Archiv der Kategorie: Medienkompetenz

Liebesgrüße aus Moskau?

Russlandbezogene Auszüge aus dem Buch: Löw, Raimund (2022 April): Welt in Bewegung. Warum das 21.Jahrhundert so gefährlich geworden ist. Falter Verlag.224 Seiten. Der Autor des Buches übermittelt keine Liebesgrüße aus Moskau

Hans Högl

Die Aussagen von Raimund Löw „Welt in Bewegung“ (2022) über Stalins Russland und die Ukraine sind in ihrer Klarheit und ihren Positionen bemerkenswert. Raimund Löw war in Moskau ORF-Korrespondent. Seine Darlegungen sind tatsachen- und nicht ideologiebetont.

Raimund Löws Aussagen – in Auszügen und kurz gefasst:

Große Teile der Linken weltweit haben die Verbrechen des Stalinismus „beschönigt oder verdrängt“. Stalin hat die emanzipatorische Grundidee des Sozialismus erschüttert. 2021 löste das russische Höchstgericht die Menschenrechtsorganisation Memorial auf, die seit den Anfängen von Glasnost die Erinnerung an die Opfer des Stalinismus hochgehalten hat (p.24 f.).

Als Stalin starb weinten Millionen. „Ohne den Glauben an Stalin wäre der Widerstand gegen Hitler unmöglich gewesen“. Die Nachfolger Stalins haben während Jahrzehnten die halbe Welt bewaffnet und ernährt, und das trug zum Untergang der Sowjetunion bei. – Die Sowjets marschieren 1979 in Afghanistan ein, um die regierenden Kommunisten in Kabul zu retten. Mit sowjetischer Hilfe wurde Fidel Castros Kuba ernährt, Millionenwerte flossen an Entwicklungshilfe und Rüstungsgüter nach Äthiopien, Angola, Somalia, Vietnam, Syrien, Ägypten und Irak. Der riesige Moloch der sowjetischen Rüstungsindustrie brachte die wirtschaftliche Entwicklung zum Erliegen.

Gorbatschow hatte den Traum der demokratischen Reform von Kommunismus und Planwirtschaft. Darüber kann man sich mokieren. Aber er war es, der die im Stalinismus wurzelnde Angst vor Partei, Staat und Polizei genommen hat. Im ersten Volkskongress mit freien Wahlen schleuderte Andrej Sacharow ohne jede Zensur Anklagen gegen KGB und Partei und Stalinismus und Diktatur in den Raum (p.25).

Der russische Anwalt Sergej Magnitski deckte Korruptionsfälle in höchsten Moskauer Regierungskreisen über 230 Millionen Dollar auf und bezahlte dies mit seinem Leben (p. 29).

Zu Putins Plan für eine neue Sowjetunion ohne Sozialismus (p. 31-33). Raimund Löw: Es wird ein Angebot geben müssen, wie die feindseligen Machtblöcke ihre Einflussgebiete abstecken. Der Außenpolitikexperte Zb. Brzezinski, einst Sicherheitsberater von Jimmy Carter, schlägt einen an das neutrale Finnland angelehnten Status für die Ukraine vor (p 32.).

Der von Kiew gewünscht Beitritt zur Nato wird von Frankreich und Deutschland verhindert, weil man das Verhältnis zu Russland nicht zusätzlich belasten will. Aber der Kreml findet kein tragbares Verhältnis zur ukrainischen Souveränität (p. 33).

Medienwelt Österreichs

Hinweis auf das Buch „So funktioniert Österreichs Medienwelt“ von Standard-Medienredakteur Harald Fidler. Falter Verlag 2023

Hans Högl

Harald Fidler hat viele Jahre Medienerfahrung, ist wohl bester Kenner unserer Medienwelt, er verfasst die Rubrik Etat im „Standard“. Dieses Buch ist so reichhaltig, so dass es schwer fällt, Wesentliches kurz zu fassen. Der Band bietet einen Blick auf die Vielfalt von Östereichs Medien und deren Rezeption, und es lohnt, das Buch anzuschaffen.

Es geht um Vertrauen und Informationsvermeidung.
(Gemiedene Themen sind:53 % der Ukrainekrieg, 39 % Gesundheitsfragen (Covid), 33 % meiden Infos über Promis und Unterhaltung,30 % über soziale Gerechtigkeit, 29 % über Klimawandel, 27 % über Sportnachrichten, 23,5 % zu Innenpolitik)

Es geht um die Werbewirtschaft:(Österreichs Medienhäuser lukrieren 60 % ihrer Einnahmen aus der Werbung),

Es betrifft die Reichweite von Medien (Die „Krone“ deckt österreichweit 22,2 % der Bevölkerung ab, der „Standard“ 6,8 %, „Die Presse“ 3,3 %). (S.97) (die verkaufte Auflage beträgt bei der „Presse“ 66.101, beim Standard 48.788- NB. bei der „Krone“ sind dies 588.000).

Auch Stellungnahmen diverser Chefs in Medien sind zu finden (S. 41-63). Vgl. die zahlreichen Kurzessays (S. 126-197).

Internationale Vergleiche sind eher selten. Die universitäre Publizistik ist so gut wie nicht präsent. Wie es zur Einstellung der „Wiener Zeitung“ kam, bleibt unklar. Eine Kritik am ORF-Publikumsrat, obgleich Harald Fidler regelmäßig teilnimmt, ist nicht zu finden. Dies ist rätelhaft: Meine Kritik am mangelnden Funktionieren des ORF-Publikumsrates wurde in einem Presseclub abgeblockt und auch ein ehemaliger ORF-Redakteur meinte abwehrend, es seien doch diverse Organisationen darin vertreten (als wäre dies schon Garantie für das gute Funktionieren eines Komtrollorgans des ORF).

Wir werden im Buch nochmals informiert, warum der „Presse“-Chef zurücktreten musste. Die Bereitschaft für Online-Abos hält sich noch in Grenzen.
Von 2001-2019 haben sich die Netto-Werbeeinnahmen von deutschen Zeitungen halbiert. Hier sind die große Konkurrenz die Werbegiganten wie Alphabet (mit Google, YouTube) und Meta (Facebook, Instagram).Während die Bertelsmann Gruppe (mit RTL) 3,9 Milliarden Dollar einnahm, sind es bei Alphabet 224,5 Milliarden Dollar (also mehr als das 50 fache)

Diplomatie mehr denn je gefordert

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist wie viele andere Kriege auch ein Informationskrieg. Propaganda für die eine oder andere Seite überwiegt je nach Standpunkt und Interessenslage. Westliche Politik und Medien haben sich nach jahrzehntelanger antirussischer Feindbildpflege konsequenterweise voll auf die Seite Kiews geschlagen und plädieren mehrheitlich für die Lieferung immer schwererer Waffen. Dabei überbieten sie einander an Kriegsrhetorik. Friedensrhetorik ist kaum zu vernehmen. Vor diesem Hintergrund ist bzw. wäre eine differenzierte und deeskalierende Annäherung an diese komplexe Causa höchst nötig und sinnvoll. Ein eher positives Beispiel dafür hat nun die Politikwissenschafterin Nina Chruschtschowa geliefert. Sie war jüngst Interview-Gast in der ZiB 2
(Einleitungstext Udo Bachmair)

Wolfgang Koppler *

Nina, Chruschtschowa, die Enkelin von Nikita Chruschtschow, die seit den 90-er Jahren in der USA lebt und zur Eröffnung der Salzburger Festspiele nach Österreich eingeladen wurde, war mir zwar schon seit längerem bekannt, ebenso ihre auch dem Westen gegenüber kritische Haltung. Trotzdem fürchtete ich angesichts der aufgeheizten Stimmung und des öffentlichen Druckes, dass auch sie langsam mürbe gemacht worden wäre.

Ich war angenehm überrascht. Dass sie den Angriffskrieg ablehnt, hat sie schon früher deutlich gemacht, indem sie betont hat, ihr Großvater hätte diesen Krieg niemals angefangen.

Sie lehnt aber die Kategorien Gut und Böse ab und sieht eine Mitverantwortung der USA und Europas. Die Diplomatie hätte nach den ersten Kriegsmonaten ausgesetzt, obwohl sie gerade in einem Krieg mehr denn je gefordert sei. Den Besuch des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba in Peking bzw. die Vermittlungsbemühungen Chinas sah sie positiv und ließ aufhorchen, als sie meinte, dass es nun auch in der Ukraine Erwartungen gebe, den Krieg vielleicht bis Jahresende zu beenden.

Sie zeigte sich aber realistisch genug, die Chancen auf eine Friedenslösung aus heutiger Sicht als gering einzuschätzen. Die Haltung auf beiden Seiten hätte sich (Anm: nach Jahren unablässiger Kriegsführung und Propaganda) verhärtet und Putin sähe sich derzeit im Vorteil, zumal die Sanktionen nicht die vom Westen erhoffte Wirkung gezeitigt hätten.

Trotzdem sah sie Verhandlungen nicht als aussichtslos an, wobei sie es vermied, konkrete Lösungsvorschläge zu machen. Wohl deswegen, weil man im derzeitigen Stadium nichts präjudizieren sollte. Die Parteien müssen selbst den Kompromiss erarbeiten und ihre Schmerzgrenzen feststellen. Sie ließ aber anklingen, dass weder das Thema Neutralität noch Gebietsfragen unüberwindbare Hindernisse darstellten.

Angenehm wieder einmal die zurückhaltende und nur die wirklich notwendigen Fragen stellende ZiB 2-Moderatorin Marie-Claire Zimmermann. Mich störte lediglich die Bezeichnung „Kommunistenchef“ für Chruschtschow. Dem verstorbenen Staats- und Parteichef verdanken wir immerhin den Staatsvertrag, der in der sowjetischen Führung gar nicht so unumstritten war. Auch sein letztlich eleganter Kompromiss der zugegebenermaßen von ihm ausgelösten Kubakrise sollte nicht vergessen werden, da er zeigt, wie man mit ein bisschen Kreativität und Flexibilität auch aus scheinbar ausweglosen Situationen wieder herauskommt: Man entschloss sich hinter den Kulissen, nicht nur die russischen Raketen aus Kuba, sondern auch die amerikanischen aus der Türkei abzuziehen. Was im Westen lange Zeit verschwiegen wurde.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

US-Wahl: Herkunft und Religion

Bei den wichtigsten Akteuren rund um die kommende US-Wahl fällt der jeweilige religiöse Hintergrund auf. Er lässt damit besondere Rückschlüsse auf Persönlichkeiten wie Kamala Harris oder J.D. Vance zu.

Hans Högl

Wie Obama – Sohn eines schwarzen Vaters aus Kenia und einer weißen Mutter aus Kansas – symbolisierte auch Kamala Harris, die wahrscheinliche demokratische Präsidentschaftskandidatin den kulturellen US – Schmelztiegel, der in dieser Ausprägung für Spitzenpositionen in wenigen EU-Ländern gut vorstellbar ist. Der Vater von Harris, Donald Harris, ist Wirtschaftsprofessor an der Stanford University und stammt aus Jamaika. Ihre Mutter Shyamala Gopalan, eine auf Brustkrebs spezialisierte Ärztin, wurde in Indien geboren. Das Mädchen Kamala besuchte Gottesdienste im Hindutempel und in der Baptistenkirche. Sie wuchs in Oakland auf, einer Stadt in der Bucht von San Francisco.

Trump hat den jungen Senator J.D. Vance zu seinem Stellvertreter (running mate) gemacht. Vance stammt aus einfachen Verhältnissen und hat sich hoch gearbeitet. Weniger bekannt wurde bisher, dass er 2019 getauft wurde und praktizierender Katholik ist und damit einer großen Wählergruppe angehört. Mit seiner hinduistischen (!) Frau und mehreren Kindern lebt er im Mittleren Westen. Bei den Amerikanern gilt die Demokratische Partei als elitär, urban und säkular. Und so sprechen die Republikaner eher den ländlichen Raum und vernachlässigte Gebiete an und die Freunde der Waffenlobby und agieren gegen Migration aus Mexiko.

Trump sprach einen Tag nach dem Attentatsversuch in einem Interview vom Glück oder von Gott gerettet worden zu sein. Dabei hat er begonnen, die sogenannte „God bless the USA-Bibel“ zu verkaufen. Sie enthält neben dem Alten und Neuem Testament zentrale Rechtssätze der USA wie die Verfassung. Dass er selber sich wenig sittlich verhält, ist bekannt. Und wer es zu Reichtum geschafft hat, gilt für den Puritanismus als von Gott gesegnet. Die obige Information zu Vance stammt aus dem insgesamt wenig bekannten Wochenblatt „Christ in der Gegenwart“ aus dem Herder Verlag (21. Juli).

Gute Nacht, Journalismus?

Millionen für Massenmedien ohne journalistisches Ethos schaden der Demokratie! Braucht‘s eine Stärkung der Medienvielfalt?

Ilse Kleinschuster *

Im Südwind-Magazin, einer von mir sehr geschätzten Zeitschrift für internationale Politik, Kultur und Entwicklung – https://www.suedwind-magazin.at/millionen-fuer-die-massenmedien/ – war kürzlich zu lesen: „Einige wenige bekommen sehr viel Geld und bleiben dementsprechend mächtig. Eine Stärkung der Medienvielfalt schaut anders aus.“
Mag sein, dass die Medienkrise zuvorderst eine ökonomische und regulatorische ist! Ich kann mir schwer vorstellen, dass in Folge der Journalismus in Österreich total unterminiert wird, denn, würde das nicht bedeuten, dass mit dem Wegfall sämtlicher öffentlicher Förderungen und Inserate in der Mehrzahl der noch bestehenden Tageszeitungen und in etlichen Verlagen das Licht ausgeht. Und das kann von Seiten der Politik wohl nicht gewollt sein!?!

Ich kann mir aber gut vorstellen, dass wir es in Österreich doch auch irgendwann einmal schaffen, dass – durch den Wegfall öffentlicher Subventionen – die Zahlungsbereitschaft der Menschen für unabhängige Medien beflügelt wird. Zeigt sich nicht bereits der Ansatz zu einem neuen Mäzenatentum im Journalismus an? Werden in den neuen digitalen Medien nicht immer stärker einzelne Personen sichtbar, die geschickt eine riesengroße Anhängerschaft mobilisieren und sie anzusprechen verstehen. Jedoch, Vorsicht! -Wie steht es nun wirklich mit dieser Vertrauenserosion und dem behördlich verfolgten Verdacht gekaufter Berichterstattung?

Ist es nicht das Schlimmste, das einer Massendemokratie passieren kann, Massen-/Leitmedien des Boulevard ohne journalistisches Ethos zu haben? Denn, wenn Demokratie nicht länger nur eine Frage des Systems, sondern auch eine Frage der Haltung und des Charakters der handelnden Personen sein soll, dann Gute Nacht, Demokratie! Und wenn Leitmedien die Komplexität des Zeitgeschehens nicht mehr allgemein verständlich vermitteln können, ohne dabei zu manipulieren, dann Gute Nacht, Journalismus! Es ist ein Teufelskreis! –„Mehr als an Geld fehlt es der Politik am Willen gute Rahmenbedingungen zu gestalten“, so Walter Hämmerle in seiner Publikation „Die unreife Republik – zum Zustand Österreichs“.

Tja, aber wie steht’s denn mit dem Willen der Zivilgesellschaft– Rahmenbedingungen zu schaffen, die sinnstiftenden Journalismus unterstützen, einen Journalismus, der als „vierte Gewalt“ im Staat dazu beiträgt, dysfunktionale Dinge zu verändern?

Diese „vierte Gewalt“ also, die ohne gesetzlich verankerte Gewalt mittels wahrhaftiger Berichterstattung und Vermittlung der öffentlichen Meinung eine Kontrollfunktion über die drei Staatsgewalten, Legislative, Exekutive und Judikative ausüben soll, um Machtmissbrauch zu verhindern. Sind die Österreicher*innen als Medien-Konsument*innen en kritisch oder nehmen sie was ihnen geboten wird -, am liebsten gratis! Das demokratische Selbstbewusstsein der Österreicher hält der ehemalige Chefredakteur der „Wiener Zeitung“ (heute Chef der Innenpolitik bei der „Kleinen Zeitung“) für unterentwickelt. Er mahnt eine parteiübergreifende Initiative für bessere Verwaltung ein, um dieser „Alibipolitik, wo das Erzählte reicht und nicht das Erreichte zählt“, ein Ende zu bereiten.

Zunächst einmal wäre schon viel gewonnen, wenn die Bürgerschaft fähig wäre, die PRESSE als public service, als einen öffentlichen Dienst, zu sehen, vergleichbar dem Gesundheits- und Bildungssystem, das ja eigentlich nicht marktfähig und deshalb nicht kommerzialisiert ist, sondern als gemeinnützige und öffentlich-rechtliche Einrichtungen zu organisieren wäre (etwa als eine Art Klima- und Umweltjournalismus). Kaum vorstellbar? – ein europäisches, öffentlich-rechtliches Netzwerk, das der algorithmischen Logik der kommerziellen Netzwerke nicht folgt, weil es ihnen nicht folgen muss -, ein öffentlich-rechtlicher Europafunk? – Ein nachhaltiger Aufklärungsjournalismus, der sich seiner eigenen Existenzvoraussetzungen bewusst und diesen verpflichtet ist: ein konstruktiver Journalismus, der sich mit der Demokratie gemein macht?

Nun ja, vielleicht ist das zu hoch gegriffen und wir sollten uns schon mal mit der Forderung nach qualitativen Voraussetzungen begnügen in dem Sinne, dass „der Kern des Journalismus weder darin liegt, Spielwiese für die individuellen weltanschaulichen Vorlieben der Journalistinnen und Journalisten zu sein, noch darin, jedem Ablenkungsmanöver der Politik eine Plattform zu bieten. Sein Ziel muss es sein, Sinn von Unsinn zu trennen, und den Menschen zu ermöglichen, sich ihre eigene Meinung zu den Themen der Zeit zu bilden. Dazu muss die Distanz zur Politik wachsen und die Kommunikationsübermacht regierender Parteien beschränkt werden. Längst arbeiten in den Content-Abteilungen von Ministerien und Landesregierungen mehr Menschen als in den Redaktionen.“ (Zitat Walter Hämmerle aus „Die unreife Republik“).

Nun hat aber in der Öffentlichkeit ein starker Strukturwandel stattgefunden und auch das bestehende Mediensystem befindet sich im radikalen Umbruch. Womöglich müssen wir uns grundsätzlich von der Idee stabiler Rahmenbedingungen im Hinblick auf Massenmedien und Journalismus verabschieden.

Wenn sich nun die Politik hinsichtlich der Ursachen für aktuelle Krisen solchen Fragen nicht wirklich gestellt hat, so haben sich kreative Menschen sehr wohl längst damit auseinandergesetzt und erkannt, dass Innovationen wie Künstliche Intelligenz ständig für neue Chancen, aber auch Gefahren sorgen.

Ich selbst stamme aus einer Zeit, in der Zeitunglesen und Fernsehen genügten, um sich als durchschnittlich gut informierter Mensch zu fühlen. Manchen werde ich nicht viel Neues berichten, aber vielleicht ist doch noch nicht allgemein bekannt, was ich kürzlich über den Newsletter vom Presseclub CONCORDIA aus dem letzten Teil einer 3-teiligen Sende-Reihe #journalimus erfahren habe – www.w24.at/Sendungen – # ZUKUNFT – Medienzukunft in Wien – mit Daniela Kraus, der Geschäftsführerin des Presseclubs Concordia, Andy Kaltenbrunner (Medienforscher) und drei jungen Medienunternehmer*innen, Tatjana Lukas (Gründerin des Happy House Media), Julia Herrnböck, Plattform für investigativen und Datenjournalismus, DOSSIER und Stefan Apfel (#media).
Die Frage ist zunächst, wen erreicht Journalismus noch und wo und mit welchen Ideen und Formaten? Papier sei nur noch bei Älteren beliebt. 2/3 aller Menschen seien online, um klassisch Nachrichten zu hören. Alle anderen wählen verschiedene Kanäle, Podcasts und Videos. Diese Vielfalt sei wohl eine große Chance!

Eine Social Media Plattform in Digitalformat wie #media – erreicht vor allem sehr junge Leute, die Zahl der Rückmeldungen ist stärker als bei Print aufgrund permanenter Interaktionen! D.h. enorme Reichweite durch Livestreams (50.000 Zuschauer, eventuell bis zu einer Million).

‚DOSSIER‘ – eine mediale, gemeinnützige Redaktion, die versucht Leute an investigativen und Daten-Journalismus heranzuführen, zu verschiedenen Themen auf verschiedenen Formaten. Jetzt auch als Print-Format, das Magazin! Die ehrlich kritische Aufbereitung der Inhalte ist dort wichtig, soziale Interaktion auch in der Redaktion werden als ein Beitrag zu Demokratie und Gesellschaft gesehen.

Über Social Media-kanäle werden zunächst viele Menschen erreicht, dann werden Angebote zur Diskussion, Information und Aufklärung gemacht, z.B. per kurzen Videos und Podcasts. Das nennt sich „Trojanischer Journalismus“! Wie aber wird Vertrauen gewonnen? Personalisierung sei dafür wichtig und trage auch zur Transparenz bei. Dafür bedarf es starker Quellenangaben-Tools, um für Verantwortlichkeit zu sorgen.

Wie nun aber kommt Journalismus zum Publikum und wie das Publikum zu den Medien?!? Natürlich braucht es dazu die Medien mit der großen Reichweite und auch analoge Veranstaltungen (diverse Streuungsmittel – z.B. Live-Chats mit Lagerfeuercharakter!)

Social Media-Plattformen wie Tik Tok, Instagram u.a. werden zusätzlich mit Podcasts und Newslettern verbunden. So entstehen mediale Biotope, die weitgehend kostenlos sind. Das ist zwar ein stark demokratischer Zugang –aber, ist das demokratiepolitisch nicht dennoch ein Problem!?!

Es geht also heute sehr wohl um das Entstehen eines starken medialen Pioniergeists und großer Experimentierlust bei jungen Menschen und Freigeistern, am Rand! Das sei gut so, aber dazu braucht es doch auch unternehmerischen Geist von Menschen, denen es mehr als um Gewinn, um Freiheit geht! Wie also kann Lust am Lernen, an Ausprobieren von Neuem, aber auch Mut zum Scheitern, zu sinnstiftendem Journalismus führen?!? Selbst wenn in großen Media-Unternehmen oft mutige Leute sind, die sich als Innovatoren betätigen wollen, werden ihnen rasch Grenzen gesetzt, weil zu viel auf dem Spiel stehe (Geld/Arbeitsplätze!).

Wovon leben diese unternehmerisch-motivierten Journalisten, denen es meist auch um Kritik an Systemfehlern, um Anstoß zu Verbesserungen (Socialism!) geht – Ein dafür vorbildliches Medienprojekt ist ‚Zetland‘, ein Mitglieder-finanziertes Unternehmen mit Text- und Audiojournalismus – www.zetland.dk

Da Geld also auch hier wieder die große Rolle spielt und investigative, werbefreie Medien davon abhängig sind, hat die Wirtschaftsagentur Wien eine Medien-Initiative eingerichtet – https://medieninitiative.wien/ueber-uns

Erwünscht sind natürlich gewisse Qualitätskriterien für die Fördervergabe. Kritiker meinen, es wäre darüber hinaus wünschenswert, wenn Medienförderung noch weitergedacht würde, dafür bräuchte es aber mehr Zusammenhalt innerhalb der Branche! Förderung vom Staat hat auch Schattenseiten, daher mögen Überlegungen weitergegeben werden, wie etwa jene in Bezug auf das Bewusstsein der Leser*innen (den persönlichen Medienkonsum und seine Steuerung – im Sinne der Demokratie!)

Letzten Endes glaube ich, dass aktueller Journalismus auf jeden Fall in seiner Berichterstattung mutiger werden sollte, ohne fürchten zu müssen, als aktivistisch gescholten zu werden. Es braucht normativen Journalismus mithilfe normativer Wissenschaft – nur das könnte den notwendigen Perspektivenwechsel herbeiführen. Zu behaupten, Journalismus muss neutral sein, ist unsinnig.
Wenn heute für allgemein notwendige sozial-ökologische Veränderungen (eine nachhaltige Entwicklung!) mehr Verständnis gefordert wird, wenn dafür mehr Fürsprecher (gestärkte Vielfalt in den Medien!) gesucht werden, dann muss – sowohl analoge wie digitale – Journalismus-Ausbildung auf Verantwortungsethik fokussiert werden. Ethische Haltung basierend zumindest auf den bereits erkämpften menschen- und verfassungsrechtlichen Grundlagen sollte als roter Faden in den Redaktionen dienen!

* Gastautorin Ilse Kleinschuster ist engagiertes Mitglied der Zivilgesellschaft

Spannendes vom ZEIT-Chefredakteur

Empfohlen sei das jüngste Buch von ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo „Vom Leben und anderen Zumutungen“, erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Es enthält Interviews mit teils beträchtlicher Sprengkraft.

Hans Högl

Die zahlreichen Interviews sind sehr aussagekräftig. Wer würde anderes erwarten vom Chefredakteur der ZEIT? Selbst seine Fragen bergen viel Informatives. Die Interviewpartner haben in der Regel deutsche Spitzenpositionen inne. Die Ausnahmen: Umberto Eco, Reinhold Messner, Udo Jürgens, Erdogan und Victor Orban, und sehr persönlich herausfordernd ist das Gespräch mit Papst Franziskus.

Es ist eine Unterschied, ob ü b e r eine Person berichtet wird oder eine Person selbst sich umfangreich äußern kann. In diesem Sinne war für mich auch das Interview mit Orban aufschlussreich, wo er seine Position u.a. zu Soros darlegte. Ich erfuhr Aspekte, die mir in Hörfunkreportagen nicht geläufig waren. Interviewaussagen werden nicht kommentiert. Sie lassen uns Personen besser verstehen. Verbrechern und Holocaustleugnern gibt di Lorenzo keine Bühne. Die Interviews wurden autorisiert, also dem Gesprächspartner noch einmal vorgelegt. Die Berater von Bundeskanzlerin Merkel waren sehr vorsichtig. Das Interview mit Helene Fischer konnte nicht veröffentlicht werden.

Ein inhaltlicher Höhepunkt für die Medienkultur – im Blick auf österreichische Trends- ist das Gespräch mit der ZEIT-Stellvertreterin Frau Sabine Rückert. Hier zentrale Aussagen mit beträchtlicher Sprengkraft, Aspekte, die selten oder nur einseitig zur Sprache kommen. Dies sollte bei unserem Publikum und im Rundfunk Diskussionen auslösen. Ich selbst enthalte mich eines Kommentars. Di Lorenzo stellte dieses Interview an den Schluss seines Buches.

Di Lorenzo weist im Interview auf das Unrecht hin, das Männer Frauen über Jahrhunderte angetan haben. Sabine Rückert: „Ja, das ist eine verbreitete Meinung. Aber was soll das für ein Rechtsstaat sein, indem der Unschuldige ins Gefängnis muss…?“ Eine Falschbeschuldigung ist ein schweres Verbrechen. Ich habe einen Fall erlebt, dass eine 18-jährige ihren Vater bezichtigte, sie zehnmal vergewaltigt zu haben. Der Vater war ein brutaler Kerl. Er wurde zu sieben Jahren verurteilt.“ Das Mädchen hat noch einen weiteren Mann beschuldigt, ihren Onkel, einen netten Kerl. „Seinetwegen habe ich mich in den Fall hineingekniet. Dass der gewalttätige Vater (oben) freigesprochen wurde, war sozusagen Beifang.“(S. 316).

Mit dem Podcast „Zeit“-Verbrechen wurde Frau Sabine Rückert zu einem deutschen Branchenstar. Ihren Podcast kennen Millionen (S. 308). Frau Rückerts Vater wurde von seiner ersten Ehefrau zu Unrecht beschuldigt. Das Motiv der falschen Beschuldigung hat Sabine Rückert als Gerichtsreporterin immer wieder beschäftigt. Sie meint, dass falsche Beschuldigungen oft von Frauen kommen. Sabine Rückert: „Ja. Gerade bei Sexualdelikten, die ja schwer aufzuklären sind und oft Aussage gegen Aussage steht.“

Manchmal beschuldigten Frauen Männer aus Rache. Rückert: „Manchmal geht es um Geld, um Hinterlassenschaften, und dann zeigt man halt den Vater oder Ex-Mann an.“ „Ich habe auch erlebt, dass Vergewaltigungen angezeigt und verurteilt wurden, die es nie gegeben hat“ (S. 315). „Da gab es Blutergüsse und schreckliche Wunden, die sich Anzeige-Erstatterinnen selbst zugefügt hatten. Da wird man mit der Zeit vorsichtiger- vor allem wenn es gar keine Beweise gibt.“

Mitunter auch die Krone seriös

Man sollte nur zwischen gutem und schlechtem Journalismus unterscheiden und nicht immer manche Zeitungen einfach als Boulevard abstempeln, weil es so üblich ist.

Wolfgang Koppler

Schlechter Journalismus findet sich gelegentlich auch in so genannten Qualitätszeitungen und guter Journalismus auch in Blättern wie der Kronenzeitung. Die etwa mit Nikolaus Frings einen der wahrscheinlich besten Jungjournalisten aufzuweisen hat (man denke an seinen Beitrag zur Aufdeckung der Riedl-Affäre).

Die Krone bringt aber auch das eine oder andere, was etwa die ZiB2 des ORF verschweigt. So den jüngsten Appell Putins zur Aufnahme von Verhandlungen beim Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, eine Art erweitertes Forum der BRICS-Staaten. Während die ZiB2 in einem Beitrag dieses Treffen nur mehr oder weniger als kasachisches Meeting von Autokraten abtat, die den Westen ablehnten (die Moderatorin leitete den Beitrag wenigstens objektiv mit dem Hinweis ein, dass die betroffenen Staaten 40 % der Weltbevölkerung ausmachen), titelte die Krone wesentlich informativer und neutraler: „Ukraine: Putin bekundet Verhandlungsbereitschaft“. Im Text selbst findet sich dann natürlich das Auseinanderklaffen der ukrainischen und der russischen Positionen, vor allem im Hinblick auf die besetzten Gebiete. Aber ohne das übliche Lamento, dass deswegen Verhandlungen aussichtslos seien.

Das klingt jedenfalls wesentlich besser als das Aufwärmen üblicher Feindbilder: Hier der gute Westen, dort die bösen Diktatoren und der reaktionäre globale Süden. Zugegebenermaßen war im ORF-Beitrag auch von der von Putin geforderten multipolaren Weltordnung die Rede, aber das ging unter angesichts der breit ausgewalzten Kooperation zwischen China und Russland und dem Unterlaufen von Sanktionen.

Die Wörter Friede und Verhandlungen scheinen auch im ORF zu einem Unwort geworden zu sein. Zumindest Bundeskanzler Karl Nehammer blieb bei seinem Interview in der ZiB2 bei seinem Standpunkt: „Europa muss raus aus der westlichen Echokammer“. Der Krieg und das Sterben müssen ein Ende haben.

Alte selbstsüchtige Deppen?

Selbst in Qualitätsmedien wird manchmal verallgemeinert bzw. entsteht dieser Eindruck. Elke Heidenreichs Buch „Altern“ (Hanser-Verlag 2024) wendet sich gegen verbreitete Ansichten zu diesem Thema.

Hans Högl

„Im Moment sind wir Alten ja an allem schuld: am Klimawandel, weil wir zu viel geflogen sind und zu dicke Autos gefahren haben, an der Naturzerstörung“ (zu viel gereist, zu viel Fleisch gegessen), „zu viel Plastikmüll verursacht, wir haben auf Atomkraft gesetzt. Wir haben den Kapitalismus erfunden und den Gedanken, dass nur Wert hat, wer Leistung erbringt. Wir sind die Generation, die auf Kosten der Generation Z. gelebt hat.“ (S.99).

Und auf S. 100 erinnert sie daran: „Aber wir sind doch nicht nur die alten selbstsüchtigen Deppen, die den heute Jungen das alles eingebrockt haben. Wir haben Greenpeace gegründet und Amnesty International, wir haben die Grünen erfunden und gegen Waldsterben gekämpft, und wir zahlen viel Geld an Ärzte ohne Grenzen. Wir haben demonstriert gegen Kriege und Waffen. Wir haben die unterdrückte Sexalität befreit“…

Und Frau Heidenreich fragt (p. 94), ob denn die Probleme der Welt gelöst wären, wenn Frauen das Sagen hätten. Sind alle alten Männern schlecht? „Churchill, Mandela, Gandhi“. Es gibt unseliges Verallgemeinern!

Von Medien kaum hinterfragt

Konstruktive Kritik am Neoliberalismus liest und hört man kaum. Dessen global bedenkliche Folgen sind nur selten Gegenstand medialer Analysen. Ein Anlass dafür ist und wäre die umstrittene Verleihung des Hayek-Preises an den politisch weit rechts stehenden neoliberalen argentinischen Präsidenten Javier Milei.

Wolfgang Koppler *

Der neue argentinische Präsident Javier Milei wurde nun in Hamburg von der Hayek-Gesellschaft mit der Friedrich von Hayek-Medaille ausgezeichnet. Was prompt Proteste vor Ort und bei uns sogar einen kritischen Artikel des teils neoliberalen Standard auslöste.

Milei, der politisch zur argentinischen Rechten gehört und dessen Lieblingsutensil im Wahlkampf die Kettensäge war, hat bis jetzt – abgesehen von einem momentanen Rückgang der Inflation – eher wenig Erfolge vorzuweisen. Die Wirtschaft steckt in einer Rezession, die Massenarmut verschärft sich und mit ihr die politische Spaltung und Lähmung des Landes. Milei ist sicher nicht der Verursacher der argentinischen Probleme, aber mit seinem Radikalkurs, der wie – so oft – am Neoliberalismus der Chicagoboys des Milton Friedman (die Assoziation zu “fired man“ drängt sich geradezu auf) aus den 80-er Jahren orientiert ist, wird er die politische und wirtschaftliche Krise wohl nur verschärfen.

Dass die Hayek-Jünger solches bejubeln, spricht Bände. Dass Hayek selbst von seinen Schülern einst kritisches Denken auch gegenüber ihm selbst gefordert hatte, ist längst vergessen. Die Anbetung irgendwelcher Meister liegt ja im gegenwärtigen Trend. Und im Trend liegt im Wesentlichen auch der Laissez-Faire-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts: Mehr privat – weniger Staat. Da sind sich Blaue, Schwarze und Lifstyle-Linke einig. Alles andere gerät in den Verdacht von Kommunismus und Planwirtschaft. Wurde letztere oft mit Staatskapitalismus gleichgesetzt, so stört sich nunmehr niemand am globalen Monopolkapitalismus, in dem einige wenige Player den Ton angeben und von gesunder Konkurrenz keine Rede sein kann.

Derartiges hat sich Hayek wohl ebenso wenig träumen lassen wie die auf hemmungsloser Spekulation basierende Finanzkrise von 2008, die letztlich durch staatliche Intervention aufgefangen werden musste. Und die etwa in Europa nur durch jahrzehntelange Nullzinspolitik der EZB aufgefangen werden musste, die im Ergebnis eine gewaltige Vermögenssteuer für die breite Masse darstellte. Ansonsten hätte man nämlich zur Ankurbelung der Wirtschaft Steuererhöhungen und staatliche Investitionen etwa in den sozialen Wohnbau vornehmen müssen. Ein No-Go für liberale Ideologen.

Interessant, dass in Sachen Klimawandel sehr wohl in die Wirtschaft eingegriffen wird. Wenn es gar nicht mehr anders geht.

Dass Derartiges von den Medien nicht wirklich hinterfragt wird, ist ein Armutszeugnis für den gegenwärtigen Journalismus. Stattdessen war Barbara Kolm, die Chefin des österreichischen Hayek-Institutes, Jahre lang ein gern gesehener Gast in der Diskussionssendung „Im Zentrum“. Zur Finanzkrise 2008 fiel ihr längere Zeit gar nichts und dann das Wort „Eigenverantwortung“ ein. Wo will man die in einer Gesellschaft finden, die den Egoismus zu ihrem Motor erklärt hat?

www.msn.com/de-at/nachrichten/ausland/argentinischer-präsident-milei-wird-in-hamburg-mit-hayek-medaille-geehrt

* Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Demokratie und Charakter

Einen Kommentar von Heide Schmidt im Standard** nimmt unsere Gastautorin zum Anlass für weitergehende Überlegungen zum Thema „Demokratie als Charakterfrage“.

Ilse Kleinschuster*

Heide Schmied, die ehemals Jörg Haider und seiner FPÖ den Rücken gekehrt und das Liberale Forum gegründet hat, war auch eine Anhängerin des Projekts Weltethos und hat sich für das Konzept eines Bedingungslosen Grundeinkommens interessiert. Es scheint mir daher gut nachvollziehbar, dass sie ob der Aussage der FPÖ „MIT EUCH GEGEN DAS SYSTEM“ schockiert ist, denn: ist nicht ‚unser System‘ Demokratie?

Ich bin keine Juristin, aber soviel weiß ich auch, dass es für unsere demokratische Halt(er)ung eine Grundlage gibt, die „Österreichische Bundesverfassung“, die „denjenigen die Hände bindet, die sich an sie halten, denjenigen aber fast alles ermöglich, die es nicht ehrliche mit ihr meinen“ – ein Satz von Vaclav Havel, den Heide Schmidt gerne zitiert. Sie kommt zu dem Schluss, dass Demokratie nicht nur eine Frage das Systems ist, sondern auch eine Frage der Haltung und damit auch des Charakters der handelnden Personen.

Nun entwickelt sich doch Haltung/Charakter im Laufe unseres Lebens und ich meine, es hängt doch sehr von den Umständen ab, unter denen diese Entwicklung stattfindet. Bereits als Kind habe ich mich – immer, wenn es um Ungerechtigkeit ging – sehr aufgeregt. Spät erst im Laufe meines Lebens habe ich begriffen, wie sehr es auch einer vernünftigen Gesetzgebung zu verdanken ist, soll es in der Gesellschaft halbwegs gerecht und friedlich zugehen.

In der heutigen Zeit eines multiplen Wandels ist es nicht mehr verwunderlich, dass sich auch die Politik wandelt. Wie sehr es an Politiker*innen fehlt, die sich in den Dienst der Rechtsordnung stellen, hat uns die Hochachtung für die verstorbene Kanzlerin Brigitte Bierlein gezeigt, die in schweren Zeiten der Bitte nachkam, „die taumelnde Republik aus Verantwortungsgefühl zu führen“ (Doris Helmberger, Chefredakteurin der FURCHE).

War die Mittelschicht bislang demokratietragend, fiel sie langsam der Globalisierung und der Schwerpunktverschiebung von Real- zur Finanzwirtschaft zum Opfer, was wohl die Frustrierten und Zurückgelassenen (rechte/linke) Populisten wählen lässt. Der Mangel an einer qualitätsvollen und zukunftsorientierten Spitzenpolitik wird immer offenkundiger. Der weltweite Populismus ist also Symptom, nicht aber Ursache der ‚Demokratie-Krise‘.

Und noch eines: Hat ein zugespitzter Stil in der Berichterstattung den Vertrauensverslust in die Politik nicht auch gefördert? Ich frage mich: Könnte mich darin vor allem die Berichterstattung zu den EU-Wahlen bestätigt haben? – Mehr Aufmerksamkeit als nötig wurde meiner Meinung nach dem Stimmenzuwachs für rechts-extreme Parteien gezollt. Ein Relevanzverlust der Medien schlägt sich nieder und vernebelt die ohnedies schon sehr verunsicherte Mittelschicht.

In Redaktionen, in denen gespart wird, fehlt es an Wissenschaftsjournalisten, die eine Gatekeeper-Funktion übernehmen könnten. Nicht Zuspitzung, sondern lösungsorientierte Kritik wäre jetzt wichtig, ausgeübt durch gebildete, verantwortliche Persönlichkeiten, deren Umfeld Selbstreflexion zulässt und fördert. -So schreibt Otto Friedrich in der FURCHE über die „Medien und ihre Selbstverzwergung“ zu den Vorwahl-Turbulenzen um Lena Schilling: „Ich ordne die Causa auch als Lehrbeispiel fürs Schlagwort overnewsed but underinformed ein“ und er stellt fest, dass sich für ihn keinerlei Relevanz in Bezug auf die Zukunft Österreichs oder Europas erkennen lasse.

Mehr noch aber als die Relevanz in Bezug auf die Zukunft Österreich und Europas fehlt mir heute jene in Bezug auf die Zukunft der ‚Menschheit‘. Was für eine vernachlässigte, globale Verantwortungsherausforderung für uns alle, die wir sowohl biologisch als auch in unseren Identitäten, Lebensrealitäten und Überzeugungen derart unterschiedlich sind! Wie sollen wir von einer Menschheit schreiben, für die wir Verantwortung tragen (wollen), wenn wir die aus der Natur des Menschen begründbaren, allgemeinen Menschenrechte täglich missachten?

Eine ERDE für Alle – EARTH FOR ALL – der neue Bericht an den CLUB OF ROME, 50 Jahre nach „Die Grenzen des Wachstums“ – könnte eine Antwort geben! Es bietet eine konkrete, bahnbrechende Vision, wie das Wohlergehen aller – in jedem Land – auf unserem begrenzten Planeten sichergestellt werden kann. Das wäre eine wichtige Lektüre auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die das Motto Eine Erde für Alle! lebt.

** Gastautorin Ilse Kleinschuster ist eine wichtige Stimme der Zivilgesellschaft. In ihrem Beitrag bezieht sie sich unter anderem auf einen STANDARD-Kommentar von Heide Schmidt:

* www.pressreader.com/austria/der-standard/20240615/282505778761255