Von Bukarest ins Donaudelta: Rumänien ist anders

Reiseberichte stimulieren oft für Reisen - kommerziell verzweckt für Agenturen, aber es gibt lobenswerte Ausnahmen: so Sendungen wie "Ambiente" in Ö 1 (Radio) und in 3-sat. Diese Reportage  über eine selbstorganisierte Fahrt berichtet Ungewöhnliches von einem Land, wovon kaum berichtet wird: von Rumänien. Im völkerverbindenden Sinn lohnt es, Näheres darüber ´zu erfahren. Wie kürzlich bekannt wurde,  kämpft ein mutige Rumänin gegen korrupte Politiker.  Es ist für uns Europäer wichtig, dieses Land kennenzulernen. Darum hat dieser Text für unser Publikum "Medien-Kultur". 
Hans H ö  g l – Reportage
Ich bin im Minibus – verlasse die Hauptstadt und bin unterwegs zum Donaudelta. Es ist eine lange Fahrt durch die  weite Ebene.  Meine  Gedanken schweifen zurück nach Bukarest.  Mir fällt ein Slogan ein: „Rumänien ist  anders“. Diese Land ist vielschichtig.  Junge Leute hantieren in der Zweimillionenstadt  an den gleichen Smartphones  und bewegen sich mit gleichen bunten,  leichten Schuhen und schlürfen den coffee-to-go  wie bei uns.
Es wurden in Bukarest immense Konsumtempel errichtet, die Holzgerüste bei der Renovierung  orthodoxer Kirchen sind seltsam. Riesige Reklame  an vielstöckigen Häusern.  Großfirmen schlagen zu. Auch deutsche und österreichische Unternehmen sind präsent.
Mit dem Galeristen  Hans Knoll  war ich in Bukarest. Er ist ein Ostpionier: Schon ein halbes Jahr vor der Wende 1989 eröffnete er ein Kunstgalerie in Budapest. Die Kollegen schüttelten den Kopf, jetzt  beneiden sie ihn.   Er besucht  mit einer Gruppe die Art Safari. Pavilionul de Arta Bucuresti   und  einzelne Ateliers. Und ich war mit von Partie.

Der intensive   Autoverkehr in Bukarest ist rasant.  Ich sehe fast nur ausländische Marken- PKWs,  darunter schwarze Edelkarossen, dann und wann Dacias. Fußgänger haben  Mühe die Boulevards  zu überqueren. Gehsteige in Nebenstraßen werden nicht selten vergessen oder sind nicht einmal einen halben Meter  breit.
In einem Fachgeschäft kaufe ich eine Sonnenbrille und komme mit der Optikerin  ins Gespräch. Sie hat Kontakt mit Leuten in Nürnberg und wünscht, Rumänien verlassen. „Hier sind zu viel Roma“, sagt sie.     Auch ein Taxler  verrät seine Haltung mit einem Handzeichen und mit wenigen Worten: Die Roma —Tschap- Tscharapp!  Eines beobachte ich:  In Wien sind mehr arme und bettelnde Menschen präsent  als in Bukarest. Aber auch sie gibt es hier.  Die Daten  zu den rumänischen Romas schwanken: Von einem halben bis zweieinhalb Prozent. Mir bedeutet eine Rumänienkennerin: Diese Zahlen sind viel zu gering.
Die schöne Kulisse ist in Rumänien wichtig: Artig markierte Radwege gibt es am Rande eines großen Grüngürtels. Im Bulevardul Primaverii  sind Botschaften, Firmensitze,  Anwaltskanzleien,  und hier residierte   der „Titan aller Titanen“, der weise Conducator, Nicolae Ceausescu , geadelt 1978 von der englischen Königin, in seiner ansehnliche Villa am Ende einer Allee. Sie hat alles andere als den Stil von sozialistischem Realismus.  Heute ist die Villa mit der verwilderten Grünfläche  in  kuweitischem  Besitz.
Bukarest hat im Zentrum viele Parks mit Blumen und am  Rand dieser ausgedehnten Stadt auch Seen.  Sauberkeit wird im Zentrum großgeschrieben, anders ist es um den  Nordbahnhof : da lebt  buntes Migrantenvolk und Kinder spielen in der ungepflegten Nebengasse mit Namen Camelie. Das Hotel  in der Gasse  führte zuvor den gleichen Namen und  hat ein grellrotes  Namensschild….
Die Fahrt mit Taxis ist meist sehr billig, manche  Lenker versuchen einen  üppigen Zuschlag herauszuschlagen.  Mit Englisch schlägt man sich gut durch.  In der  Metro bieten  Automaten sogar Literatur an und nicht nur Groschenhefte. Wo gibt es das sonst?
Nach den vier Tagen in Bukarest fahre ich auf eine knappe Woche ins Donaudelta. Von Bukarest sind es   rund 300 km  bis Tulcea, der Stadt am Eingang ins Delta.  Mit dem Minibus sind es lange viereinhalb Stunden Fahrt.  Ich ergattere einen Einzelsitz, besorge mir Mineralwasser.
Mich lockt das Donaudelta: Landschaft und Vogelparadies.  Langsam zieht die Weite der Ebene vorbei – vereinzelt  rücken Hügeln heran.  Die Felder  der Walachei wirken gut bestellt. Wie anders war das in der Ost-Ukraine vor ein paar Jahren – mit verwildertem  Brachland und verfallenen Gebäuden der Kolchosen. Ich lächle über den Namen „Gute Nacht-Dorf“. Ja, das Dorf heißt wirklich so. Mein privater Gastgeber, ein  Ingenieur,  erzählte stolz  im ganzen Dorf, Österreicher in seiner Familie als Gäste zu haben, über die Herren in Kiew schimpfte er.
Die Alltaskultur der rumänischer Dörfer  atmen den Geist der frühen  50-iger Jahre wie in meiner Heimat, einem Wienerwalddorf. Buben spielen auf der Straße Fußball.  Ein Auto fährt nur  dann und wann.  Ein Mann geht die Straße entlang – die Sense geschultert. Hirten mit Stock hüten Schafe oder Ziegen.
Tulcea ist die mittelgroße Stadt am Eingang ins Donaudelta,  der Anfang für Fahrten in die drei riesigen Hauptarme der Donau. Den  schnurgeraden Sulina-Arm in der Mitte meide ich. Hier sind die Kreuzfahrtschiffe auf schnellem Kurs. Ich wähle  den Südarm und das Schiff  der  Einheimischen. Vier Stunden Fahrt. Kosten: einen  Pappenstiel.
Auf dem Deck finde ich einen schattigen Platz. Achtung sage ich mir: Da tragen Arbeiter auf Ihrem Rücken Zementsäcke und werfen sie aufs Vorderdeck. Es sind breitschultrige Menschen mit slawischen Gesichtern. Immerhin: die halben  Sitzplätze bleiben frei. Da werden Stangen für den Bau gelagert. Die Leute  haben sich in der Stadt mit Materialien eingedeckt. Auch Hühner in Käfigen sind mit auf Partie. Sfantul Gheorghe ist nur per Schiff erreichbar.
Die Donau ist undefinierbar blassgrünlich. So spannend wird dann die vierstündige Schifffahrt nicht, wie im Reiseführer für den Südarm  angekündigt. Immerhin – dann sind wir fast am Schwarzen Meer: In Sfantul  Gheorghe. Scharen von Dorfbewohnern  warten am Kai auf die Ankommenden.  Ein halbes Dutzend  Pferdegespanne mit Leiterwagen stehen bereit,  beladen zu werden.

Ich entdecke einen Wasserpegel und lese die Ziffer drei. Ist die Donau nach den Regenfällen und Überschwemmungen in Serbien  hier um drei Meter höher?  Dem ist nicht so – wird mir beschieden. Der Wasserstand der Donau ist nur drei Zentimeter höher. Die riesigen Wassermassen verteilen sich auf drei überaus breiten Donauarme und im Delta, das 5.165 Quadratkilometer groß ist.

Ich wähle eine  der vielen Privatpensionen.  Die Einfamilienhäuser sind mit Gärten umgeben: Es wachsen Gemüse, Blumen und Weinreben. Wir sind in einer Welt der Selbstversorger.  Die Pension bietet kein Frühstück an,  aber Mittag- und Abendessen.

Die Menschen hier sind ein Mischvolk: Im Delta ließen sich verfolgte russischer Alt-Gläubige, Lippowener,  nieder. Sie versteckten sich im Gewirr des Deltas wie die Pelikane.  Im 17. Jahrhundert wurden sie im Zarenreich verfolgt, und Zehntausende wurden hingerichtet, da sie eine 1654 eingeleitete Glaubensreform  des Patriarchen ablehnten.

Der Sohn des Hauses bietet für nächsten Morgen eine sechsstündige Fahrt mit seinem Ruderboot an – in die wirren kleinen Arme des Deltas.  Leider kann ich nur eine kürzere Motorbootfahrt machen. Es ist so, dass die Schiffe nur unregelmäßig nach Tulcea zurückfahren. Ich müsste ein paar Tage warten,  und da besteht die Gefahr, den Rückflug von Bukarest zu versäumen.

Ich wandere den Weg zum Schwarzen Meer. An einer Militärstation vorbei. Wer auf die Landkarte blickt, entdeckt im Westen, weit weg von hier,   die Halbinsel Krim. Das schafft Angst  in Rumänien.

Es ist Ende Mai,  und ich bin ganz allein und schreite gemächlich in die  Landschaft hinein – am sandig, lehmigen Weg. Gräser, Tümpel. Ein leichter Wind streift durch das Rohr. Ich halte inne – eine tiefe Stille umfängt und ergreift  mich. Aber es ist mehr als das – irgendwie entsteht das Gefühl – am Ende der Welt zu sein. Ovid hat dies wohl vor 2.000 Jahren in Constanta, dem römischen Tomis erlebt.  In mir regt sich die Idee: anstelle des Jakobsweges hier  zu wandern und in die Weite des Sandstrandes zu schreiten – Richtung Sulina – vierzig Kilometer mit Blick auf das Schwarze Meer.

Nur ein einziges Schiff fährt um 7 Uhr früh von Sfantu Gheorghe  donauaufwärts. Neben mir sitzt eine Frau Ende dreißig mit einer Kappe. Wir kommen ins Gespräch. Doina, ist Rumänin und liebt ihr Land und bleibt hier. Im  Unterschied zu ihren Bruder, er ist  Arzt auf Martinique.  Sie weiss sich nur hier mitmenschlich geschätzt und will einen lieben,  sicheren Freundeskreis.   Doina lehrt an der Universität.  Ihre Freunde laden mich ein, mit ihnen im Auto zur großen Hafenstadt Constanta zu fahren.  Ich sage zu.
Unser Schiff legt in Mahmudia an. Mahmudia verweist auf den türkischen Eroberer  Mahoment. Das Dorf hat heute noch türkische Bewohner und eine Moschee. Auch  fünf Hügel tragen türkische Namen. Meine freundlichen Rumänen hoffen eine Schwarzmeer-Regatta in Constanta zu erleben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.