Archiv für den Monat: Dezember 2018

Annegret Kramp-Karrenbauer. Leben und Qualitäts- Foto

Hans Högl: Das ausdrucksvolle Foto der Nachfolgerin von Angela Merkel (vgl. unten) fand ich in der sozial-liberalen spanischen Zeitung "El Pais"und war Anlass für diesen Beitrag. Als Fotoamateur wundere ich mich über die oft verzerrten Politikerfotos in österreichischen Printmedien. Ich schließe hier Texte zur Biografie von Annegret Kramp-Karrenbauer an - wie ich es schon früher über die "Conchita", über Christian Kern (SPÖ) und Sebastian Kurz (ÖVP) gemacht habe. Dies ist mein Versuch - im Sinne der Medienkultur - zu einem sachlichen Diskurs über eine Frau im "Warteraum der Macht" (NZZ) beizutragen.

Ich entnehme der Zeitschrift  „Stern“ und der „Neuen Zürcher“ (hier NZZ)

einige Ausschnitte über das Leben von Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie wurde als fünftes Kind geboren, ihr Vater ist Sonderschullehrer, ihre Mutter Hausfrau. Ihr Vater engagierte sich für Arbeitslose. „Stern“ deutet eine Nähe zum „Kolpingwerk“ an. Annegret Kramp-Karrenbauer hat Jus- u. Politikwissenschaft studiert und abgeschlossen. Sie hat drei Kinder. Ihr Mann ist Bergbau-Ingenieur und hat das Zechensterben miterlebt. Die Gegend ist geprägt von Bergmannskultur und katholischem Glauben.

Sie bewohnt „ein kleines Eigenheim mit Solarmodulen“ („Stern“). Sie  ist für Klimaschutz, hat aber auch Sorge um  Arbeitsplätze.  Sie hat diverse politische Funktionen durchlaufen: in der Kleinstadt Püttlingen (20 km nahe an der französischen Grenze) , im Saarland und im Bund.  Sie klagt über Kindergärten,  die in Rücksicht auf islamische Familien das christliche Martinsfest in „Lichterfest“ umbenennen. „Das ist eine vorauseilende kulturelle Selbstaufgabe.“  Forcierte Steuersenkungen sind ihr ebenso fremd wie alle Visionen einer Öko- und Multi-Kulti Republik („Stern“).  Sie trat schon für den Mindestlohn und die Frauenquote ein, als Angela Merkel noch dagegen war. Sie hat eine „unaufgeregte“ Art, Politik zu betreiben.

 

 

Annegret Kramp-Karrenbauer, ex primera ministra del Estado del Sarre, en conferencia de prensa el lunes en Berlín.

Gefälschte Reportagen. Spiegel-Skandal

Gastbeiträge aus dpa/Neuer Zürcher

Hans Högl: Die Qualität und Verlässlichkeit von Medien ist zentrales Anliegen der "Medienkultur". Wir sind geneigt, Boulevard der  Qualitätspresse gegenüberzustellen. Das trifft in der Regel auch zu,  leider n u r  in der Regel. In diesem Fall hat die Selbstkontrolle des "Spiegels" funktioniert. Leider sind solche Ereignisse Anlass dafür -selbst für Akademiker (!)- zu sagen, sie glauben Medien überhaupt nichts mehr. Dennoch ist zu fragen, inwiefern in Medien oft nur solche Reportagen gebracht werden, die der redaktionellen Linie des Mediums entsprechen?!!!Damit wird der Sinn der Reportage als tatsachenbetontes Format ins Gegenteil verkehrt. Und dies ist der Grund, warum Medien oft als gleichgeschaltet erscheinen. Und dies gilt nicht nur für den rechten Boulevard.

dpa) Der ehemalige «Spiegel»-Reporter Claas Relotius, der zugegeben hat, zahlreiche seiner Texte gefälscht zu haben, will nach eigenen Angaben keine Spendengelder veruntreut haben. Dies liess Relotius am Donnerstag über seinen Anwalt der Tageszeitung «Die Welt»mitteilen.

Der Journalist bestreitet demnach, von ihm gesammelte Spenden für sich persönlich verwendet zu haben. Die syrischen Kinder, für die Leser der von ihm verfassten «Spiegel»-Reportage «Königskinder» Geld gaben, existierten aber nicht. Beim E-Mail-Kontakt mit Lesern und in Mitteilungen zu den Spenden habe der Autor «die Illusion über die reale Existenz des geschilderten Geschwisterpaars aufrechterhalten», teilte die Anwaltskanzlei Unverzagt von Have im Namen von Claas Relotius mit.

Relotius hatte demnach nach diversen Zuschriften spendenbereiter Leser angeboten, Spendengelder über sein privates Konto zu sammeln und weiterzuleiten. «Zu keinem Zeitpunkt hat er jedoch beabsichtigt, Spenden selbst zu vereinnahmen. Eine solche Verwendung ist auch nie erfolgt», so die Anwaltskanzlei weiter. Tatsächlich habe ihr Mandant den bis dahin auf seinem Konto eingegangenen Spendenbetrag von insgesamt 7000 Euro aus eigenen Mitteln auf 9000 Euro aufgestockt und im Oktober 2016 an die Diakonie Katastrophenhilfe für ein Projekt zur Unterstützung von kriegsflüchtigen Kindern im Irak überwiesen.

Hilfswerk bestätigt Empfang von Geldern

«Unser Mandant entschuldigt sich hiermit ausdrücklich bei allen hilfsbereiten Spendern, die sich in ihrer Intention, an die von ihm geschilderten syrischen Geschwister zu spenden, getäuscht fühlen müssen», teilte die Kanzlei mit. Er werde allen Spendern ihr Geld vollständig zurückerstatten. Die Diakonie Katastrophenhilfe bestätigte, 2016 das Geld von Relotius erhalten zu haben.

Der «Spiegel» hatte am Wochenende berichtet, dass ihr damals noch freier Mitarbeiter 2016 nicht nur eine Geschichte über angebliche syrische Waisenkinder in der Türkei in grossen Teilen erfunden, sondern auch privat Spendenaufrufe an Leser verschickt habe.

«Unser Mandant hat bereits eingeräumt, dass er bei seinen Reportagen – im Wesentlichen im Magazin ‹Der Spiegel› – über mehrere Jahre hinweg vielfach Fakten falsch dargestellt, verfälscht und hinzuerfunden hat», teilte die Kanzlei am Donnerstag weiter mit. «Spiegel Online» veröffentlichte die Mitteilung der Anwälte als Nachtrag in seinen Beitrag «Reporter täuschte Leser offenbar mit Spendenaufruf».

Der Presse schweren Schaden zugefügt

Der Kanzlei zufolge ist Relotius bewusst geworden, dass er durch sein Verhalten dem Ansehen des «Spiegel» und der Presse insgesamt schweren Schaden zugefügt habe. «Er bedauert dies zutiefst und wird sich bemühen, diesen Schaden soweit wie möglich zu begrenzen.»

Das Nachrichtenmagazin hatte den Fälschungsskandal Mitte Dezember öffentlich gemacht. Der Reporter hat seinen Vertrag beim «Spiegel» gekündigt. Von ihm waren dem Magazin zufolge seit 2011 knapp 60 Texte im Heft und bei «Spiegel Online» erschienen. Relotius war zunächst freier Mitarbeiter und wurde dann festangestellter Redaktor des Nachrichtenmagazins.

Bereit zu verzeihen

(bso.) Der Fälschungsskandal hat weit über deutschsprachige Länder hinaus für Schlagzeilen gesorgt.

Eine Stadt in Minnesota, die der ehemalige «Spiegel»-Reporter fünf Wochen lang besuchte, um dann ein Porträt über sie zu schreiben, das wenig mit der Wahrheit zu tun hatte, wehrte sich zunächst gegen das Bild, das dieser von Fergus Falls gezeichnet hatte – dem Text nach ein rückwärtsgewandtes Nest voller eifernder Waffennarren und Fans von US-Präsident Donald Trump, die es kaum je über die Ortsgrenzen hinaus geschafft haben.

In der «New York Times» sagten einige Bewohner der Kleinstadt, sie seien bereit zu verzeihen. Ein anderer Reporter des «Spiegel» hat Fergus Falls ebenfalls besucht und Wahrheit und Fiktion verglichen. «Entschuldigung angenommen!» ist das erste, was der Bürgermeister zu ihm sagt.

Silicon Valley stellt Philosophen ein

Gastbeitrag aus Neuer  Zürcher (27.12.18) (H.HÖGL)
Amerika entdeckt die Philosophie als Fitnessstudio des Geistes. Laut Medien wie «Business Insider», «Wired» oder «Forbes» werden im Silicon Valley reihenweise Chief Philosophy Officers und praxisorientierte Philosophen eingestellt. Das kritische Hinterfragen der Geschäftsstrategie, analytisches Denken in komplexen Systemen, die Fähigkeit, präzis zu formulieren und den Blick aufs Ganze zu bewahren, seien entscheidende Voraussetzungen für Innovation und Profit. Gemäss Alison Simmons, Vorsteherin des Philosophie-Departments an der Harvard University, beschäftigen die Studierenden derzeit besonders die ethischen Implikationen der technologischen und wirtschaftlichen Durchdringung unserer Lebenswelt. Die philosophischen Fakultäten haben Auftrieb.

Was tun gegen Sprachverrohung in der Politik?

Buchtipp:
Wer wir sein könnten
Warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht

Udo Bachmair

Titel und Untertitel eines neuen Buches von Robert Habeck. Ein wichtiges Werk besonders in ( rechtspopulistischen ) Zeiten wie diesen, in denen Begriffe wie „Asyltourismus“, „Überfremdung“, „Gesinnungsdiktatur“, „Volksverrat“ und ähnliches zu einer weiteren Verrohung der Sprache in der Politik beigetragen haben.

„Wie wir sprechen, entscheidet darüber, wer wir sind – auch und gerade in der Politik.“ Der Autor erkundet anschaulich den Zusammenhang von Sprache und Politik und erläutert sachkundig und differenziert den Unterschied zwischen totalitärer und offener Sprache.

Wo verläuft die Grenze zwischen konstruktivem demokratischem Streit und einer Sprache, die das Gespräch zerstört, die ausgrenzt, entmenschlicht? Das ist eine der Kernfragen, mit denen sich Habeck-Vorsitzender der deutschen Grünen-in Theorie und Praxis beschäftigt.

Habeck wirbt in seinem jüngsten Buch für eine politische Sprache, die vielfältig genug ist und sich dafür eignet, einer (weiteren) Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Sie müsse es schaffen, Menschen zusammenzubringen und einen Disput darüber zu fördern, „wer wir sein könnten, wer wir sein wollen“.

Das Buch von Robert Habeck ist bei Kindle erschienen und kostet 14,40 Euro

US-Militärbudget 2018: 716 Mrd.$

Kurznotiz aus der Wiener Zeitung (Hans Högl)

Es sind manchmal sehr kurze Meldungen, die im Sinne der Medienkultur extrem relevant sind.

Präsident Trump hofft mit Russland und China in der Zukunft über die Abrüstung verhandeln zu können, schrieb die Wiener Zeitung am 4. Dez.

Trump auf Twitter: „Die USA gaben in diesem Jahr 716 Milliarden Dollar (für Rüstung) aus. Verrückt.“

China erobert die Welt

Medientipp von Baobab. Globales Lernen (Wien)

Die Welt des Xi Jinping.

ARTE Die 19.Dez.  20.15- 21:30   Frankreich, 2018, Dokumentarfilm, Erstausstrahlung

Unter der Führung des übermächtigen Xi Jinping ist China auf dem Weg zur führenden Weltmacht des 21. Jahrhunderts. Welche Ziele verfolgt der geheimnisvolle Autokrat, der in seiner Jugend tief durch den Maoismus geprägt wurde? Was ist sein Antrieb? Innenpolitisch strebt Xi nach der „perfekten Diktatur“, außenpolitisch möchte er die internationalen Regeln neu schreiben. ARTE zeichnet den Aufstieg und die politischen Zukunftspläne des chinesischen Präsidenten nach.

 

 

Vermehrt Stimmungsmache mit Social Bots

Rechte Parteien und Strömungen laden heikle Themen im Netz intensiv mit Polemik und Emotionen auf.   

Udo Bachmair

Rechtspopulisten und Rechtsextremisten haben mithilfe von Social Bots intensive Stimmungsmache gegen den UNO-Migrationspakt betrieben. Das bestätigt die Internetplattform Botswatch in ihrer jüngsten Analyse. Demnach ist fast ein Drittel aller Kurznachrichten zum Thema von programmierten Systemen abgesetzt worden. Sie sollen den Eindruck vermitteln, dass es im Netz eine größere Ablehnung des Migrationspaktes gebe als dies der Realität entspricht.

Die Manipulation der öffentlichen Meinung durch diese Art von „Information“ erscheint auch demokratiepolitisch äußerst bedenklich. Zudem erschwert die auf rechter Polemik basierende Stimmungsmache den sachlichen Disput über sensible und komplexe Themenbereiche wie etwa die Migrationsfrage. Rechte Parteien und Strömungen haben es immer schon besser verstanden, neue Medien für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Liberale und Linke haben sich offenbar auch im Netz weitgehend verabschiedet..

Was ist los mit Frankreich?

Hans Högl

Abrundende Rezension des Buches: Emmanuel Macron. Ein Visionär für Europa. Europaverlag 2018. 3. Teil.

Zentral im Buch sind die Person von Macron, seine Europavisionen, sein intensiv-positiver Bezug zu Deutschland. Macron sieht die deutsche Wirtschaftspotenz, aber für ihn ist das Nachbarland insbesondere eine Kulturnation, die Hegel, Kant und Goethe und Bach, einen Komponist ohne Firlefanz, hervorgebracht hat. Dazu kommt, dass Macron auf Fleiß und Aktion setzt, dies ist ein bekannter deutscher Habitus.

Sehr undiplomatisch sind Macrons Worte über seine Nordfranzosen: Er kritisiert bei Arbeitern Alkoholismus und hohen Tabakkonsum. Dies entspringt seiner Haltung, Dinge zum Wohl der Menschen direkt zu sagen. Das wird ihm übel genommen. Ein Grund für seine Entschuldigung bei seiner kürzlichen Rede.

Das Buch vermittelt eine klare, ungeschönte und teilweise überraschende Sicht auf die Innenwelt von Frankreichs politischer Elite und auf deren bisherige Halbherzigkeit versus der EU. Für die Leser wäre darum ein Personenindex sehr wertvoll. So schildert das Kapitel fünf ausführlich die politischen Weggefährten bei der Wahl von Macron. Darunter auch Sozialisten, die eine Art von Sozialpartnerschaft für wichtig erachten. Für Frankreichs Denker in Klassenbegriffen mehr als eine Provokation. Macron sucht zumindest ideell die französisch ausgeprägte Polarität von Links und Rechts in einer neuen Synthese und europäischen Perspektive zu überwinden. Und dies lässt verstehen, warum Österreichs SPÖ-Ex-Bundeskanzler Christian Kern in Macron einen Kooperationspartner für die Europawahl wähnte. Aber das ist Vergangenheit. Macrons Sowohl-als-Auch entspricht dem kaum bekannten Hintergrund eines sozial-christlichen Ansatzes der Philosophie von Emmanuel Mounier und der Zeitschrift „Esprit“. Und das ist eine spezielle Subtilität des Buches.

Die Autorin geht wenig auf wirtschaftliche und soziale Belange ein. Nirgends ist die Rede von der prekären sozialen Lage im ländlichen Raum und in den tristen ehemaligen Industriezonen. Was Marine Le Pen massiv aufgreift. Dies sind ja neben der geplanten Ökosteuer auf Benzin und Diesel und der Forderung, die Vermögenssteuer wieder einzuführen, Hauptgründe für die Proteste.
In der Schrift vermisse ich, wie Macron das Marketing seines Wahlkampfes finanzierte. War dies nicht doch „ein Projekt von oben“? (Eine Andeutung der „Neue Zürcher“). Ferner vermittelt die Autorin Macrons heldenhaftes Selbstbild: Er sieht sich als „Instrument des Weltgeistes“ im Sinne Hegels. Das war Thema seiner Masterarbeit und macht nachdenklich. Und Macron habe, so ein Schriftsteller, mit seiner Rhetorik die Franzosen „hypnotisiert“.

Abrundend: Das Buch trägt trotz einiger Lücken hervorragend bei, Frankreich, einen Schlüsselstaat der EU, besser zu verstehen.

Österreich – auch Industrieland

Kurznotiz (Hans Högl)

Der (deutsche) Urlauber sucht Österreichs Berge oder Wien auf. Weniger geläufig ist das Bild Österreichs, dass es sehr gute Ingenieure und Maschinenbauer hat. Wieviele wissen, dass BMW-Motore in Österreich gebaut werden? Darum bringen wir folgende Notiz- auch für uns Österreicher selbst.

Erster BMW 24 bei Magna Steyr in Graz vom Band gelaufen.

Dies ist neben dem BMW 5 der zweite in Österreich produzierte Bayer. Seit 2003 wurden mehr als 1,2 Mio BMW und Mini-Modelle in Österreich produziert. Neben dem BMW Werk in Dingolfing. Wr. Zeitung

Bulgarien – Land im medialen Windschatten

Hans Högl. Sachlicher Reisebericht und Reflexionen

Nur wenige Länder in Europa bleiben medial so unbeachtet wie Bulgarien. Dies trifft auf Deutschland zu und auch auf Österreich – obgleich es ein Tor zum Osten ist, erfahren wir selten etwas über Rumänien und fast nie wirklich Substantielles mit Recherche über Bulgarien. Meine Reise mag dienen, diese Medienlücke ein wenig zu schließen.

2007 tritt Bulgarien der EU bei. Autobahnen und Schnellstraßen sind von der EU kofinanziert. Sie sind besser, als die Bulgaren selbst meinen. Gehsteige sind potenziell fußbrecherisch, Stromleitungen verwickelt und manchmal bis auf Kopfhöhe herunterhängend – so in der anmutigen Kleinstadt Balchik am Schwarzen Meer. Sofia, die Hauptstadt, putzt sich perfekt westlich heraus.

Sichtbar ist der Wunsch von Bulgaren und Bulgarinnen nach mehr Konsumgütern, so hat der Besitz von deutschen Spitzenautos hohes Prestige. Es sind ihrer gar nicht so wenige. Immerhin – es erstaunt- die Hälfte der Haushalte hat ein Auto, meist gebrauchte, berichtet ein osteuropäischer Report. Es gibt gute Hotels und Restaurants. Orts- und Straßenamen sind in kyrillischer und oft in lateinischer Schrift. Junge Bulgaren sprechen Englisch, manche Deutsch. An der Schwarzmeerküste leben insgesamt und dauerhaft 60.000 -vor allem englische Rentner, auch deutsche. Und Skandinaviern schmeckt preisgünstiger Alkohol. 

Während in Westeuropa das Jahreseinkommen Ende der 1990er Jahre noch 4-mal höher war als in Bulgarien, war es 2010 nur zweieinhalb mal so hoch. Darum sind viele Konsumpreise um die Hälfte billiger. Namhafte westliche Firmen haben Filialen. Also: da wird Cash erwartet.
Bulgarien ist heute ein noch armes Land, aber die Situation bessert sich allmählich, schreibt ein Osteuropa-Report, und der Lebensstandard erscheint höher als erwartet. Die Leute sind westlich gekleidet, doch in Begegnungen sagen sie: „90 Prozent der Bevölkerung sind arm“. 

Wir erfahren im Gespräch, dass die Menschen ihre raffinierten politischen Eliten zu duldsam hinnehmen und sich darum über ihre Landsleute wundern und anerkennend auf den Mut der Rumänen sehen. Angesichts der Flüchtlingsdebatte ist zu bedenken: Bulgarien hat seit 1990 mehr als 1,6 Millionen seiner 8,7 Mio. Einwohner verloren – wegen Abwanderung. Also: Jeder fünfte Bulgare ist ausgewandert. Ein Viertel der bulgarischen Zuwanderer in Deutschland sind Akademiker, aber im Land selbst fehlen Fachkräfte, viele Häuser stehen leer, Junge sind weggezogen und ältere Menschen fristen ihr Dasein mit beschämend kleinen Renten. Zum Glück hilft die mittlere Generation. 

Die Abwanderung lässt die Bulgaren um die Existenz ihres Landes fürchten, schreibt der bulgarische Autor Ivan Krastev im Buch „Europadämmerung“.- Selbst die bleierne Zeit des Kommunismus konnte Traditionen und den orthodoxen Glauben nicht zu Fall bringen. Doch darüber in einer Folge.

Es lohnt, dieses kulturell reiche Land zu besuchen: die Welt der Klöster und Ikonen, bedeutend Museen mit Goldschätzen von und vor den Thrakern. Berühmte Bulgaren sind die Schriftsteller Elias Canetti und Trojanow und der Künstler Christo, der Gebäude wie den Berliner Reichstag 1995 ver- und enthüllte.