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Cancelkultur im Visier

Zum Bereich kritischer Medienkultur gehört zweifellos der Begriff „Cancelkultur“. In dem Buch „Denkanstöße 2025“ (Verlag Piper ) wird dies entsprechend formuliert (S. 135 ff).
Zitate ausgewählt von

Hans Högl

„Cancelkultur ist die kulturelle Praxis, andere, vor allem abweichende Meinungen – zum Schweigen zu bringen, deren Auffassungen von den eigenen abweichen, meist ohne dass den Betroffenen eine faire Chance eingeräumt wird, sich zu verteidigen oder sich zu rehabilitieren.
Cancelkultur ist darauf gerichtet, unliebsame Meinungen zum Verstummen zu bringen.

Dies beinhaltet im Einzelnen:

a) dass Äußerungen abweichender Meinungen unterbunden, behindert oder erschwert werden
b) dass es Personen, die diese Meinungen haben, zum Schweigen bringt, aus dem Diskurs ausgrenzt oder zumindest marginalisiert
c) Personen, die diese Meinungen haben, tötet, verfolgt oder ihnen Nachteile auferlegt, die die Freiheit ihrer persönlicher Lebensgestaltungen beeinträchtigen.“

Mit Kopf und Bauch

Eine Fülle an Krisen hält uns in Atem – von der Klimakrise bis zum Krieg in der Ukraine. Genug Stoff auch für Diskussionssendungen, wie jüngst auch wieder in der ORF-Talkshow „Im Zentrum“. Mit dabei u.a. der Philosoph Konrad Paul Liessmann, Ex-Bundespräsident Heinz Fischer und die Klimaaktivistin Lena Schilling.

Wolfgang Koppler *

Gestern Abend bei ORF-Im Zentrum einmal eine – bis auf einzelne Ausrutscher von Conrad Paul Liessmann – wohltuend sachliche Diskussion zu den aktuellen Krisen und deren Auswirkungen auf Demokratie und Gesellschaft. Dazu trugen vor allem Lena Schilling und Heinz Fischer bei, die durch ihre kluge Argumentation Liessmann in gemäßigte Bahnen lenkten. Dieser benutzte zu Beginn – wie man es schon von anderen Diskutanten gewohnt ist – wieder einmal Ukraine- und sogar Vietnamkrieg, um die aktuellen Feindbilder zu beschwören und andere Themen, wie die Klimakrise, klein zu reden. Im Verlauf der Diskussion sprach er sich dann aber zusammen mit den anderen – wenn auch eher allgemein – für Toleranz und Meinungsfreiheit aus.

Er meinte allerdings, Werturteile und Emotionen von Gedanken und Meinungen trennen zu können. Hier irrt er wohl: Wir bestehen alle aus Kopf und Bauch. Auch Intellektuelle haben Emotionen. Und sind von sozialem Umfeld, Werthaltungen und menschlichen Schwächen geprägt. Selbst wenn dies nicht immer so deutlich sichtbar wird wie im Ukrainekrieg und in anderen Krisen. Es wird Zeit, dass wir uns dessen bewusst werden. Dann würde es uns auch leichter fallen, unsere Fehlbarkeit einzugestehen.

Auch die größten Genies sind keine sprechenden Köpfe, keine Bio-Computer. Bildung, so sehr sie unseren Horizont erweitern kann, ersetzt keine Erfahrungen, nicht den Austausch mit anderen. Vor allem nicht die Konfrontation mit uns selbst. Sonst verführt sie allzu leicht zu Arroganz und unreifem Narzissmus. Paul Lendvai zitiert im Vorwort zu „Mein Österreich“ sehr treffend Goethe: „Aufrichtig zu sein kann ich versprechen – unparteiisch zu sein aber nicht.“ Allein dies ist schon ein hohes Ziel.

* Wolfgang Koppler ist Jurist und Autor und lebt in Wien