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Syrienkonflikt: Mainstream-Medien und Realität

Stellvertreterkrieg in Syrien

Syrien erlebt seit neun Jahren einen zermürbenden Krieg. 6,7 Millionen Menschen haben ihre Heimat verlassen, 80 Prozent der zurückgebliebenen leben unter der Armutsgrenze. Nahezu die Hälfte der bewohnten Gebiete ist zerstört. Die Menschen sind sich in ihrer tristen Lage, egal welcher ethnischen oder religiösen Gruppierung sie angehören, in einem Punkt einig: In Syrien läuft ein Stellvertreterkrieg ab.

Von Hermine Schreiberhuber*

Ausländische Akteure kochen ihr Süppchen und geben dem Frieden keine Chance. Nicht an allem ist der im Westen verteufelte Machthaber Assad schuld, auch wenn seine Armee zur Vernichtung von Islamisten-Verstecken ganze Stadtteile niederbombte. Davon sind Politiker, religiöse Führer, Bildungsbürger und einfache Menschen gleichermaßen überzeugt.

Ein Lokalaugenschein, wie ich ihn kurz vor dem jüngsten türkischen Militäreinmarsch erlebte, öffnet Augen und Ohren. Uns wurde bewusst, wie wenig und wie einseitig die Mainstream-Medien darüber berichten, wie schlecht es den Menschen wirklich geht, und wie sie sich diesen Zustand erklären. Viele sind verbittert über die Einmischung ausländischer Mächte auf ihrem Gebiet, ob Amerikaner, Russen, Türken, Iraner oder Israelis.

Der Apostolische Nuntius in Syrien, Kardinal Zenari, sprach Klartext. „Syrien liegt im Zentrum eines Tornados. Die fünf größten Armeen der Welt stehen sich hier gegenüber.“ Seine Kritik verschonte auch die Vereinten Nationen nicht: Im UN-Sicherheitsrat spielten sich die ständigen Mitglieder Russland und USA gegenseitig aus.

Unsere Reise führte uns in die Städte Damaskus, Homs, Aleppo, in den Wallfahrtsort Malula und in etliche Dörfer. Ob wir mit Ministern, Bischöfen, Ärzten, NGO-Mitarbeitern oder einfachen Menschen auf dem Lande sprachen, der Tenor unserer Ansprechpartner lautete: Lasst uns in Ruhe, lasst uns über unsere Zukunft selbst entscheiden. Assad gehöre als Machtfaktor für die künftige Staatsordnung dazu.

Viele haben das abschreckende Beispiel Libyen vor Augen. Dort griff eine ausländische Macht mit militärischer Gewalt ein, stürzte den Diktator und tötete ihn. Heute gilt Libyen als gescheiterter Staat, in dem Rebellen und Clans das Sagen haben und zwei Regierungen gegeneinander regieren. Dabei blickt Syrien auf eine lange friedliche Koexistenz von Christen und Muslimen zurück. Solchen Staaten unsere westliche Demokratie überstülpen zu wollen, das hat noch nie funktioniert.

Zurück zum Land und seinen Menschen. Im Krieg haben viele Syrer wieder zusammengefunden im Bemühen um den Wiederaufbau. Die Zivilgesellschaft ist über religiöse Grenzen hinweg gefordert. Es war berührend, zu sehen, wie sie ihre Kirchen und Moscheen restauriert haben. Wie sie gemeinsam versuchen, Kindergärten, Schulen, Spitäler wieder funktionstüchtig zu machen.

Die Sanktionen des Westens sind eine bittere Pille. Der Chef der Universitätsklinik von Aleppo sprach es offen aus: „Ihr wollt uns aushungern, wir haben keine Medikamente, keine Geräte. Das alles trifft uns, nicht die Regierung.“ Humanistische Erwägungen würden von jenen, die sie verhängten, nicht angestellt. Viele Syrer kämpfen um das nackte Leben. Andere, besonders gut ausgebildete Syrer, sehen keine Perspektive. Der Flüchtlingsexodus wird auf diese Weise noch angeheizt.

Und jetzt der Einmarsch der türkischen Armee in Nordsyrien. Eine neue Konfrontation fremder Mächte hat begonnen. Nach tödlichen Kollisionen zwischen türkischen und syrischen Soldaten könnten Russen und Türken in der Region Idlib direkt aufeinandertreffen. Der Stellvertreterkrieg wird noch gefährlicher. Die russischen Freunde Assads auf der einen, die türkischen Feinde Assads auf der anderen Seite. Dazwischen kurdische Rebellen und tausende Islamisten aus aller Herren Länder. Hoffnungen auf einen Wiederaufbau und auf Flüchtlingsrückkehr werden zunichte gemacht.

Wo bleibt Europa in diesem Gefüge? Bei den Sanktionen machte die EU mit den Amerikanern mit. Syrien ist nicht das einzige Land, das sich von Europa im Stich gelassen fühlt. Wirtschaftlich ist Europa nicht so attraktiv, wie die Europäer selbst denken. Politisch entwickelt es zu wenig Eigeninitiative, verliert seine Kraft als Global Player und auch als Mediator – während alle anderen Akteure ihren Stellvertreterkrieg in Syrien weiterführen. Über die Köpfe der syrischen Bevölkerung hinweg.

*Mag. Hermine Schreiberhuber, freie Journalistin, langjährige APA-Korrespondentin, Mitglied des Vorstands der Vereinigung für Medienkultur

Zypern: Britische Militärbasen und russische Marine

Hans Högl

Die Mittelmeerinsel Zypern ist seit Jahrtausenden ein Zankapfel: Sie liegt im Schnittpunkt Europas, Asiens und Afrikas. Und England unterhält dazu bis Heute einen erstaunlichen Bezug, einen militärischen Brennpunkt, der uns Europäer auf dem „Kontinent“ wenig bekannt ist. Meine Zypernreise gab mir den Impuls, dem nachzugehen, was Massenmedien ausklammern und Reiseführer – wie jener von Dumont – knapp berühren.

Zypern stand von 1878 bis 1960 unter britischer Herrschaft. Von den Briten rühren der Linksverkehr und geläufige Stadtnamen wie Nikosia, das eigentlich Lefkosia heißt. Zypern ist heute de facto (!) zweigeteilt. Im Norden leben die Türkzyprer, im Süden die griechisch sprechenden. Mein Hotel war in einem weitläufigen gepflegten Ressort in Nordzypern bei Kyrenia (Girne). Der Hafen in Kyrenia lädt zum Bummeln ein – nahe der gigantischen, venezianischen Festung. Doch es gibt keine Altstadt wie im sehenswerten Nikosia. Kyrenia hat 31.000 Einwohner, das ist erstaunlich wenig, wenn man von der Klosterfestung St. Hilarion im Pentadaktylus-Gebirge auf das ausgedehnte Stadtgebiet blickt. In Kyrenia wurden unzählige Büros und Wohnhäuser errichtet -als Spekulationsobjekte – in der Hoffnung auf eine Eingliederung Nordzyperns in die EU. Südzypern ist Vollmitglied der EU. Der Euro ersetzte mit 1. Januar 2008 das Zypern-Pfund. 2013 war das Land zahlungsunfähig und erhielt von der EU Milliardenkredite. Doch erstmals wurden Bankkunden, die über 100.000 € auf der Bank liegen hatten, wurden zur Kasse gebeten und bis zu 50 % enteignet.(Dumont-Reiseführer). Viele Zyprer, darunter viele russische Investoren, verloren Millionen.

Eine britische Siedlung in der Nähe der Stadt Kyrenia trägt den verheißungsvollen Namen Bella Pais: Ihre Besitzer: Briten. Die Villen liegen am Hang des bewaldeten Pentadaktylus-Gebirges und so hoch, dass die Temperatur um 5 Grad niedriger ist als am Strand, wo der Hochsommer im Schnitt 35 Grad erreicht. Im nahen Kyrenia ist die anglikanische Kirche St. Andrew in baulich gutem Zustand- im Kontrast zu verlassenen, verwahrlosten griechisch-orthodoxen Kirchen. Denn die Zyprogriechen haben im Bürgerkrieg Nordzypern verlassen.

1960 wurde Zypern selbständig. Und jene Linie, welche die Insel in den Norden und Süden teilt, stammt von einem britischen Offizier. Diese Grenzziehung gilt als höchst fragwürdig. Wurde hier strukturell von den Briten ein Grenzkonflikt entworfen, der Hintergrund für den blutigen Bürgerkrieg wurde? Und dies nach der römischen Methode „Divide et Impera“?

Als die Briten 1960 Zypern in die Unabhängigkeit entließen, haben sie sich zuvor -1959- vertraglich Militärbasen ausbedungen, zwei Stückchen Land, zusammen nicht größer als 254 Quadratkilometer, also halb so groß wie früher Westberlin. Erinnern wir kurz an Gibraltar an der Südspitze Spaniens. Die beiden zyprischen Stützpunkte gehören völkerrechtlich zu Großbritannien, und es leben hier schätzungsweise 1.300 Militärs und zusätzlich 5.000 britische Staatsbürger, die entweder Militärangehörige oder zivile Angestellte sind (Wikipedia). Akrotiri ist westlich von Limassol gelegen und beherbergt eine Garnison mit einem Infanteriebataillon sowie einen Militärflugplatz. In der Nähe von Akrotiri stehen Radaranlagen. Damit können Luftbewegungen über den Horizont hinaus bis nach Afghanistan, Kasachstan und Russland beobachtet werden. Die beiden Militärbasen sind für militärische Aufklärung von Gewicht. Dabei kooperiert die britische Agentur GCHQ  eng mit ihrem US-amerikanischen Pendant, der National Security Agency (NSA).  Sie zapften die Unterseekabel an, um den Datenverkehr aus dem Nahen Osten zu verfolgen. Das geht aus den Snowden-Dokumenten hervor.

Aber Zypern spielt als militärisches Drehkreuz ganz levantinisch auch auf einem anderen Klavier: Die russische Regierung kann seit 2014 den Luftwaffenstützpunkt der zypriotischen Streitkräfte in der Stadt Pafos nutzen. Darauf einigten sich Zypern und das russische Außenministerium (Der Standard). Die russische Marine darf auch dauerhaft den Hafen in Limassol nutzen, was sie regelmäßig und oft zum Betanken ihrer Kriegsschiffe tat. Der Grund für das russisch-zypriotische Abkommen war der Krieg in Syrien. Nur 200 Kilometer sind es vom EU-Land Zypern bis zur syrischen Küste.

Zurück zu den Angelsachsen: Immer wieder sieht man US-amerikanische Privatuniversitäten auf Zypern. Die britischen Militärbasen gehören zum Zollgebiet der Europäischen Union (Wikipedia). Wie wird das Großbritannien im Brexitverfahren regeln? Ein großes Medienlob am Schluss: Der österreichische Kultursender Ö 1 bot im März 2019 eine Fülle von Berichten über die Insel Zypern.