Archiv der Kategorie: Medien und Bildung / Religion

Konzert-Stehplatz für 300 Franken

Solche Summen für Konzert-Tickets – ein Rätsel? .

Hans Högl

Dem Zürcher Qualitätsblatt Tages-Anzeiger entnehme ich die Information, dass Konzertbesucher bereit sind, für Stehplätze 300 Schweizer Franken hinzublättern. Es handelt sich um das Konzert von US-Superstar Taylor Swift. Hier stellt sich die Frage, was solche Menschen bewegen kann, derartige Summen für ein Konzert auszugeben.

US-Superstar Taylor Swift wird im Juli 2024 an zwei Abenden in Zürich auftreten. Die regulären Tickets kosten zwischen rund 170 und 300 Franken.

Elton John, der gerade seine Abschiedstour beendet hat, ist auf Platz eins. Bruttoeinnahmen: über 930 Millionen Dollar. Er wird spätestens 2024 von Taylor Swift abgelöst werden, die mit ihrer «Eras»-Tour über 1,5 Milliarden umsetzen wird. Neu auf Platz vier: Coldplay, die noch unterwegs sind, und auf Platz fünf Harry Styles mit 617 Millionen Dollar aus seiner jüngsten Tour.

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Hans Högl

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Die 5 besten Nachrichten der Woche: Jeden Sonntag bringen wir dir gute Nachrichten aus aller Welt. Dieses Mal dabei: Bulgarien verschärft ein Gesetz gegen häusliche Gewalt, Google erleichtert die Löschung deiner Daten und bald ist Schwimmen in der Seine wieder möglich.

David Lynch – Regisseur und Maler schrieb im Kunstmagazin „art“:
„Wir Menschen sind wie Glühbirnen. Wenn wir mit Negativität gefüllt sind, strahlen wir das auch aus. Jeder kann dazu beitragen, eine positive Stimmung in der Welt zu verbreiten“.

Sicherlich: Es gibt auch genügend Anlässe für berechtigte Kritik! Auch das soll nicht verschwiegen werden.

Das Mittelalter lässt grüßen

Die jüngste Sendung der hervorragenden ORF-Reihe Universum History hat Möglichkeiten der Konfliktlösung im Mittelalter aufgezeigt. Mit interessanten Parallelen zur Gegenwart..

Wolfgang Koppler

Der jüngste Ausgabe von Universum History befasste sich mit den Aufgaben eines mittelalterlichen Burgvogts, den Funktionen damaliger Grundherrschaften sowie dem Fehdewesen zur Zeit Kaisers Friedrichs des II. Anfang des 13.Jahrhunderts.

Gezeigt wurde in fantasievoller Weise auch die Vermeidung der Eskalation eines bereits in Gewalttaten ausgeuferten Streits zweier Adelsfamilien mit Hilfe der diplomatischen Fähigkeiten des Burgvogts. Es ging um vorgeblich verletzte Ehre und natürlich um wirtschaftliche Interessen, im gegenständlichen Fall um einen von beiden Teilen beanspruchte Mühle. Es gab damals noch kein Gerichtswesen, sodass man sich eben meist durch Selbstjustiz in Form der Fehde Recht verschaffte. Wobei bereits der Sachsenspiegel zunächst eine dreitägige cooling-off-Phase vorsah. Doch auch damals wusste ein kluger Vogt, dass eine nicht rechtzeitig beigelegte Fehde und das Bedürfnis nach Rache Jahrzehnte langes Blutvergießen bedeutete. Mit unzähligen Toten, Verletzten und verheerten Landstrichen, was unter Umständen alle Beteiligten ruinierte.

Kommt uns das bekannt vor? Passiert nicht genau das im Ukrainekrieg und in vielen anderen Kriegen? Bomben, Raketen und Granathagel werden mit Bomben, Raketen und Granathagel beantwortet. Über Jahre hinweg. Der Aggressor muss bestraft werden. Ohne Rücksicht auf Verluste und Kollateralschäden. Wobei jede Seite naturgemäß immer die jeweils andere Seite als Aggressor sieht. Insoweit unterscheidet – abgesehen von der Waffentechnik – die moderne Kriegsführung wenig von der des 30-jährigen Kriegs oder der des Fehdewesens. Und das ukrainische Getreide verfault genauso wie jenes auf den Feldern der Bauern früherer Jahrhunderte, die unter einer Fehde oder später unter den Söldnerheeren litten.

Während wir im innerstaatlichen Bereich Streitigkeiten mit Hilfe einer mehr oder weniger gut funktionierenden Justiz lösen, erinnern unsere Kriege und die damit verbundene Außenpolitik immer noch an blutige Fehden des Mittelalters um Ehre, Rache und Einfluss. Und an die Verheerungen durch die Söldnerheere des 17.Jahrhunderts. Manchmal sogar schlimmer. Wie sagte ein kluger Mann, als er danach gefragt wurde, wie wohl der 3.Weltkrieg aussähe ? Ich habe keine Ahnung, welche Waffensysteme dann zum Einsatz kommen werden. Aber der 4.Weltkrieg wird mit Sicherheit nur noch mit Keulen ausgetragen.

Aber vielleicht brauchen wir gar keinen weiteren Weltenbrand, um uns in die Steinzeit zurückzuversetzen. Sieht man sich die Prognosen der Klimatologen und die weltweit steigenden Durchschnittstemperaturen an sowie Unvernunft und Alibimaßnahmen, mit denen Klimawandel und Umweltverschmutzung begegnet wird, kommt die Natur möglicherweise dem militärischen Selbstzerstörungstrieb des Menschen zuvor. Dann würde aus dem Steinzeitmensch mit wieder das Steinzeitwesen ohne Atombombe. Seltsam, dass sich viele immer noch einreden, alles müsse von selbst irgendwie gut ausgehen. Wer garantiert uns das ?

Mainstream-Medien auf NATO-Linie ?

Immer deutlicher wird offenbar, dass österreichische Medien zunehmend auf kritischen Kurs gegenüber unserer Neutralität einschwenken bzw. bereits eingeschwenkt sind.

Fritz Edlinger *

Die Berichterstattung mancher österreichischer Medien über die von rund 70% der heimischen Bevölkerung geschätzten immerwährenden Neutralität lässt zunehmend Zweifel an den Absichten mancher Herausgeber und ihrer Journalisten entstehen. Vor allem die überregionalen Zeitungen – ich meine hier vor allem Kurier, Standard und Presse – bombardieren ihre Leserinnen und Leser mit neutralitätskritischen Analysen und Interviews.

Ganz zufällig haben sowohl der Kurier als auch der Standard elendslange Interviews mit dem als NATO-Propagandisten bekannten US-Professor Timothy Snyder veröffentlicht, der nicht nur die NATO-Ukraine-Politik ohne weitere Wenn und Aber unterstützt, sondern der sich auch noch die Freiheit nimmt, Österreich darauf hinzuweisen, dass seine Neutralität seit langem nicht mehr zeitgemäß sei.

Den sprichwörtlichen Vogel hat allerdings der langjährige ORF-Auslandskorrespondent und regelmäßiger Falter-Kommentator Raimund Löw, der in seinem Kommentar im Falter die Demolierung der Neutralität konstatiert und empfiehlt, dass sich Österreich ebenfalls dem „Schutz der NATO“ anvertrauen soll. Im ebenfalls einmal linksliberal positionierten Standard liest man es ähnlich. Die Zeitenwende hat ganz offensichtlich in den Hirnen vieler Menschen, vor allem auch solcher in Politik und Medien tätigen, zu einer radikalen Bewusstseins- und Meinungsveränderung geführt. Die deutsche Außenministerin ist da offensichtlich kein Einzelfall.

Dass Hopfen und Malz noch nicht gänzlich verloren sind, beweisen einige mutige Autoren, wie unser langjähriges Redaktionsmitglied Prof. Heinz Gärtner (siehe sein aktuelles Interview in der deutschen Zeitschrift Die Zeit und auch eines im Schweizer Rundfunk). Auch ein langes Interview mit Prof. Dieter Segert (übrigens ebenfalls Autor in der aktuellen Ausgabe von INTERNATIONAL) in den Salzburger Nachrichten zeigt, dass es doch noch nachdenkliche und friedenswillige Menschen gibt. Der langjährige ORF-Redakteur Udo Bachmair gehört ohne Zweifel ebenfalls zu dieser Gruppe, wie sein Kommentar in der Internet-Zeitschrift „Unsere Zeitung“ (siehe Link) beweist. Offensichtlich verbreiten sich gewisse meinungsändernde Viren in bestimmten – zumeist großstädtischen Blasen – stärker als in periphereren Milieus.

Ich möchte abschließend nochmals auf einige unserer jüngsten Videos zu Fragen der Neutralität und der Friedenspolitik verweisen. Wir werden weiterhin derartige nationale und internationale Positionen verbreiten, um die Möglichkeit zu geben, sich auch Informationen zu besorgen, die man in den meisten der heimischen Mainstreammedien kaum mehr findet. Dass Meinungsfreiheit und Pluralismus zu den Grundsäulen unserer „freiheitlich-demokratischen“ Grundordnung zählen, scheint immer weniger Menschen bewusst zu sein. Zumindest bei jenen, welche privilegierte Zugänge zu Medien haben.

Links:

www.international.or.at

www.unsere-zeitung.at/2023/07/15/neutralitaet-ade/

www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/hat-die-neutralitaet-ausgedient?partId=12417424

Die Zeit: „Diese Raketen sind nicht nur ein Schutz“- Prof. Heinz Gärtner

* Fritz Edlinger ist Herausgeber und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift INTERNATIONAL. Der Text ist aus dessen Newsletter entnommen.

Von der Informationsflut gelähmt

„Fühlen Sie sich von der täglichen Nachrichtenflut erschlagen“? Eine Frage, die kürzlich der Zürcher Tages-Anzeiger aufgeworfen hat.

Hans Högl hat dazu Zitate ausgewählt:

„Morgens erwachen wir mit unzähligen Push-Nachrichten auf dem Smartphone. Tagsüber scrollen wir in den sozialen Netzwerken manisch durch endlose «News». Und abends zucken wir resigniert mit den Schultern und legen uns von der Informationsflut gelähmt ins Bett. Weder können wir die Nachrichten korrekt einordnen noch fühlen wir uns richtig orientiert.“

«Ich plädiere für gezielten News-Konsum, nicht für andauernden. Unsere Filter müssen geschärft werden“, empfiehlt der Journalist Constantin Schreiber in einem Interview.

„Sparen Sie sich diese ungefilterte Nachrichtenflut und nehmen Sie sich stattdessen am Wochenende entspannt Zeit für eine gezielte Lektüre. Schalten Sie um, aber nicht ab, denn wir (der Tages-Anzeiger) bündeln für Sie die wichtigsten Informationen, bereiten relevante Themen einfach und doch tiefgründig auf und verzichten auf unnötige Effekthascherei“.

Urban und intolerant ?

Links, urban, gebildet – und intolerant, so lautet das Resultat einer Studie.

Hans Högl

Der eher links positionierte Zürcher Tages-Anzeiger mutet den Gebildeten Einiges zu. Ob das in Österreich auch möglich wäre- z.B. im „Standard“? Leider verfüge ich nur über die Kurzinformation des Newsletters der Schweizer Zeitung.

Eine grosse europäische Studie will erkannt haben, dass jene, die sich für besonders offen halten, andere politische Meinungen am wenigsten akzeptieren. Sie würden damit massgeblich zur zunehmenden Polarisierung beitragen.

100 nö. Gemeinden ohne Bankomat

Auf dem Land fehlen vielfach Bankomaten, besonders in Niederösterreich. Der dortige SPÖ-Chef Sven Hergovich fordert daher 100 neue.

Hans Högl

Schon vor ein paar Jahren schrieb ich einen Leserbrief an die NÖN, die maßgebliche Zeitung in NÖ, dass in Gemeinden des Weinviertels und anderswo Bankomaten fehlen und nicht nur ältere Menschen in ihrer Nähe keine Möglichkeit haben, Geld zu beheben. Die Raika-Sparkassen haben örtliche Filialen aus Kostengründen oft aufgelassen. Manchmal wie in Asperhofen bei Neulengbach ist eine Tankstelle eingesprungen und bietet die Möglichkeit, Geld zu beheben. Offensichtlich ist das Problem noch immer virulent. Ein Problem besteht darin, dass die Raika-Besitzanteile an der NÖN hat und solche Anliegen darum nicht aufgegriffen werden. In diesem Sinne ist es gut, dass auch die ORF-News darüber berichten.

In beinahe 100 Gemeinden habe man laut Hergovich keine Möglichkeit, Bargeld zu beheben. Nun fordert er, die Landesbank Hypo NOE zu beauftragen, dort Bankomaten zu installieren. Die Hypo kann dies nicht nachvollziehen.

„Wir brauchen in Niederösterreich Regionen der kurzen Wege“, erklärt Sven Hergovich (SPÖ) in einer Aussendung. Man brauche eine „Strukturoffensive“, zu der es auch gehöre, in allen Regionen Zugang zu Bankomaten zu haben, „damit die Orte dort wieder lebendiger und attraktiver werden“.

Gendermedizin kaum angewandt

Der Medizinbereich differenziert zu wenig zwischen typisch weiblichen und typisch männlichen Krankheiten, geht aus einem bemerkenswerten Bericht des Zürcher Tagesanzeigers hervor.

Hans Högl

Der eher linksorientierte Zürcher Tages-Anzeiger bringt heute im Newsletter 29.7.2023 Aspekte des Differenz-Feminismus und zwar bezüglich der Medizin. Dies ist insofern bemerkenswert, da in der Regel der Gleichheits-Feminismus – zumal im ORF- fast ausschließlich dominiert. Dies betrifft zurecht die geringeren Einkommen von Frauen, parteilich umstritten ist die Gendersprache.

Der Tages-Anzeiger schreibt: Bei Krankheiten ergeht es Männern und Frauen häufig anders. Während Männer häufiger einen Herzinfarkt erleiden, sterben Frauen häufiger daran. Frauen sind eher deprimiert, Krebs ist eher eine Männerkrankheit.

Catherine Gebhard, Kardiologin und Expertin für Gendermedizin am Inselspital Bern, sagt dazu: «Es gibt kaum eine Erkrankung, bei der man sagen kann: Hier spielt das Geschlecht keine Rolle.» Trotz dieses Tatbestandes werden Frauen und Männer in der Medizin bis heute gleich behandelt.

Zum Start der Serie im Tages-Anzeiger zur Gendermedizin liefern Nik Walter und Anke Fossgreen einen Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse zu den häufigsten Erkrankungen oder Krankheitsgruppen. NB. Auch Urologen Wiens betonen die Geschlechts-Unterschiede und wundern sich über einseitige Medienberichte.

Kapitalismus Problem oder Lösung ?

Die Rolle der Marktwirtschaft und die Armutsbekämpfung ist Thema eines jüngst erschienenen Buches. Als Beispiele werden darin die Entwicklung der Volkswirtschaften Polens und Vietnams angeführt.

Hans Högl: Buchrezension

Rainer Zitelmann (2023): Der Aufstieg des Drachen und des Weissen Adlers. Wie Nationen der Armut entkommen. München. Finanzbuch-Verlag (FBV). Mit Anmerkungen, Personenregister und Literaturverzeichnis, 208 Seiten.

Die Positionen des Autors sind ein Gegenpol zu den in Medien (so im ORF) häufig geforderten staatlichen Eingriffen und Hilfen. Und da tönt es in Medien scheinbar (?) unwillkürlich immer wieder: der Staat möge Probleme lösen. In diesem öffentlichen Diskurs fehlt der Appell zur Selbsthilfe.

Zu meiner Position als Rezensent: Ich bin für das Prinzip der Subsidiarität, befürworte freien Markt u n d bin für adäquate Sozialleistungen des Staates, vertrete also „soziale Marktwirtschaft“, ein Wort, das in Zitelmanns Buch offenbar fehlt. Im besten Fall ist es implizit gegeben im Lob des deutschen Kanzlers Ludwig Erhard.

Zitelmanns Hauptthese ist: Nur eine Gesellschaft, die Reichtum zulässt und Reichtum positiv sieht, kann Armut überwinden (S. 5). Nach den Siegen über die Franzosen und Amerikaner sollte ab 1975 in ganz Vietnam die Landwirtschaft kollektiviert werden (99 f.), obwohl dies in China und in der UdSSR gescheitert war. Die Vietnamesen begannen 1986 mit marktwirtschaftlichen Reformen, wenige Jahre später die Polen.

In beiden Ländern ist heute der Widerstand gegen freie Markwirtschaft viel geringer als in traditionell wirtschaftsliberalen Ländern. Dies belegt der Autor in weltweiten Umfragen (S. 73-91, 156 -173). Finde ein möglichst rascher Übergang von einer Planwirtschaft zu einer freien Marktwirtschaft statt, seien Widerstände gegen die Transformation geringer. Und die Leute würden bei einem Radikalwandel das Spezifikum einer freien Marktwirtschaft besser erfassen als bei einem graduellen Übergang. Dies zur Ansicht von Rainer Zitelmann.

Positives: Beeindruckend ist der Vergleich der beiden heutigen Volkswirtschaften: Polen und Vietnam. Bei einer kürzlichen Fahrt quer durch Polen staunte nicht nur ich, sondern auch Verwandte aus Schweden, über die wirtschaftlich breite Entwicklung in Polen, auch wenn dies nur rasche Eindrücke waren. In Polen kam es im Sozialismus immer wieder zu Protesten und Arbeitsniederlegungen und zur Bildung einer freien Gewerkschaft, eigentlich ein Unding in einem sozialistischen Staat.

Zitelmann ist für Marktradikalismus, also für „Neo-Liberalismus“. Seine Vorbilder sind u.a. Margaret Thatcher, Ronald Reagan. Kein Wort findet sich bei Zitelmann (es war auch nicht sein Hauptaugenmerk) auf die misslungen Privatisierungen von Margaret Thatcher – im Gesundheits- und Verkehrswesen.

Zur Radikalkur in Osteuropa. Menschen waren nach der Transformation „offiziell“ arbeitslos (de facto waren sie es bereits früher), und die älteren Menschen darbten mit Minimalpensionen. Das übersieht Zitelmann. Meist fehlten Fachleute für die Gestaltung des freien Marktes (Polen hatte zum Glück L. Balcerowicz als Finanzminister S. 6., 52). Bei langsamem Übergang blieben oft Altkommunisten an der Macht.

Michael Gorbatschow gesteht ein, es hätte für die Transformation der riesigen Planwirtschaft wie der Sowjetunion Jahre gebraucht. Das wurde unterschätzt. Folgendes fehlt bei Zitelmann: Vorgesehen war in Russland die Ausgabe von Volksaktien an Belegschaften, doch gewitzte Personen kauften den Leuten die Aktien spottbillig ab, die Arbeiter wußten nicht um deren Wert und wurden dafür mit ein paar Flaschen Wodka abgespeist (so dargestellt im Kultursender ARTE), dies wurde Kapital für die Oligarchen in Russland. Ob das im Sinne von Zitelmann wünschenswert war?

„Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“,schreibt Zitelmann (S.15): Ausgerechnet das partiell kommunistische China trug viel dazu bei, extreme Massenarmut zu mindern: Ein pragmatischer KP-Führer sah ein, es sei wichtig, die Wirtschaft aus Fesseln zu befreien, wobei die KP die Gesamt-Macht nicht abgegeben hat.

Zitelmann vertritt die Ansicht: Wer hilft, schadet. Wir lesen nichts bei ihm über den Marshall-Plan für Europa, der uns auf die Beine geholfen hat. Sehr ausführlich geht er auf die bittere Bilanz der Entwicklungshilfe ein und übersieht in der Kritik der Projekte, dass Unsummen an Finanzhilfen an korrupte einheimische Eliten überwiesen wurden, die viel eher Eigen-Reichtum als den Wohlstand ihrer Länder im Auge hatten, also eben dies taten, was Zitelmann so wünschenswert hält…

Das Buch ist dennoch anregend, die Lektüre lohnt und bietet unbekannte Details und so eine wirtschaftliche Länderkunde Polens und Vietnams, zwei Staaten, die sich der Planwirtschaft entwunden haben. Vietnam musste sich in der langen Geschichte gegen fremde Eindringlinge zur Wehr setzen – gegen Chinesen, Mongolen, Japanern, Franzosen und Amerikanern (S. 97)

Medienkampagne gegen die Neutralität

In Berichten und Kommentaren mehren sich jene Stimmen, die Österreichs Neutralität als überholt betrachten. Experten, die dies anders sehen, sind in unseren Medien eher nicht willkommen. Doch es gibt Ausnahmen.

Udo Bachmair

Beim Medienkonsum der vergangenen Wochen fällt die zunehmende Tendenz in der Berichterstattung auf, die österreichische Neutralität als nicht mehr sinnvoll darzustellen. In der veröffentlichten Meinung dominieren Argumente, die letztlich zur Aufweichung der Neutralität führen sollen. Gleichzeitig fehlt den meisten Neutralitätsskeptikern der Mut, offen auszusprechen, dass die einzige Alternative zu der bei Österreichs Bevölkerung höchst populären Neutralität der Beitritt zur NATO wäre.

Während im Social Media-Bereich auch warnende Argumente vor einer Abkehr von Österreichs Neutralität und einem NATO-Beitritt zu finden sind, wird man diesbezüglich in Printmedien oder auch in ORF-Beiträgen kaum fündig. Es kommen nahezu ausschließlich neutralitätsskeptische und NATO-nahe Stimmen vor, die die Neutralität am liebsten über Bord werfen würden. Differenzierend argumentierende Persönlichkeiten, wie etwa der frühere Bundesheergeneral Wolfgang Greindl oder der besonders profunde Politikwissenschaftler Heinz Gärtner kommen hingegen kaum zu Wort.

Mit einer positiven Ausnahme überrascht hingegen die renommierte deutsche Wochenzeitschrift ZEIT. Sie hat ein höchst bedenkenswertes Interview mit Univ. Prof. Gärtner veröffentlicht.

Gärtner sieht im Beitritt Österreichs zur European Sky Shield Initiative rechtlich keine Neutralitätsverletzung, wenngleich das österreichische Bundesheer damit NATO-tauglicher gemacht werden solle. Der Politologe befürchtet aber Gefahren für unser Land. Raketen des künftigen Luftabwehrsystems könnten nicht nur ein Schutz, sondern auch zu einem „Magneten“ werden:

„Man weiß ja noch nicht genau, welche Waffen Österreich am Ende kaufen wird, aber die Rede bei Sky Shield ist zum Beispiel von solchen, die 20 bis 80 Kilometer weit fliegen können. Diese können nicht nur als Defensiv-, sondern auch als Offensivwaffen betrachtet werden – und damit zu einem Ziel werden. Ein potentiell feindlicher Staat könnte versuchen wollen, sie zu vernichten“

Prof. Gärtner hebt in dem ZEIT-Interview die Funktion des neutralen Staates als Vermittler in Konfliktsituationen hervor. Österreichs Außenpolitik hat sich ja von dieser noch zu Kreiskys Zeiten vorbildlichen Rolle Österreichs bereits sehr weit entfernt :

„Nach einem Ende des Krieges in der Ukraine sollte es einen Prozess geben – wie die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Helsinki 1975. Die Nato-Staaten werden diese Funktion nicht übernehmen können. Österreich oder die Schweiz aber schon“

Und dann im Interview die erwartete und immer wieder in den Medien gestellte Frage: Ist die Neutralität noch zeitgemäß ? Heinz Gärtner dazu klar: „Ja, natürlich“:

Heinz Gärtner plädiert in dem Gespräch mit ZEIT-Redakteur Florian Gasser für das Konzept einer „engagierten Neutralität“, indem er ausführt:

„Wir müssen uns so viel wie möglich einmischen und so viel wie notwendig raushalten. Das ist etwas anderes als die traditionelle isolationistische Position, die etwa die FPÖ noch vertritt. Die wollen still sitzen und sich nirgendwo beteiligen. Das ist das Gegenteil einer engagierten Neutralität. Österreich sollte sich diplomatisch unbedingt stärker engagieren. Wir müssen uns wieder mehr einsetzen und uns auch wieder stärker bei Friedensmissionen der UN beteiligen.“

Auch im neutralen Irland läuft zu diesem Thema eine rege Debatte. Dort dürfte man jedoch im Widerstand gegen eine Aufweichung der Neutralität schon weiter sein als in Österreich. Als besonders laute und beherzte Stimme pro Neutralität erweist sich in Irland die linke EU-Abgeordnete Clare Daly. Sie ist als Hauptrednerin und Organisatorin einer Neutralitätskonferenz vehement gegen Versuche der irischen Regierung aufgetreten, Abstriche von der Neutralität zu machen.

Näheres zur Neutralitätsdebatte in Irland hat Fritz Edlinger, Herausgeber und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift INTERNATIONAL zur Verfügung gestellt:

www.international.or.at/wp-content/uploads/2023/07/Reinisch_Irl-Neutraliaetsdebatte_International_2023-07-01.pdf