problem zunehmender Dürren einerseits und Überschwemmungen anderseits bei steigenden Bevölkerungszahlen wohl nicht lösen. Trotzdem: Der Grundgedanke, dass Afrika auf eigenen Beinen steht und vor allem die Selbsthilfe zu fördern ist, scheint bestechend.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Scheinwelt der Logarithmen

Die boomende Gamingindustrie und allfällige Chancen für Österreich, sich dort eine Marktnische zu sichern, waren Gegenstand der jüngsten ORF-Sendung Eco-Spezial.

Wolfgang Koppler *

Zunächst eine eher ernüchternde Bestandsaufnahme: Weltweit 50 neue Spiele pro Tag, Milliardenumsätze und ein Markt, der von Konzernen wie Sony und Microsoft dominiert wird. Österreichische Kleinunternehmen in diesem Sektor müssen sich bei der einschlägigen Gamingmesse mit dem Stand der Wirtschaftskammer begnügen. Man kann zwar mit etwas Kreativität überleben – aber zu einem hohen Preis. Ein seit 10 Jahren auf dem Markt befindlicher Spieleentwickler schildert seinen Arbeitstag als Selbständiger: Er beginnt um 9 Uhr früh und endet um 2 Uhr nachts. Zwar scheint ihm die Arbeit Spaß zu machen, aber andere in dieser Branche Tätige enden sehr oft im Burnout. Crunch nennt man das in diesem Fall. Und das bei bereits Millionen gamenden Österreichern. Und einer Künstlichen Intelligenz, die zwar nicht die kreativen Tätigkeiten und somit die eigentliche Spieleentwicklung, aber sehr viele Hilfstätigkeiten bei der Ausarbeitung übernehmen kann.

Etwas seltsam, dass im Beitrag auch noch Werbung für diesen – für Gesellschaft und Umwelt wohl nicht unbedingt nützlichen – Sektor gemacht wird. Während man für sinnvolle und wichtige Tätigkeiten händeringend nach Leuten sucht, psychische Probleme und Kontaktarmut zunehmen und Europa auf Elektroautos, Solarzellen und bald vielleicht auch noch in der Wasserstofftechnik auf China angewiesen ist. Und uns Treibhauseffekt, Kriege und die Spaltung unserer Gesellschaft über den Kopf zu wachsen drohen. Vom zunehmenden Analphabetismus und den Menschen, die in unserer Gesellschaft auf der Strecke bleiben, schlichtweg abgehängt werden, gar nicht zu reden.

Nichts für ungut. Aber vielleicht wäre etwa ein Beitrag über den gewaltigen Energieverbrauch immer größerer Server für die Künstliche Intelligenz doch etwas passender gewesen. Oder wie die US-Techgiganten seit Jahren eine halbwegs vernünftige Besteuerung verhindern. Während die EU für Trump auch noch die letzten Minizölle abschafft – um selber 15 %-Einfuhrzoll zu zahlen. Oder vielleicht auch über Kinder, die kaum je eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben werden. Da ist es natürlich einfacher, sich in die digitale Welt der Gamer zu flüchten.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien

Propaganda statt Fakten

Sie war früher einmal auch für den ORF, konkret für die Ö1-Journale, eine gefragte Nahostkorrespondentin: Kristin Helberg. Sie scheint in Vergessenheit geraten zu sein oder entspricht einfach nicht dem gängigen medialen Kurs.. Auf Facebook hat Helberg nun ihre Sicht der unerträglichen Vorgänge in und um Gaza veröffentlicht. Ihr Bericht sei Ihnen nicht vorenthalten:

Kristin Helberg

Vor zwei Jahren – am 22. September 2023 – stand Ministerpräsident Netanjahu vor der UN-Vollversammlung mit einer Karte von „Israel vom Jordan bis zum Mittelmeer“. Heute wissen wir, wie ernst er es meinte. Dies ist zum Alptraum für die Palästinenser geworden. Und obwohl die Tatsachen offensichtlich sind, plappern deutsche Politiker noch immer israelische Propaganda nach:

“Wenn die Hamas die Geiseln freilässt und die Waffen niederlegt, ist der Krieg vorbei.”
Falsch, denn es geht nicht um die Geiseln oder die Hamas, sondern um Groß-Israel vom Jordan bis zum Mittelmeer.

“Die Lage in Gaza ist katastrophal, aber die Hamas ist schuld.”
Falsch, Israel konnte weder eine militärische Nutzung von Krankenhäusern noch die Beschlagnahmung humanitärer Hilfe durch Hamas beweisen.

“Es gibt keine Hungersnot in Gaza.”
Doch, denn ein paar volle Marktstände und ein funktionierendes Restaurant beweisen nicht, dass zwei Millionen Menschen genug zu essen haben.

“Israel verteidigt westliche Werte gegen islamistische Terroristen.”
Auch falsch, denn diese Regierung macht Israel gerade zu einer ethno-religiösen Autokratie, sie schränkt zivilgesellschaftliches Engagement ein, verfolgt Kritiker, unterdrückt Oppositionelle.

Abgesehen davon, dass sich deutsche Bundestagsabgeordnete mit solchen Aussagen vor den eigenen gut informierten Wählern (zwei Drittel befürworten parteiübergreifend Sanktionen gegen Israel), im Ausland und in Israel selbst lächerlich machen, entlarven sie damit auch einen tiefsitzenden Rassismus und ihre Unfähigkeit, Propaganda von Fakten zu unterscheiden. In Gaza steht nicht „Aussage gegen Aussage“, vielmehr werden die Verlautbarungen einer Kriegspartei seit 23 Monaten von unabhängigen Menschenrechtsorganisationen, internationalen Gerichten, UN-Ermittlern, israelischen Medien und sämtlichen humanitären Hilfsorganisationen widerlegt.

Statt Behauptungen israelischer Regierungsvertreter zu wiederholen, sollten deutsche Politiker ihnen zuhören, sie ernst nehmen und die Inhalte mit den Prinzipien des Grundgesetzes, der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts abgleichen. Netanjahus Regierung sagt offen, was sie vorhat: palästinensische Lebensgrundlagen in Gaza zerstören, möglichst viele Menschen vertreiben, das Gebiet wiederbesetzen und besiedeln, die Westbank annektieren, einen palästinensischen Staat verhindern, ein jüdisch-suprematistisches Groß-Israel schaffen. Übersetzt in internationales Recht heißt das: Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genozid.

Hype um 3 Nonnen

Die drei widerspenstigen Nonnen von Stift Goldenstein sind seit Wochen Thema in den Medien. Mit durchwegs positiver Resonanz. Sogar der wanderlustige Elch Emil ist vorübergehend in den Hintergrund getreten (zumal man es auch in Oberösterreich wohl nicht wagen wird, ihn betäubt nach Südböhmen zu bringen).

Wolfgang Koppler *

Der Freiheitsdrang der drei alten Damen berührt uns ebenso wie ihr Widerstandsgeist. Der von Lebensfreude zeugt. Und in unserer Gesellschaft ebenso selten anzutreffen ist wie gesundes Selbstbewusstsein. Kein Wunder, dass die Vertreter des Ordens darob ebenso wenig erbaut sind wie der als kommissarischer Verwalter des – bereits aufgelösten – Stifts eingesetzte Propst von Reichersberg. Wobei man hinzufügen muss, dass auch in weltlichen Institutionen Widerspruch gegen Maßnahmen, die angeblich zum Wohl der Untertanen getroffen wurden, meist auf wenig Gegenliebe stößt. Ob in Politik, Medien oder Wirtschaft. Da bleibt man stur bei einmal getroffenen Entscheidungen, auch wenn schon längst klar ist, dass daraus mehr Schaden als Nutzen entsteht. Sich einzugestehen, dass man vielleicht einen Fehler gemacht hat und die Kritiker nicht ganz unrecht haben – kommt nicht in Frage !

Aber zurück zu den Nonnen: Bemerkenswert ist, dass diese sich schon seit Anfang vorigen Jahres im Pflegeheim der Franziskanerinnen befanden. Sie hatten also genug Zeit, festzustellen, ob sie sich dort wohlfühlen oder nicht. Die Entscheidung, sie dort hinzubringen, wurden wegen zweier Krankenhausaufenthalte getroffen. Und wohl auch, weil man das Ministift mit den betagten Damen schon längst schließen wollte. Unwillkürlich musste ich an eine ORF-Doku vor einigen Jahren denken, in der die Auflösung eines Wienerwaldklosters beschlossen wurde, obwohl die Klosterschwestern sich trotz fortgeschrittenen Alters ausgesprochen wohlfühlten, zumal sie ihr ganzes Leben dort verbracht hatten.

Was im gegenständlichen Fall hinzu kommt, ist die Problematik von Pflegestationen ganz allgemein. Auch bei bestem Bemühen des Pflegepersonals sind deren Kapazitäten begrenzt. Noch Gehfähige landen vielleicht schneller im Rollstuhl oder gar im Pflegebett als es sein müsste, weil niemand da ist, der sie besucht und mit ihnen etwas unternimmt, sie in Bewegung hält. Der eine oder die andere ist dann allein im Zimmer, mit Nahrung und Medizin versorgt, aber einsam. Übrigens: Die Bettenstation des Hauses Leopoldau, die wirklich vorbildlich ist, sucht ehrenamtliche Helfer…

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Vernunftsbefreite Politik

Einmal mehr versuchte Armin Wolf mit kritischen Fragen Aufklärung in der Sache. Passendes Beispiel dafür das jüngste ZiB-2-Interview mit Familienministerin Claudia Plakolm zum bevorstehenden Kopftuchverbot für unter 14-jährige. Ungerührt von Wolfs Einwänden erging sich die rechte Nachwuchshoffnung der ÖVP in stets wiederholten Stehsätzen. Sie gestand jedoch ein, dass es sich bei dem Reizthema um Symbolpolitik handle..

Wolfgang Koppler *

Das gestrige Zib2-Interview, das Armin Wolf mit Claudia Plakolm führte, sowie der vorangehende Beitrag zum selben Thema zeigten vor allem eines: Die Kluft zwischen Praktikern und Experten auf der einen und der Politik auf der anderen Seite.

Alle 5 Parteien befürworten das Verbot und zwar unisono mit denselben Stehsätzen. Lehrer, Sozialarbeiter und Religionsvertreter sehen das Verbot ausgesprochen skeptisch, Juristen zweifeln an der Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des VfGH. Lehrer etwa wären zur Anzeige gezwungen, auch wenn das Mädchen das Kopftuch freiwillig trägt. Dass das nicht gerade das Vertrauen zwischen der Schülerin und der Lehrerin und erst recht nicht das zwischen ihren Eltern und der Schule fördert, liegt auf der Hand. Wer mit türkischen Migranten zu tun hatte, der weiß, dass dort Mädchen aus säkularen Familien meist problemlos Umgang mit Kopftuch tragenden Gleichaltrigen pflegen und eine gewisse Toleranz die Integration fördert. Und damit auch den Lernerfolg und das Gefühl, hier in einer echten Demokratie zu leben.

Plakolm hingegen antwortete auf die ihr von Wolf entgegengehaltenen Argumente der Praktiker mit fast eingelernt klingenden Glaubenssätzen. Das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung von Frauen, und auch wenn es nicht so deutlich ausgesprochen wurde, die Gefahr eines politischen Islam (dem man so vielleicht sogar in die Hände spielt) Dem VfGH würde insofern Rechnung getragen, als nun auch private Schulen erfasst seien. Was Lehrer, Sozialarbeiter und Psychologen dazu sagen, zählt wenig.

In diesem Fall muss man dem ORF wirklich Lob aussprechen. Es zeigt aber auch, wie sich die Politik zunehmend von Vernunft und Praxis entfernt. Auch in vielen anderen Themen.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist, er lebt in Wien.

Nötiges Umdenken

Kann eine KI-generierte Gesellschaft mithilfe einer neuen Verteilungsordnung der Ergebnisse unseres Wirtschaftens auf den richtigen Weg gebracht werden? Dieser Frage hat sich der Romancier Peter Rosei in einem vom STANDARD veröffentlichten Essay gewidmet.*

Ilse Kleinschuster

Künstliche Intelligenz als „ein Werkzeug, das uns zum Umdenken zwingt“ wird hier nicht nur als ein vom Autor angedachtes Tool für eine Wohlfahrts-Gesellschaft propagiert. Auch die Standard-Redaktion vermittelt lobenswerterweise durch die Veröffentlichung dieses Essays Möglichkeiten über einen notwendigen gesellschaftlichen Wandel öffentlich nachzudenken: in dem Sinne als „dieses Umdenken in Richtung einer umfassenden Befreiung von geisttötender Arbeit, nicht aber zu der Errichtung eines Reichs der Faulheit und Geistlosigkeit führen könnte, – wenn wir es nur anders wollten.“

Immer wieder in der Geschichte sind neue Denkräume entstanden, haben sich Denkschulen gebildet, die wieder anders oder ausgeweitet wurden, bald kulturell, bald sozial, bald ökonomisch – und meist ging das nicht ohne ideologische Konflikte ab. Heute sei der ideologische Raum, in dem die KI auftaucht und eingesetzt wird, der Kapitalismus, ist Peter Rosei überzeugt. Und weil hier grundlegend die Parameter profitabel oder nicht profitabel gelten, sollten wir gewarnt sein: Die Arbeitswelt werde durch den massenhaften, ungelenkten Einsatz der KI zu einem Raum, in dem Menschen, die keinen Mehrwert schaffen, den Boden unter den Füßen verlieren.

Als wichtigen Schritt zur Veränderung sieht der Autor ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) als Baustein im Transformationsprozess mit dem Ziel, ein „Gutes Leben für Alle“ zu schaffen. Es ist hier und jetzt nicht mein Anliegen, ein Plädoyer für das BGE zu lancieren, ich wollte lediglich meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, dass ein so kluger Mensch wie Peter Rosei sich Gedanken über das Dilemma macht, dass durch einen ungelenkten KI-Wahn bald nicht mehr einzubremsen sein wird. – Rosei fragt: „Wäre es nicht denkbar, das unter Einsatz der KI erwirtschaftete Ergebnis, um nicht zu sagen: unseren Reichtum, anders einzusetzen als bisher? Schon die Bewohner von Thomas Morus’ Utopia ließen sich in der Hinsicht einiges einfallen. Die Vorstellung, eine durch Maschinenarbeit begünstigte Menschheit könnte bei weitem kürzere Arbeitszeit das gleiche ökonomische Ergebnis erwirtschaften wie im alten und früheren Zustand, findet sich zum Beispiel auch bei John Maynard Keynes – auch dort übrigens aufgefasst als Vision einer Befreiung des Menschen.“

Es geht Rosei aber nicht nur um Jobverlust, sondern er weiß offensichtlich auch um die Problematik des enormen Energieverbrauchs, den der rasante Ausbau der Digitalisierung und da gehört KI dazu, mit sich bringt und er verweist auf die Wiederkehr der Atomkraftanlagen, deren fragewürdige Betriebssicherheit und die ungeklärte Endlagerung der Abfälle.
Nicht zuletzt verweist er auch auf die unseriöse Methode der Datenspeicherung, der wir uns alle ausgesetzt sehen: „Bis dato gibt es keine internationale Konvention, die die Urheber schützen, ihnen ein Entgelt für die von ihnen geleistete Arbeit sichern würde – auch in weitere Zukunft ist nichts dergleichen in Aussicht.“
Noch immer liegen, um Bert Brecht zu paraphrasieren, die Mühen der Ebene in weiter Ferne, die Mühen der Berge türmen sich vor uns auf.

* https://www.derstandard.at/story/3000000284581/die-ki-als-neues-werkzeug-das-zum-umdenken-zwingt.

Israel-Kritik antisemitisch?

In Medien und Politik wächst die Empörung über Israels erbarmungsloses Vorgehen in Gaza. Umso mehr schwingen andere Akteure die Keule des Antisemitismus gegen all diejenigen, die es wagen, die überaus brutale Kriegsführung Netanjahus zu kritisieren.

Adalbert Krims *

Mir geht inzwischen die ganze Antisemitismus-Debatte ziemlich auf die Nerven. Heinz Fischer wurde niedergemacht (von Muzicant bis Sobotka), weil er davor warnte, dass Netanjahus Politik in Israel zu einer Verstärkung des Antisemitismus in der Welt beiträgt. Ihm wurde das Wort im Munde umgedreht und ihm vorgeworfen, dass er indirekt gesagt hätte, „die Juden sind selbst am Antisemitismus schuld“. Natürlich hat er das weder gesagt noch gemeint – im Gegenteil. Allerdings: von den selben Leuten (von Muzicant bis Sobotka) wird ständig Kritik an der israelischen Kriegsführung in Gaza als „antisemitisch“ diffamiert. Wenn es aber so ist, dass Kritik am Gazakrieg „antisemitisch“ ist, dann würde es sogar zutreffen, dass Netanjahu Antisemitismus fördert.

Manche meinen dann, Kritik an der Kriegsführung an sich sei als solche noch nicht antisemitisch. Aber antisemisch sei es, wenn man jüdische Personen oder Institutionen in irgendeiner Weise für die Politik Israels (mit)verantwortlich mache. Dazu fallen mir jetzt aber die islamistischen Terroranschläge ein: Nach jedem Anschlag wird von der Islamischen Glaubensgemeinschaft und auch von allen Muslimen verlangt, dass sie sich davon distanzieren. Das tun sie übrigens normalerweise eh, aber sie sagen manchmal auch, warum sollen wir uns von etwas distanzieren, mit dem wir nichts zu tun haben. Dann wird eingewendet, der Terror finde ja unter Berufung auf den Islam statt.

Ich frage mich dann aber, warum man von Muslimen solche Distanzierungen verlangt, widrigenfalls ihnen eine (zumindest moralische) Mitverantwortung an islamistischen Anschlägen gegeben wird, dass man aber akzeptiert, wenn jüdische Personen und Institutionen die israelische Kriegsführung in Gaza nicht nur nicht kritisieren, sondern sogar öffentlich gutheißen und verteidigen. Wenn man ihnen aber eine „moralische Mitverantwortung‘“ geben würde, wäre das in ihren Augen aber Ausdruck von „Antisemitismus“. In diesem Zusammenhang ist mir eine bemerkenswerte Aussage von Bischof Hermann Glettler in den sozialen Medien am 6. Mai d. J. aufgefallen, der dort formulierte: „Ich hoffe so sehr, dass sich die jüdischen Gemeinden weltweit zu Wort melden und deutlich erklären, dass sie mit dieser brutalen Kriegs-Politik Netanjahus und seinem rechtsgerichteten Kabinett längst nicht mehr einverstanden sind. Bitten wir um Geist und Mut, dass diese verheerende Verletzung der Menschenrechte aufhört – und trotz der vielfältigen Bedrängnisse und der schwierigen politischen Situation doch nicht dauerhaft Vernichtung und Hass gewählt wird, sondern zumindest ein Grundmaß an Menschlichkeit!“

Mir ist es übrigens vor wenigen Monaten auf Facebook passiert, dass mich eine Frau bei der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde gemeldet hat. Grund: Sie hatte geschrieben, Israel müsse den Krieg in Gaza so lange fortsetzen, bis alle Geiseln befreit sind. Ich hatte geantwortet: „Das heißt, dass bis dahin weiter zerstört und Frauen und Kinder getötet werden dürfen“. Diese Antwort wurde als „antisemitisch“ gemeldet und ist damit Teil der von der Kultusgemeinde registrierten steigenden Antisemitismus-Vorfälle in Österreich.

Andererseits bin ich manchmal über mich selbst entsetzt, wenn ich inzwischen auf das Wort „Antisemitismus“ schon fast allergisch reagiere. Denn ich habe mich seit meiner Jugend als Antifaschist verstanden – und dazu gehörte für mich immer auch der Kampf gegen den Antisemitismus (und Rassismus überhaupt). Die heutige Antisemitismus-Debatte empfinde ich allerdings als politischen Missbrauch zur Rechtfertigung einer israelischen Kriegsführung, die immer offener völkermörderische Züge annimmt. In Wirklichkeit wird durch diese Debatte nicht nur der historische (nicht zuletzt kirchliche) und leider immer noch aktuelle wirkliche Antisemitismus, sondern auch der Holocaust relativiert und verharmlost.

* Gastautor und Ex-ORF-Redakteur Adalbert Krims lebt als besonders kundiger und engagierter Politanalyst in Wien

Tödliche Abstumpfung

Das Berichterstatten über Gaza ist zum Verzweifeln, die meisten Le­se­r:in­nen sind abgestumpft – auch deshalb, weil die Politik nichts unternimmt.

Karim El-Gawhari *

Es ist journalistisch zum Verzweifeln. Die Lage im Gazastreifen wird immer schlimmer, aber medial ist sie schon längst zur Pflichtveranstaltung verkommen. Denn das „Schlimmer“ kämpft gegen die kurze medialen Aufmerksamkeitsspanne an. Haben wir alles schon gesehen und gehört, heißt es: Der tägliche kurze Bericht über mehrere Dutzend Tote an den israelisch-amerikanischen Essenverteilstellen der dubiosen Gaza Humanitarian Foundation (GHF); die Bilder von Menschen in Zelten, die erzählen, dass sie kaum mehr etwas zu essen finden. Die Einstellungen aus einem Krankenhaus mit den abgemagerten Kinderkörpern in dieser menschengemachten Katastrophe und natürlich die wiederkehrenden Aufnahmen von einem Meer von Kindern mit leeren Blech- und Plastikschüsseln.

Irgendwann macht der Schock der Taubheit Platz. Dann sitzen wir in Redaktionskonferenzen und fragen: Wie können wir die Geschichte weiterdrehen, sie spürbar machen? Dann kommen wir mit den Statistiken der Hilfsorganisationen, die versuchen, Hunger wissenschaftlich in Zahlen zu kategorisieren, die viel und doch wieder nichts aussagen, weil sie keine Namen haben. Oder wir finden einen amerikanischen oder deutschen, im besten Fall „bio-weißen“ Arzt in Gaza, der über Unterernährung seiner Patienten erzählt oder davon, mit welchen Schusswunden sie von den Verteilstellen auf einem Eselskarren zum Spital transportiert wurden, weil es keinen Treibstoff mehr gibt.

Doch die Taubheit bleibt. Wohl auch, weil all diese Berichte politisch nichts bewirken. Statt aufzuschreien, sitzt die Politik das Ganze aus. Es ist wie eine Decke, die über uns gezogen ist, die nicht durchdrungen werden kann. Deutsche Staatsräson, leere EU-Nahost-Wort­hülsen, Trump’scher Wahnsinn – die Decke hängt tief. Und wir darunter werden immer abgestumpfter.

Es ist journalistisch zum Verzweifeln. Aber wie klein und unbedeutend ist diese Verzweiflung im Vergleich zu jener der Menschen in Gaza, über die wir berichten. Sie kämpfen mit ihren Familien jeden Tag ums Überleben, wir nur darum, uns am Morgen als Journalisten im Spiegel ansehen zu können. Dann fragt uns unser Gewissen wie jeden Tag: Was können wir recherchieren, ­schreiben und erzählen, damit die Abgestumpften wieder etwas spüren.

* Karim El-Gawhari ist ORF-Korrespondent für den Nahen Osten, ein besonders engagierter und empathischer Journalist. Der Text seines Kommentars ist der renommierten deutschen Zeitung taz entnommen.