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Ein Silberstreif am Horizont

Unsere Welt befindet sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Wir sollten die Corona-verursachte Rezession als einen Aufschub für das Ökosystem erkennen (und anderen helfen, sie zu erkennen), als eine Bühne, auf der die Wirtschaft von morgen stehen wird. Gepaart mit konstruktivem Journalismus.

Ilse Kleinschuster ( Gastkommentar )

Je gesünder das Ökosystem ist, desto gesünder wird die Wirtschaft sein. Warum also rennen, um alles wieder aufzureißen sobald wir den Höhepunkt der Pandemie überwunden haben?!? Könnte es sein, dass viele Bürger an der sozialen Front, wenn die Pandemie einmal abgeklungen sein wird, sich denken: „Meine Güte, in gewisser Weise war es während der Rezession schöner. Der COVID-Teil war schrecklich, aber die Ruhe war unglaublich. Die Zeit mit der Familie erwies sich als unbezahlbar! “ Auf der anderen Seite derselben Medaille denken sich wiederum viele: „Nun, wir haben die Pandemie hinter uns, aber jetzt geht es zurück zum Wettrennen und all dem Lärm, dem Verkehr und dem Stress.“

Jetzt wo wir so viel Zeit haben, sollten wir uns doch mehr der Frage widmen, ob denn nicht die deutlich zutage gekommenen Vorteile einer langsameren und geringeren Wirtschaftstätigkeit ermutigend sein können. Der Silberstreifen – gemeint ist der kurze Aufschub von den Verwüstungen eines außer Kontrolle geratenen BIPs, das untrennbar in das Umwelt- und Sozialgefüge von 2020 eingewirkt war. Wir täten gut daran, ihn wertzuschätzen und beizubehalten, wir sollten ihn nicht entfernen und verkaufen, sobald wir die Chance dazu haben. Mithilfe einer neu entwickelten Wertschätzung wirtschaftlicher Mäßigung können wir uns gezielter einem post-Wachstum, einem stabilen Wirtschaftssystem zuwenden, das auf „unseren“ Planeten passend zugeschnitten ist.

Wird der Silberstreifen am Horizont überhaupt wahrgenommen – oder machen wir ‚ÖKOS‘ uns da was vor -?

Warum ist die Nachhaltigkeit noch nicht wirklich in der Öffentlichkeit angekommen? – Macht vielleicht das Wissen um diese Chance ängstlich? Ist es vielleicht die Ursache für all die „alternativen“ Theorien, die jetzt entstehen? Ist es nicht irgendwie „menschlich“, wenn wir auf eine Welt, die sich so stark verändert, mit Fluchtgedanken reagieren – ich meine Flucht nicht nur vor den Herausforderungen und Zumutungen, sondern auch vor den Chancen im Hier und Jetzt – und der damit verbundenen Freiheit?!? Flucht ins Virtuelle, denn, bitte, wohin auf diesem „begrenzten Planeten“ könnte man heutzutage noch fliehen wollen? Also wenn ich nicht fliehen kann, dann ziehe ich mich eben zurück – wie’s ja die Schnecke z.B. gut vorführt! Wenn bis noch vor kurzem demokratische Werte, die universellen Menschenrechte, vorbildlich gewirkt haben, so werden sie jetzt attackiert. Ja, hier wird vielfach eine perfide Strategie eingesetzt, indem Freiheiten von offenen Gesellschaften ausgenutzt und deren Stärken in Schwächen umgewandelt werden. Die unsäglichen Legenden, die um wissenschaftliche Erkenntnisse kursieren: sei es um die Leugnung des menschengemachten Klimawandels oder die Furcht vor dem Impfen. Wissenschaftsfeindlichkeit ist die Folge, populistischer Anti-Intellektualismus – und vonseiten einer populistischen Politik wird mit „Maulkorberlässen“ und Drohungen gegen liberale Universitäten reagiert, wie z.B. die Schließung der von der George Soros Stiftung finanzierten Universität in Budapest es zeigt. Sicher, es ist nicht so, dass Wissenschaft „die“ Wahrheit liefert, aber Wissenschaft liefert doch viel mehr unterschiedliche Anhaltspunkte und methodisch verlässliches Wissen.

Was tun, damit Fake News in ihrer aktuellen Bedeutung uns nicht über den Kopf wachsen? Wie sollen wir auf die dunklen Seiten des Informationszeitalters reagieren? –

Wir müssen aus ihnen lernen. Kritischer Journalismus tut dies ja bereits. Gegenüber gezielten Falschmeldungen kann man als verantwortungsvoller Journalist nicht „neutral“ sein. Wenn Fake News geballt auftreten, dann bedeutet das die Bedrohung der demokratischen Öffentlichkeit, weil sie den Diskurs vergiften, Debatten manipulieren und die Wahrnehmungen verzerren – letztlich das politische Klima beeinflussen. Es ist zu vergleichen mit dem Begriff „Kipppunkt“ wie er im anthropogenen Klimawandel wissenschaftlich beschrieben wird, so der Journalist Patrick Gensing: „Ein „Shitstorm“ macht noch keinen politischen Klimawandel, aber Häufigkeit und Intensität nehmen zu. Das politische Klima hat sich bereits gewandelt, es ist ungemütlicher geworden, aggressiver. Gezielte Falschmeldungen wirken dabei als fatale Klimakiller, die irreversibel sind. Sie erscheinen, isoliert betrachtet, wenig bedrohlich, erst in einem größeren Kontext wird ihre toxische und zerstörerische Wirkung deutlich – und wenn die erwähnten Kipppunkte erreicht werden, könnte es zu spät sein.“

Fazit: In einer Welt, in der Fake News zum politischen Alltag gehören, ist konstruktiver Journalismus als „Vierte Gewalt“ wichtiger denn je. Und so sehe ich den Silberstreifen am Horizont auch als eine Wende im Transformationsprozess des Journalismus hin zu mehr Aufklärung, Bildung und Verantwortung, hin zu besserer Wahrnehmung jener Dinge, die das „große Ganze“ zusammenhalten.

( Analyse von Ilse Kleinschuster, engagiertes Mitglied der Vereinigung für Medienkultur )