Schlagwort-Archive: Zeitenwende

Sichtbar und ansprechbar

Kürzlich fiel mir eine ein paar Wochen alte Ausgabe des „Spiegel“ in die Hand. Es war überraschend, wie einfühlsam und gleichzeitig zeitkritisch etliche der Artikel waren.

Wolfgang Koppler*

Einer der Artikel handelte von der Neuaufstellung des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ nach dessen knappem Scheitern bei der letzten Bundestagswahl. Die Partei hat ihre Büros in Berlin zwar geräumt, doch in Ostdeutschland ist sie nicht nur in einigen Landtagen vertreten, sondern versucht dort einen Neubeginn. In Form einer Politik zum Anfassen, wie sie auch die KPÖ durchaus erfolgreich in Salzburg und Graz betreibt. Politiker des BSW nehmen sich der Sorgen der Menschen an, veranstalten gutbesuchte Treffen in kleineren Lokalen, in denen sich „Basispolitiker“ ihrer Sorgen annehmen. Bei ein paar Bierflaschen geht es genauso etwa um einen kaputten Heizkessel wie auch um Wangenknechts Friedenskurs, der angesichts des allgemeinen Aufrüstungsgetöses bei den von Zukunftssorgen geplagten Menschen in Ostdeutschland gut ankommt. „Sichtbar und ansprechbar sein“, nennt das Landtagsabgeordneter Henschel-Thöricht, der selbst solche Runden veranstaltet.

Kein Wunder, dass ein ehemaliger SPD-ler, der an einer solchen Runde teilnahm, sich die Bemerkung nicht verkneifen konnte, dass es ein bisschen wie bei den alten Sozialdemokraten sei.
Und ebenfalls kein Wunder, dass das BSW in Sachsen seit Jahresbeginn seine Mitgliederzahl verdoppeln konnte. Und dass sich auch schon Menschen finden, die in Sahras Fußstapfen treten wollen, wie etwa eine 41-jährige Historikerin an der Universität Halle, die meint, die Idee BSW, hätte es verdient, „dass wir weitermachen“. Und es wäre die Aufgabe der Medien, ihr Gehör zu verschaffen. Die gegenwärtigen Krisen böten dazu eine gute Gelegenheit. Wo man doch angesichts vieler nicht gerade überzeugender Spitzenpolitiker und der angeblichen „Zeitenwende“ sowieso nicht weiß, wohin man sich wenden soll (um mit Herrn Karl zu sprechen). Da kann man sich doch ausnahmsweise einmal auf sein Rückgrat besinnen.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Zuversicht für die Zukunft?

„Haben Sie noch Zuversicht für die Zukunft?“ lautete kürzlich in der Zukunftsbeilage der Tageszeitung STANDARD eine der Fragen an die Transformationsforscherin Maja Göpel.*

Ilse Kleinschuster **

Maja Göpel antwortet auf die Frage nach der Zukunft mit einem Zitat von Hanna Arendt: „Das Gute hat nie komplett gewonnen – aber das Böse auch nicht. Das sollten wir uns immer wieder in Erinnerung rufen. Während es in der Natur echte Kipppunkte gibt, von denen es kein kurzfristiges Zurück mehr gibt, gilt das für gesellschaftliche Entwicklungen nicht. Der soziale Wandel ist viel schneller möglich – und damit bleibt die Zukunft immer offen für Veränderung“.

Hat es Kipppunkte im öffentlichen Diskurs immer schon gegeben und kann (soll) ich zuversichtlich bleiben, dass sich auch diese – meiner Meinung nach für kommende Generationen nichts Gutes versprechende – „Zeitenwende“ durch eine starke, öffentliche Debatte sich noch zum Guten wenden lässt?!?
.
Aktuell wird ja die politische Debatte primär in den USA von Menschen beherrscht, die aufgrund ihres Reichtums die Medien beherrschen. Es sind Menschen, die daran interessiert sind, dass Fake News, alternative Fakten und dreiste Lügen salonfähig werden und so zu Kipppunkten im öffentlichen Diskurs führen. In einer „Nachrichtenwüste“ wie den US-amerikanischen Staaten entwickeln sie sich schnell zu destruktiven Influencern in der Politik (z.B. Jeff Bezos, der vor vier Jahren Amazon gekauft hat, sich zunächst aus dem Redaktionellen herausgehalten hat, aber im Vorjahr dem Blatt eine Wahlempfehlung verboten hat). Diese Kipppunkte sind in den USA wohl annähernd erreicht. Europa sollte jetzt alles daransetzen, sich noch rechtzeitig dieser Gefährdung zu entziehen.

Es ist für viele Menschen schwer zu verstehen warum der Staat zum Feindbild der Populisten geworden ist. War es die zu starke Bevormundung „von oben“, vonseiten eines Beamtenapparats mit rechtsstaatlich organisierter Infrastruktur, die von der „ach so aufgeklärten Bürgerschaft“ als restriktiv empfunden worden ist? Da frage ich mich aber schon, beginnt Freiheit nicht mit der Anerkennung von Sein und Sollen? Fehlt es da nicht oft an Perspektivenwechsel, um einen Standpunkt zu finden, von dem aus wir die Erfüllung von zwei oder mehreren Werten erkennen können? Freiheit kann doch nicht nur bedeuten, dass die Regierung uns in Ruhe lässt, aber auch nicht, dass wir die Regierung einfach in Ruhe lassen. Tja, denn zumindest zu meiner Vorstellung von Freiheit gehört auch, für möglichst viele Menschen die Voraussetzung für Glück (wellbeing) zu schaffen.

Nun, der sogenannte Libertäre propagiert Rationalität. Wenn nun Libertäre und ihre Vasallen die wissenschaftliche Propaganda der Fossil-Oligarchen verbreiten, stellen sie sich damit nicht gegen jene Faktizität, wie sie bereits weltweit durch die durch den Klimawandel ausgelöste Katastrophen dokumentiert wird. Wenn nun Fakten (Tatsachen) nicht zählen, dann siegen „aufwieglerische Verbände“, was bedeutet, dass Tyrannen und Oligarchen immer gewinnen. Timothy Snyder sagt: „Um den wenigen Lügen etwas entgegenzusetzen, müssen wir letztlich Millionen kleiner Wahrheiten produzieren.“ (In: „Über Freiheit“, C.H.Beck)

Nun, ist es aber nicht so, dass Fakten sich von selbst dokumentieren, sondern dass Fakten uns brauchen, um von ihnen zu berichten. Mit uns meine ich Menschen, die genau wissen was Fakten bedeuten, nämlich dass diese Bedingungen für Freiheit sind. Wird mit dem Wort Faktizität (Wahrheitsfindung!) nicht ausgedrückt, dass es Arbeit gibt, die sozial sein muss, und zwar in dem Sinn, dass Gemeinschaften die Tatsachenermittlung für Einzelne möglich und attraktiv machen? Faktizität erfordert demnach Institutionen, allen voran für investigative Berichterstattung, konstruktiven Journalismus, kurz: Qualitätsmedien. Ich glaube, um den derzeitigen Veränderungsprozess infrage zu stellen und um der Krisensituation noch rechtzeitig Herr zu werden, braucht es vieler solcher Gemeinschaften.

Wir brauchen daher mehr unabhängige Gemeinschaften wie z.B. den Presseclub Concordia in Wien www.concordia.at, aber natürlich auch die Vereinigung für Medienkultur www.medienkultur.at.

Der Link zum Interview mit Maja Göpel :

https://www.derstandard.at/story/3000000255085/transformationsforscherin-goepel-populisten-haben-die-zukunft-fuer-sich-besetzt

** Gastautorin Ilse Kleinschuster ist Journalistin und engagiertes Mitglied der österreichischen Zivilgesellschaft