Fahrt ins Hinterland von Burgund

Reiseführer sind kulturbeflissen, kehren Schönes hervor, Wirtschaftliches schon seltener und noch weniger Soziales. Und Dörfer schon gar nicht. Doch die interessieren mich, den Dorf- und Gemeindeforscher, Autor eines Buches mit dem Untertitel: Dörfer im Stress („Hinter den Fassaden des Tourismus“). Schon 1995 und 2002 wies ich kaum beachtet auf die Sozialfolgen und Überbelastung durch Tourismus hin. Das war Grund, auf Nebenstraßen in Burgund, Land und Leute zu beobachten.

Hans Högl- eine Reportage

Ich wähle eine Straße landeinwärts von Beaune, einem Städtchen südlich von der Haupt- und Herzogs- und Großstadt Dijon. Aber wieviele von uns kennen denn sie mit weit über 300.000 Einwohnern. Mein Richtung: Norden zum berühmten Ort Vézelay über Avallon.

Um Dijon ist eine vielgepriesene Weingegend, so berühmt, dass sogar das für den Weinbau hier so förderliche burgundische K l i m a zum Welterbe der Unesco zählt. Ich suche die Stadt Beaune auf – mit dem erstaunlichen Krankenhaus, das Nicolas Rolin, der Kanzler eines burgundischen Herzogs, 1443 gegründet hat und zwar für kranke, a r m e Menschen. Beaune ist eine einladend wirkende, gepflegte Kleinstadt mit vielen kleinen Geschäften und rund 23.000 Einwohnern.

Zu Mittag fuhr ich mit dem Auto bewusst von Beaune auf der Landstraße los, in Richtung Norden, Ziel war Vézelay, ins Regionale.Bald nach der Stadt und dem Umfeld vom nahen Dijon sehe ich Weingärten und dann erlebe ich etwas, das die Franzosen La France profonde nennen. Die Straßen sind durchwegs gut asphaltiert, korrekt ausgeschildert. Wer hier lebt, hat weit zur Arbeit zu fahren. Ich denke an die Benzin- und Dieselpreise, die kürzlich die Bevölkerung in Zorn versetzt haben. Ökologie ist eines, hohe Preise etwas anderes. Das Land hier ist sehr dünn besiedelt, das ist offensichtlich und dazu braucht es keine Statistik zur Bestätigung. Weit und breit sind keine Häuser.

Mir fällt auf, dass immer wieder Häuser zum Verkauf angeboten werden – bald sind es kleine Bauernhöfe, dann wieder andere meist sehr bescheidene Häuser, nicht selten halb verfallen oder verwahrlost. Ich durchquere verlassene Gegenden. Da ist kein Bistro zu finden, um einmal einen Café zu sich zu nehmen. Zum Glück finde ich eines und bin neben einem anderen Besucher der einzige Gast und sehe dann vor dem Gebäude ein Schild mit dem Hinweis, dass die Gastwirtschaft und das Gebäude zum Verkauf angeboten werden. Gut – ich erlebe einen Sonntag nachmittag, aber das alleine erklärte nicht alles.

Immer wieder nur vereinzelte Häuser, abgeerntete Felder, Laubwälder, hie und da
einige wenige Kühe im Freien, aber mit Normaleuter, nicht überzüchtet zur Superproduktion. Vorbei an baulich vernachlässigten Dorfkirchen, an kleinen Häusern vielleicht mit einem Kleinwagen davor, irgendwie eine trostlose Gegend im Gegensatz zu Städten voller Lebendigkeit.

Es ist ein befreiendes Gefühl, in die Kleinstadt Avallon einzufahren, ein einladend gefälliger Ort mit geöffneten Geschäften und einer bemerkenswert großen Kirche. Vom Zauber des Hügels mit der romanischen Basilika in Vézelay mit Reliquien der hl. Magdalena (!) möchte ich nicht reden. Das tun schon Reiseführer. Mir war wichtig, das Haus des Literatur-Nobelpreisträgers und Friedens-Aktivisten Romain Rolland zu besuchen. Viel mehr als Bücher, ein Klavier und sein Schreibtisch und Bilder in seinem Haus sehe ich nicht. Er verbrachte hier seine letzten Lebensjahre, starb 1944 mitten im Krieg, verleumdet als Friedensaktivist. Zeitlebens betont Rolland, ein Dorfkind, die Wichtigkeit der deutsch-französischen Beziehungen: „Wir sind die beiden Flügel des Abendlandes, zerbricht der eine, so ist auch der Flug des anderen gebrochen“- ein Satz, damals so aktuell wie heute.

Ja, das Dorf Vézelay am Hügel gelegen ist ein wunderschöner Flecken, die Frontseite der uralten romanischen Kirche wir renoviert, gar nicht so selbstverständlich im laizistischen Frankreich. Und von der Terrasse aus sieht das umliegende Land recht lieblich aus. Vielleicht konnte ich ein wenig erahnen, was französische Provinz ist, Frankreich ist ein großes Land mit unzähligen kleinen Orten, von denen niemand spricht, aber aus denen nicht wenige berühmte Menschen hervorgegangen sind- so auch der Erfinder der Fotografie Joseph N. Niépce, der jahrzehntelang im Burgund unweit von Chalon seine Versuche machte, um dann nach acht Stunden Belichtung das erste Landschaftsfoto der Welt zu „schießen“ und anfangs keine Beachtung fand. Ein Schicksal auf dem Land.

Ein Gegensatz zur Großstadt Dijon -mit vielen Bistros und einer gewissene Heiterkeit des Lebens und einem Plakat, das ich fand: mit dem Titel Salon Célibataire. Es lud ein zu einem „Speed Dating“ in einem Lokal, geöffnet ab 16 Uhr, mit kostenpflichtigen Diner ab 20 Uhr und Tanz.

Ein Gedanke zu „Fahrt ins Hinterland von Burgund

  1. Auszüge aus einem Gespräch mit einem deutschen Manager und einem Freund und Kenner Frankreichs: Frankreich ist zu 80 Prozent bestimmt von Paris, dann etwas von Lyon und Bordeaux. Im Übrigen ist die Provinz in Frankreich: „Tote Hose“. Die Präfekten werden vom Präsidenten bestimmt. Und es gibt nicht die vielen regionalen Zentren wie in Deutschland.

    Nachdenklich stimmt es auch, dass Gewerkschafter und Industrievertreter nicht miteinander reden. Man streikt sehr gern. Und es fehlt meist in Frankreich der Sinn und die Bereitschaft für Reformen. So spitzen sich die Verhältnisse radikal zu, bis nur ein radikaler Schnitt, eine Revolution, eine Wandel bewirkt. Frankreich ist wie England eine Klassengesellschaft im Vollsinn des Wortes. Selbstverständlich kennt auch der deutschsprachige Raum starke gesellschaftliche Unterschiede, aber sie sind werden nicht derart kontradiktorisch gelebt.

    Und Präsident Macron versucht- und dies gilt anzuerkennen, Vieles zu ändern, und stößt auf Widerstände von Berufsgruppen mit enormen Privilegien.
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