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Ukrainekrieg: Eskalation stoppen

Der Politologe Hans Joachim Funke hat es gewagt, eine Petition von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht zu unterzeichnen, die zur Intensivierung von Verhandlungen statt Ausweitung der Waffenlieferungen aufruft.

Wolfgang Koppler*

Immerhin haben sich auch Stimmen aus SPD und CSU dem Aufruf angeschlossen. Dieser wird vom Politologen Herfried Münker – fast schon erwartungsgemäß – als „gewissenlose Unterstützung Putins“ bezeichnet. Henryk Broder unterstellt Schwarzer und Wagenknecht „toxische Männlichkeit“ und Zynismus. So in den Medien überhaupt argumentiert wird, beschränkt es sich auf angeblich mangelndes Interesse Russlands oder einfach auf „Man muss den Aggressor stoppen“. Sogar die gewiss nicht als Friedenstaube geltende österreichische Ex-Außenministerin Ursula Plassnik sprach in einem Streitgespräch mit Schwarzer (in der ZiB 2) schon vor etlichen Monaten von einer Eskalationsspirale in den Medien. Kein Ruhmesblatt für den Journalismus.

Interessant in diesem Zusammenhang war da das jüngste ZiB 2-Interview mit dem „gewissenlosen“ Hajo Funke und seinem Widerpart Major Feichtinger, ehemaliger Brigadier des Bundesheeres. Zu Beginn wird natürlich Münkers Vorwurf ins Spiel gebracht, dem Funke sein eigenes Gewissen entgegensetzte. Er gestand der Ukraine das Recht auf Verteidigung zu und sprach davon, dass der Krieg zu einem Patt geführt hätte und sich dies angesichts der Waffenlieferungen des Westens auf absehbare Zeit nicht ändern werde. Ob man jetzt oder später verhandle, würde am Frontverlauf nichts Wesentliches ändern. Nur würde es wahrscheinlich nochmals 250.000 Tote kosten. Aus Russland gäbe es durchaus Verhandlungssignale. Eine Unterbrechung des Krieges im Sinne eines Waffenstillstands wäre das einzig Sinnvolle. Im Übrigen hätte die ukrainische Führung ja selbst bis April verhandelt (Anm.: bis zur Befreiung Kiews).

Feichtinger bezeichnete die Verhandlungsergebnisse vom April zunächst als „Friedensdiktat“ (ein anderes Wort für den schon etwas abgelutschten und historisch peinlichen Diktatfrieden). Auf den deren Inhalt der damaligen Verhandlungen ging er gar nicht ein, obwohl die Neutralität der Ukraine mit Sicherheitsgarantien bereits sehr weit verhandelt war und die ukrainische Führung selbst erklärt hatte: Jeder Krieg endet durch eine Vereinbarung (erinnert an Stellungnahmen von Politikern: Nicht ins Konzept Passendes übergeht man mit Schweigen). Ein Waffenstillstand zementiere nur den Status quo.

Und dann die Überraschung (auch für Armin Wolf, Anchorman der ZiB 2: Feichtinger musste zugeben, dass bei objektiver Betrachtung der Kriegslage auf absehbare Zeit tatsächlich keine großen Veränderungen des Frontverlaufs zu erwarten seien. Weder die Rückeroberung der Krim noch jene der Separatistengebiete sei ein realistisches Ziel. Auch einen Jahre langen opferreichen Krieg schloss er nicht aus. Wesentlich jedoch sei, was die Kriegsparteien glaubten. Jede Seite erwarte sich noch Vorteile aus der Weiterführung des Krieges. Außerdem würden in der Ukraine 85 – 90 % der Bevölkerung den Kurs der Regierung stützen.

Populismus als Strategie des Westens ?

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und lebt in Wien

Westen ohne Verhandlungswillen ?

Ein bemerkenswertes Interview mit Robert Brieger, dem „aus Österreich stammenden höchsten EU-Militär“, unter dem Titel „Putin zeigt Schwäche“ kürzlich in den Oberösterreichischen Nachrichten sagt auch einiges aus über den außenpolitischen und militärischen Kurs des Westens.

Von Wolfgang Koppler *

Zunächst stuft Brieger die Teilmobilmachung Russlands als Zeichen der Schwäche ein. Dies ist durchaus nachvollziehbar, zumal Putin mit diesem Schritt zeigt, dass die aktive Armee nicht mehr ausreicht, um den Krieg weiterzuführen. Schlecht ausgebildete Reservisten – die zudem erst nach Monaten eingesetzt werden können – sind wohl auch nicht imstande, professionelle Soldaten zu ersetzen. Und last but not least, wird der Krieg in Russland zunehmend unpopulärer und damit auch Putin.

Interessant ist aber, welche Schlüsse Brieger (der natürlich die Politik von NATO und EU 1:1 wiedergibt) daraus für den Westen zieht.

Der jetzige Schritt Putins sei „ein Schritt zur weiteren Eskalation und wird den Krieg verlängern“.
Logisch. Aber eskaliert nicht auch der Westen, indem er Verhandlungen von Vornherein als unrealistisch abtut ?

Aber zurück zu Brieger:

Die Bemühungen des Westens, „die Verteidigung der Ukraine zu unterstützen…müssen eher noch intensiviert werden.“ Ein Nachgeben würde nämlich „das russische Regime ermuntern, weitere
Gebietsarrondierungen anzustreben.

Wie bitte ? Eine Armee, der es bis jetzt nicht gelungen ist, den Donbass zu erobern, der die Waffen und Soldaten ausgehen, soll auch noch das Baltikum und vielleicht noch Finnland überfallen können ?

Die Interviewerin stellt solche Fragen natürlich nicht, das wäre ja Majestäts- pardon EU- und NATO-Beleidigung (wobei sich die Frage stellt, wie unsere Gesellschaft und Politik ohne Diskurs und Diskussion mögliche Fehler von Politikern korrigieren will).

Sie wirft Brieger statt dessen Hölzchen, etwa mit der Frage, ob die Ukraine den Krieg noch gewinnen könne, was natürlich bejaht wird. Brieger beeilt sich dabei hinzuzufügen, dass es dabei „nicht um eine bedingungslose Kapitulation Russlands“, sondern „um eine Wiederherstellung der bedingungslosen Souveränität der Ukraine“. Diese könne bei entsprechender Unterstützung militärisch so erfolgreich sein, dass „Russland zum Verhandeln gezwungen ist“. Was wird dann noch verhandelt werden ? Angesichts der Aussagen Selenskyjs, aber auch der Stimmung in der Ukraine und im Westen wird wohl niemand glauben, dass dann über eine Neutralität der Ukraine verhandelt wird oder auch nur das Minsker Abkommen oder irgendwelche Minderheitenrechte noch irgendeine Zukunft haben.

Von der Zukunft Russlands ist im Interview erst gar nicht die Rede. Dass dort nach einer Niederlage plötzlich die Demokratie ausbrechen würde, scheint man nicht einmal mehr in Brüssel zu glauben.

Demgemäß ist am Schluss des Interviews auch nur mehr von der Verteidigungsfähigkeit Europas und verstärkten Rüstungsanstrengungen die Rede. Die Frage ist nur: Wer soll uns nach der von Brieger prognostizierten Niederlage Russlands (im Kampf um ein Gebiet anderthalb mal so groß wie Österreich) noch angreifen ?. Die Chinesen ? Mit einer Mittelmeerflotte ?

Pikantes Detail am Rande: Brieger will den Einsatz taktischer Atomwaffen durch Russland nicht ganz ausschließen und spricht auch von einer Ausbildungsmission für die Ukraine u.a. in ABC-Waffen, wenn er auch deren Einsatz für nicht sehr wahrscheinlich hält. Wahnsinn scheint wirklich ansteckend. Und die Propaganda bei uns scheint inzwischen ähnlich dümmlich wie die Putins. Nur dass in Russland wenigstens 40 Bürgermeister ihren Unmut zeigen. Und einige mutige Demonstranten.

* Gastautor Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien.

Haben wir immer noch nicht gelernt ?

Berichterstattung in vielen Medien, aber auch Äußerungen von Experten und Politikern zum Ukrainekrieg, sind derzeit von Phrasen und Parolen geprägt.

Wolfgang Koppler*

Putins „Militäroperation zur Entmilitarisierung und Denazifizierung“ oder auch die Drohung mit dem „Dritten Weltkrieg“ auf der einen Seite, „Kampf bis zum Ende, bis zur Vertreibung aller russischen Soldaten aus der Ukraine“ oder gar „bis zur Schwächung der russischen Armee, sodass sie niemand mehr angreifen kann“. Auch vom „totalen Krieg“ war schon die Rede. Selbst Experten reden von einem „Kampf der Werte“ oder fordern „noch mehr Waffen“. Das Wort „Vernunft“ hat man in dieser Debatte schon lange nicht mehr gehört. Putins Wahnsinn scheint so ansteckend zu sein wie das Coronavirus.

Sehen wir uns daher die Fakten hier und nun, soweit sie eruierbar sind, einmal an. Der gegenständliche Krieg wird nach der überwiegenden Mehrheit der Experten jedenfalls noch Monate dauern. Jeden Tag sterben hunderte Menschen, werden andere ihr Leben lang gezeichnet. Mehr als 20 Millionen Tonnen Getreide drohen zu verrotten. Die Infrastruktur eines ganzen Landes wird mehr und mehr zerstört. Von vielen anderen Folgen und Gefahren eines immer länger dauernden Kriegs ganz zu schweigen. Ein EU-Beitritt der Ukraine binnen kurzer Zeit ist nicht machbar. Die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine stehen seit Monat still.

Man kann sich natürlich einfach dem Mainstream anschließen und sagen: Der Aggressor muss bestraft werden, das Gute muss siegen. Keine Verhandlungen mit Aggressoren. Dann soll man aber auch ehrlich sein und dazu sagen: Das kostet weitere zigtausende Tote und noch mehr Verletzte (was auch Selenski inzwischen eingestehen musste). Und Millionen Hungernde in zahlreichen Ländern. Und wahrscheinlich Unruhen und politische Verwerfungen, was ebenfalls Tote, Verletzte und weiteres Leid zur Folge hat.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass es auf westlicher Seite nur um Werte geht (was in der Politik ein Novum wäre und angesichts der geopolitischen Lage der Ukraine eher unwahrscheinlich ist), wurde bis jetzt nur nebulos mit „Menschenrechten“, „Freiheit“ und gar mit westlichen Werten operiert. Im Wesentlichen bedeutet dies im konkreten Fall „Gerechtigkeit um (fast) jeden Preis“. Nur den Weltkrieg wollen wir nicht, da die Verteidigung der Menschenrechte um den Preis einen Atomkriegs doch keinen Sinn mehr ergibt. Denn wenn alle tot sind, nützt uns die Gerechtigkeit nichts mehr.

Damit wären wir auf einmal bei den altmodischen Grundtugenden, insbesondere bei jenen, die meist und erst recht in Kriegszeiten unter den Teppich gekehrt werden: Weisheit und vor allem Mäßigung. Die eher langweilige Dame mit dem Krüglein hat – völlig unbemerkt und nolens volens – durch die Atombombe plötzlich wieder Bedeutung erlangt. Nennen wir es schlicht Verhältnismäßigkeit. Sonst wird aus Tapferkeit Verwegenheit und aus Gerechtigkeit Selbstgerechtigkeit. Und letztlich Wahnwitz, wie bei Michael Kohlhaas. Weil der Mensch, ob religiös oder nicht, kein Gott ist.

Bei der Opferung von zigtausenden oder hunderttausenden Menschen sind wir großzügiger als beim Risiko eines Atomkriegs. Das sind uns die Menschenrechte wert. Aber überlegen wir einmal, wie wir bei der Ahndung eines Verbrechens vorgehen: Riskieren wir etwa bei der Verfolgung eines Verbrechers hunderte Menschenleben ? Und was die Politik betrifft: Ist sie nicht die Kunst des Möglichen ? Liegt der Internationale Strafgerichtshof plötzlich in Brüssel und Washington ?

Es geht nicht um naiven Pazifismus. Aber wären nicht Verhandlungen etwa im Rahmen der zuletzt von Italien gemachten Vorschläge – unter Einsatz eines Gasembargos (um beiden Seiten die Ernsthaftigkeit des Westens vor Augen zu führen) – vernünftiger ? Ein solches Gasembargo bereitet uns doch deshalb solche Probleme, weil wir keine realistischen Ziele haben und deshalb davon ausgehen, dass es ad infinitum dauern müsste. Mit realistischen Verhandlungszielen könnte man aber wohl auch die Wirtschaft ins Boot holen.

Das Argument der Hardliner gegen Verhandlungen und Kompromisse ist immer das gleiche: Man müsse von weiteren Aggressionen abschrecken. Erstens sind Militärexperten durchwegs der Ansicht, dass die russische Armee an ihren Grenzen angelangt sei und weitere militärische Abenteuer eher unwahrscheinlich sind. Aber vor allem dürfte die so genannte „Dominotheorie“ durch die Ergebnisse der Kriege in Vietnam und Korea weitgehend widerlegt sein. Haben wir immer noch nicht gelernt ?

* Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Publizist und lebt in Wien