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Lebensmittelpakete für Arme in Zürich

Bedürftige stehen an der Zürcher Langstrasse teilweise stundenlang für Lebensmittelpakete an: «Die Not wird von Tag zu Tag grösser»
Am Samstag hat ein Verein über 1400 Lebensmittelpakete verteilt, so viel wie noch nie seit Ausbruch der Corona-Krise. Hat die reiche Stadt Zürich nach der Pandemie ein Armutsproblem?

Linda Koponen Neue Zürcher online. 02.06.2020, 17.38 Uhr (Hans Högl: Es ist gut, über den österreichischen Horizont zu sehen)

Die Menschenschlange an der Langstrasse reicht vom Restaurant Hiltl an der Ecke Brauerstrasse um den gesamten Häuserblock. Hunderte sind am Samstagnachmittag gekommen, um sich ein kostenloses Lebensmittelpaket zu sichern. Standen vor wenigen Wochen noch vornehmlich Prostituierte, Suchtkranke und Bedürftige für die Gratismahlzeiten an, sind in der Menschenmenge nun vermehrt auch Familien mit Kindern auszumachen.
Wegen der grossen Nachfrage musste der Verein Incontro, der die Verteilaktion organisiert, die Ausgabe rationieren. Jede Familie erhält nur noch je einen Sack mit haltbaren und einen mit frischen Lebensmitteln – unabhängig davon, ob sie eines oder fünf Kinder hat. Für das Essen müssen die Bedürftigen oft stundenlang anstehen, am Samstag ist der Ansturm erst gegen 20 Uhr vorbei. 1400 Pakete wurden alleine an diesem Tag verteilt.

Der Blick in die betretenen Gesichter zeigt: Freiwillig steht hier wohl kaum jemand an. Das Sozialsystem in der Schweiz funktioniert – dachte man zumindest bis anhin. Was sind das also für Personen, die durch die Maschen zu fallen scheinen und auf Spenden von gemeinnützigen Organisationen angewiesen sind?

Warten auf die staatliche Hilfe

Schwester Ariane, die den Verein Incontro gegründet hat , sagt: «Die Not wird von Tag zu Tag grösser.» Alleinerziehende, Familien, Prostituierte, Obdachlose, Sans-Papiers, Männer, Frauen, Schweizer, Ausländer – die Bandbreite der Hilfesuchenden sei gross. Das Ausmass der Krise zeige sich jetzt, wo die Arbeitslosigkeit steige und jene, die bereits zuvor am Existenzminimum lebten, ihre wenigen Ersparnisse aufgebraucht hätten. Wer bereits vor der Pandemie mit psychischen Problemen zu kämpfen gehabt habe, laufe nun eher Gefahr, seine Stelle zu verlieren und in die Sucht zu rutschen.

Die staatliche Hilfe komme schleppend zur Anwendung. «Viele warten noch auf Sozialhilfe und Arbeitslosengelder, können ihre Rechnungen aber bereits nicht mehr bezahlen und haben Angst davor, ihre Wohnung zu verlieren.» Andere verzichteten bewusst auf die staatlichen Hilfsangebote – aus Angst, ihre Aufenthaltsbewilligung zu verlieren, oder davor, dass ihnen die Kinder weggenommen würden. Das Migrationsamt des Kantons Zürich hält auf seiner Website aber fest, dass der Sozialhilfebezug nur dann zu einem Widerruf der Aufenthaltsbewilligung führen könne, wenn er dem Ausländer vorwerfbar sei, was in der Corona-Krise in der Regel nicht der Fall sei.
Fest steht, dass Armutsbetroffene überproportional an den Corona-bedingten Lohneinbussen leiden – etwa Angestellte in den Tieflohnbranchen oder mit Temporärverträgen und Alleinerziehende in prekären Arbeitsverhältnissen. Andreas Reinhart vom katholischen Hilfswerk Caritas sagt: «Wenn von einem tiefen Lohn bei Kurzarbeit auch nur 20 Prozent wegfallen, ist das schnell das Essensbudget oder die Krankenkasse.»

…..In den Caritas-Märkten können Menschen mit wenig Geld zu Tiefstpreisen einkaufen. Im März und April hat die Nachfrage laut Reinhart zwar nicht merklich zugenommen…Am Dienstagmorgen konnte man aber vor der Filiale an der Reitergasse im Kreis 4 eine lange Schlange beobachten.

Nach dem Lockdown wieder geöffnet sind auch 66 der 132 Essensabgabestellen von «Tischlein deck dich». Wöchentlich würden momentan schweizweit 7500 Personen unterstützt, heisst es dort auf Anfrage. Wer vom Angebot profitieren will, braucht eine Bezugskarte, die von den regionalen Sozialämtern nach der Prüfung der finanziellen Situation des Antragstellers ausgestellt wird. Auch bei «Tischlein deck dich» geht man davon aus, dass die Zahl der Bedürftigen und damit die Nachfrage nach der Lebensmittelhilfe mittelfristig zunehmen wird.

Leben in ständiger Angst

Besonders hart trifft die Krise auch Sans-Papiers. Schätzungsweise 19 000 Menschen leben ohne Aufenthaltsbewilligung im Kanton Zürich. Die meisten von ihnen arbeiten im Stundenlohn etwa als Hausangestellte oder Reinigungskräfte. Anrecht auf Kurzarbeit, Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld haben sie nicht, da sie sich illegal im Land aufhalten und schwarz arbeiten.

Bea Schwager von der Sans-Papiers-Anlaufstelle Zürich (Spaz) sagt: «Viele Sans-Papiers haben seit Monaten kein Einkommen mehr und befinden sich in einer existenziellen Notlage.» Im Schnitt verdienten sie etwa 1500 Franken im Monat, hätten kaum Erspartes. Viele könnten ihre Miete nicht mehr bezahlen, nicht für ihr Essen aufkommen. Hinzu komme die ständige Angst vor der Ausschaffung: «Sans-Papiers meiden Orte mit einer starken Polizeipräsenz und haben ihr Leben im öffentlichen Raum während der Pandemie nochmals stark reduziert.»

Seit eineinhalb Wochen habe sich die Lage etwas entspannt, sagt Schwager. Die Krise sei jedoch noch nicht ausgestanden: «Sorgen bereitet mir etwa die Gastronomie – wenn es in den Betrieben zu Sparmassnahmen kommt, trifft es die Sans-Papiers wohl als Erste.»

Keine Zunahme der Obdachlosigkeit

Das Elend ist in diesen Tagen an der Langstrasse sichtbar. Wie stark die Zahl der Armutsbetroffenen in der Stadt Zürich durch die Corona-Krise gestiegen ist, lässt sich anhand der Menschenschlange allein jedoch nicht beantworten. Inwiefern die höhere Nachfrage nach Lebensmittelpaketen den sozialen Folgen der Krise geschuldet sei, könne man nicht beurteilen, heisst es beim Stadtzürcher Sozialdepartement auf Anfrage.

Sprecherin Heike Isselhorst sagt: «Die Krise hat gezeigt, dass es Menschen in der Stadt Zürich gibt, die kaum über Reserven verfügen, um sich und ihre Familien bei Verlust ihrer Anstellung oder Selbständigkeit selber finanziell über Wasser zu halten.» Diesen Personen stehe – sofern es ihr Aufenthaltsstatus zulasse und sie diesen nicht als gefährdet ansehen würden – grundsätzlich Sozialhilfe zu, um ein Abrutschen in absolute Armut zu verhindern.

Noch sei es zu früh, um die langfristigen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und deren Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit sowie die Sozialhilfequote abzuschätzen. Zu Beginn des Lockdown schoss die Zahl der Sozialhilfegesuche in die Höhe. Mit täglich rund 60 neuen Anträgen waren es zeitweise dreimal so viele wie vor der Pandemie. Mittlerweile habe sich die Zahl der Gesuche wieder dem früheren Niveau angenähert. Eine Zunahme der Obdachlosigkeit könnten weder die städtische Notschlafstelle noch die Sozialarbeiter der sip (das Akronym steht für «Sicherheit, Intervention, Prävention») beobachten.

Das Sozialdepartement will dennoch reagieren. Man habe Kontakt zu privaten Hilfsorganisationen aufgenommen, «um bestehende Lücken in der sozialen Versorgung der Bevölkerung zu schliessen – sei es durch eigene Angebote der Stadt oder durch eine finanzielle Unterstützung entsprechender Organisationen».

Bedenklicher Boulevard

Mit Halbwahrheiten, Schwarweiß-Malerei und Fake-News trumpft der Boulevard politisch immer wieder auf. Aber auch im Chronikteil mangelt es nicht an entsprechenden Tendenzen, wie u.a. ein jüngstes Beispiel aus der „Krone“ zeigt.

Udo Bachmair

Basis für eine Kurzmeldung in seriösen Tageszeitungen war am Freitag eine schlichte Polizeiaussendung. Demnach sei in Baden ein 15-jähriges Mädchen von ihrem 25-jährigen Freund mehrere Wochen in dessen Wohnung festgehalten worden. Gegen den Mann werde laut Polizei „unter anderem wegen Freiheitsentzugs ermittelt“.

Was machte nun die „Krone“ in ihrer Samstagausgabe daraus ? Zunächst einmal einen „Aufmacher“ über eine „Horrortat in Baden“. Gleich drei Chronikreporter verfertigten einen aufgeblasenen Bericht mit allen boulevardesken Ingredienzien von Klischees, Übertreibungen und spekulativen Vermutungen.

Der Verdächtige habe die 15-Jährige „vermutlich gefügig, ja hörig, gemacht. Doch als sie genug von den Sexspielen hatte, drehte er durch.“

Selbstverständlich durfte in dem Bericht die rumänische Herkunft des „Brutalo“ (so der Ausdruck in der Printausgabe) nicht fehlen. So sind sie halt, die Ausländer, lautet da wieder einmal die indirekte Botschaft.. „Der 25-Jährige sperrte den Teenager einen Monat lang in ein Haus – und dürfte sein hilfloses Opfer während dieser Zeit mehrmals missbraucht haben“.

Peinlich für das Massenblatt, dass sich die ganze so genüsslich aufbereitete Story heute als Fake herausgestellt hat. Das Mädchen war von zu Hause ausgerissen und hatte sich in der Wohnung des Freundes versteckt. Freiwillig, wie die Polizei mitteilt. Von Freiheitsentzug könne keine Rede mehr sein. Einen sexuellen Missbrauch hat es offenbar auch nicht gegeben.

Eine Entschuldigung des Boulevard-Blatts für den spekulativ ausgewalzten Bericht liegt bis dato nicht vor. Es berichtet heute Sonntag online über Ermittlungen gegen das Mädchen wegen Verleumdung. In der heutigen Printausgabe jedoch sucht man eine Korrektur bzw. ein Dementi der Falschmeldung von gestern vergeblich.

Der Boulevard leistet mit einer Causa wie dieser dem Ruf des Journalismus insgesamt einen denkbar schlechten Dienst. Seriöse und investigative Medien sind geforderter denn je.

Emotionen versus Fakten in Medien

Hans H ö g l

Stefan Petzner, früher erfolgreicher Kampagnenchef von Jörg Haider, gab dem Medienmagazin „Zapp“ ein Interview. Petzner erläutert darin, dass die Leute auf Einzelfälle reagieren und so emotionalisiert werden. Den Einzelfall eines Tschetschenen, berichtet in Medien, hat Stefan Petzner aufgegriffen und kampagnisiert und sozusagen ganz Kärnten tschetschenen-frei gemacht.

Die gefühlten  Wahrheiten sind stärker  als objektive, korrekte statistische Daten.   Zapp in 3-sat war für 15.Oktober vor Mitternacht geplant, de facto war die Sendung ab 1:02. Und Medien springen auf Provokationen, anstelle diese zu ignorieren (Petzner).

Medienberichte über gravierende Vorfälle, Einzelfälle, im Jargon des Journalismus werden dies G`schichten genannt, erregen die Aufmerksamkeit, erhöhen die Quote, peitschen die Gefühle auf. Und für die Masse, für die Leut`, sind solche Emotionen DIE WAHRHEIT. So entstehen maßlose Ängste, Übertreibungen, Ausländerhorror… Es geht ums Zuspitzen, um hörbar zu werden. Und offensichtlich verlangt dies der Volksmund.

Fakten sind Grundlage für den Diskurs.

Dass dies im Journalismus täglich passiert, ist keine Frage – vor allem im Boulevard, aber nicht nur. Auch Qualitätsmedien kennen das Begehren nach intensiver Aufmerksamkeit. Das ist Gold für die Werbekasse. Durch die AfD und die maßlosen Vorwürfe „Lügenpresse“ sind auch die traditionellen Medien aufgewacht, dass auch sie vielleicht Fehler machen. Früher wurde auch geflunkert und gelogen, vielleicht nicht so krass wie in der AfD. „Die Härte der Lügen hat zugenommen“, so der Spiegel-Onlinechef augenzwinkernd. Auch die Faktenlage über Stars in Freizeitjournalen kann spärlich, manchmal frei erfunden sein.  

Neue Hetze gegen Flüchtlinge

Boulevard erzeugt weiteren Aufwind für Rechtspopulisten

Udo Bachmair

Das ist sogar für die „Krone“ selbst rekordverdächtig: In der heutigen Sonntagsausgabe des Massenblattes sind ausnahmslos Leserbriefe mit Hetze gegen Flüchtlinge und Asylwerber abgedruckt. Animiert von Sätzen wie „Für die ist Geld da, und wir werden mit einem Bettel abgespeist..“ Autor dieser und ähnlicher Erkenntnisse ist Peter Gnam, bekannt als konsequent rechtspopulistischer Chef-Kommentator der Kronenzeitung.

Auf ihn berufen sich denn auch zahlreiche Leserbriefschreiber, die all ihren Frust auf Ausländer, Flüchtlinge und sonstige Minderheiten abladen. Da ist allein in der heutigen Ausgabe die Rede von einer „sicher in den Ruin treibenden Invasion“, einer „Regierung, die ihnen alles nur so nachschmeißt“, von Menschen, „die bei uns hofiert und verhätschelt werden“ bis hin zum Klischee „nur in unserem von Naiv-Gutmenschen diktierten Land beugen wir uns und kriechen zu Kreuze…“

Bekräftigt wird der politisch rechtslastige Stammtischkurs der „Krone“ in derselben Ausgabe mit einer erneuten Wahlempfehlung für den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer durch Grünen- und Linkenfresser Michael Jeanne. Peter Gnam, ebenfalls FPÖ-Sympathisant, steuert dann noch eine „Analyse“ bei, in der er seiner unverhohlenen Freude über den klaren Vorsprung der Strache-Partei Ausdruck verleiht: „Bei so einem Vorsprung stellt Strache natürlich den Anspruch auf den Kanzler, und die ÖVP wird das akzeptieren müssen…

Eine Blatt wie die „Krone“ mit großer Dichte an rechtspopulistischen Glossisten, die jede andere Position als linkslinks brandmarken, kann sich über mehr als 22 Millionen Euro pro Jahr allein aus dem Inseratenbudget der öffentlichen Hand freuen.

Die SPÖ-geführte Regierung finanziert damit auf Kosten der Steuerzahler eine Zeitung mit, die über weite Strecken das Geschäft der FPÖ besorgt..

Österreich ist geprägt von einer ziemlich ausgedünnten Medienlandschaft. Die Schweiz hingegen kann stolz sein auf noch rund 100(!) Tageszeitungen, in Schweden sogar mehr als 170 (!). Der Großraum Wien erweist sich mit seiner hohen Konzentration an Boulevardmedien überhaupt als einzigartig. Boulevardmedien, wie auch „Österreich“, die mit Halbwahrheiten, Übertreibungen und Hetze den Rechtspopulisten in die Hände spielen, existieren so in keinem anderen vergleichbaren Rechtsstaat. Ein medienpolitischer und demokratiepolitischer Notstand.