Manipulierender Journalismus

Wer lernen will, wie man unangenehme Nachrichten bekömmlich serviert oder auch einfach die Kunst, nicht anzuecken, beherrschen will, der sehe sich die Berichterstattung zum seit nunmehr 18 Monaten ausstehenden NATO-Beitritt Schwedens an.

Wolfgang Koppler *

Der Antrag auf einen Beitritt Schwedens zur NATO wurde bekanntlich im Mai 2022 gestellt. Damals erklärte man uns, der Beitritt sei eine Sache von wenigen Monaten und die Zustimmung sämtlicher NATO-Mitglieder reine Formsache. Obwohl die Türkei ihren Unmut schon zu erkennen gegeben hatte, da Erdogan Schwedens und Finnlands liberaler Umgang mit PKK-Sympathisanten und Erdogan-Gegnern ein Dorn im Auge war und ist.

Wie erklärt man nun den Medienkonsumenten die Bettelbesuche Stoltenbergs in Ankara und die Tatsache, dass nicht alles so läuft, wie es sich der Westen vorgestellt und man es dem einfachen Volk geschildert hat? Da gibt es – wie immer – mehrere Möglichkeiten: Verschweigen unliebsamer Tatsachen. Hat man etwa in der ZiB2 in den letzten Monaten etwas von den Schwierigkeiten Schwedens im Zusammenhang mit dem NATO-Beitritt gehört? Soweit ich mich erinnern kann, wurde im letzten Juli von der Zustimmung Erdogans berichtet und dass er die Sache nun dem türkischen Parlament vorlegen wolle. Das sei nur noch Formsache. Die Medien jubelten. Seither: Größtenteils Schweigen.

Um zu sehen, wie die Sache derzeit steht, muss man schon im Internet und in den Printmedien nachsehen. Und da zeigt sich, wie man Fakten ehrlich und wie man sie verdreht darstellt. Während die Tagesschau und der Spiegel letzte Woche korrekt berichten, dass der außenpolitische Ausschuss des türkischen Parlaments die Sache ohne konkreten Termin vertagt hätte, weil es Zweifel an der Umsetzung von Zusagen aus Stockholm gebe, zeichnet T-Online ein sehr optimistisches Bild: Unter dem Titel: „NATO-Beitritt von Schweden rückt näher“ und einem Videobild von Erdogan und Kristersson, welche sich die Hände schütteln, heißt es, dass eine „weitere Hürde genommen“ und die Sache in der Kommission für Außenbeziehungen beraten werde. Danach könne sie dem Parlament in Ankara zur Abstimmung vorgelegt werden. Ein Termin dafür stehe noch nicht fest…Von den Bedenken des außenpolitischen Ausschusses im Hinblick auf die Zuverlässigkeit der Schweden natürlich keine Rede.

Das Beste kommt dann noch zum Schluss: Der letzte Absatz des Berichts ist übertitelt mit „Mitgliedschaft im Mai beantragt“. Im Kleingedruckten erfährt man dann, dass es sich um den Mai 2022 handelt. Und weiters ist dann die Rede von einem monatelangen Tauziehen im Zusammenhang mit Schwedens Umgang mit der PKK. Was sich derzeit in der außenpolitischen Kommission tut und warum das Ganze noch nicht im Plenum des türkischen Parlaments liegt, bleibt im Dunkeln. Statt dessen der Hinweis, dass Finnland Anfang April als 31.Mitglied in der NATO willkommen geheißen wurde, Man muss ja schließlich die Hurrastimmung in Brüssel befeuern.

Eine gute Schule für Jungjournalisten. Früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will…

*Gastautor Wolfgang Koppler hat dazu folgende Links übermittelt:

https://www.tagesschau.de/ausland/europa/schweden-nato-beitritt-tuerkei-100.html

https://www.spiegel.de/ausland/tuerkei-verzoegert-abstimmung-zu-schwedens-nato-beitritt-a-e1ca99d0-72c7-44dc-a516-8b20008cf41c

https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/internationale-politik/id_100283130/nato-beitritt-von-schweden-weitere-huerde-in-der-tuerkei-genommen-.html

https://www.fr.de/politik/erdogan-stellt-klar-tuerkei-bleibt-beim-veto-gegen-schwedens-nato-beitritt-zr-92693135.html

https://www.rnd.de/politik/nato-beitritt-schweden-erdogan-laesst-die-nato-zappeln-tuerkei-verzoegert-zustimmung-FYZLBFROIBEZPKHUVBGW4JOGJY.html

2 Gedanken zu „Manipulierender Journalismus

  1. Wie manipulativ auch die ARD berichtet, sei an zwei Beispielen dargestellt:
    1. https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-israel-freitag-116.html#Hilfen
    Da wird reisserisch getitelt
    „liveblog
    Krieg in Nahost ++ Hilfsgüter für Hunderttausende in Gaza angekommen ++“
    Aus dem Text wird man dann, ernüchtert, gescheiter:
    „19:27 Uhr
    UN: Hilfsgüter für Hunderttausende im Gazastreifen angekommen
    Seit Beginn der Waffenruhe konnten nach UN-Angaben bereits Hilfsgüter für Hunderttausende Menschen in den Gazastreifen gebracht werden. Seit dem frühen Morgen seien 137 Lastwagen entladen worden, berichtete das UN-Nothilfebüro OCHA. Die Bevölkerung sei mit Lebensmitteln, Wasser und medizinische Gütern versorgt worden. Außerdem seien 129.000 Liter Treibstoff und vier LKW-Ladungen mit Gas angekommen.
    Laut OCHA handelte es sich um den größten Hilfskonvoi seit dem 7. Oktober, als der Terrorangriff der militant-islamistischen Hamas auf Israel den Konflikt auslöste. Das UN-Büro berichtete auch, dass 21 Patienten in kritischem Zustand aus dem nördlichen Gazastreifen abtransportiert worden seien.“
    Die Hilfsgüter „für Hunderttausende“ ist also bei genauerem Hinsehen deren Summe seit dem 7.10. Ein Hundsfott, der die Überschrift gegen den Willen des Autors interpretiert…

    2. https://www.tagesschau.de/ausland/asien/zwei-staaten-loesung-biden-100.html
    Der Artikel fängt augenzwinkernd mit dem Terror der Hamas an, ohne Aufbereitung der Tatsache, die Guterres konstatiert hat. Daß die aktuelle Situation „nicht im luftleeren Raum entstanden ist“.

    Verschwiegen die Balfour-Deklaration, die den arabisch-stämmigen Bewohnern Nachteile verhindern wollte.

    Verschwiegen die unzähligen Vergeltungsschläge der Israelis, wenn mal wieder ein Ofenrohr mit Treibstoff und einem Sprengsatz, entsprechend einem Silvesterknaller, in einem Garten jüdischer Siedler gelandet ist.

    Verschwiegen die Siedlungspolitik, Tausende von Nadelstichen im Luftballon der Zwei-Staaten-Lösung. Verschwiegen die Urteile der Siegerjustiz, die palästinensische Rechte ins Nirwana umsiedelten.

    Mit dieser Art von Journalismus wird der Holocaust zur Rechtfertigung der Kriegsverbrechen an den Palästinensern, allem humanitärem Aufmascherln zum Trotz.

    Man sehe mir die emotionale Einseitigkeit meines Kommentars nach. Die hat sich entzündet am Fehlen der Benennung solcher „Berichte“. Die nämlich nichts weiter sind als Kommentare aus einer gewaltigen Propagandamaschinerie.

  2. Nachtrag:
    https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/wagenknecht-linke-ukraine-demo-100.html
    Unter dem Kolumnentitel „Reportage“ vergällt einem ein selbsternannter Journalist die Bereitschaft zum Weiterlesen gleich mit dem ersten Satz:
    „Die selbsternannte Friedensbewegung tritt auf der Stelle.“

    „Dem Reporter ist es – im Gegensatz zum Verfasser von Nachrichten oder Berichten – erlaubt, Fakten durch eigene Eindrücke zu ergänzen, die er – oft bei Anwesenheit am Ort des Geschehens – gesammelt hat. Idealerweise erzählt er, ohne dabei zu werten oder zu kommentieren, auch nicht durch Weglassen.“

    Die Wertung ist hier überaus gelungen. Man ist geneigt, von einer Vorstufe der Aufnahmeprüfung zur Relotius-Vereinigung zu sprechen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.