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Sächsische Dörfer an polnischer Grenze und AfD

Folgenden Text fand ich in der Neuen Zürcher online Freitag 4.Okt. 2019. Geschildert werden Dörfer an der polnischen Grenze in Ostdeutschland und situative Hintergründe für den Aufstieg der AfD (Hans Högl)

Hier sei mal eine Kneipe gewesen, und da habe es mal einen Laden gegeben. Herr Hoffmann, der Taxifahrer aus Görlitz, deutet immer wieder auf Punkte links und rechts an der Strasse. Er scheint ein sicheres Gespür für die Auflösungserscheinungen sächsischer Dörfer zu haben. Er weiss, welche Höfe leer stehen und welche Restaurantbesitzer die DDR-Toiletten bis heute nicht ausgewechselt haben. 

Wir sind auf dem Weg von Görlitz in die Gemeinde Neisseaue, eine Ansammlung versprengter Strassendörfer an der deutsch-polnischen Grenze. Der grösste Ort heisst Zodel und hat etwas mehr als 500 Einwohner, der kleinste ist Emmerichswalde mit 13. Das ganze Gebiet ist mehr Naturreservat als Zivilisation, auf einem Quadratkilometer leben 36 Menschen. Der Ort wirbt damit, die «östlichste Gemeinde Deutschlands» zu sein. Man ist also in einem Raum, der schon fast Polen, aber immer noch Deutschland ist. Bei der Europawahl wählten hier 46,4 Prozent der Menschen die Alternative für Deutschland. Es war ein Rekordwert selbst für Sachsen.
Seit der Wahl ist von einer Spaltung des Landes die Rede. Die Grünen nehmen die westdeutschen Städte ein, die AfD räumt in den ostdeutschen Dörfern ab. In Sachsen und in Brandenburg machte die AfD das beste Ergebnis aller Parteien, in Thüringen das zweitbeste. In allen drei Bundesländern finden im Herbst Wahlen statt, und in Görlitz könnte bereits im Juni der erste AfD-Politiker in Deutschland zum Oberbürgermeister gewählt werden. Der Polizeikommissar Sebastian Wippel liegt nach dem ersten Wahlgang an der Spitze. Seine Plakate hängen in der ganzen Gegend: «Ein Görlitzer. Mit Sicherheit!»

«Wir sind am Arsch der Welt»
Alleen säumen die Strassen, dahinter liegen weite Felder. Menschen ziehen weg, und die Natur arbeitet langsam, aber beharrlich daran, das Gelände zurückzuerobern. Dorfstrukturen wie in Bayern habe es hier nie gegeben, sagt der Taxifahrer Hoffmann. Die Leute hätten nicht auf dem Dorfplatz getratscht, sondern beim Bäcker und über die Zäune hinweg. Wir sind gerade auf der Suche nach dem östlichsten Punkt Deutschlands zwischen Deschka und Zentendorf, da soll eine Art Denkmal stehen. Aber der Taxifahrer Hoffmann verfährt sich schon zum wiederholten Mal. Er chauffiert hauptsächlich kranke Menschen in der Gegend herum, zu Denkmälern fährt er nur selten. Schliesslich hält er vor einem Haus und bittet einen alten Deschkaer einzusteigen, um den Weg zu zeigen.

«Kneipen gibt es keine mehr, Bus weiss ich nicht, wir sind am Arsch der Welt», so fasst der neue Passagier die allgemeine Lage zusammen. Auch einen Laden gebe es in Deschka schon lange nicht mehr, Anfang der neunziger Jahre habe der «Konsum» geschlossen. Einmal in der Woche kommen nun Verkaufswagen vorbei und bringen Brot, Fleisch und Gemüse. Ein Sparkassenbus versorgt die Leute mit Bargeld. Wie hält der Mann es mit der AfD? «Muss nicht sein.» Er sei aber ohnehin nicht zur Wahl gegangen, denn das Wahllokal sei in Zodel gewesen, drei Kilometer entfernt. Früher sei er manchmal zum östlichsten Punkt Deutschlands spaziert, aber seit der Hund gestorben sei, mache er das nicht mehr. Alles scheint bei dem Mann aufs Aufhören angelegt zu sein.

Nur ans Wegziehen denkt er offenbar nicht. Er sei hier aufgewachsen, habe ein Haus gebaut und 44 Jahre lang als Polizist gearbeitet. Jetzt versuche er, so lange es gehe, hierzubleiben. Auch wenn das nicht immer schön sei. Manchmal funktioniere nicht einmal das Festnetz, sagt der alte Polizist. Dieses Jahr hätten Kriminelle schon zweimal Telefonleitungen abgebaut, Hunderte von Metern, nur wegen des Kupfers. 
Viel scheint der Mann nicht mehr zu erwarten. Wenn aber jemand käme und ein paar Dinge in Ordnung brächte, hätte er wohl nichts dagegen. Den AfD-Polizisten, der in Görlitz Oberbürgermeister werden will, findet er zum Beispiel sympathisch. Das heisst, er sei zumindest «kein Hirnverbrannter».

Der östlichste Zipfel Deutschlands ist ein seltsames Arrangement. Dazu gehören ein grosser Stein, ein «Zipfel-Buch», in das sich die Gäste eintragen können, ein Häuschen, das wie der Einstieg zu einem Atombunker aussieht, und eine verblichene Deutschlandfahne. Es wäre eine Lüge, zu behaupten, dass die Reisegruppe an diesem Punkt besonders berührt sei. Der Taxifahrer Hoffmann nutzt den Halt für eine Rauchpause. Ein bisschen scheint er sich auch Sorgen zu machen um seinen Wagen, denn die Fahrt zum östlichsten Punkt Deutschlands gleicht einer Safari.

Am Ende der Reise stehen die AfD-Politiker Roberto Kuhnert und Heiko Titze an der Dorfstrasse in Zodel. Kuhnert ist selbständiger Baudienstleister und führt die AfD-Regionalgruppe Weisswasser, zu der auch Neisseaue gehört. Titze ist Polizeibeamter im Ruhestand und kommt aus Hähnichen, ein paar Kilometer weiter nördlich von hier. Männer wie Kuhnert und Titze ziehen nun für die AfD in die deutschen Parlamente ein, beide wurden vor einer Woche in den Görlitzer Kreistag gewählt. Das Gespräch findet in der Landbäckerei in Zodel statt, aber ganz wohl ist es den beiden Herren dabei nicht. Kuhnert redet betont leise, doch es nützt nichts. «Da wird es mir ganz übel, wenn ich das höre!», fährt ihn eine Kundin nach wenigen Minuten an. Kuhnert hat gerade berichtet, wie sehr die CDU in Sachsen versagt habe. Wenig später mischt sich eine weitere Frau ein: «Ministerpräsident Kretschmer hat viel bewirkt in der Region!»
54 Prozent wählen in Neisseaue nicht die AfD, daran haben die beiden Damen noch einmal erinnert. Kuhnert diskutiert mit ihnen, bis der Bäcker einschreitet: «Hier muss bedient werden!» Er hätte auch sagen können: «Hier darf nicht politisiert werden!» Der Bäcker fürchtet offenbar um sein Geschäft. In einem Dorf mit 500 Einwohnern kann er es sich nicht leisten, dass AfD-Politiker im Laden die CDU-Kundschaft vertreiben. Solche Szenen wie eben seien eine Ausnahme, sagt Kuhnert später. «Aber manche verteidigen die CDU heute so, wie früher Unverbesserliche die SED verteidigt haben, als es mit der DDR zu Ende ging.» Es sei Zeit für eine «neue Wende», sagt Kuhnert.

«Die Region fühlt sich abgehängt»
Titze ist ein schweigsamer Mann, meistens hat er die Arme verschränkt und die Mundecken leicht nach unten gezogen. Eigentlich wäre er noch immer gern Polizist, wie er sagt. Aber er habe einen Dienstunfall gehabt und danach sieben Operationen. Manchmal setzt er an und will etwas sagen, aber Kuhnert ist schneller. Der AfD-Mann aus Weisswasser gibt gern den Welterklärer. Vor allem aber ist er begeistert von den jüngsten Wahlerfolgen. «Uns wählt der komplette Querschnitt der Gesellschaft», sagt er. Wie zum Beweis fügt Titze hinzu, «mein Hausarzt hat mich auch gewählt». Kuhnert: «Es gibt keine Alternative zur Alternative!» Aber warum wählen gerade in Neisseaue so viele Leute die AfD? «Die Region fühlt sich abgehängt», sagt Kuhnert. «Das ist nicht nur ein Gefühl, es ist so. Die Industrie siedelt sich mittlerweile in Polen an.»
Das eigene Unglück scheint sich im Erfolg der Polen noch zu vergrössern. Titze sagt: «Die Wirtschaft fehlt, die Jugend zieht weg. Viele Handwerker wollen junge Leute gar nicht mehr ausbilden, weil diese ohnehin in den Westen auswandern.» Für Kuhnert ist das Konzentrat aller Probleme die geringe Kaufkraft. Titze kann das nur bestätigen: «Die Leute können sich ja ein Bier im Gasthaus kaum noch leisten.» Der pure Patriotismus ende beim Portemonnaie, erklärt Kuhnert. Für den Friseur, Zigaretten und zum Tanken fahren viele Deutsche, die im Grenzgebiet leben, nach Polen.

«Man will keine Zustände wie in Berlin»
Eine tragende Rolle für den Erfolg der AfD spiele auch die Flüchtlingskrise, sagt Kuhnert. «Man will hier keine Zustände wie in Berlin.» Aber eigentlich geht es nicht einmal um Berlin, es geht schon um Görlitz und Zwickau. So peripher die Menschen auch leben, viele haben Angst, dass sie ihre Heimat irgendwann nicht mehr erkennen könnten. Titze erzählt, wie er kürzlich durch die Stadt spaziert sei, in der er geboren wurde. In der Einkaufsstrasse von Zwickau sehe es heute aus wie auf einem türkischen Basar. Titze wirkt weniger empört als enttäuscht.
Der Bäcker hört den Neopolitikern mit grimmiger Miene zu. Aber nur wenn keine Kunden im Laden sind. Irgendwann fragt er die AfD-Männer: «Denken Sie tatsächlich, dass die Presse Ihnen hilft?» Er rät ihnen, besser zu schweigen, denn Journalisten würden nur Unsinn verbreiten. «Jetzt haben wir dieselbe Situation wie am 17. Juni 1953», sagt er. «Journalisten kommen zu uns, um Sensationsberichte zu schreiben. Vorher hat sich für den Osten niemand interessiert!» Kuhnert beschwichtigt den Bäcker und macht seine heiser-feine Stimme noch etwas feiner. Der Vergleich der jetzigen politischen Situation mit dem Volksaufstand von 1953 in Berlin scheint niemanden zu wundern. Es sind die Relationen, in denen man hier denkt. Der Kampf gegen die SED wird bald mit dem Kampf gegen die CDU verglichen, der Volksaufstand von 1953 mit der Europawahl von 2019, die politischen Umbrüche der heutigen Zeit mit der Wende von 1989.

ARTE -Medientipps

Hans Högl

MEDIENTIPPS AUS ARTE-Programm

Yangtse-Unterwegs in China. Reise entlang des Flusses.Mit Shanghai.Je: 17.10 Uhr Mo 7.Okt.,Die 8.Okt.,Mittw. 9.Okt./Do u. Fr.

André Malraux. Schriftsteller,Kulturminister. MI 9.Okt. 22:05 Uhr.

Borgen-Gefährliche Seilschaften. Dänischer Politikfilm (preisgekrönt!) Do 10.Okt. 23.15 Uhr

Winter des Schreckens. Die ersten Siedler in den USA. Jamestown im Jahr 1607. So 13.Okt. 20:15 Uhr Geschichtsdoku

Erich Mielke-Meister der Angst. Minister der Staatssicherheit in der DDR
Die 15.Okt. 20.15 Uhr. In der Mediathek bis 21.10

Das Salz der Erde.Zu Ehren des großen brasilianischen Fotografen Sebastiao Delgado
Mittw. 16.Okt. 00:00. in Mediathek bis 22.10.

Kuba- Flüchten oder Standhalten? Gesellschaftsdoku. Do 17.Okt 17: 40 – 18:35

Tricks von Hochstaplern und Inszenierungen

In unserer Lebenswelt ist viel Inszenierung und Hochstapelei. Davon handelt ein solid recherchiertes Buch. Manches erinnert an die Medienwelt und an deren Inszenierung.

Hans Högl. Buchrezension

Ist Hochstapelei eine Anforderung an den modernen Menschen, um vorwärts zu kommen? Sind wir alle Felix Krull? Was vormals nur für Schauspieler und Künstler galt, sei heute als Standard in die Lebenswelt breiter Kreise eingeflossen. Es gilt, sich selbst zu erfinden, verschiedene Identitäten und Lebensentwürfe zu erproben und mit der richtigen Selbstinszenierung zu Markte zu tragen. Werden wir zu Hochstaplern, ohne es zu wollen? Der kanadische Soziologe Erving Goffman behauptet: Wir spielen alle Theater.

Der Blick des Buches „Mit fremden Federn“ schweift über die herkömmliche Auffassung von Hochstaplern hinaus. Es betrachtet die betrügerische Rafinesse von Investoren, falsche Prinzen,Liebesschwindler, Exotikfälscher, Lieblingskonkubinen, Männer-Imitatorinnen, KGB-Gigolos. Alle vereint das Mindestkriterium, dass sie mit Absicht nicht sind, wofür sie sich ausgeben, und dass ihnen die Verstellung Gewinn bringt (S. 204).

Nennen wir konkrete Personen: Geheimdienst war von Beginn an Frauensache. Die verführerische Belgierin Margaretha Geertruida Zelle, die sich als Mata Hari einen Namen machte und als Agentin eine Geheimdienstkarriere begann. Ihre mysteriöse Herkunft als indonesische Königstochter und Tempeldienerin verlieh ihren Auftritten eine transzendente Aura des Göttlichen, die sich von billigen Nackttänzerinnen unterschied. Dann sank ihr Stern, war irgendwann pleite und gewohnt, von Männern Geld zu nehmen -wenn nicht für Liebe, dann eben für Spionage (p. 78 f.).

Irritierend-köstlich ist, wie „Der kleine Nicolas“ die spanische Regierung und das Königshaus narrte (p. 28). Ein anderer präsentierte sich als wieder erschienener Kaiser Friedrich II. der Staufer. Faszinierend sind die „Spielchen“, die Karl May bis zu seiner Gefängnisstrafe trieb, bevor er als Schriftsteller phantasierte. Die „Leipziger Zeitung“ suchte nach einem verdächtigen Herren: Er trägt Brille, einen Ring an der rechten Hand, gibt sich aus als Dr.med. Heilig aus Rochlitz, Augenarzt und früherer Militär. Er trägt einen schwarzen Tuchrock mit wollener Borte besetzt….In seiner sprudelnden Phantasie schrieb er in Sachsen die berühmten Karl-May-Bände, später präsentierte sich „Dr.“ Karl May als weitgereister Mann, der zunächst aus dem Orient berichtete und dann im Wilden Westen Amerikas zum Blutsbruder des Indianerhäuptling Winnetou wurde. Auf Vorträgen gab er an, 1.200 (!) Sprachen zu sprechen (S. 81).

Ein Kapitel des Buches lautet „Auf der Couch. Das Innenleben der Hochstapler“: Irrtümlich hält sich das Profil des Hochstaplers als des intelligenten Betrügers, doch Studien der Kriminologie verorten seine kognitiven Fähigkeiten als durchschnittlich.

Der sogenannte „Salonblödsinn“ tarnt sich hinter sprachlichen Arabesken und Wortkaskaden, die den Zuhörer (oder das Lesepublikum) mit unklaren Begriffen berauschen. Diese Vorspiegelung von Tiefsinn und Intelligenz ist für intellektuelle Hochstapler symptomatisch (p. 112). Aber kollegiale Geschlossenheit und Standesdünkel schont zuweilen die schwarzen Schafe der eigenen Zunft (p. 119). Ich denke hier an einen österreichischen Spitzenmanager der Medienbranche, der zu 9 Monaten unbedingt in der zweiten Instanz verurteilt wurde, aber kein einziges Medium nannte seinen Namen….

Die Wahrheit gilt als Maß und höchste Kategorie der Wissenschaft. „Doch Erfolgsdruck, Renommierstück, interne Fehden und Rivalität um Forschungsgelder haben aller wissenschaftlichen Ethik zum Trotz einen festen Platz unter Gelehrten und treiben Experten dazu, falsche Ergebnisse wider besseren Wissens oder im Vertrauen auf späteren Beweis zu verbreiten. Es gibt keine Fachrichtung, die davon frei ist“ (p.172).

Buch von Anett Kollmann: Mit fremden Federn. Eine kleine Geschichte der Hochstapelei, Hamburg 2018. Mit Register u. genauen Literaturangaben.

„Eines Tages wird sich die Natur rächen!“

Papst Franziskus – Zitat zum Tage

„Die ökologische Krise, vor allem der Klimawandel , ist keine Übertreibung oder Fantasie von jemandem, der sich den Spaß macht, die Stabilität zu schwächen. Die wissenschaftlichen Analysen sind zu lange ignoriert oder abfällig ironisch kommentiert worden. Wir haben eine große Verantwortung, und Gott wird uns in dieser Hinsicht eines Tages zur Rechenschaft ziehen.“

Der unbekannte, längst verstorbene Landpfarrer Michael Koller aus der Region Neulengbach (NÖ), sagte bereits in den 50-iger Jahren: „Eines Tages wird sich die Natur rächen“ .

Offizieller klingt dies in der päpstlichen Enzyklika „Centesimus annus 1991 so: „Statt seine Aufgabe als Mitarbeiter Gottes am Schöpfungswerk zu verwirklichen, setzt sich der Mensch an die Stelle Gottes und ruft schließlich dadurch die A u f l e h n u n g der N a t u r, die vom ihm mehr tyrannisiert als verwaltet wird, hervor.“ (Wiedergabe: Hans Högl)

Eine „alte Frau“ eines Dorfes an Greta Thunberg

Wie sich die Dorfbewohnerin Daniela Pichler (50) verteidigt

Greta Thunberg, Deine Wutrede in New York hat mir imponiert. Aber auch ich bin wütend. Wütend, weil es immer „die Alten“ sind, die an der Zerstörung unserer Erde schuld sein sollen. Das stimmt nicht ganz.

Ich gehöre zu einer Generation, die jeden Tag zu Fuß zur Schule ging, wir hatten bis zum Arbeitseintritt weder einen Fernseher geschweige ein Telefon. Wir standen nicht jeden Tag unter der Dusche. Nach Wachstumsschüben gab es neue Kleidung, der Rest war von Verwandten geschenkt. Mit 14 Jahren sah ich das erste Mal ein Kino von innen. An eine Flugreise war nicht zu denken. Dennoch hatte ich eine schöne Kindheit, bescheiden ja, aber mir fehlte es an nichts. Demnächst werde ich 50 und sehe mich bis heute keineswegs als Klimasünderin.

Wenn ich mein Leben mit eurem vergleiche, könnte es unterschiedlicher nicht sein. Bei all euren guten Taten, die ich zweifelsohne schätze: Habt ihr jemals nachgedacht, woher euer Smartphone, euer Laptop oder euer Tablet kommt? Wisst ihr, wie groß der ökologische Fußabdruck eines Handys ist? Habt ihr eine Ahnung, wie viel Energie, wie viel Ressourcen bei der Anwendung von Streaming-Diensten verschleudert werden? Wohin ging die Maturareise? Wie viele Fotos wurden im Netz versandt? Wisst ihr, wie viele Bäume beim Ausbau von 5G ihr Leben lassen müssen?
Es ist nicht genug, weniger zu fliegen, auf Plastik zu verzichten, Wasser zu sparen, Second-Hand zu tragen und Bio-Äpfel zu kaufen. Es braucht viel mehr, um einen lebenswerten Planeten zu retten. Es liegt auch in eurer Hand.

Daniela Pichler,
5324 Hintersee. Leserbrief in Wiener Zeitung am 26.9.2019

Total-Kritik aus dem Hinterhalt

Hans Högl

Jeden Sonntag in der „Krone“, der meist gelesenen Zeitung Österreichs“ und der westlichen Welt,erscheint der Kommentar „Offen gesagt“ von Dr. Tassilo Wallentin. Er kritisiert darin Alles und Jedes, und die Fangemeinde folgt ihm. Mit Wucht schleudert er uns seinen Kommentar „um die Ohren!“ Nichts „passt“ ihm: Seine Hauptfeinde sind die EU, die Europäische Zentralbank, die Bargeld-Abschaffer, der internationale Handel. Wer wird nicht disqualifiziert, in Grund und Boden verdammt? Doch da und dort hat er recht, das ist verführerisch: Handelt nicht die EZB bedenklich, macht nicht die EU Fehler?

Er will nichts bessern, reformieren. Dann müsste er das Pro und Kontra abwägen. Nein – er will Anderes, nur was denn wirklich? Oder ist ist dies nur hohles Krawall-Schlagen, um die Menge Benachteiligter zu befriedigen? Also Bestätigung von Ressentiments? Als ich berichte, mich mit Dr. Wallentin zu befassen, sagt mir ein Politologe: „Das lohnt sich nicht. Er will das bestehende System destabilisieren„. Was heißt: Indem er es gnadenlos kritisiert, unterminiert er eine tragende Säule nach der anderen in unserem Demokratie-Gebäude – bis es vielleicht einstürzt. Es kann sein, dass er sich dessen gar nicht bewusst ist, aber seine Kommentare sind „Wirkungsformen“!

Die Sonntagsbeilage der „Krone“ ist bunt, mit schönen Landschaften, volkstümlichen Trachten, mit Worten zum Sonntag vom Herrn Kardinal, mit Erotiktipps und Reisebildern. Die Leserinnen und Leser genießen es entspannt, und da schleicht sich das verborgene Gift der Worte von Tassilo ein und schlägt messerscharf in die sanft gestimmte Sonntagsherzen.

Die Kritik am „System“ war ein Kampfbegriff in den 30-iger Jahren: Und da sich damals die Demokratien durch den Streit allzu kleiner Parteien lähmten, schlug die Stunde und tödliche Chance einer einzigen Partei. Wollen wir das? Will es die „Krone“? Die Ibiza-Affäre hat deren Chefredakteur nachdenklich gemacht. Was ist Absicht, was kommerzielle Berechnung? Es ist schwer, dies auseinander zu dividieren.

Dr. Tassilo Wallentin macht die Leute (noch) unzufriedener, redet eine Katastrophe herbei. Lohnt es sich darum, wie in meinem vorigen Beitrag, sich mit seinen Dogmen zu befassen? Er will bei uns nicht die Schweizer Demokratie einführen, sondern beweisen: Wir haben keine Demokratie! Sein Echo findet sich in „Krone“-Leserbriefen.

Verdacht schöpfte ich, als Tassilo W. forderte, die UNO abzuschaffen. Ich schrieb ihm, dass Hitler gleich nach Ergreifen der Macht sich von internationalen Bindungen und Organisationen löste, um freie Hand zu haben. Darauf bekam ich von Dr. Wallentin keine Antwort. Die Kommentare von ihm in „offen gesagt“ sind eben nicht offen. Er hat eine andere Agenda: Er will unser politisches System kippen und aushebeln, er übt Totalkritik aus dem Hinterhalt. Was wird dann besser?

Nichtssagende Wahlkonfrontation in Oe24-TV

Hans Högl

Ich habe mich kürzlich verleiten lassen – angesichts des vorangegangenen Riesen-Traras von ö24, also des Fellner-Fernsehens, die Konfrontation von Pamela Rendi-Wagner und Sebastian Kurz über die Nationalratswahl anzusehen.

Im Nachhinein wird mir bewusst, dass kein wichtiges Thema zur Sprache kam und es sich um absolut beiläufige Nichtigkeiten handelte, worauf sich die beiden Kandidaten eingelassen haben, und da der Herausgeber Wolfgang Fellner diese beiläufigen Fragen vorgab, konnte ja nur eine inhaltsleere Diskussion entstehen.

Zum Beispiel: Dass Sebastian Kurz einmal sagte, dass er im Wiener Stadtteil Meidling aufgewachsen ist, ein andermal betonte, auch familiäre Wurzeln im niederösterreichischen Waldviertel zu haben. Und das stellte die Gegenkandidatin als Widerspruch und als nicht vertrauenswürdig und als Doppelgesichtigkeit dar. Lassen wir dieses Argument, es wurde zurecht in der nachfolgenden Analyse als nicht begründet gesehen.

Viel wichtiger ist es aber, dass Herr Fellner keine wichtigen Fragen gestellt hat, nämlich nach solchen Themen, die Pamela Rendi-Wagner durchaus konkret formuliert und auf Plakaten darstellt. So die Frage der Erbschaftssteuer und vor einiger Zeit war die Rede von einem österreich-weiten Ticket auf öffentlichen Verkehrsmittel. Nichts dergleichen wurde angesprochen. Die Diskussionen bewegte sich auf einem erschreckenden Niveau.

Fellner will Geschäft machen, zieht alles protzig und großspurig auf, dann wird ein Nichts geboten.

Es ist schon absurd, dass bereits anderweitig über Friseurkosten eines Kandidaten gesprochen wird oder dass in einem anderen Fall von der jetzigen Bundeskanzlerin hervorgehoben wird, dass sie bei einem öffentlichen Auftritt Stöckelschuhe trug….

Das politische Geschäft verstehen. Preisgekrönter Film „Borgen“ –

Medientipp: Hans Högl

Kein geringer als der österreichische Bundespräsident Van der Bellen bezeichnete die dänische Filme BORGEN als exzellente Einführung ins politische Geschäft, wie eben große Politik wirklich gemacht wird. Es handelt sich um die vielfach preisgekrönte Serie Borgen um Macht, Intrigen, die Rolle der Medien.

In diesem Sinne verweise ich auf

BORGEN- Gefährliche Seilschaften. Auf die charismatische dänische Ministerpräsidentin warten neue Herausforderungen. Ein schwerer Angriff der Taliban stellt die Afghanistanpolitik in Frage. Am Hindukusch sterben dänische Soldaten. Wie reagiert die Ministerpräsidentin.- Im 2. Teil geht es ferner darum, wer EU-Kommissar(in) wird. Und schließlich um gefährliche Seilschaften.

in: ARTE Do 26.9. ab 22.50

Alle Staffeln sind bis 15.12 in der Arte-Mediathek.

NB, Am Freitag, den 27.9 sendet ARTE um 9.50 die Doku Propaganda. Wie man Lügen verkauft (NB. Als derjenige, der diese Tipps gibt, möchte ich mitteilen, dass ich selbst oft Filme programmiere und erst zu einem späteren Zeitpunkt ansehe. Das erlaubt mit das Kabelfernsehen.

Klimawandel: „Es ist noch nicht zu spät“!

Hans Högl

Das sagte Österreichs Bundespräsident Van der Bellen. „Wir wissen, was zu tun ist und wie wir es tun können“. „Wir müssen klimaneutral werden, also aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas aussteigen.“

Die Bewältigung der Klimakrise ist eine „Jahrhundertaufgabe“. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird aus der Klimakrise eine Klimakatastrophe“, sagte der Bundespräsident. (Wiener Zeitung, 29.9.2019). Diese Aussage ist sehr ernst, sie korrigiert aber auch jene, die nur Horrormeldungen verbreiten und die Menschen in Fatalismus stürzen. Ebenso warnte Van der Bellen kürzlich vor der Forderung, dass ab nun kein Fleisch mehr gegessen werden solle. Da würde die Bevölkerung überfordert. Aber wir können und sollen den Fleischkonsum reduzieren, und es sind die Zusammenhänge zu erklären. Abgesehen davon, es kann ja auch nicht die Rinderzucht einfach abgeschafft werden. Wer übernimmt die Folgen für die arbeitslosen Bauern?

In einer fachgerechten Umfrage im Zentrum des Arbeiterquartiers von Hernals in Wien wurde bei den Antworten auf offenen Fragen – abgesehen vom Verkehr- kein Umweltanliegen ausgedrückt. Aufgrund meiner Überraschung bestätigt dies d i e Expertin eines Meinungsforschungsinstitutes.- Mit anderen Worten- obwohl soviel über Umwelt geschrieben wird, greift es nicht -zumindest drang es bis vor kurzem nicht durch.

Es gilt legitime große Sorgen, präzise und sachgerecht zu formulieren. Von einem Ökologie-Aktivisten erfuhr ich, dass ein junger Freund seinerseits aus Verzweiflung über die Klimasituation Selbstmord begangen hat. Eine Verwandte meinerseits gestand mir, Ihr Vater, ein Lehrer, habe „ihre ganze Kindheit und Jugendjahre versaut“, indem er sie ständig mit Katastrophenszenarios überschüttete,die nicht eingetreten sind . Zwar hatten manche lange zurückliegende übertriebene Spiegel-Medienanalysen „Wie der deutsche Wald stirbt“, Ihr Positiva, indem Sachverhalte überhaupt ernst genommen und Korrekturen getroffen wurden.

Nur ein paar Positiva: Wer hätte es vor ein paar Jahren für möglich gehalten und wäre nicht Idiot geheißen worden, dass den Dieselautos im Autoland Deutschland so zugesetzt wird? Auch die Eindämmung des Ozons ist gelungen, schreibt der Ökologe Werner Rauch. Gegen Plastik wird nun doch vorgegangen. Der Rhein bei Basel, wo es riesige Chemiekonzerne gibt, ist nach einer Katastrophe wieder so sauber, dass zahlreiche Menschen darin schwimmen, wie ich im Sommer beobachtet habe.

Der US-Autor Jonathan S. Foer unterscheidet jene, die klimabezogen etwas tun, und jene, die nichts tun. Aber viele verhalten sich wie Zuschauer (Der Standard, 14.9.2019). Der Verfasser dieser Zeilen ließ im Urlaub sein Auto auf einem Zug von Wien nach Feldkirch transportieren, fährt in der Großstadt Wien fast nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln, isst in der Regel in der Familie nur am Wochenende Fleisch. Ich fliege auch manchmal. Wolfgang Pekny, ein großer Umweltexperte in Wien, sagt, es kommt auf den Mix von Punkten an, die den ökologischen Fußabdruck bewirken. Und dieser Mix kann verschieden sein.

Fahrt ins Hinterland von Burgund

Reiseführer sind kulturbeflissen, kehren Schönes hervor, Wirtschaftliches schon seltener und noch weniger Soziales. Und Dörfer schon gar nicht. Doch die interessieren mich, den Dorf- und Gemeindeforscher, Autor eines Buches mit dem Untertitel: Dörfer im Stress („Hinter den Fassaden des Tourismus“). Schon 1995 und 2002 wies ich kaum beachtet auf die Sozialfolgen und Überbelastung durch Tourismus hin. Das war Grund, auf Nebenstraßen in Burgund, Land und Leute zu beobachten.

Hans Högl- eine Reportage

Ich wähle eine Straße landeinwärts von Beaune, einem Städtchen südlich von der Haupt- und Herzogs- und Großstadt Dijon. Aber wieviele von uns kennen denn sie mit weit über 300.000 Einwohnern. Mein Richtung: Norden zum berühmten Ort Vézelay über Avallon.

Um Dijon ist eine vielgepriesene Weingegend, so berühmt, dass sogar das für den Weinbau hier so förderliche burgundische K l i m a zum Welterbe der Unesco zählt. Ich suche die Stadt Beaune auf – mit dem erstaunlichen Krankenhaus, das Nicolas Rolin, der Kanzler eines burgundischen Herzogs, 1443 gegründet hat und zwar für kranke, a r m e Menschen. Beaune ist eine einladend wirkende, gepflegte Kleinstadt mit vielen kleinen Geschäften und rund 23.000 Einwohnern.

Zu Mittag fuhr ich mit dem Auto bewusst von Beaune auf der Landstraße los, in Richtung Norden, Ziel war Vézelay, ins Regionale.Bald nach der Stadt und dem Umfeld vom nahen Dijon sehe ich Weingärten und dann erlebe ich etwas, das die Franzosen La France profonde nennen. Die Straßen sind durchwegs gut asphaltiert, korrekt ausgeschildert. Wer hier lebt, hat weit zur Arbeit zu fahren. Ich denke an die Benzin- und Dieselpreise, die kürzlich die Bevölkerung in Zorn versetzt haben. Ökologie ist eines, hohe Preise etwas anderes. Das Land hier ist sehr dünn besiedelt, das ist offensichtlich und dazu braucht es keine Statistik zur Bestätigung. Weit und breit sind keine Häuser.

Mir fällt auf, dass immer wieder Häuser zum Verkauf angeboten werden – bald sind es kleine Bauernhöfe, dann wieder andere meist sehr bescheidene Häuser, nicht selten halb verfallen oder verwahrlost. Ich durchquere verlassene Gegenden. Da ist kein Bistro zu finden, um einmal einen Café zu sich zu nehmen. Zum Glück finde ich eines und bin neben einem anderen Besucher der einzige Gast und sehe dann vor dem Gebäude ein Schild mit dem Hinweis, dass die Gastwirtschaft und das Gebäude zum Verkauf angeboten werden. Gut – ich erlebe einen Sonntag nachmittag, aber das alleine erklärte nicht alles.

Immer wieder nur vereinzelte Häuser, abgeerntete Felder, Laubwälder, hie und da
einige wenige Kühe im Freien, aber mit Normaleuter, nicht überzüchtet zur Superproduktion. Vorbei an baulich vernachlässigten Dorfkirchen, an kleinen Häusern vielleicht mit einem Kleinwagen davor, irgendwie eine trostlose Gegend im Gegensatz zu Städten voller Lebendigkeit.

Es ist ein befreiendes Gefühl, in die Kleinstadt Avallon einzufahren, ein einladend gefälliger Ort mit geöffneten Geschäften und einer bemerkenswert großen Kirche. Vom Zauber des Hügels mit der romanischen Basilika in Vézelay mit Reliquien der hl. Magdalena (!) möchte ich nicht reden. Das tun schon Reiseführer. Mir war wichtig, das Haus des Literatur-Nobelpreisträgers und Friedens-Aktivisten Romain Rolland zu besuchen. Viel mehr als Bücher, ein Klavier und sein Schreibtisch und Bilder in seinem Haus sehe ich nicht. Er verbrachte hier seine letzten Lebensjahre, starb 1944 mitten im Krieg, verleumdet als Friedensaktivist. Zeitlebens betont Rolland, ein Dorfkind, die Wichtigkeit der deutsch-französischen Beziehungen: „Wir sind die beiden Flügel des Abendlandes, zerbricht der eine, so ist auch der Flug des anderen gebrochen“- ein Satz, damals so aktuell wie heute.

Ja, das Dorf Vézelay am Hügel gelegen ist ein wunderschöner Flecken, die Frontseite der uralten romanischen Kirche wir renoviert, gar nicht so selbstverständlich im laizistischen Frankreich. Und von der Terrasse aus sieht das umliegende Land recht lieblich aus. Vielleicht konnte ich ein wenig erahnen, was französische Provinz ist, Frankreich ist ein großes Land mit unzähligen kleinen Orten, von denen niemand spricht, aber aus denen nicht wenige berühmte Menschen hervorgegangen sind- so auch der Erfinder der Fotografie Joseph N. Niépce, der jahrzehntelang im Burgund unweit von Chalon seine Versuche machte, um dann nach acht Stunden Belichtung das erste Landschaftsfoto der Welt zu „schießen“ und anfangs keine Beachtung fand. Ein Schicksal auf dem Land.

Ein Gegensatz zur Großstadt Dijon -mit vielen Bistros und einer gewissene Heiterkeit des Lebens und einem Plakat, das ich fand: mit dem Titel Salon Célibataire. Es lud ein zu einem „Speed Dating“ in einem Lokal, geöffnet ab 16 Uhr, mit kostenpflichtigen Diner ab 20 Uhr und Tanz.