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Landleben.Gefährdete Lebensform

Hans Högl: Buchrezension:

Werner Bätzing. Das Landleben. Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform,
München 2020 (C.H.Beck), 302 S. mit Sachregister.

Viele meinen, es sei doch klar, was ländliche (r) Raum und Lebensform sei. Ein Irrtum: Denn dörfliche Welt ist vielgestaltig, wie ich in fünfzehn intensiven Aktionsstudien quer durch Österreich mit Erstaunen feststellte. So gibt es Industriedörfer, ausgehöhlte Bauerndörfer, Tourismusgemeinden, Schlaforte im Umfeld von Großstädten. Und Kleinstädte bis unter 20.000 Einwohnern zählen ebenfalls zum ländlichen Raum, aber nicht die Gemeinden im Speckgürtel von Großstädten. Ein Unesco-Kriterium ist die Dichte der Bevölkerung.

Zu einem schiefen Bild tragen jene Massenmedien bei, in denen das Land kein sachgemäßes Echo findet: Fernsehfilme zeigen sonnendurchflutete, ländliche Urlaubsidylle mit einer längst vergangenen bäuerlichen Welt oder wunderschöne Almen. Oder es sind beschämende Dodel-Shows. Romane handeln von einer nicht mehr existierenden bäuerlichen Dorfwelt um 1950. Meist sind sie eindimensional kritisch. Positive Aussagen darüber sind dem Feuilleton ideologieverdächtig- auch die Schönheit: Kürzlich erlebte ich am Stadtrand ein wunderschönes Abendrot: Spontan fiel das Wort: „Ach` wie kitschig!“ Und Soziologen hielten es in der Regel für unnütz, sich mit der Restkategorie des Landes im cultural lag zu befassen.

Darum ist es besonders aktuell, sich in das Buch des Geographen Werner Bätzing zu vertiefen. Der als renommierter Alpenforscher bekannte Erlanger Universitätsprofessor leitete Projekte in Franken (Bayern) und ließ Erfahrungen in sein Werk einfließen. Laut Bätzings normativer Prämisse sind Stadt und Land gleichwertig, ohne gleich zu sein noch dies zu werden. Doch reell sieht er ländlichen Raum und deren Lebensform entwertet und formuliert nach einer umfangreichen, wie es mit dieser Lebenswelt wieder aufwärts gehen könnte.

Er schürft in der Tiefe der Geschichte, geht in die frühe Antike zurück – bis in die Phasen des „Fruchtbaren Halbmondes“, in denen die ersten Städte der Menschheit entstanden. Das Fundament für das Entstehen dynamischer Städte mit hoher Kultur und Arbeitsteilung war die Sesshaftigkeit der Bauern und die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion. So sind die ersten Kapitel eine große Tour d` horizon von Stadt und Land, vom Mittelalter bis in die industrielle Revolution, bis in die Phase von 1950 bis 1980.

Da kam das Land stark ins Hintertreffen, wurde abgewertet, und die Agrartechnik änderte radikal die Landwirtschaft und diverse Faktoren die ländliche Lebensform: Es kam zu Abwanderung von Berufstätigen, kleine Geschäfte wurden aufgelassen, Handwerksbetriebe verschwanden, Dorfschulen wurden in größere Orte verlegt, Bahnstrecken eingestellt, Postämter und Sparkassen geschlossen. Und ich füge als Rezensent an: Heute fehlen in zentralen Gemeindeorten in Niederösterreich sogar die Bankomaten. Dies schafft Probleme für ältere Menschen.

Werner Bätzing legt dar: Wer auf dem Land lebt, dem erschließen sich grundlegende Werte eher: dass Zusammenhalt und Nachhaltigkeit wichtig sind. Als zentrale Qualität der ländlichen Lebensform sieht Bätzing Naturnähe, die geringe Arbeitsteilung und die große soziale Nähe, (die auch belastend sein kann). Und uns Akademikern setzt manchmal die breite, praktische Geschicklichkeit sogenannter „einfacher“ Menschen in Staunen.

Land und Stadt brauchen einander, sind aufeinander bezogen. Städte brauchen sauberes Wasser, saubere Luft, Energie. Ohne die Dörfer hätten viele Großstädter und ihre Kinder nach dem Weltkrieg noch mehr gehungert. Das Land bot lebensrettende Lebensmittel. Manche: auch die Situation ausnützend. Der Rezensent meint: Wir sollten weder die Menschen auf dem Land ethisch idealisieren noch die reichen kulturellen Angebote der Großstädte und deren gesundheitsfördernden Institutionen für das breite Land geringschätzen. Beide: Stadt und Land bedürfen einander.

Trotz weltweiter Urbanisierung erlebt Leben auf dem Lande ein Comeback. „Die Provinz ist Zukunft“ zitiert Bätzing die Süddeutsche Zeitung (S. 282, Anmerkung 13). Das Buch ist klar im Aufbau, liest sich gut und vereinfacht nicht populärwissenschaftlich. Es ist Ergebnis von reicher Erfahrung und gediegener Reflexion.

Von Bukarest ins Donaudelta: Rumänien ist anders

Reiseberichte stimulieren oft für Reisen - kommerziell verzweckt für Agenturen, aber es gibt lobenswerte Ausnahmen: so Sendungen wie "Ambiente" in Ö 1 (Radio) und in 3-sat. Diese Reportage  über eine selbstorganisierte Fahrt berichtet Ungewöhnliches von einem Land, wovon kaum berichtet wird: von Rumänien. Im völkerverbindenden Sinn lohnt es, Näheres darüber ´zu erfahren. Wie kürzlich bekannt wurde,  kämpft ein mutige Rumänin gegen korrupte Politiker.  Es ist für uns Europäer wichtig, dieses Land kennenzulernen. Darum hat dieser Text für unser Publikum "Medien-Kultur". 
Hans H ö  g l – Reportage
Ich bin im Minibus – verlasse die Hauptstadt und bin unterwegs zum Donaudelta. Es ist eine lange Fahrt durch die  weite Ebene.  Meine  Gedanken schweifen zurück nach Bukarest.  Mir fällt ein Slogan ein: „Rumänien ist  anders“. Diese Land ist vielschichtig.  Junge Leute hantieren in der Zweimillionenstadt  an den gleichen Smartphones  und bewegen sich mit gleichen bunten,  leichten Schuhen und schlürfen den coffee-to-go  wie bei uns.
Es wurden in Bukarest immense Konsumtempel errichtet, die Holzgerüste bei der Renovierung  orthodoxer Kirchen sind seltsam. Riesige Reklame  an vielstöckigen Häusern.  Großfirmen schlagen zu. Auch deutsche und österreichische Unternehmen sind präsent.
Mit dem Galeristen  Hans Knoll  war ich in Bukarest. Er ist ein Ostpionier: Schon ein halbes Jahr vor der Wende 1989 eröffnete er ein Kunstgalerie in Budapest. Die Kollegen schüttelten den Kopf, jetzt  beneiden sie ihn.   Er besucht  mit einer Gruppe die Art Safari. Pavilionul de Arta Bucuresti   und  einzelne Ateliers. Und ich war mit von Partie.

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Waldviertel-Film „Über die Jahre“. Ungewöhnlich!

Hans H ö g l

Sie werkeln noch weiter in der Manufaktur – das Wort Fabrik will nicht über die Lippen – sie spüren – irgendwann stehen die Räder still, und es geht zu Ende. Aber sie bleiben, halten durch. Fast Scham regt sich, zu sehen, an welch` museumsreifen Textil-Maschinen Leute frühindustriell anmutend mechanische Arbeit verrichten und danach wie Fallobst in die Zeit des späten, freien Nachmittags gleiten. Sie  tauchen ein in die Weite der Felder und Wälder und stehen vor Teichen, sind in der Stille des Landes, weit von dynamischen Metropolen und ohne deren Vielfalt an Optionen. Das Leben nach dem Verlust der entlohnten Arbeit fließt unaufgeregt wie ein ruhige Fluss. Es wird schon weiter gehen. Sie halten durch, haben Boden unter den Füßen, beschäftigen sich rund ums Haus und in Wohnungen, die durchaus passabel wirken. Und erfinderisch suchen sie neue Beschäftigung oder auch nicht. Die Grenze zur böhmischen Welt überschreiten sie nicht. Seltsames glauben sie über tschechische Gasthöfe.

Dieser Film über die kleinen Leute widerlegt Vieles,  was einige G`scheiteln über das Landleben missverstehen oder phantasieren.  Waldviertel-Film „Über die Jahre“. Ungewöhnlich! weiterlesen