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Herrschaft der Angst ?

„Herrschaft der Angst – von der Bedrohung zum Ausnahmezustand“ lautet der Titel eines bemerkenswerten Sammelbandes, der nun im Promedia Verlag erschienen ist. Die Autor*nnen des Buches eint angesichts der Coronapolitik die Sorge, dass die Herrschaftstechnik „Angsterzeugung“ – noch dazu im Zusammenspiel von Medien und Politik – auch längerfristig autoritäre Tendenzen verstärken könnte.

Udo Bachmair

Neben der durchaus nachvollziehbaren Dominanz gesundheitlicher Aspekte sind in der Debatte rund um die Corona-Pandemie andere Themen vielfach in den Hintergrund getreten. „Kollateralschäden“ in Wirtschaft und Arbeitsmarkt werden zumindest hin und wieder diskutiert. Hingegen sind die in der jüngeren Geschichte wohl einzigartige Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten und die damit verbundene verstärkte Ausübung von Macht eher selten Gegenstand des Diskurses. Diesem Manko versuchen die Autor*innen des Sammelbands engagiert zu begegnen. Sie orten auch und gerade in Corona-Zeiten die Erzeugung von Angst als bewährtes Herrschaftsmittel.

Politik und Medien würden sich gegenseitig beständig unter Druck setzen, um ein immer stärkeres, noch furchterregenderes Bedrohungsszenario an die Wand zu malen, so die These von Hannes Hofbauer und Stefan Kraft, der beiden Herausgeber des Buches. Sie warnen davor, dass die Kontrolle des sozialen Lebens weiter verstärkt und die demokratische Teilhabe weiter eingeschränkt werde. Das Buch geht auch all den kulturellen und psychologischen Folgen der „Herrschaft durch Angst“ auf den Grund, die wiederum negativ auf die Gesellschaft zurückwirken.

„Wer Menschen in Angst versetzen und mit dieser Waffe regieren will, braucht die Leitmedien“, schreibt der Publizistikexperte Michael Meyen, einer der Buch-Autoren. Wer Zugang zu den Leitmedien hat, könne bestimmen, wovor wir Angst haben. Skeptische Gegenstimmen zu diversen als rigoros und autoritär empfundenen staatlichen Ma0nahmen würden oft einfach ignoriert. Überraschende Erkenntnis Meyens: „Die digitalen Plattformen mögen wichtig sein, die Realität wird aber nach wie vor von Leitmedien gesetzt.“ In Österreich spielt dabei vor allem die regierungsnahe ZiB 1 des ORF eine einflussreiche Rolle.

Kritik von links an der Rolle der Linken übt der Philosoph Karl Reitter im Beitrag “Die Linke und die Angst vor Corona“. Ein Großteil der Linken sei nicht fähig, auf die Entwicklungen rund um Corona umfassend und systematisch zu reagieren. Leichtfertige Außerkraftsetzung von Grundrechten werde bloß als Randthema wahrgenommen, viele linke Stimmen fordern ein noch härteres Durchgreifen des Staates. Diese Eindimensionalität habe das Abdriften des Protests gegen die Reduktion von Grund- und Freiheitsrechten unter die Führerschaft der Rechten beschleunigt. “Der autoritäre COVID-19-Staat hat seine linke Flankendeckung bekommen“ resumiert der Autor.

Der jüngste Band des Promedia Verlags setzt sich auch mit zahlreichen historischen Beispielen und Auswirkungen politischer und medialer „Angststrategie“ auseinander. Ein inhaltlich reichhaltiges Werk mit Texten von Wolf Wetzel, Marlene Streeruwitz, Moshe Zuckermann, Norman Paech, Rainer Fischbach, Birgit Sauer, Farid Hafez, Michael Meyen, Diether Dehm, Joachim Hirsch, Maria Wölflingseder, Imad Mustafa, Dieter Reinisch, Karl Reitter und Christian Schubert.

Hannes Hofbauer/Stefan Kraft (Hg.) „Herrschaft der Angst – Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand“ – PROMEDIA 2021

Handke und Serbien : Debatte prolongiert

Zwischen zutreffender Medienkritik und umstrittenen Balkan-Ansichten: Warum Peter Handke auch nach der Verleihung des Literaturnobelpreises weiter die Öffentlichkeit bewegt.

Gastbeitrag von Kurt Gritsch*

Udo Bachmair, der Präsident der Vereinigung für Medienkultur, ruft in seinem Kommentar „Handke und Serbien: Außerhalb der Norm“ in Erinnerung, dass sich der Streit um Peter Handke und Jugoslawien nicht nur an den politischen Positionen des Autors entzündet, sondern auch an seiner Medienkritik. Im Reisebericht „Gerechtigkeit für Serbien“, im Januar 1996 erstmals erschienen, erhebt Handke in Prolog und Epilog nämlich schwere Vorwürfe gegen die Jugoslawien-Berichterstattung westlicher Medien.

Journalisten der FAZ bezeichnete er als „Tendenzkartätschen“ und die Zeitung als das „zentrale europäische Serbenfressblatt“. Anderen Printmedien wie dem Spiegel, der Zeit, Le Monde, Liberation, Le Nouvel Observateur und der New York Times warf er vor, sie hätten über Jahre „immer in dieselbe Wort- und Bildkerbe“ gedroschen und seien deshalb „auf ihre Weise genauso arge Kriegshunde […] wie jene im Kampfgebiet“. Dem Typus des aus der Ferne urteilenden Leitartiklers, dem „Fernfuchtler“, stellte er den entdeckenden Kriegsberichterstatter als „Feldforscher“ gegenüber:

„Nichts gegen so manchen – mehr als aufdeckerischen – entdeckerischen Journalisten, vor Ort (oder besser noch: in den Ort und die Menschen des Ortes verwickelt), hoch diese und andere Feldforscher! Aber doch einiges gegen die Rotten der Fernfuchtler, welche ihren Schreiberberuf mit dem eines Richters oder gar mit der Rolle eines Demagogen verwechseln und, über die Jahre immer in dieselbe Wort- und Bildkerbe dreschend, von ihrem Auslandshochsitz aus auf ihre Weise genauso arge Kriegshunde sind wie jene im Kampfgebiet.“

Während dieser medienkritische Aspekt, den Handke auch in späteren Äußerungen wiederholte, vom Journalismus entweder ignoriert oder zurückgewiesen wurde, zeichnet die wissenschaftliche Literatur ein differenzierteres Bild. So belegte Gabriele Vollmer in ihrer Dissertation 1994, dass in den deutschen Zeitungen Frankfurter Allgemeine, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau und taz tatsächlich „durch eine Einseitigkeit der Berichterstattung zugunsten der Slowenen und Kroaten“ ein serbisches Feindbild aufgebaut worden war, indem Serben in den untersuchten Printmedien mit den meisten Stereotypen belegt worden waren. Doch universitäre Forschungsergebnisse von Doktoranden und Professoren wurden und werden in der Handke-Jugoslawien-Debatte in den Leitmedien kaum wahrgenommen.

Während Handke in Bezug auf seine Kritik an der Jugoslawien-Berichterstattung im Wesentlichen zuzustimmen ist, sieht es mit einigen seiner politischen Anschauungen anders aus. So verstörte der Autor schon in „Gerechtigkeit für Serbien“ mit fragwürdigen Positionen, die in ihrem Gehalt dem serbischen Nationalismus nahestehen:

„Wie sollte, war gleich mein Gedanke gewesen, das nur wieder gut ausgehen, wieder so eine eigenmächtige Staatserhebung durch ein einzelnes Volk – wenn die serbokroatisch sprechenden, serbischstämmigen Muselmanen Bosniens denn nun ein Volk sein sollten – auf einem Gebiet, wo noch zwei andere Völker ihr Recht, und das gleiche Recht!, hatten“.

Die Muslime Bosniens als islamisierte Serben für sich zu beanspruchen, war und ist Bestandteil der großserbischen Ideologie. Eine ähnliche Position existiert auch unter großkroatischen Propagandisten, die in den Muslimen „rassisch besonders reine Kroaten“ zu erkennen glauben.

Peter Handke hat seine viel kritisierte einseitige literarische Annäherung an den Jugoslawien-Krieg damit begründet, er habe eben nicht wie zahlreiche andere Intellektuelle nach Bosnien, sondern ins isolierte Serbien fahren wollen. Dass er das in der deutschen Berichterstattung tatsächlich benachteiligte Serbien allerdings unkritisch mit dessen nationalistischer Staatsführung gleichgesetzt hatte, wurde ihm wiederholt von zahlreichen serbischen Intellektuellen vorgeworfen. Daneben bleibt ein zentraler Stein des Anstoßes bis heute seine Wahrnehmung des Genozids in Srebrenica. In „Gerechtigkeit für Serbien“ heißt es dazu:

„‘Du willst doch nicht auch noch das Massaker von Srebrenica in Frage stellen?‘ sagte dazu S. nach meiner Rückkehr. ‚Nein‘, sagte ich. ‚Aber ich möchte dazu fragen, wie ein solches Massaker denn zu erklären ist, begangen, so heißt es, unter den Augen der Weltöffentlichkeit, und dazu nach über drei Jahren Krieg, wo, sagt man, inzwischen sämtliche Parteien, selbst die Hunde des Krieges, tötensmüde geworden waren, und noch dazu, wie es heißt, als ein organisiertes, systematisches, lang vorgeplantes Hinrichten.‘ Warum solch ein Tausendfachschlachten? Was war der Beweggrund? Wozu? Und warum statt einer Ursachen-Ausforschung (‚Psychopathen‘ genügt nicht) wieder nichts als der nackte, geile, marktbestimmte Fakten- und Scheinfakten-Verkauf?“

Diese Art des Fragens wurde bereits unmittelbar nach Erscheinen der „Winterlichen Reise“ als revisionistisch kritisiert. Da auch Rechtsradikale dadurch vorgehen, dass sie Interpretationen infrage stellen und Erkenntnisse relativieren, fand sich Peter Handke sehr schnell in der Ecke der Fakten leugnenden Revisionisten. 1999 warf ihm Hans Rauscher im Standard vor, das Niveau von Holocaust-Verharmlosern erreicht zu haben. Bis heute liegt diese Wahrnehmung den Vorwürfen, Handke sei ein Genozid-Leugner, zugrunde.

In den Folgejahren von „Gerechtigkeit für Serbien“ verfestigten sich die Positionen – hier zahlreiche Leitmedien, dort der immer zorniger agierende und in seinen Interviews häufig polemisch auftretende Dichter. Inzwischen gewinnt man den Eindruck, dass es nur noch ein Für oder Wider Handke zu geben scheint. Dabei böte die Nobelpreis-Verleihung Anlass, sich mit dem über 100 Werke umfassenden Oeuvre des Schriftstellers mit Bedacht auseinanderzusetzen.

Doch die Literatur ist längst von Politik und bisweilen von Populismus abgelöst worden. Das hat auch mit einer Berichterstattung zu tun, die anstelle der Lektüre von Handkes Primärtexten nur noch ungeprüft Stellungnahmen anderer Medien übernimmt. Mitverantwortlich ist aber auch Peter Handke. Denn einige seiner Äußerungen und Positionen sind und bleiben vor dem Hintergrund der Fakten fragwürdig.

*Kurt Gritsch ist promovierter Zeithistoriker. Er ist Autor des Buches „Peter Handke und Gerechtigkeit für Serbien. Eine Rezeptionsgeschichte“ (Studienverlag 2009).