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4 zu 1 ausgewogen ?

Die Gestalter der ORF-Diskussionssendung Im Zentrum sehen sich immer wieder mit dem Vorwurf der einseitigen Zusammensetzung von Podiumsrunden konfrontiert. Vor allem bei Reizthemen wie der Debatte um Österreichs Neutralität oder den Kriegen im Nahen Osten und in der Ukraine. Letztere war Thema der jüngsten Podiumsdiskussion.

Wolfgang Koppler *

Wie stellt man sicher, dass bei einer Diskussionssendung ein bestimmtes Ergebnis herauskommt ? Und man doch nicht ganz einseitig erscheinen will ? Vor allem wenn man dummerweise an ein Objektivitätsgebot gebunden ist ?

Man lädt vier Gäste ein, deren Standpunkt man schon im Vorhinein kennt- Einen, der sicher nicht kommen wird (in diesem Fall der russische Botschafter). Und einen einzigen Andersdenkenden. So geschehen beim der sonntägigen ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ zum Thema: „Der Westen gegen Putin: Ist der Krieg noch zu gewinnen ?“ Schon der Titel erinnerte an Baerbocks Ausspruch vor dem Europarat, die den Westen im Krieg gegen Russland sah (wenn auch vom ORF etwas vorsichtiger formuliert).

Zu Beginn war natürlich von Putins Jahrespressekonferenz die Rede, wo er im Wesentlichen die Neutralität der Ukraine und ihre „Entnazifizierung“ gefordert hatte, eine Redewendung, die er schon letztes Jahr verwendet hatte. Und von der gescheiterten ukrainischen Frühjahrsoffensive. Signale von russischer Seite aus den letzten Monaten, die auf Gesprächsbereitschaft hindeuten, ließ man natürlich unerwähnt.

Oberst Markus Reisner vom Bundesheer trat nicht nur – wie zu erwarten – für mehr Waffenlieferungen ein (einen Krieg dürfe man nicht halbherzig führen) und hielt Verhandlungen für aussichtslos, sondern sprach auch noch von einem Konflikt zwischen dem Globalen Norden und dem globalen Süden (worunter er auch China und Indien verstand), der eine Aufrüstung des Westens, pardon des Globalen Nordens erforderlich mache.

Der ukrainische Botschafter Khymynets vertrat natürlich den Kurs der ukrainischen Führung, dass man bis zur Vertreibung des letzten russischen Soldaten aus dem ukrainischen Territorium kämpfen müsse, Verhandlungen sinnlos seien und die Ukraine die Freiheit des Westens verteidige. Putin sei gefährlich für die Zukunft Europas.

Martin Selmayr (Enkel zweier Generäle), der Vertreter der EU-Kommission in Wien, der sich von der Moderatorin auch noch ein Zaudern vorhalten lassen musste, erwähnte die Anstrengungen der EU und die jüngsten Ratsbeschlüsse zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen und zur Ausweitungen von Sanktionen und ging davon aus, dass auch die 50 Milliarden an weiterer Unterstützung für die Ukraine (ob mit oder Ungarns Unterstützung) in einigen Wochen beschlossen sein würden (die Welthungerhilfe und selbst die Entwicklungshilfe wären schon für einen Bruchteil der Mittel dankbar). In militärischer Hinsicht seien 1300 km Front von der russischen Armee auf die Dauer nicht zu halten (schätzungsweise 400.000 Tote sind offenbar nicht genug).

Die Historikerin Barbara Stelzl-Marx sprach von der politischen Zukunft Europas (die auf dem Spiel stehe), vom Konflikt der Werte (da war von anderen verwendete „Kampf der Werte“ noch ehrlicher), vom Verwandlungskünstler Putin. Diesem dürfe man nicht nachgeben, da er sonst seine Aggressionen fortsetzen würde. Moldawien könnte vielleicht das nächste Ziel sein. Immerhin strebe er die Wiederherstellung des Sowjetimperiums an. Putin wolle mit seiner Formel von der „Denazifizierung“, die er schon (zugegebenermaßen) sehr lange verwende, den „Großen Vaterländischen Krieg beschwören. Und was wird auf westlicher Seite beschworen ? Waren da nicht auch öfters Versatzstücke aus dem Zweiten Weltkrieg im Spiel ? Selenskyjs Churchill-Rede, „Blut, Schweiß und Tränen“ bei Timothy Garton Ash, Putin-Hitler-Vergleiche,,,

Alle versuchten zu begründen, warum man in keinem Fall nachgeben dürfe.

Friedensforscher Thomas Roithner verwies auf die Opfer und das menschliche Leid und damit auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Selbstverständlich verwies er auf die Völkerrechtswidrigkeit des Krieges und stellte dann die entscheidende Frage: Wie kommen wir da wieder raus, Er verwies auf mangelnden Weitblick der EU im Hinblick auf die kommenden US-Wahlen. und auch auf die in den UNO-Resolutionen erwähnte Möglichkeit von Verhandlungen. Man müsse und solle ein Verhandlungsergebnis gar nicht vorwegnehmen. Es reiche ein „Fahrplan“, um Gespräche in Gang zu bringen, Da hörte sogar Selmayr aufmerksam zu und erwähnte Verhandlungsbemühungen, die angeblich im Hintergrund laufen würden. Er verwies auf das Weltwirtschaftsforum im Jänner in Davos.

Man kann darauf wetten, dass auch im Jänner jede Äußerung russischer Politiker als Provokation oder zumindest als Verhandlungsunwille interpretiert werden wird. Die bis zu Befreiung von Kiew durchaus konstruktiv geführten (aber vom Westen wenig unterstützten) Verhandlungen verdrängt man. Wo sogar eine Neutralität mit Sicherheitsgarantien angepeilt wurde. Interessant ist aber, dass sogar der zwischenzeitig verstorbene Henry Kissinger, als er im heurigen Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz in einer Videoschaltung für eine Verhandlungslösung eintrat (wie er das schon seit dem Frühjahr 2022 getan hatte), sich die Bemerkung nicht verkneifen konnte: „Ich habe es schon lange gesagt. Man hat mich nicht gehört.“

Was für ein Glück für Politik und Medien, dass Kissinger tot ist. Und Macron im Juni auf eine US-freundlichen Kurs eingeschwenkt ist. Wenn da nicht bloß die vielen Toten wären. Die Hungernden. Die vielen Milliarden, die zu Bewältigung der Umweltkrise und in der Entwicklungszusammenarbeit fehlen. Die Radikalisierung. Bei uns im Westen und im verachteten globalen Süden. Nicht nur bei Randgruppen. Sondern bei vielen von uns,

Da kann man sich noch so einreden, dass Putin das Baltikum, Finnland, Schweden, Polen oder Moldawien angreifen könnte. Oder die Ukraine als Staat gefährden. Obwohl dies angesichts der geringen Wirtschaftskraft, aber auch der begrenzten Kapazitäten von Russlands Armee, die Mühe hat, den Donbass zu halten, wohl eher unwahrscheinlich ist. Und angesichts der (in Europa) seit Jahrzehnten auf eine Neutralität der – geopolitisch in einer äußerst heiklen Lage befindlichen – Ukraine fokussierten Interessen Russlands. Und jener des Westens an deren NATO-Mitgliedschaft. Die freilich keinen Krieg rechtfertigen. Weder auf russischer noch auf unserer Seite.

Seltsam, dass der völkerrechtswidrige Irakkrieg immer noch als gerechtfertigt angesehen wird. Und Ex-Präsident Bush im letzten Jahr noch eine Rede vor einem US-Think-tank hielt. Wo er dann den Irakkrieg mit dem Ukrainekrieg verwechselte. Während die etwas faireren Briten Tony Blair in der Versenkung verschwinden ließen. Inzwischen dürfte auch er schon verstanden haben, dass es nicht um den von ihm beschworenen „evil dictator“, sondern um westliche Interessen ging. Und nicht einmal die konnte man im Endeffekt verwirklichen.

* Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Keine Debattenkultur mehr

Der deutsche Politikwissenschafter Michael Lüders ortet „hochgradige Moralisierung in Politik und Medien“. Einer der Gründe, warum es kaum noch eine Debattenkultur gebe.

Udo Bachmair

Der geschilderte Befund lasse sich gut anhand der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg belegen, erklärte der bekannte Politologe und Publizist kürzlich in einem Gespräch mit dem Internetmedium „Telepolis“

Wer sich etwa kritisch zu mehr und immer mehr Waffenlieferungen an die Ukraine äußert oder russische Motive für den ebenso falschen wie völkerrechtswidrigen Angriff auch nur zu erklären sucht (ohne sie gutzuheißen), riskiere seinen Ruf, seine Karriere. Man werde als Putinversteher oder Putin-Propagandist gebrandmarkt.

Lüders wörtlich: „Jede Differenzierung gilt offenbar als „Feindbegünstigung“. Es werde zunehmend schwieriger, differenzierende Standpunkte zu vertreten und damit dem Gut/Böse-Schema nicht zu entsprechen.

Gilt es missliebige Personen mit einem gewissen Bekanntheitsgrad aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, so gebe es nach den Erfahrungen Michael Lüders dafür etwa das bewährte Mittel, die betreffende Person zu ignorieren, ihre Publikationen ebenso wie ihre Meinungsäußerungen.

Als das deutlich brutalere Mittel sieht Lüders den inszenierten und über längere Zeit andauernden Shitstorm, mit dem Ziel, die unliebsame Person einer „character assassination“ zu unterziehen. Besonders betroffen davon sind in Deutschland etwa die Russlandexpertin Gabriele Krone-Schmalz oder die Publizistin Ulrike Guérot.

Auch in Österreich sind manche Journalisten wegen differenzierender Berichterstattung Opfer persönlicher Attacken im Internet, wie etwa der sachlich berichtende ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz. Auch renommierte Politologen, wie etwa Heinz Gärtner, die eine komplexe Causa nicht auf eine Schwarz/Weiß-Malerei reduzieren, sind in unseren Medien, leider auch im öffentlich-rechtlichen ORF, kaum mehr gefragte Interviewpartner.

Dass es inhaltlich auch anders geht, hat die von der Vereinigung für Medienkultur veranstaltete Podiumsdiskussion zum Thema „Ukraine-Krieg und die Berichterstattung westlicher Medien“ gezeigt. Der große Erfolg dieser Veranstaltung (fast 800 Zugriffe bereits auf Youtube) zeigt, dass sich viele Menschen sehr wohl differenzierende Berichterstattung zu dieser Thematik wünschen.

Die Aufzeichnung dieser vielbeachteten Podiumsdiskussion im Presseclub Concordia können Sie über folgenden Link abrufen:

Ukraine-Krieg: Medien im Fokus

Die Gutenberg-Universität Mainz hat eine Studie über die Berichterstattung der deutschen Leitmedien über den Ukraine-Krieg veröffentlicht. Die Ergebnisse dürften sich weitgehend auch auf Österreich umlegen lassen.

Udo Bachmair

Hauptergebnis der Studie: Die meisten deutschen Leitmedien haben im Ukraine-Krieg überwiegend für die Lieferung schwerer Waffen plädiert und diplomatische Verhandlungen als wenig sinnvoll charakterisiert. Von den insgesamt 8 untersuchten Leitmedien hielten sich nur beim SPIEGEL positive und negative Einschätzungen zur Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine sowie zur Sinnhaftigkeit diplomatischer Verhandlungen in etwa die Waage.

„Auch wenn die Berichterstattung nicht vollkommen einseitig war, überrascht die insgesamt starke Zustimmung zu Waffenlieferungen doch – vor allem vor dem Hintergrund vergleichbarer früherer Kriege, in denen deutsche Waffenlieferungen gar nicht zur Debatte standen“, beurteilt der Studienleiter Prof. Dr. Marcus Maurer, Professor am Institut für Publizistik der Universität Mainz, die Befunde.

Der Studie zufolge war die inhaltliche Berichterstattung überwiegend auf das Kriegsgeschehen sowie auf Ursachen und Folgen des Krieges fokussiert, wobei die Verantwortung für den Krieg nahezu ausschließlich bei Russland gesehen wurde.

Für Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, liegt mit der nun vorliegenden breiten Material- und Datenanalyse erstmals eine solide Grundlage für die weitere Diskussion über die „Qualität der Medienberichterstattung“ zum russischen Krieg gegen die Ukraine vor, die nicht auf persönlichen Eindrücken beruht oder auf individuellen Mutmaßungen fußt.

Analysiert wurden 4.292 Beiträge aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung, der Bild, dem Spiegel, der Zeit sowie den Hauptnachrichtensendungen Tagesschau, ZDF heute und RTL Aktuell mithilfe der Methode der quantitativen Inhaltsanalyse.

Ein Veranstaltungstipp :

Der Ukraine-Krieg und die Medien“ ist Thema einer Podiumsdiskussion am 24. Jänner um 18.30 Uhr im Presseclub Concordia, Bankgasse 8, A-1010 Wien.