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Si vis pacem para pacem

Kriegsberichterstattung und Propaganda, Neutralität und Streben nach Frieden: einige der Aspekte, die das Spannungsfeld von Politik und Medien mehr denn je charakterisieren.

Udo Bachmair *

Kriegsrhetorik in Politik und Medien greift immer weiter um sich. Vor diesem Hintergrund mutiert Frieden zunehmend zu einem negativ geladenen Begriff. Er wird vorwiegend in Kombination mit Begriffen wie Diktatfrieden oder Friedensdiktat verwendet. In der veröffentlichten Meinung dominiert die ausschließliche Sinnhaftigkeit aller militärischen Lösungen. Das veranschaulichen die aktuellen Beispiele der Kriege in der Ukraine und Gaza besonders deutlich.

Grundsätzlich erscheint klar: Kriegspropaganda betreiben immer beide Seiten eines Konflikts.

Gleichgeschaltet wirkende westliche Medien und auch zahllose PolitikerInnen gehen davon aus, dass nur Russland Kriegspropaganda betreibt, nicht aber auch die Ukraine.
Daraus resultiert jener durch diverse Studien bereits mehrfach belegte Eindruck, dass in der Kriegsberichterstattung vieler unserer Medien, besonders aber der deutschen, ukrainische Kriegsrhetorik und Propaganda oft als faktenbasierte Inhalte präsentiert werden, gemischt mit einem sich weiter radikalisierenden Wording. Friedensrhetorik hingegen wird als naiv abgetan, eine solche würde Aggressoren, wie Putin, nur weiter ermuntern.

Am Anfang des Ukraine-Krieges war noch die territoriale Integrität der Ukraine oder Hilfe vor Ort im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung. Danach wurde medial zunehmend vermittelt, dass ein Sieg der Ukraine unbedingt nötig sei, die Existenz und der Fortbestand ganz Europas würden ansonsten auf dem Spiel stehen. Damit auch „unsere westlichen Werte“. Aber man fragt sich, ob denn die Ukraine diesbezüglich tatsächlich als Vorbild dienen könne, ein Staat, der hinsichtlich Korruption oder Pressefreiheit weltweit die hintersten Ränge belegt.
Ungeachtet dessen wird ein Sieg gegen Putin von Politik und Medien gleichsam zur Pflicht erkoren.

Damit entfällt folgerichtig jede Verpflichtung zu Bemühungen für Waffenstillstandsgespräche und eine baldige friedliche Lösung.
Eine Forderung, die kürzlich auch der Papst erhoben hat – und er musste sich vom traditionell antirussischen Standard-Journalisten Hans Rauscher umgehend als Unterstützer eines Aggressors rügen lassen u.a. mit der Äußerung:

„Der Heilige Vater weiß nicht, wovon er da redet“

In derselben Zeitung feuerte Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie die Rüstungskonzerne an mit den Worten:

„Die Rüstungsindustrie könnte durchaus mehr produzieren!“.

Speziell in Deutschland verdichtet sich der Eindruck, dass die meisten Medien, ausgerechnet auch die öffentlich-rechtlichen, die zur Objektivität auch der außenpolitischen Berichterstattung verpflichtet wären, die Politik vor sich hertreiben, immer mehr und immer weiter aufzurüsten.
Beispiel der Druck auf Kanzler Olav Scholz, unbedingt schwere Panzer an Kiew zu liefern, eine Forderung, der er nach einigem Zögern schließlich doch nachgekommen ist.
Oder jüngst: Noch zögert Scholz, die weit reichenden gegen Russland gerichteten Taurus-Raketen zu liefern. Er trotzt damit dem Druck der konservativen Opposition sowie vor allem auch dem Boulevard, wie der allmächtigen BILD-Zeitung.

Eine Frage der Zeit, bis Scholz wieder in die Knie geht..?

Schließlich kommt Druck auch aus seiner Ampelkoalition, aus der FDP, allen voran seitens der mittlerweile als hartnäckige Kriegstreiberin kritisierten Chefin des außenpolitischen Bundestagsausschusses, Strack -Zimmermann. Besonders auch seitens der Grünen, allen voran der im Selbstverständnis nach wie vor grünen Außenministerin Annalena Bärbock. Sie hat sich in den Augen von Beobachtern als kriegsbegeisterte militaristische Hardlinerin entpuppt. Sie scheint vergessen zu haben, dass die Grünen sich früher einmal als parlamentarischer Arm der Friedensbewegung verstanden haben – eine Absurdität, ein Hohn sondergleichen, wenn man ihre aktuelle Haltung betrachtet.
Ganz zu schweigen von der EVP-Politikerin und EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen, die ebenfalls den Eindruck einer militaristischen Einpeitscherin erweckt, ohne auch nur einen einzigen Lösungsvorschlag präsentieren zu können.

Jedenfalls muss Frau Von der Leyen auch jene fahrlässige Untätigkeit der Europäischen Union insgesamt bezüglich Bemühungen um eine diplomatische Lösung und eine Beendigung des Blutvergießens angelastet werden. Im Sinne der Waffenlobby und im Interesse von NATO und USA fehlt offenbar jeglicher Wille, weiterer intensiver Aufrüstung abzuschwören und zumindest zu versuchen, mit Moskau diplomatisch oder persönlich in Kontakt zu treten. Optimismus über eine wohlwollende Gesprächsbereitschaft Putins hält sich zurzeit freilich in Grenzen.

Aber Versuche wären’s doch wert !

Putin machts natürlich seinen Gegnern mit seiner völkerrechtswidrigen Aggression in der Ukraine leicht – und so läge es auch an ihm, erneut Verhandlungsbereitschaft zu zeigen, auch wenn ihm der Westen noch so sehr die kalte Schulter zeigt.
Zuviel Porzellan wurde auch seitens des Westens und der gefährlichen Erweiterung der NATO bis an die Grenzen Russlands zerschlagen. Jede Bereitschaft und Fähigkeit scheint dafür zu fehlen, sich auch in den Kriegsgegner Russland hineindenken zu können. So wird die subjektiv gefühlte und aus Sicht Moskaus ernstzunehmende Bedrohung durch die NATO-Erweiterung ebenfalls als bloße Propaganda abgetan.

Einseitigkeit in Bezug auf die Beurteilung des Ukrainekrieges bzw. der Mangel an differenzierten und differenzierenden Betrachtungsweisen in Politik und Medien erscheinen besonders schmerzlich dann, wenn sie in einem neutralen Staat wie Österreich gang und gäbe sind.–

Leider muss sich da auch mein altes Unternehmen ORF manche Kritik gefallen lassen. So werden überwiegend Experten und Expertinnen in Ö1-Journale, ZiB 2-Sendungen oder Punkt.Eins.-Sendungen eingeladen, die undifferenziert proukrainisch und militaristisch argumentieren. So werden auch die zahlreichen Hintergründe, die mit zum Ausbruch des Krieges 2014 bzw. 2022 geführt haben, weitgehend ignoriert.

Die meisten JournalistInnen-KollegInnen fühlen sich im Strom des antirussischen Mainstreams wahrscheinlich wohler, einzelne, die Waffenstillstandsverhandlungen oder Friedensgespräche fordern, werden als Putinversteher gebrandmarkt, die angeblich nur dem Kriegsherrn in Moskau in die Hände spielen wollen. Sie geben ihren Widerstand gegen den Mainstream meist bald auf.
Einer der vorbildlichen Ausnahmen unter den ORF-Redakteuren, Christian Wehrschütz, wird sich auch nicht mehr lange halten können, denn leider wird nicht nur in Kiew, sondern auch hierzulande gegen ihn Stimmung gemacht und ihm dadurch der Weg in die Pension erleichtert.

Es ist ja nicht so, dass pauschal alle JournalistInnen sich nicht zumindest bemühen würden, auch in heiklen außenpolitischen Fragen einigermaßen objektiv und seriös zu berichten. Vielen ist einfach nicht bewusst, dass sie sich für eine Seite (pro Ukraine, pro Israel) vor den Karren spannen lassen. Unter der Devise: Die Einen sind gut, die Anderen nur böse.
Davon lebt freilich der Boulevard, leider aber auch sogenannte seriöse Medien wie der ORF oder der Standard etc.
So ist und bleibt das bereits lange aufgebaute Feindbild Russland unverrückbar. –

Ein Grundproblem besteht u.a. darin, dass die außenpolitischen Ressorts, auch die im ORF, personell ausgedünnt worden sind, sodass oft weder Zeit noch Energien mehr bestehen für die Verwendung auch ausreichend alternativer Quellen. So bekommen MedienkonsumentInnen zu einem großen Teil serviert, was die beiden großen westlichen Agenturen mit ihrem speziellen Wording und ihrer US-orientierten Sicht der Welt vermitteln und vorbeten.

Die andere Seite der Propaganda, die der russische TV-Kanal „Russia today“ betreibt, ist der westlichen Zensur zum Opfer gefallen und nicht mehr empfangbar. Demokratiepolitisch und im Sinne der Meinungsvielfalt problematisch. Dabei wäre es doch interessant und aufgeklärten MediennutzerInnen zumutbar, auch die andere Seite zu hören, auch wenn Propagandainhalte überwiegen.

Umso lauter polemisieren manche PolitikerInnen und heimische Medien gegen die Nützlichkeit der Neutralität Österreichs. In Kommentaren etwa der Zeitungen Standard oder Kurier wird mehr oder weniger unverhohlen Stimmung aufbereitet für einen Beitritt Österreichs zur NATO.
Dabei hätte Österreich hätte als neutrales Land große Chancen, Vertreter der Kriegsparteien an einen Tisch zu holen. Wien als UNO-Standort, Wien als Austragungsort internationaler Konferenzen, wäre prädestiniert dafür.

Nur: Österreichs Neutralität hat Schaden gelitten durch eine österreichische Außenpolitik, die den Namen nicht verdient, die sich bei globalen Konflikten jeweils relativ einseitig positioniert.
Nicht nur in der Ukrainefrage – etwa wenn das Parlament Selenskyj zu einer seiner Propagandareden einlädt – oder wenn auf dem Gebäude des Bundeskanzleramts ausschließlich die israelische Fahne gehisst und nicht auch Empathie für das Leid der palästinensischen Bevölkerung symbolisiert wird –

All das ist freilich nicht ein formaler Verstoß gegen die immerwährende bewaffnete Neutralität, jedoch gegen den Geist der Neutralität gerichtet.

Sollte eine weitere Aushöhlung der Neutralität erfolgen oder gar ein NATO-Beitritt Österreichs Realität werden, wäre eine mediative und friedensstiftende Rolle Österreichs wie zu Zeiten Bruno Kreiskys jedenfalls endgültig verspielt.

Werden wir nicht müde, da klar dagegenzuhalten !

* Der Beitrag entspricht einer leicht gekürzten Textgrundlage für ein Referat, das Udo Bachmair bei einer Veranstaltung der „GewerkschafterInnen gegen Atomenergie und Krieg“ am 13.3.2024 im Amerlinghaus in Wien gehalten hat

Richtige Worte gefunden

Kürzlich in der ZiB2 lieferte Bundeskanzler Karl Nehammer eine Überraschung. Er fand klare Worte zum Ukrainekrieg sowie zu Österreichs Neutralität.

Wolfgang Koppler *

Ich habe Bundeskanzler Nehammer, der diese Amt vielleicht gar nicht so gerne übernahm, bis jetzt immer für etwas hölzern und „patschert“ gehalten. Das Interview, das Armin Wolf mit ihm in der ZiB2 vom 28.2. führte, belehrte mich eines Besseren.

Es ging um den Ukraine-Sondergipfel in Paris, an dem Nehammer teilnahm und sich dort für Verhandlungen im Ukrainekrieg aussprach. Ein Tabuthema für Journalisten und Armin Wolf zeigte keine sonderliche Begeisterung, das bis jetzt vorherrschende Motto „Gerechtigkeit um jeden Preis“ aufzugeben und statt dessen wieder Vernunft, Menschlichkeit und Pragmatismus walten zu lassen.

Nehammer betonte zunächst die Solidarität Österreichs mit der Ukraine, unsere humanitäre Unterstützung und die Beteiligung an den westlichen Sanktionen. Es brauche aber neue Lösungen zur Beendigung des Konflikts. Er sprach von „westlichen Echokammern“ der USA, Kanada und der europäischen Staaten, welche die Spannungen stattdessen verschärfen würden. Etwa, das bis jetzt kaum ein Politiker auszusprechen wagte, das aber auf der Hand liegt.

Nicht an Bord genommen worden seien aber die BRICS-Staaten, welche sehr einflussreich seien in Bezug auf den russischen Präsidenten. Es brauche mehr Miteinander.

Nehammer parierte geschickt das von Wolf ins Spiel gebrachte Argument der strategischen Antiguität und Macrons Forderung nach dem Einsatz von NATO-Truppen, indem er auf dieGefahr einer nicht mehr zu stoppenden Eskalationsspirale und einer unmittelbaren Konfrontation von NATO-Truppen und russischen Soldaten verwies. Es gelte, eine weitere Ausweitung des Kriegs, allenfalls in einen Weltkrieg zu verhindern.

Wolf bohrte dann natürlich noch weiter nach und verwies auf die schon seit längerem kolportierte Anwesenheit von NATO-Soldaten zur Ausbildung und Aufklärung (offenbar nach dem Motto: is eh scho wuascht). Nehammer verwies auf die – eigentlich jedem einleuchtende – Unterscheidung zwischen offiziell anwesenden (kämpfenden) Truppen und inoffiziell im Hintergrund tätigen Einsatzgruppen. Wobei er sogar zugab, dass sich „nach Meinung von Experten“ tatsächlich bereits Spezialeinsatzkräfte auf ukrainischem Territorium befänden. Das sei mit einer unmittelbaren Konfrontation NATO-Russland aber nicht vergleichbar.

Hinsichtlich des derzeit aufgeschaukelten Konflikts um Transnistrien lieferte der Bundeskanzler sogar interessante Hintergrundinformation. In Wirklichkeit geht es dort um Waffenlager mit großen Mengen an Munition aus sowjetischer Zeit, an denen sowohl die Ukraine als auch Russland Interesse haben. Nebenbei bemerkt: Ein Eingreifen Russlands scheint dort schon aus geographischen und logistischen Gründen eher unwahrscheinlich.

Schließlich kam geradezu drehorgelartig von Seiten Wolfs der Einwand, dass Verhandlungen angesichts von Putins Sturheit aussichtslos seien, zumal dieser ja an den Verhandlungstisch kommen und ja von selbst den Krieg beenden könnte. Putin ist schuld, Putin ist schuld… Da könnten wir Diplomaten überhaupt einsparen und durch die Militärs ersetzen. Abgesehen davon, dass Putin erst jetzt wieder bei seiner Rede an die Nation nur in wenigen Zeitungen erwähnte Verhandlungssignale aussandte, indem er Gespräche mit den Westen über eine neue strategische Weltordnung forderte.

Nehammer fand auch hier die richtigen Worte. Man müsse mit Putin „auf Augenhöhe verhandeln, nicht belehrend“, zumal Russland sich in einer Sackgasse befinde und keines seiner Ziele erreicht habe. Im Gegenteil: Die NATO sei durch die Beschlüsse über höhere Verteidigungsausgaben gestärkt und zudem durch Finnland und Schweden erweitert. Anmerkung: Das wird wohl auch den Russen bewusst sein. Aber je mehr man sie abwertet, desto mehr betonieren sie sich ein. Sowohl Russen als Ukrainer tragen uralte Verwundungen mit sich herum.

Es sei wichtig, wie man aus diesem Konflikt wieder herauskomme. Dazu bedürfe es aber vieler Verhandlungsschritte.

Natürlich durfte auch die von Wolf schon des Öfteren ins Spiel brachte Debatte über Österreichs Neutralität und deren Sinnhaftigkeit nicht fehlen. Eingeleitet wurde diese mit dem sattsam bekannten Argument der Journalisten: Da unsere Neutralität durch die Zusage an Teilnahme bestimmter EU-Maßnahmen eingeschränkt wurde, können wir sie gleich aufgeben („is eh scho wuascht“, um dem Wiener Fatalismus entgegenzukommen).

Auch hier argumentierte Nehammer bemerkenswert klar und nachvollziehbar. Unsere Neutralität sei schon deshalb nützlich, weil sie uns zumindest außerhalb der EU außenpolitischen Spielraum biete, den wir sonst nicht hätten. Vor allem in den Kontakten zu den großen BRICS-Staaten Indien und Brasilien, die sich für eine Friedenslösung einsetzten und gute Kontakte zu Russland hätten. Eine derartige Bewegungsfreiheit hätten wir als NATO-Staat nicht (weil diese Länder dem westlichen Militärbündnis eher reserviert gegenüberstehen).

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien

Bedrohliches Kriegsgetöse (1)

In den Medien häufen sich bange Prognosen, dass es nur mehr eine Frage der Zeit sei, bis Russlands Präsident Putin auch weitere Teile Europas überfällt. Vor diesem Hintergrund wollen auch manche Akteure in Österreich das Bundesheer „kriegsfähig“ machen.

Wolfgang Koppler *

Fast wie bestellt zum im April bevorstehenden 75.Jahrestag der Gründung der NATO werden überall Unkenrufe laut, dass Russland in einigen Jahren Europa überfallen könnte, weil der kriegslüsterne Putin, sollte er im Ukrainekrieg nicht besiegt werden, dann vielleicht Lust auf mehr hätte. Im Presseklub Concordia beklagte Oberst Reisner die postheroische Gesellschaft in Österreich und den mangelnden Wehrwillen – im Gegensatz zu den seiner Ansicht nach opferbereiteren Gesellschaften Russlands und der Ukraine. Seinen Doktorvater Lothar Höbelt wird es wahrscheinlich freuen. Obwohl Reisner keine Antwort auf die Frage wusste, warum sich in der Ukraine und Russland so viele dem Wahnsinn zu entziehen suchen.

In der gestrigen ZiB2 wurde ebenfalls die Kriegshysterie geschürt, indem man über die Aufrüstungsabsichten des Heeres und die Befürchtungen von Heeresexperten berichtete, die 1 zu 1 jenen der NATO ähneln. Und der Generalsekretär des Außenministeriums musste Armin Wolf erklären, dass er als Beamter an die Verfassung und somit an das Verfassungsgesetz über die Neutralität gebunden sei. Der hohe Beamte des Verteidigungsministeriums hatte zuvor den apodiktischen Satz geäußert: „Österreichs Neutralität bietet keinen Schutz“.

Die russische Armee war in zwei Jahren Krieg weder imstande, Kiew, noch den gesamten Donbass einzunehmen. Und ein Angriff auf die NATO ist wohl ziemlich unwahrscheinlich, zumal Russland damit kämpft, seine Wirtschaft am Laufen zu halten. Und Putin wäre in 8 Jahren 80. So er dann angesichts seiner Chemotherapien noch lebt.

Naheliegender ist, dass die Mittel für die geplante Aufrüstung überall fehlen werden. Ob im sozialen Wohnbau, im Klimaschutz und in der Entwicklungszusammenarbeit.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Bedrohliches Kriegsgetöse (2)

Medien und Politik schüren Angst und Panik vor einem Angriff Russlands auf die EU und die NATO. Das erhöht die Zustimmung zu weiterer hemmungsloser Aufrüstung.

Wolfgang Koppler *

„Die NATO ist nicht nur von außen bedroht“, lautet ein Artikel jüngst in den Oberösterreichischen Nachrichten (OÖN). Darüber ein Foto mit Panzer und drauflos stürmenden Soldaten. Stoltenberg und das NATO-Emblem haben offenbar ausgedient und wirken zu wenig kriegerisch.

Anlässlich des uns bevorstehenden 75-Jahr-Jubiläums der NATO im April und wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Probleme im Westen müssen natürlich Ängste vor inneren und äußeren Feinden geschürt werden. Auch um die Opferbereitschaft der Bevölkerung zur Erhöhung der Rüstungsbudgets zu steigern. Und so beginnt der Autor natürlich mit dem äußeren Feind Russland. Ein zunehmend kriegerischer russischer Präsident Putin könnte das Militärbündnis in weniger als einem Jahrzehnt angreifen, wird der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius zitiert (vielleicht sollte er noch seinen Vornamen ändern: Boris könnte zu russisch wirken).

Wer weiß, was dann sein wird ? Auf jeden Fall wäre Putin dann an die 80. Und wer weiß, ob er dann noch am Leben sein wird, wer dann in Russland überhaupt an der Macht ist. Und Russland hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Interesse, Polen, das Baltikum oder gar Schweden anzugreifen. Das sind – aus der Sicht Russlands – keine strategisch oder auch nur kulturell – bedeutsamen Gebiete. Alles andere ist bloße Spekulation und Kaffeesudleserei. Genauso gut können wir uns auf einen Angriff der Außerirdischen vorbereiten oder auf einen Ausbruch eines der 50 Supervulkane, die es auf der Erde gibt. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit werden wir aber angesichts der jetzt schon besorgniserregenden Daten in 10 Jahren den Klimawandel und das Elend in den Entwicklungsländern weit stärker zu spüren bekommen als uns lieb ist. Aber mit solchen weitaus realistischeren Vorhersagen steigert man keine Rüstungsbudgets,

Um Politik und Bevölkerung aber trotzdem zu sensibilisieren, muss man Horrorvisionen erzeugen und sich dabei auf Experten berufen. Wie das auch Pistorius tut: „Unsere Experten rechnen mit einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren, in dem dies möglich sein könnte“ (man beachte das Wort „möglich“ und mein obiges Stichwort „Kaffeesudleserei“). Da es dem Autor scheinbar darum zu tun ist, die Panik noch zu steigern, stellt er in der Folge einige Suggestivfragen: „Ist der Angriff Russlands gegen die Ukraine nur ein Testlauf, um zu sehen, wie ernst es den westeuropäischen Staaten mit ihrer Verteidigungsbereitschaft ist ? Falls es Putin gelingen sollte, die Ukraine niederzuringen, wendet er sich dann seinem Hauptfeind ‚NATO‘ zu ? Testet er den Artikel 5 des NATO-Vertrages“ ? (Anm: Beistandspflicht)

Um diesen geradezu bohrenden, aber eher substanzlosen Fragen Nachdruck zu verleihen (wobei der Autor zugesteht, dass seine Visionen in Westeuropa als eher unwahrscheinlich abgetan werden), wird dann Schwedens Oberbefehlshaber General Michael Byden zitiert, der die Schweden aufgefordert hätte, sich „mental“ auf den Krieg vorzubereiten. Und dann folgt noch einmal Pistorius, der in seinem Interview die schwedischen Warnungen „aus skandinavischer Sicht als verständlich“ bezeichnet hätte. Ich würde eher sagen, aus Sicht der skandinavischen Regierung und der Militära, die den sich jetzt bald zwei Jahre hinziehenden Beitrittsantrag ja irgendwie rechtfertigen müssen.

Und natürlich darf im gegenständlichen ÖON-Artikel der Hinweis auf die historisch verständliche Besorgnis der Polen nicht fehlen. Weshalb Polen gegenwärtig gefährdet sein sollte, kann der Autor nicht darlegen.

Da dies alles wenig stichhaltig ist, um eine massive Erhöhung der europäischen Verteidigungsbudgets zu begründen, darf natürlich auch die Angst vor einem möglichen Sieg Trumps bei den kommenden US-Präsidentschaftswahlen nicht fehlen. Dieser hat ja – im Gegensatz zu Biden – an Europa und seinen antirussischen Reflexen wenig Interesse und liebt mehr die Auseinandersetzung mit China, Wenn dass kein Grund ist, die europäischen Verteidigungsbudgets hinaufzuschrauben ? Endlich auf die lästige „Friedensdividende“ zu verzichten ? Zumal die Polen ihr Rüstungsbudget schon unter der PiS-Partei auf 4 % (und heuer auf mehr als 4 %) hinaufgeschraubt haben ?

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

4 zu 1 ausgewogen ?

Die Gestalter der ORF-Diskussionssendung Im Zentrum sehen sich immer wieder mit dem Vorwurf der einseitigen Zusammensetzung von Podiumsrunden konfrontiert. Vor allem bei Reizthemen wie der Debatte um Österreichs Neutralität oder den Kriegen im Nahen Osten und in der Ukraine. Letztere war Thema der jüngsten Podiumsdiskussion.

Wolfgang Koppler *

Wie stellt man sicher, dass bei einer Diskussionssendung ein bestimmtes Ergebnis herauskommt ? Und man doch nicht ganz einseitig erscheinen will ? Vor allem wenn man dummerweise an ein Objektivitätsgebot gebunden ist ?

Man lädt vier Gäste ein, deren Standpunkt man schon im Vorhinein kennt- Einen, der sicher nicht kommen wird (in diesem Fall der russische Botschafter). Und einen einzigen Andersdenkenden. So geschehen beim der sonntägigen ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ zum Thema: „Der Westen gegen Putin: Ist der Krieg noch zu gewinnen ?“ Schon der Titel erinnerte an Baerbocks Ausspruch vor dem Europarat, die den Westen im Krieg gegen Russland sah (wenn auch vom ORF etwas vorsichtiger formuliert).

Zu Beginn war natürlich von Putins Jahrespressekonferenz die Rede, wo er im Wesentlichen die Neutralität der Ukraine und ihre „Entnazifizierung“ gefordert hatte, eine Redewendung, die er schon letztes Jahr verwendet hatte. Und von der gescheiterten ukrainischen Frühjahrsoffensive. Signale von russischer Seite aus den letzten Monaten, die auf Gesprächsbereitschaft hindeuten, ließ man natürlich unerwähnt.

Oberst Markus Reisner vom Bundesheer trat nicht nur – wie zu erwarten – für mehr Waffenlieferungen ein (einen Krieg dürfe man nicht halbherzig führen) und hielt Verhandlungen für aussichtslos, sondern sprach auch noch von einem Konflikt zwischen dem Globalen Norden und dem globalen Süden (worunter er auch China und Indien verstand), der eine Aufrüstung des Westens, pardon des Globalen Nordens erforderlich mache.

Der ukrainische Botschafter Khymynets vertrat natürlich den Kurs der ukrainischen Führung, dass man bis zur Vertreibung des letzten russischen Soldaten aus dem ukrainischen Territorium kämpfen müsse, Verhandlungen sinnlos seien und die Ukraine die Freiheit des Westens verteidige. Putin sei gefährlich für die Zukunft Europas.

Martin Selmayr (Enkel zweier Generäle), der Vertreter der EU-Kommission in Wien, der sich von der Moderatorin auch noch ein Zaudern vorhalten lassen musste, erwähnte die Anstrengungen der EU und die jüngsten Ratsbeschlüsse zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen und zur Ausweitungen von Sanktionen und ging davon aus, dass auch die 50 Milliarden an weiterer Unterstützung für die Ukraine (ob mit oder Ungarns Unterstützung) in einigen Wochen beschlossen sein würden (die Welthungerhilfe und selbst die Entwicklungshilfe wären schon für einen Bruchteil der Mittel dankbar). In militärischer Hinsicht seien 1300 km Front von der russischen Armee auf die Dauer nicht zu halten (schätzungsweise 400.000 Tote sind offenbar nicht genug).

Die Historikerin Barbara Stelzl-Marx sprach von der politischen Zukunft Europas (die auf dem Spiel stehe), vom Konflikt der Werte (da war von anderen verwendete „Kampf der Werte“ noch ehrlicher), vom Verwandlungskünstler Putin. Diesem dürfe man nicht nachgeben, da er sonst seine Aggressionen fortsetzen würde. Moldawien könnte vielleicht das nächste Ziel sein. Immerhin strebe er die Wiederherstellung des Sowjetimperiums an. Putin wolle mit seiner Formel von der „Denazifizierung“, die er schon (zugegebenermaßen) sehr lange verwende, den „Großen Vaterländischen Krieg beschwören. Und was wird auf westlicher Seite beschworen ? Waren da nicht auch öfters Versatzstücke aus dem Zweiten Weltkrieg im Spiel ? Selenskyjs Churchill-Rede, „Blut, Schweiß und Tränen“ bei Timothy Garton Ash, Putin-Hitler-Vergleiche,,,

Alle versuchten zu begründen, warum man in keinem Fall nachgeben dürfe.

Friedensforscher Thomas Roithner verwies auf die Opfer und das menschliche Leid und damit auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Selbstverständlich verwies er auf die Völkerrechtswidrigkeit des Krieges und stellte dann die entscheidende Frage: Wie kommen wir da wieder raus, Er verwies auf mangelnden Weitblick der EU im Hinblick auf die kommenden US-Wahlen. und auch auf die in den UNO-Resolutionen erwähnte Möglichkeit von Verhandlungen. Man müsse und solle ein Verhandlungsergebnis gar nicht vorwegnehmen. Es reiche ein „Fahrplan“, um Gespräche in Gang zu bringen, Da hörte sogar Selmayr aufmerksam zu und erwähnte Verhandlungsbemühungen, die angeblich im Hintergrund laufen würden. Er verwies auf das Weltwirtschaftsforum im Jänner in Davos.

Man kann darauf wetten, dass auch im Jänner jede Äußerung russischer Politiker als Provokation oder zumindest als Verhandlungsunwille interpretiert werden wird. Die bis zu Befreiung von Kiew durchaus konstruktiv geführten (aber vom Westen wenig unterstützten) Verhandlungen verdrängt man. Wo sogar eine Neutralität mit Sicherheitsgarantien angepeilt wurde. Interessant ist aber, dass sogar der zwischenzeitig verstorbene Henry Kissinger, als er im heurigen Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz in einer Videoschaltung für eine Verhandlungslösung eintrat (wie er das schon seit dem Frühjahr 2022 getan hatte), sich die Bemerkung nicht verkneifen konnte: „Ich habe es schon lange gesagt. Man hat mich nicht gehört.“

Was für ein Glück für Politik und Medien, dass Kissinger tot ist. Und Macron im Juni auf eine US-freundlichen Kurs eingeschwenkt ist. Wenn da nicht bloß die vielen Toten wären. Die Hungernden. Die vielen Milliarden, die zu Bewältigung der Umweltkrise und in der Entwicklungszusammenarbeit fehlen. Die Radikalisierung. Bei uns im Westen und im verachteten globalen Süden. Nicht nur bei Randgruppen. Sondern bei vielen von uns,

Da kann man sich noch so einreden, dass Putin das Baltikum, Finnland, Schweden, Polen oder Moldawien angreifen könnte. Oder die Ukraine als Staat gefährden. Obwohl dies angesichts der geringen Wirtschaftskraft, aber auch der begrenzten Kapazitäten von Russlands Armee, die Mühe hat, den Donbass zu halten, wohl eher unwahrscheinlich ist. Und angesichts der (in Europa) seit Jahrzehnten auf eine Neutralität der – geopolitisch in einer äußerst heiklen Lage befindlichen – Ukraine fokussierten Interessen Russlands. Und jener des Westens an deren NATO-Mitgliedschaft. Die freilich keinen Krieg rechtfertigen. Weder auf russischer noch auf unserer Seite.

Seltsam, dass der völkerrechtswidrige Irakkrieg immer noch als gerechtfertigt angesehen wird. Und Ex-Präsident Bush im letzten Jahr noch eine Rede vor einem US-Think-tank hielt. Wo er dann den Irakkrieg mit dem Ukrainekrieg verwechselte. Während die etwas faireren Briten Tony Blair in der Versenkung verschwinden ließen. Inzwischen dürfte auch er schon verstanden haben, dass es nicht um den von ihm beschworenen „evil dictator“, sondern um westliche Interessen ging. Und nicht einmal die konnte man im Endeffekt verwirklichen.

* Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Ukraine und Gaza : Beendet das Töten!

Gerade im Krieg zeigt sich, wie auch bei Intellektuellen in Wirklichkeit der Bauch regiert. Die vermeintliche Unmöglichkeit von Verhandlungen ist bloß Scheinrationalität.

Wolfgang Koppler *

In der gestrigen ORF- Nachrichtensendung ZiB2 wieder einmal ein Interview mit einem Experten zum Ukrainekrieg. Diesmal war es Stefan Lehne von Carnegie Europe, dem Brüsseler Ableger eines US-Thinktanks. Zuständig für EU-Außenpolitik wurde er zum jüngsten EU-Rat zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine befragt. Angesichts der festgefahrenen Situation erkundigte sich Moderator Thür nach der Möglichkeit einer Friedenslösung- Putin wolle nicht, meint Lehne, „Sie haben ihn doch gerade im Beitrag gehört, es gibt keine Vermittlung“.

Was man im zuvor geschalteten Beitrag über eine Pressekonferenz Putins gehört hatte, war, dass dieser eine Neutralität und eine Entnazifizierung der Ukraine gefordert hatte. Ersteres wurde bereits im Frühjahr letzten Jahres verhandelt und „Denazifizierung“ ist eine mehr oder weniger stehende Redewendung Putins, die damals auch kein Hindernis für Verhandlungen war. Zudem gab es in den letzten Monate mehrere Signale seitens Putins, die auf Gesprächsbereitschaft hindeuten.

Wie schal und wenig stichhaltig die Behauptung von der Aussichtslosigkeit oder gar Unmöglichkeit von Verhandlungen ist, zeigt ein Artikel in Deutschlandfunk.de vom Februar heurigen Jahres unter dem Titel „Lässt sich der Frieden mit Russland verhandeln“. Als Argumente dient eigentlich nur die Behauptung, dass die die Ukraine „mit dem Rücken zur Wand und ihre Existenz als Staat auf dem Spiel“ stehe“ und der Verweis auf Kriegsverbrechen. In der Folge werden dann nur mehr die Ansichten und Befürchtungen der Kriegsparteien angeführt.

Weshalb die Existenz der Ukraine derzeit wirklich gefährdet sein soll, ist mir nicht ganz einsichtig. Vor allem aber stellt sich die Frage, weshalb ein Waffenstillstand und Verhandlungen die Ukraine mehr gefährden sollten als die Weiterführung des Krieges. Das Argument der Militärs, dass sich dann die russische Armee neu aufstellen bzw. erholen und ihre Position verbessern könne, gilt genauso für die Ukrainer. Weitere militärische Abenteuer sind angesichts der Schwächung Russlands ziemlich unwahrscheinlich. Und was Kriegsverbrechen betrifft, so ist dies ein rein emotionales „Argument“, zumal seit den Verbrechen von Butscha auf beiden Seiten Hunderttausende gestorben, verwundet und verstümmelt worden sind und auch Menschen in anderen Ländern unter diesem Krieg leiden. Reicht das Politik und Medien immer noch nicht ? Während hunderte Milliarden in diesen Krieg fließen, die im Klimaschutz und in der Entwicklungszusammenarbeit fehlen.

Und was die Angst vor einem Nachlassen der Unterstützung im Westen betrifft: Der derzeitige Abnützungskrieg schafft viel mehr Kriegsmüdigkeit und Unwillen als die Bereitschaft zu kreativen Lösungen. Die ja bis zur Befreiung von Kiew sehr wohl bestanden hat. Da wurde sogar während des Krieges verhandelt. Etwa über ein Neutralität mit Sicherheitsgarantien. Bis die ukrainische Führung die Verhandlungen abbrach.

Aber jetzt wäre es an der Zeit, das Töten zu beenden. Ob im Ukrainekrieg oder im Gazastreifen. Und die Scheinrationalität.
Warum sind Biden und Blinken im Fall des Ukrainekriegs so blind ?

Not in our names.

https://www.deutschlandfunk.de/verhandlungen-ukraine-russland-100.html

* Mag. Wolfgang lebt als Journalist und Jurist in Wien.

Fenster nach Europa

Laut Kremlchef Wladimir Putin will Russland das Fenster nach Europa trotz Windes weiter geöffnet halten. Ein Signal an den Westen?

Wolfgang Koppler *

Es war eine interessante – von vielen Medien verschwiegene – APA-Meldung unter dem Titel „Für Putin bleibt Fenster nach Europa offen“. Sie bezieht sich auf eine Aussage Putins jüngst beim Internationalen Kulturforum in St. Petersburg: Auch wenn darüber nachgedacht werde, das Fenster zuzudrücken, werde dies nicht geschehen, äußerte sich Putin dort laut Staatsagentur TASS.

Auch wenn Putin sich dabei übertrieben souverän gab („Wir haben keinen Konflikt mit der europäischen Gesellschaft, aber Russland erlebt mit der europäischen Elite schwere Zeiten.“), so ist es doch auch ein Signal an den Westen: Wir können auch ohne euch leben, bzw. ihr könnt uns gern haben. Aber wir sind gesprächsbereit. Dass dabei vom Ukrainekrieg und von Verhandlungen nicht explizit die Rede ist, ist klar. Kein Politiker wird seine Karten offen auf den Tisch legen. Schon gar nicht, wenn er sich in einem festgefahrenen Krieg befindet. Aber zusammen mit einigen anderen Signalen aus jüngster Zeit ist es ein ziemlich deutliches Zeichen von Verhandlungsbereitschaft.

Auch wenn beide Seiten in der Öffentlichkeit auf ihren Standpunkten beharren, wäre jetzt wirklich die Zeit gekommen, über Kompromisse nachzudenken. Zum Beispiel Ausverhandlung der bereits zu Beginn des Krieges angedachten Neutralität mit Sicherheitsgarantien. Autonomie und Entmilitarisierung von Luhansk, Donezk, Saporischyja und Cherson (nach Rückzug von russischer und ukrainischer Armee) sowie Verzicht auf die Krim.

Aber zuerst: Waffenstillstand und Verhandlungen. Beide Seiten wissen längst, dass sie den Krieg nicht oder zumindest nur unter ungeheuren Opfern gewinnen können. Und wenn bei den Verhandlungen nichts herauskommt, kann man ja immer noch im Frühjahr weiterschießen. Und was Biden betrifft: Er könnte einen Erfolg dringend brauchen. Und das heißt vor allem: ein stabiler Frieden. Oder wollen wir, dass Trump 2025 wieder im Weißen Haus sitzt ? Wie hat er laut Frankfurter Rundschau neulich gesagt ? Er sei der einzige Mensch, dessen Aussicht mit jeder Anklage steigen und steigen..

Die USA und Europa hätten ihn wirklich verdient. Gegen ihn ist Till Eulenspiegel ausgesprochen langweilig. Vielleicht arbeiten Politik und Medien gerade deswegen – bewusst oder unbewusst – auf ein solches Szenario hin…

• Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Blutige Hähne

Ein bedenkenswerter Text zu einem Brecht-Lied lässt die medialen und politischen Vorgänge rund um den Ukraine-krieg ziemlich aktuell erscheinen.

Wolfgang Koppler *

Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne
der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehen sie einher auch wie blutige Hähne
Es wechseln die Zeiten. Da hilft kein Gewalt.

Brechts Lied von der Moldau über die Vergänglichkeit (auch jene der Macht) wird sonst gerne in Zeiten des Umbruchs zitiert. 1968 etwa in einem Spiegel-Artikel, der die Geschehnisse dieses Jahres damals Revue passieren ließ. Auch nach der Wende in der Tschechoslowakei hat man es öfters gehört. Danach verschwindet es regelmäßig wieder in der Versenkung, obwohl es – ganz unabhängig vom Autor – unmittelbar berührt und zum Nachdenken anregt.

Dabei wäre es aktueller denn je. Wenn man ehrlich ist, wirken Putin und Selenskyj tatsächlich wie blutige Hähne. Und beide werden irgendwann wieder in der Versenkung verschwinden. Aber Selenskyj als blutigen Hahn sehen ? Obwohl er Menschen genauso bedenkenlos opfert wie Putin und dabei auch noch vorgibt, sie retten zu wollen ? Jegliche Verhandlungen ablehnt ? Wenn sich das jemand traut, zu schreiben, kann er seine journalistische Karriere an den Nagel hängen.

Da leitet man seine Artikel besser ein wie vor Kurzem ein Schreiber der NZZ (die sich im Übrigen – was den Ukraine Krieg betrifft – nicht so sehr von anderen Zeitungen unterscheidet):

Die Illusion vom greifbaren Frieden:
Am Verhandlungstisch lässt sich Putin nicht bezwingen

Die Gegenoffensive der Ukraine verläuft langsamer als erhofft, aber sie ist nicht gescheitert. Auch aus anderen Gründen ist es der falsche Moment, die Ukrainer zu Verhandlungen mit Moskau zu drängen.

Und darunter ein Foto mit ukrainischen Soldaten vor der Mutter-Heimat-Statue in Kiew. Sie wirken wie ein Teil eines Kriegerdenkmals. Und danach wird aus der ukrainischen Hymne zitiert.

Selbstverständlich muss man beide Seiten mit Fingerspitzengefühl behandeln. Zumal hier uralte Minderwertigkeitskomplexe gegenüber Westeuropa und unbewältigte Vergangenheit mit im Spiel ist. Aber es muss auch an wieder an die Vernunft erinnert werden. Und an die Opfer und Kollateralschäden dieses Krieges. In allen Teilen der Welt.

Es wechseln die Zeiten. Da hilft kein Gewalt.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Atomare Bedrohungen: Ukraine/Taiwan

Dr. Daniel Ellsberg ist kürzlich gestorben. Ein bestürzendes You-Tube-Gespräch von Daniel Ellsberg (Er war Militär-Analytiker des Pentagon zu Fragen atomarer Kriegsführung) mit dem weltberühmten Forscher Noam Chomsky.

Hans Högl

Kurz: Inhalte von dem außerordentlichen Gespräch: Putin hat es zustande gebracht, sich als Feind Europas erneut zu positionieren. So stellt sich Europa gern unter den Schirm der USA, die somit „Europa in der Tasche“ hat. Vorbei ist die Idee eines friedlichen Europas von Lissabon bis inklusive Russland, wie es u.a. Gorbatschow 1989 vorsah- bei den Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung.

Zur Position der Krim. Für Russland ist, die Krim zu halten, ein definitives Ziel, obwohl diese Selenskij zurück haben will.

Das Gespräch betraf auch Pläne zu einem Atomkrieg im Jahr 1983. Es wurde überlegt, alle größeren Städte Russlands und Chinas zu bombardieren. Doch man erinnerte sich an die Bombardierung von Dresden u. anderen Städten, als danach gefährlicher Rauch in die Stratosphäre aufstieg.

Ein solch` atomares Bombardement auf alle wichtigeren russische und chinesische Städte hätte zur Folge, dass sich 70 % des Sonnenlichts auf Jahre verdunkeln und und dies eine Hungernot und Tod für Milliarden von Menschen auslösen würde- wobei bestenfalls Argentinien davon verschont bliebe.

Das Gespräch betraf auch China und Taiwan und die Kriegsvorbereitungen der USA und die Aktiengewinne von Konzernen.

NB. Hans Högl befasste sich in seiner Diplomarbeit in Louvain (Belgien) mit dem Verrat der Pentagon Papiere durch Daniel Ellsberg (Titel: „Wirkungsformen von Informationen“ 1972) Es war ein Text-Vergleich von „Le Monde“ mit denen in der „Frankfurter Allgemeinen“ als Echo auf die Publikationen von „New York Times“). In seiner nichtpublizierten Dissertation in Wien 1978 griff ich das Thema erneut auf. Der Titel lautete: „Presse in der Demokratie und Möglichkeiten rationaler politischer Urteilsbildung“ (Umfang 156 Seiten). Die „Pentagon Papiere“ zu lesen ist noch heute sehr lesenswert.

Ein Teilziel der Untersuchung war, wie das Porträt von Daniel Ellsberg in „Le Monde“ und in der FAZ dargestellt wurde und worin die Unterschiede lagen. Im März 2023 gab Daniel Ellsberg bekannt, dass bei ihm ein inoperabler Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert wurde und er nur noch schätzungsweise drei bis sechs Monate zu leben hat. Er starb am 16. Juni 2023 im Alter von 92 Jahren.

Kriegsrhetorik statt Friedensbemühungen

Westliche Medien und Politik plädieren überwiegend für ausschließlich militärische Lösungen, für den Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld. Wie Medien darüber berichten, gleicht sich oft in erstaunlicher Weise.

Udo Bachmair *

Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist absolut zu verurteilen. Es ist und bleibt unfassbar, dass eine Aggression dieser Art in Europa auch in diesem Jahrhundert noch stattfinden würde. Ein Schlag ins Gesicht jenes zivilisatorischen Fortschritts, den viele bis vor gut einem Jahr in Europa noch als existent und erreicht betrachtet hatte. Krieg ist per se ein Verbrechen.

Das heißt jedoch nicht, die Vorgeschichte des aktuellen Krieges, Kriegspropaganda, Sinnhaftigkeit sogenannter Militärlogik sowie vor allem Friedenschancen auszublenden. Besonderes Interesse gebührt dabei der Rolle der Medien und deren Verantwortung. Viele von ihnen haben sich von Differenzierung und damit auch von Qualitätsjournalismus verabschiedet. Vor allem deutsche, aber auch österreichische Medien gefallen sich vielfach darin, jene Kräfte in Politik und Medien, die auf Verhandlungen und Friedenskonzepte drängen, als naiv, nicht empathisch, als Putins Trolle, etc. abzuqualifizieren. Jene, die dringend für ein Ende der Lieferung schwerer Waffen appellieren, bevor die Lage weiter eskaliert, gelten als Realisten.

Im Grunde sind es zwei polarisierende Positionen, die den Disput rund um den Ukraine-Krieg dominieren : Einerseits die Überzeugung, ein Ende des Krieges sei nur durch einen Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld erreichbar. Andererseits die Annahme, der Krieg und weiteres Leid könnten bald nur dadurch beendet werden, dass endlich auch diplomatische Bemühungen mit Aussicht auf eine Friedenslösung sichtbar werden. Letztere Position wird von Medien und Politik im Westen mehrheitlich nicht geteilt. Im Gegenteil: Jene Menschen, die leidenschaftlich für Frieden ohne weitere schwere Waffen demonstrieren, werden als „Friedensschwurbler“, als moralisch verkommen, als Befürworter eines „Diktatfriedens“ bzw. eines „Friedensdiktats“ verunglimpft. „Putinversteher“ oder „Russlandversteher“ gelten ohnehin als Schimpfwörter schlechthin.

Wortführerinnen der Kriegsrhetorik ist die als Hardlinerin auch über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt gewordene FDP-Abgeordnete Strack-Zimmermann sowie überraschenderweise auch die grüne Außenministerin Bärbock. Ausgerechnet die Grünen, die sich früher noch als parlamentarischer Arm der Friedensbewegung verstanden haben, ergehen sich nun in militaristischer Ideologie. Bühne bieten ihnen bemerkenswerterweise vor allem die öffentlich-rechtlichen Anstalten ARD und ZDF, die wie hierzulande der ORF auch in der außenpolitischen Berichterstattung zur Ausgewogenheit verpflichtet wären. Sendungen wie „Hart aber fair“ oder „Maischberger“ oder „Anne Will“, lassen zumeist jene Podiumsgäste, die differenzierend und deeskalierend argumentieren, kaum zu Wort kommen oder werden erst gar nicht eingeladen. Auch der ORF hat sich über weite Strecken in den Mainstream eingeklinkt, Gegenpositionen zu Kriegslogik und antirussischer Feindbildpflege erscheinen weitgehend unerwünscht. Seriöse Politologen, wie Heinz Gärtner, oder engagierte Friedensforscher wie Werner Wintersteiner oder Thomas Roithner, werden selten oder nicht mehr als Studiogäste befragt.

Besonders Boulevardmedien scheinen einander in Kriegsrhetorik und Dämonisierung Russlands zu überbieten. Im Gegensatz zu Wladimir Putin wird der Präsident der Ukraine, Staatschef eines wie Russland autokratischen und korrupten Staates, im Westen zum Helden und lupenreinen Demokraten stilisiert, für den „wir“ Krieg führen.„Wir führen Krieg gegen Russland“ ließ die deutsche Außenministerin im Europarat ja ihrer wenig diplomatischen Haltung freien Lauf..

Mehrere Untersuchungen belegen mittlerweile überwiegende Einseitigkeit der meisten deutschen Leitmedien, ein Befund, der wahrscheinlich auch auf Österreich übertragbar ist. So hat „Cicero-Magazin für politische Kultur“ eine Studie veröffentlicht, die fehlende Meinungsvielfalt in der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg ortet : www.cicero.de/aussenpolitik/studie-zur-berichterstattung
Auch die deutsche Otto-Brenner-Stiftung belegt, dass die Medien „überwiegend“ für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine plädieren: www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/publikationen.
Auffallend ist dabei das Auseinanderklaffen zwischen der Meinung der Bevölkerung und der medial veröffentlichten Meinung. Umfragen zufolge sind mittlerweile mehr als 50 Prozent der Befragten gegen die weitere Lieferung schwerer Waffen ins Kriegsgebiet.

Vernebelt vom Schwarz/Weiß-Denken und dem Festhalten an einem starren Freund/Feind-Schema stellen westliche Medien ukrainische Quellen meist als ernstzunehmend dar. Von russischer Seite kommende Meldungen werden als unglaubwürdig und propagandistisch bezeichnet. Auch beim Konsum von ORF-Nachrichtensendungen bleibt als Botschaft nicht selten der Eindruck hängen, dass ukrainische „Informationspolitik“ als faktenbasiert vermittelt wird, Russland hingegen würde bloß mit Fakes und Propaganda agieren.

Dass es auch differenzierend geht, beweist immer wieder der besonnene und sachorientierte ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz, der sich jenseits bloßer Kriegsrhetorik und wegen seiner differenzierenden Wortwahl große Wertschätzung erworben hat. Wehrschütz kann auf authentische Quellen vor Ort verweisen, die meisten Redaktionen westlicher Medien können dies nicht. Deren Hauptquellen sind die großen US-nahen Agenturen, die nur eine Seite geopolitischer Weltsicht repräsentieren. Wehrschütz hat in einer gut besuchten Podiumsdiskussion der Vereinigung für Medienkultur von der „Demut des Nichtwissens“ gesprochen. D. h. es ist journalistisch durchaus korrekt, zuzugeben, dass mangels seriöser Quellen oft keine entsprechende Einschätzung eines bestimmten Sachverhalts ergeben kann.

Schon Jahre vor dem Krieg haben westliche Medien und PolitikerInnen Russland beharrlich zu einem Feindbild mit aufgebaut. Dabei helfen einzelne Begriffe und Worte, wie sie auch in Nachrichtensprache verwendet werden. So fällt auf, dass Äußerungen russischer Politiker meist mit Prädikaten wie „behaupten“, „unterstellen“, etc. versehen werden. Wenn ein US- , NATO- oder EU-Politiker eine Stellungnahme abgibt, lauten die Prädikate „betonen“, „bekräftigten“, „erklären“ etc.. Diese werden bewusst, aber oft auch unbewusst bzw. automatisiert und verinnerlicht als positiv geladene Begriffe gesetzt.

Wie ist nun die inhaltlich weitgehende Angleichung in der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg zu erklären ? Sind die JournalistInnen Opfer staatlich gelenkter Manipulation ? Im Buch „Die vierte Gewalt“ von Richard David Precht und Harald Welzer findet sich dazu eine interessante These: In den Medien gebe es „ganz eigene Echokammern einer Szene, die vor allem darauf blickt, was der jeweils andere gerade sagt oder schriebt, ängstlich darauf bedacht, bloß nicht zu sehr davon abzuweichen.“ Ein Konformismus, der auf Kosten von Qualitätsjournalismus geht und nicht zuletzt auch demokratiepolitisch bedenklich ist. Vor diesem Hintergrund machen Medien zunehmend Politik bzw. treiben die Politik vor sich her Ein Beispiel dafür der starke mediale Druck auf den deutschen Kanzler Scholz. Der hat mit dazu beigetragen, dass sich dessen zunächst eher besonnene Haltung zur Lieferung von Kampfpanzern nachhaltig gewandelt hat.

Der Irak-Krieg im Jahr 2003 war ebenfalls ein Angriffskrieg, damals ausgeführt von den USA. Nur durfte man damals diese Bezeichnung in Moderationen nicht verwenden, wie es der Autor dieser Analyse als früherer ORF-Redakteur selbst erlebt hat. Zudem sind damals völkerrechtswidrige Aspekte weitgehend ausgeblendet worden. Auch im Zusammengang mit den weiteren von NATO und den USA geführten Kriegen.

Solange der Westen sich nicht auch in die geopolitische Interessenslage Russlands hineindenken kann, Stichwort dazu die NATO-Erweiterung, so lange werden keine effektiven Friedensschritte zu erwarten sein. Leider sind auch aufseiten Russlands keine Friedenssignale zu vernehmen, Putin verharrt in seiner seltsam historisch basierten imperialistischen „Kriegslogik“. Das muss allerdings nicht so bleiben. Auch der Westen, allen voran die EU, sollten nicht auf Dauer an militaristischer Ideologie im Zusammenhang mit diesem Krieg festhalten. Gefordert wären diesbezüglich vor allem auch die Medien.

Es gilt einer von Friedensethik getragenen aktiven Friedenspolitik das Wort zu reden, die auch Kompromissen Raum geben müsste. Weiter aufheizende Kriegsrhetorik sowie fortgesetzte Feindbildpflege lassen ein sehnlichst erwartetes Kriegsende in noch weitere Ferne rücken.

• Dieser Beitrag von Udo Bachmair ist in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Spinnrad“ des Österreichischen Versöhnungsbundes erschienen