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Das „Gretchen“ in der „Faust“-Oper als Kurtisane

Kulturkritik in der wenig bekannten Monatszeitschrift „Der neue Merker“

Hans H ö g l

Dass Kulturleben in Österreich und nicht zuletzt von Wien genießt im deutschsprachigen Raum große Wertschätzung. Und so kommt der Kulturpublizistik großes Gewicht zu. Bekannt ist, dass wegen Kulturkritikern viele Jahre Aufführungen von großen Komponisten verhindert wurden. Nun aber zu einem anderen Thema, das auch als Exempel für diverse Bühnenstücke gelten kann.

Ein Sänger eine großen Wiener Bühne machte mich auf die exquisite Monatszeitschrift „Der neue Merker“- Oper und Ballet in Wien und aller Welt- aufmerksam. Hier entdeckte ich eine differenziert- ausführliche, vierspaltige und mutige Besprechung der Oper „Faust“ in der Wiener Staatsoper. Die Oper wurde in dem meist hervorragenden Kultur- und Informations-Spartensender ORF III übertragen, und wir in der Familie konnten die Übertragung sehen und die Musik genießen. Dazu „Der neue Merker“: „Nur positive Eindrücke hinterlässt das Musikalische dieses Abends“.

Doch nun zu Faust und zur Regie von Castorfs „Gretchen“: „Unerklärlich ist, warum der Regisseur seine Marguerite vom unschuldigen, keuschen Mädchen, welches laut Libretto tugendhaft in isolierter Schlichtheit lebt, zu einer schillernden Kurtisane mit Männererfahrung umwandelt. So passt der gesungene Text („Salut, demeure chaste et pur“) über Fausts Symbol der göttlichen Reinheit und purer Bescheidenheit absolut nicht zum Auftritt einer Frau im freizügigen, hautengen Trägerkleid mit Pailletten, das besser ins Moulin Rouge passen würde“ (so schreibt die Rezensentin Susanne Lukas).

Wir bringen dies Exempel als Frage, wie weit geschichtliche Bühnenvorlagen an die heutige Welt angepasst werden sollen oder wo eine Grenze überschritten wird.