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Schweiz-Corona-Grundrechte

Hans Högl. Text aus NZZ.online 9.Mai 2020

Nicht nur das Parlament, auch die Schweizer Bevölkerung begegnet dem grössten Grundrechtseingriff seit dem Zweiten Weltkrieg mit bemerkenswerter Indifferenz: Bewegungs-, Versammlungs- und Wirtschaftsfreiheit wurden bereitwillig preisgegeben. Hätte der Bundesrat Mitte März eine Ausgangssperre verordnet, wäre dieser Entscheid wahrscheinlich kaum hinterfragt worden.- Erstaunlich? Nicht wirklich. Bereits Gustave Le Bon beschrieb in seinem 1895 erschienenen Buch «Psychologie der Massen», wie sich die Menschen unter dem Eindruck einer Bedrohung auf ein gemeinsames Ziel einigen und zusammenrücken. Da wird nicht mehr aufgemuckst. In einer Güterabwägung zwischen Freiheit und Gesundheit haben wir uns für die Gesundheit entschieden. Wir mussten zusehen, wie das Gesundheitssystem in Norditalien zusammenbrach und die Armee die Toten in Lastwagen abtransportierte. Wir haben gesehen, wie schnell sich das Virus auch in der Schweiz ausbreitete. Mit einer solchen Gefahr vor Augen war der vorübergehende Verzicht auf Bürgerrechte nachvollziehbar. Freiheit bedeutet auch, dass man sie freiwillig einschränken kann. Zumindest eine Zeitlang.

Kein Zutritt für Hunde und Alte: Bedenklich ist dagegen, wie lange wir uns weigerten, nur schon laut über die Verhältnismässigkeit der Massnahmen nachzudenken. Doch die Grundrechtseingriffe…gehen weit über polizeiliche Kontrollen der Zufahrt zum Alpstein hinaus: Als der Kanton Uri allen über 65-Jährigen Hausarrest erteilte, pfiff ihn der Bundesrat zwar zurück. Doch den Tessiner Staatsrat liess er wochenlang gewähren. Senioren, die es trotz Einkaufsverbot wagten, einen Negozio aufzusuchen, oder keine andere Wahl hatten, weil die Nachbarschaftshilfe versagte, mussten damit rechnen, weggeschickt zu werden. An nicht wenigen Ladentüren klebte neben dem Schild «Vietato l’ingresso ai cani» (Eintritt für Hunde verboten) ein Zettel mit der Aufschrift Eintrittverbot für Menschen über 65.