Archiv der Kategorie: Gastbeiträge

Gesellschaft menschlicher machen

Politik und Medien beschäftigt zurzeit nur ein Thema: Der Amoklauf von Graz und die dramatischen Folgen stehen zurecht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Darüber hinaus aber lässt ähnliche Anteilnahme für die täglichen Todesopfer des Ukraine- und des Gazakriegs zu wünschen übrig, oder auch für Menschen hierzulande, die von inhumanem Handeln betroffen sind.

Wolfgang Koppler *

„Lichter der Liebe in dunkelster Stunde“ titelt die Boulevardzeitung „Heute“ zu einem Bild mit Menschen in Graz, die vor einem Meer von Kerzen stehen. Und die Oberösterreichischen Nachrichten ÖÖN drucken – etwas nüchterner – auf der Titelseite einen Aufruf des Bundespräsidenten zum Zusammenhalt ab – auf schwarzem Grund. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig fordert dann noch im Gemeinderat „als Antwort auf Hass und Gewalt ein umso stärkeres Bekenntnis zu Zusammenhalt und Respekt.“

Noch nie war das Wort Zusammenhalt so oft zu hören wie jetzt. Und überall zeigt man Anteilnahme und Betroffenheit. Selbst unsere Fußballer müssen angesichts der tragischen Ereignisse in Graz ihren 4:0-Erfolg gegen Montenegro zu einer „Randnotiz“ erklären. Und man hält überall Schweigeminuten ab. Sogar beim Nova Rock Festival ist eine solche geplant – das kostet nichts und macht sich gut, zumal die Veranstaltung ansonsten wie geplant ablaufen kann.

Man zeigt Herz, weil es sich so gehört. Ob man wirklich eines hat, ist eine andere Frage. Vielleicht sollte man Journalisten wie Lesern einmal den Besuch einer Bettenstation in einem Seniorenheim empfehlen. Da gibt es Leute, die bekommen nie Besuch. Die Stadt Wien sucht sogar ehrenamtliche Helfer – mit wenig Erfolg natürlich. Davon, wie unmenschlich es des Öfteren in Wirtschaft und Politik zugeht, will ich gar nicht reden. Und von unser aller Bequemlichkeit, die uns hindert, gegen Unfairness den Mund auf zu machen.

Da ist Kerzen anzünden einfacher. Und Schweigeminuten abzuhalten.

Ich will jetzt nicht behaupten, dass man mit mehr Engagement Amokläufe verhindern kann. Aber es könnte unsere Gesellschaft menschlicher machen. Und vielleicht doch den einen oder die andere vom Durchdrehen abhalten. Einen Versuch wär’s wert.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Von Medienplattformen gegängelt?

Ob in Kaffeehäusern oder Öffis oder sonst wo beobachtet: Immer weniger bis gar keine Zeitungen werden mehr gelesen. Belegt auch von Studien, dass bis zu 40-jährige UserInnen Printmedien und auch traditionelle elektronische Medien weitgehend ignorieren. Junge Menschen sind stattdessen umso mehr im Internet unterwegs, sie geraten dort aber in neue mediale Abhängigkeiten. Und es stellen sich für sie u.a. die Fragen: „Pay Content versus Quality Content?“ oder „Wieviele Netflixe darf ein Online-Medium kosten?“:

Ilse Kleinschuster *

Plagt viele junge Menschen diese Frage, weil sie sich frei von medialer Zwangs-Berichterstattung bzw. – Unterhaltung fühlen wollen, weil sie die Fesseln eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks ablehnen, aber letztlich doch mit den Streaming-Diensten nicht ganz zurechtkommen?

Waren Online-Medien nicht zunächst einmal gratis und haben sie nicht erst im Lauf der Jahre Bezahl-Content im Mainstream fix etabliert?

Geht’s hier letztlich nicht auch um die Frage, inwieweit wir uns von den großen Medienplattformen gegängelt fühlen (sollten), wenn wir erkennen, wie sie uns reinlegen. Und was wohl eine Befreiung aus ihren Fängen kosten würde?!? Meredith Whittaker, Präsidentin von Signal, einer Non-Profit-Organisation, die nicht gewinnorientiert arbeitet, was kein Nice-to-have sei, wie sie sagt, sondern ein fundamentaler Teil der eigenen Integrität. Denn wäre dem nicht so, so müsste man laut Whittaker das gleiche Geschäftsmodell anwenden wie die meisten Großen der Branche: das Monetarisieren von persönlichen Daten. ttps://www.derstandard.at/story/3000000195689/signal-chefin-warum-vertrauen-wir-konzernen-die-bloss-an-ihre-aktionaere-denken

Diese Frage zur Integrität der medialen Plattformen und damit des gestörten Vertrauens in objektive Berichterstattung (sofern diese überhaupt objektiv sein kann) beschäftigt mich schon lange, aber jetzt umso mehr seit ich mit Werbung für das neue Online-Medium „JETZT“ förmlich überflutet werde. Brauch‘ ich das? – bis heute bin ich mir nicht ganz sicher. Warum soll ich Abonnentin werden von etwas was ich noch nicht kenne. Da unterstütze ich doch lieber das Team von „Unsere Zeitung – die Demokratische“, einer online-Zeitung, die sich 10 Jahre bewährt hat. Ich hoffe, es gibt sie noch länger!
Seit es ‚meine‘ „Wiener Zeitung“ nicht mehr in der Print Version gibt, kauf‘ ich mir abwechselnd eine von den gängigen Tageszeitungen in der Trafik. Hin und wieder leiste ich mir auch eine von der Sorte premium Qualität.

Am 6.6. 2025 ist das neue FEUILLETON herausgekommen – ich habe die Print-Version um 6 Euro in meiner Trafik erstanden und schätzte mich glücklich, gleich einen Artikel von Bernhard Baumgartner darin zu entdecken. Der Titel lautet: Wie viele Netflixe darf ein Online-Medium kosten? DIE STREAMING-DIENSTE haben die Realität von Pay-Content etabliert. Aber sie haben damit auch eine Grenze gesetzt. Diese liegt bei ihrem monatlichen Abopreis. https://feuilleton.online/sites/site0329/media/downloads/das_feuilleton_mediadaten_2025.pdf

Tja, ich liebe ihn, diesen Qualitätsjournalismus – und bin froh, dass es ihn noch gibt, diesen ‚premium‘ Journalismus, wie er einst in der gedruckten Wiener Zeitung üblich war, mit seinem Fokus auf intellektuellem, kreativ und witzig gestaltetem Journalismus abseits des üblichen Nachrichtengeschehens. Er hat mich in jungen Jahren als politischer Mensch geprägt. Und man darf nicht vergessen, dass seine Inhalte von Menschen erstellt werden, die davon leben müssen, d.h. dafür ein Gehalt wollen.

Hin und wieder gebe ich auch gerne mehr als 3 Euro für die Erste österreichische Boulevardzeitung, den AUGUSTIN, aus.

#Netflix, diesen Kanal hab‘ ich zwar (mein Enkel hat mich an- oder sagt man eingeschlossen), aber ich nutze ihn nicht. Mein TV-Bedarf ist vornehmlich gedeckt mit ORF, 3-Sat und ARTE.

Tagsüber höre ich gern Radio (ORF-Ö1). Vergangenen Donnerstag habe ich auf ORF-Ö1 ‚Doublecheck‘ gehört, da ist mir manches klarer geworden: „Die Gründung eines neuen Mediums in Österreich erfordert mehr als nur Mut. Die Bereitschaft für journalistische Inhalte zu zahlen, ist gering und das Vertrauen in die Branche lässt zu wünschen übrig. Gleichzeitig profitieren etablierte Medienunternehmen von großzügigen Förderungen und Inseratenschaltungen. Das Digitalmedium „JETZT“ ist dennoch überzeugt, dass es Bedarf für innovative Ansätze gibt. Derzeit werden Mitglieder gesucht, um den Start zu ermöglichen – ob dies gelingt, wenn man die Katze im Sack kaufen muss? Skepsis ist angebracht, insbesondere nach dem kürzlichen Aus des Medienprojekts „tageins“, das nach knapp zwei Jahren aufgeben musste. Konstruktiver, ruhiger Journalismus funktioniere einfach nicht. Doch es gibt auch positive Beispiele: Das inklusive Medium „andererseits“ beweist, dass Erfolg möglich ist, wenn Vision und Engagement stimmen. #doublecheck hat bei denen, die noch hoffen, und jenen, die die Hoffnung vorerst begraben mussten, nachgefragt.“ https://oe1.orf.at/player/20250605/797329/1749141503145

Also, soweit ist’s für mich jetzt klarer. Ich bin ja auch der Meinung, dass die Medienpolitik durch einen offenen Beteiligungsprozess gesteuert werden soll. Und ja, dieser sollte möglichst demokratisch sein, denn die Medien sind eine unabdingbare Notwendigkeit für das Funktionieren unserer Demokratie. Am funktional ‚bequemsten‘ scheint mir halt ein (gebührenpflichtiger) öffentlich-rechtlicher Rundfunk und eine öffentlich-rechtliche Tageszeitung – aber das ist wohl eine Utopie!

Nun, zumindest aber wünsche ich mir zunächst eine radikale Reform unseres derzeitigen ORF – ich unterstütze daher die Initiative zum offenen Online-Beteiligungsprozess „ORF 2032“ – www.unser-orf.at

* Gastautorin Ilse Kleinschuster ist Journalistin und aktives Mitglied der Zivilgesellschaft und der Vereinigung für Medienkultur

Krieg gegen Gaza: Kein Recht zu schweigen

Ein besonders bemerkenswerter Kommentar zur brutalen Vorgangsweise Israels in Gaza ist in der Zeitung Haaretz erschienen. Er stammt vom bekannten Journalisten Gideon Levy, Mitherausgeber der einzigen linksliberalen regierungskritischen Tageszeitung Israels. Der Titel des Kommentars:

„Deutschlands Verrat am Holocaust“*

Gideon Levy

Deutschland hat das Andenken an den Holocaust und seine Lehren verraten. Ein Land, das es als seine höchste Aufgabe ansah, nicht zu vergessen, hat vergessen. Ein Land, das sich selbst versprochen hatte, niemals zu schweigen, schweigt. Ein Land, das einst „Nie wieder“ sagte, sagt nun „wieder“, mit Waffen, mit Geld, mit Schweigen. Kein Land sollte besser als Deutschland darin sein, „widerwärtige Prozesse zu erkennen“. Jeder Deutsche weiß viel mehr darüber als Yair Golan. Hier in Israel ist dieser Prozess in vollem Gange, doch Deutschland hat ihn noch nicht als solchen erkannt. Erst kürzlich ist es aufgewacht, aber zu spät und mit zu wenig Wirkung.

Wenn Deutschland den Flaggenmarsch in Jerusalem sieht (bei den diesjährigen Feierlichkeiten wurden Aufrufe zum Völkermord normalisiert und die toten Kinder von Gaza verspottet), muss es die Reichskristallnacht vor Augen haben. Wenn es die Parallelen nicht sieht, verrät es die Erinnerung an den Holocaust. Wenn es auf Gaza blickt, muss es die Konzentrationslager und Ghettos sehen, die es selbst errichtet hat. Wenn es die hungernden Menschen in Gaza sieht, muss es die elenden Überlebenden der Lager sehen. Wenn es die faschistischen Reden israelischer Minister und anderer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens über Mord und Zwangsumsiedlung, darüber, dass es «keine Unschuldigen» gibt und über das Töten von Babys hört, muss es die schaurigen Stimmen aus seiner Vergangenheit hören, die dasselbe auf Deutsch gesagt haben.

Es gibt kein Recht zu schweigen. Deutschland muss die Fahne des europäischen Widerstands gegen das, was im Gazastreifen geschieht, hochhalten. Doch es hinkt weiterhin hinter dem Rest Europas hinterher, wenn auch mit Unbehagen, nicht nur wegen seiner Vergangenheit, sondern auch wegen seiner indirekten Verantwortung für die Nakba, die ohne den Holocaust wahrscheinlich nicht stattgefunden hätte. Deutschland hat auch eine teilweise moralische Schuld gegenüber dem palästinensischen Volk.

Die israelische Besatzung wäre ohne die Unterstützung der Vereinigten Staaten und Deutschlands nicht möglich gewesen. Während dieser ganzen Zeit galt Deutschland als Israels zweitbester Freund. Diese Freundschaft war umfassend und bedingungslos. Jetzt wird Deutschland für seine langen Jahre der strengen Selbstzensur bezahlen, in denen es verboten war, Israel, das heilige Opfer, zu kritisieren.

Jede Kritik an Israel wurde als Antisemitismus abgestempelt. Der gerechte Kampf für die Rechte der Palästinenser wurde kriminalisiert. Ein Land, in dem ein großes Medienimperium von seinen Journalisten als Bedingung für ihre Anstellung verlangt, niemals Israels Existenzrecht in Frage zu stellen, kann nicht behaupten, die Meinungsfreiheit zu achten. Und wenn Israels derzeitige Politik seine Existenz gefährdet, sollte man dann nicht das Recht haben, es zu kritisieren?

In Deutschland ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, Israel zu kritisieren, egal was es tut. Das ist keine Freundschaft, das ist Versklavung an eine Vergangenheit, und das muss angesichts der Ereignisse in Gaza ein Ende haben. Die „besondere Beziehung“ kann kein Gütesiegel für Kriegsverbrechen sein. Deutschland hat kein Recht, den Internationalen Strafgerichtshof, der als Reaktion auf seine Verbrechen eingerichtet wurde, zu ignorieren, indem es darüber debattiert, wann es einen wegen Kriegsverbrechen gesuchten israelischen Ministerpräsidenten einladen soll. Es hat kein Recht, die Klischees der Vergangenheit zu wiederholen und Blumen in Yad Vashem niederzulegen, 90 Autominuten von Khan Yunis entfernt.

Deutschland steht nun vor seiner schwersten moralischen Prüfung seit dem Holocaust. Wenige Wochen nach dem Einmarsch Wladimir Putins in die Ukraine war es Deutschland, das die Sanktionen gegen Russland anführte. Zwanzig Monate nach der Invasion des Gazastreifens hat Deutschland noch immer keine Schritte gegen Israel unternommen, abgesehen von den gleichen Lippenbekenntnissen wie andere europäische Länder.

Deutschland muss sich ändern, nicht trotz seiner Vergangenheit, sondern gerade wegen ihr. Es reicht nicht, dass Bundeskanzler Friedrich Merz sagt, dass die Bombardierung des Gazastreifens nicht mehr zu rechtfertigen sei. Er muss Maßnahmen ergreifen, um sie zu stoppen. Es reicht nicht, dass Außenminister Johann Wadephul sagt, dass Deutschland sich nicht „in eine Lage bringen lassen wird, in der wir Zwangssolidarität zeigen müssen“.

Es ist Zeit, dass Deutschland sich mit den Opfern solidarisch zeigt und sich von den Fesseln der Vergangenheit befreit, die es von den Lehren des Holocaust entfremden. Deutschland kann nicht weiter tatenlos zusehen und sich mit halbherzigen Verurteilungen begnügen. Angesichts der schrecklichen Lage in Gaza ist dies Schweigen – das beschämende Schweigen Deutschlands.

*Auf diesen Kommentar von Gideon Levy hat uns der auch in der Nahostfrage besonders engagierte friedensbewegte Ex-ORF-Journalist Adalbert Krims aufmerksam gemacht.
Man könne „Deutschland“ übrigens auch als „Österreich“ mitlesen, meint Krims wohl zurecht.

Nachlese zum Tag der Pressefreiheit

Am 3. Mai war der Welttag der Pressefreiheit. Österreich ist im Ranking ein paar Plätze nach vorne gerutscht. Ein ermutigendes Zeichen, wenngleich Österreich mit Platz 22 an den hohen Grad an Pressefreiheit in den skandinavischen Ländern bei weitem nicht herangerückt ist.

Ilse Kleinschuster *

Wenn „Medienvielfalt in Gefahr ist“ und „kritischer Journalismus stört“ – und wenn darüber in einer Tageszeitung mit relativ hoher Auflage ausführlich berichtet wird, dann kann doch nicht aller Tage Abend für den Journalismus sein. Siehe DerStandard.at/Wochenende

Was mich aber noch mehr beruhigt – bei allem Verständnis für die Aufgeregtheit um die Gefährdung der Pressefreiheit auch in unseren Breitengraden – ist die am vergangenen Samstag stattgefundene Verleihung des CONCORDIA-Preises an Armin Thurnher im Sitzungssaal des österreichischen Parlaments. Siehe unter: www.derstandard.at/story/3000000267978/fuer-die-freiheit-der-medien-kaempfen-concordia-preise-verliehen

Darüber hinaus freut es mich, dass dieser Preis des Presseclubs Concordia auch verliehen wurde an: Barbara Tóth (Falter) für ihre Aufarbeitung der publizistischen Hetzjagd auf die Journalistin Alexandra Föderl-Schmid, an die Journalisten Christof Mackinger und Johannes Greß für eine Reportage über die Sweatshop-Zustände hinter den Kulissen von Donau-Kreuzfahrten, erschienen im STANDARD.

Ich hoffe, dass die Verbesserung Österreichs im Ranking der Pressefreiheit um zehn Plätze nicht nur der Verschlechterung anderer Staaten zu verdanken ist. Es gibt mir grundsätzlich Vertrauen in unsere kritischen Medien, wenn ich höre, dass sich die Regierung jetzt stärker für medienpolitische Rahmenbedingungen einsetzten will und ich hoffe, dass sich der Journalismus bei uns nicht zu sehr von den Social-Media-Propagandaplattformen hertreiben lässt.

*Gastautorin Ilse Kleinschuster lebt als Journalistin und besonders engagiertes Mitglied der Zivilgesellschaft in Wien

Scheinheiligkeit nach dem Tod des Papstes

Vor wenigen Minuten hat Israels Regierung ein Kondolenzschreiben aus Anlass des Todes von Papst Franziskus wieder zurückgezogen. Der Grund: Die Kritik des verstorbenen Papstes an der brutalen Kriegsführung Israels gegen die palästinensische Bevölkerung von Gaza. Hingegen wird es vielfach als Scheinheiligkeit empfunden, dass ausgerechnet jene Politiker und Medien, die Franziskus für dessen „Linkstendenzen“ immer wieder kritisiert haben, nun in den Chor derjenigen einstimmen, die ihn würdigen.

Wolfgang Koppler*

Schon seltsam, wie man uns jetzt mit Nachrichten und Dokus zum plötzlichen, aber angesichts seines Gesundheitszustandes nicht ganz überraschenden Tod des Papstes überfüttert. Und sich in Scheinheiligkeit ergeht.

Während man zu seinen Lebzeiten jeden seiner Sätze auf die Goldwaage gelegt hat. Von den Attacken im Hinblick auf seine Haltung zum Ukrainekrieg ganz zu schweigen. Kritik an der Nato – unmöglich. Verhandlungen – ein Kniefall gegenüber dem Aggressor und völlig unmoralisch. Einige Journalisten und Politiker hätten sich wohl gewünscht, dass er die an die Ukraine gelieferten Panzer auch noch mit Weihwasser besprengen möge. Wie zur Zeit des 1. Weltkriegs, als lediglich eine Handvoll Intellektueller wie etwa Kraus und Zweig sich dem entgegenstellten. Als einsame Rufer in der militärischen Wüste.

Aber zurück zu Franziskus:
Eine Theologin meinte treffend, er hätte in keine Schublade gepasst. Am ehesten war er wohl eine Mischung aus einem Konservativen und einem Linkskatholiken. Und wollte die Kirche in gewisser Weise ein bisschen zum Urchristentum und damit zu ihren Wurzeln zurückführen. Und vor allen war er ein Mensch, der seine Grenzen kannte. Und jene der tief gespaltenen Kirche. Und so verzichtete er auf Machtworte und aktivierte die Basis durch den von ihm in Gang gesetzten synodalen Prozess, der nicht mehr so leicht aufzuhalten sein dürfte.

Heiligkeit oder gar Scheinheiligkeit war seine Sache nicht. Sodass er die Anrede „Heiliger Vater“ ablehnte und einen Journalisten, der solches versuchte, scherzhaft als „Heiliger Sohn“ titulierte. Befreiungstheologie im besten Sinne, die sich nicht nur gegen Ungerechtigkeit und Armut richtet, sondern auch gegen scheinheiligen Narzissmus und Selbstgefälligkeit. Und uns selbst befreien könnte.

Auch wir sollten unseren infantilen Narzissmus etwas mehr im Zaum halten. Journalisten, die stets mit dem Zeigefinger daherkommen, aber nicht bereit sind, etwas zu riskieren und für die eigene Überzeugung wenigstens gelegentlich gegen den Stachel zu löcken, tun den Medien nicht gut. Und unserer Gesellschaft schon gar nicht.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Mediale Russophobie

Wenn es um Russland geht, ist es bereits lange Tradition westlicher Medien, Feindbildpflege zu betreiben und Bedrohungsszenarien zu entwickeln.

Wolfgang Koppler *

Schon seltsam. Da wird in mehreren Zeitungen – von der Presse bis zur Krone – die Meldung lanciert, dass Russland Atomwaffen im All einsetzen und Satelliten zerstören könne- Und so die allgemeine Hysterie auf die Spitze getrieben. Denn offenbar reicht es nicht mehr, einen Angriff auf einen NATO-Staat (vom Baltikum bis zu Schweden) aufgrund nebuloser Geheimdienstberichte zu prophezeien, wie es „renommierte Experten“ in „Qualitätsmedien“ tun. Obwohl selbst Raphaela Schaidreiter in der ZiB vor Kurzem zugeben musste, dass man damit anscheinend vielmehr Stimmung für die Aufrüstung machen will.

Anderseits wird der schlimmste Einbruch von Russlands Wirtschaft seit 2009 aufgrund sinkender Ölpreise und ausbleibender Investitionen gemeldet. Wie soll ein Land mit einer derart maroden Wirtschaft Atomkrieg im All betreiben. Das kommt davon, wenn man Russland zugleich als rückständig und gefährlich darstellt. Man sollte es vielleicht mit den Feindbildern nicht allzusehr übertreiben. Sonst bleibt die Logik auf der Strecke. Und man wird völlig unglaubwürdig.

Aber genauso war es mit der Darstellung der Sowjetunion in den Medien der 80-er Jahre. Einerseits wurde die Gefahr eines Überfalls auf Westeuropa beschworen, anderseits zeigten Berichte über die sowjetische Mangelwirtschaft, dass daran irgendetwas nicht stimmen konnte. Und der Fall der Mauer 1989 zeigte, dass Letzteres der Fall war. Der allgemeine Jubel machte dann allerdings schnell Ernüchterung Platz. Insbesondere angesichts der Finanzkrise 2008.

Die Geschichte scheint sich zu wiederholen…

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist in Wien

www.msn.com/de-at/nachrichten/other/russland-könnte-atomwaffen-im-all-einsetzen

Europäische Atomwaffen?

Die ZiB 1 des ORF hat kürzlich besonders wohlwollend über das neueste Buch von Herfried Münkler berichtet, das in der komplexen Ukrainekriegs-Frage allerdings nötige Differenzierungen weitgehend vermissen lässt.

Wolfgang Koppler *

Nach Katja Gassers ziemlich unkritischem Beitrag über Herfried Münklers neuestes Buch (in der ZiB1 vom 29.3), der mehr einer blumigen Hommage als einer Rezension glich und sogar ZiB-Moderator Tarek Leitner zum Lächeln brachte, recherchierte ich ein bisschen im Netz und stieß auf ein nicht uninteressantes Interview mit Münkler. Man erkennt wieder einmal, wie ein „renommierter“ Experte nach dem andern den Brüsseler Mainstream wiedergibt – der im Wesentlichen aus einem Aufrüstungsdogma und einer Vorstellung von einer angeblich offenen Gesellschaft besteht, die Europa als deren letzter Hort gegen die gesamte restliche Welt verteidigen müsse.

Aber hören wir Münklers „lucide“ Ausführungen selbst gegenüber gegenüber dem deutschen Nachrichtensender ntv **. Schon die Überschrift lässt Schlimmes ahnen: „Die Russen werden die USA sowieso hereinlegen“. Diese von Münkler tatsächlich getätigte Aussage legt den nicht uneleganten Brüsseler Spagat zwischen der bis vor kurzem geübten Loyalität zu Washington und der unbedingten Unterstützung Kiews hin zu einer vorsichtigen Distanzierung zu der nun auf Isolationskurs steuernden US-Administration unter dem etwas unberechenbaren Donald Trump dar. Man hofft ein bisschen auf sein Scheitern in den Verhandlungen im Putin, hätte aber anderseits den immer teurer werdenden Krieg doch ganz gern beendet.

Im Verlauf des ntv-Interviews wird aber klar, was wieder einmal das Gebot der Stunde ist: Aufrüstung und auch europäische Atomwaffen, wobei Münkler – ebenso wie der NATO-nahe Militärexperte Gady jüngst im ORF – auf die Bedeutung taktischer Atomwaffen verweist, die eine wesentlich realistischere Abschreckung böten als Atombomben, die gleich ganze Städte verwüsten würden. Dass auch taktische Atomwaffen durchaus die Sprengkraft einer Hiroshimabombe haben können, erwähnt er natürlich nicht.

Was die Außenpolitik betrifft, könne man sich laut Münkler China und dem ebenso wie Putin unberechenbaren Xi-Jinping nur vorübergehend und in Teilbereichen annähern. Ansonsten sei Europa auf sich allein gestellt. Und Deutschland müsse unbedingt wieder eine Führungsrolle in Europa übernehmen und nicht alles Paris und dem trotz Austritts aus der EU sich wieder annähernden Großbritannien überlassen. Was sonst ?

Kein Wunder, dass ein Witzbold vor Kurzem meinte, Frankreich solle die (1876 den USA geschenkte) Freiheitsstatue zurückfordern. Ich frage mich nur, wo man sie aufstellen sollte. Vielleicht im Hamburger Hafen ?. Als ein Symbol von Freiheit, die in Wirklichkeit niemand haben will ?

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist in Wien

** https://www.n-tv.de/politik/Die-Russen-werden-die-USA-sowieso-hereinlegen-article25664252.html

Kriegsrhetorik und Aufrüstungshysterie

Und wieder einmal eine ORF-Podiumsdiskussion mit Schlagseite. Einmal mehr war eine Runde zu Krieg und Frieden einseitig zusammengesetzt. Drei gegen Einen : Drei mit Kriegsrhetorik, ein einziger hingegen, der in der TV-Sendung „Das Gespräch“ für Diplomatie und Waffenstillstandsverhandlungen plädierte. Dabei wäre der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch in außenpolitischen Fragen zur Ausgewogenheit verpflichtet.

Wolfgang Koppler *

Die gestrige Diskussionsrunde „Das Gespräch“ in ORF2 bewies wieder einmal, dass man – ebenso wie im Vorgängerformat „Im Zentrum“ – vor einer ausgewogenen Gästeliste bei heiklen Themen eher zurückscheut. Mag sein, dass auch noch andere zur Diskussion geladen waren – aber man rechnete – wie auch in anderen Fällen – wohl nicht mit ihrem Kommen. Faktum ist, dass beim Thema „Europäische Aufrüstung“ wieder einmal drei weitgehend übereinstimmende Diskutanten den Brüsseler Mainstream vertraten und nur einer tapfer dagegenhalten dürfte.

Wobei man Diskussionsleiter Tobias Pötzelsberger zugestehen muss, dass er sich selbst um Objektivität bemühte und von seinen persönlichen Erfahrungen aus seinem Politologiestudium erzählte, in dem noch vom „Friedensprojekt Europa“ die Rede war. Klar, dass die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des EU-Parlaments Strack Zimmermann ebenso wie Franz Stefan Gady und ein Vertreter des Bundesheeres mit den Versatzstücken aus dem Kalten Krieg (auf den mehrmals Bezug genommen wurde) antworteten: Frieden durch Stärke.

Wie die geplanten 800 Milliarden für die Aufrüstung zu finanzieren wären und welche Auswirkungen dies auf unsere Gesellschaft als auch auf den globalen Süden hat, wenn wieder einmal Gelder in die Rüstung fließen, mit denen man das Elend, aber auch gesellschaftliche Spannungen und vielleicht auch Terror- und Kriegsgefahr wesentlich effektiver mindern kann. davon war weniger die Rede.

Dafür wurde die Gefahr eines russischen Überfalls auf das Baltikum beschworen, wobei Gady sich auch eher kryptisch auf Geheimdienstinformationen bezog und vor allem auf den nachlassenden Schutz der USA. Dass die US-Kriege der letzten Jahrzehnte eher weniger zur allgemeinen Sicherheitslage beigetragen haben als zu deren Verbesserung, blieb natürlich unerwähnt. Immerhin gestand man zu, dass auch die Diplomatie eine gewisse Rolle spielen müsse – aber natürlich erst nach einer gewaltigen Erhöhung der Militärbudgets.

Der durchaus differenziert argumentierende Chefredakteur der Zürcher „Weltwoche“, Roger Köppel, konnte sich da nur selten Gehör verschaffen und wurde von Strack-Zimmermann auch noch der Verharmlosung Putins verdächtigt. Man kennt das schon. Dabei verwies er durchaus zurecht auf eine allgemeine Kriegs- und Aufrüstungshysterie. Und meinte, dass man sich vielleicht auch mit Interessenlagen und der Vorgeschichte von Kriegen auseinandersetzen sollte. Und dass das Blutvergießen in der Ukraine endlich ein Ende finden müsse.

Wie sagte doch schon Freud: Die Stimme der Vernunft ist leise. Vor allem in Zeiten des Kriegs und der Orientierungslosigkeit.

* Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist in Wien

Urteil gegen Mietwucher

Mietwucher fordert ungemindert und meist auch ungehindert seine Opfer. In der Schweiz hat man darauf nun offenbar einen anderen Blick geworfen, wie ein Gerichtsurteil zeigt.

Wolfgang Koppler *

Ein interessantes Urteil des Schweizer Bundesgerichts: Eine Vermieterin wurde wegen stark überhöhter Untermieten wegen Mietwuchers zu zwei Jahren bedingter Haftstrafe verurteilt. Das ist noch kein wirklich starkes Zeichen gegen zweifelhafte Investoren, an die man sich bei uns im Westen nicht so richtig vorzugehen traut – außer es lässt sich (wie etwa im Fall Benko) doch nicht mehr vermeiden. Abendessen und Jagdausflüge mit illustren Reichen sind schließlich wichtiger.

Aber es ist ein Signal. Und in Österreich – wo der Wuchertatbestand mehr oder weniger totes Recht ist – völlig undenkbar. Hier wird Derartiges von Medien und etablierter Politik mehr oder weniger unter der Decke gehalten. Und allenfalls nebenbei erwähnt. Bezeichnend auch, dass sich der untenstehende Artikel** in der Boulevardzeitung „Heute“ fand. Und nicht in einer der „Qualitätsmedien“. Kein Wunder, dass sich immer mehr Menschen von Politik und Qualitätsmedien abwenden.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien

** https://www.msn.com/de-at/nachrichten/ausland/wucher-vermieterin-kassiert-freiheitsstrafe/ar-AA1AXMB8?ocid=msedgdhp&pc=HCTS&cvid=1e257bc66d37475e96947d7d26cf2c96&ei=13

Medientagung in Linz

„Demokratieverhandlungen für den digitalen Raum der Freiheit“ ist Thema einer bemerkenswerten Tagung am 21.03.2025 in Linz

Erwin Leitner *

Wir erleben derzeit einen tiefgreifenden Medienwandel. Seit mehr als einem Jahrzehnt gehören Social-Media-Anwendungen zu unserem Alltag, bestimmen als Big-Tech-Plattformen zunehmend die kognitive Orientierung und gefährden mit Fake News, Manipulation und Desinformation immer häufiger das demokratische Gefüge (Infodemie).

Gleichzeitig ist mit der vernetzten Welt das Versprechen verbunden, dass alle Beteiligten ihre eigenen Wahrnehmungen, Interpretationen und Meinungen gleichberechtigt veröffentlichen können. Tatsächlich übernehmen Algorithmen die Bewertung und vermitteln ein falsches Bild von Partizipation, die nur auf Zustimmung hofft und vielfach geteilt werden will.

Im Rahmen der Tagung wird die Partizipation in heutigen Demokratien aus der Perspektive der Digitalisierung beleuchtet, neue Möglichkeiten der Medienaneignung im Hinblick auf das demokratische Ideal der Mündigkeit diskutiert mit dem Ziel, das Bewusstsein für eine demokratiepolitische Neuerschließung des digitalen Raums und seiner Freiheiten auf breiter öffentlicher Basis zu stärken.

Vorträge. Worshops. Podiumsdiskussion. Buffet
Eintritt frei. Anmeldung erwünscht.

* Mag. Erwin Leitner ist Gründer und Bundessprecher der Initiative „mehr Demokratie: erwin.leitner@mehr-demokratie.at