Archiv der Kategorie: Gastbeiträge

Wieder ins Gespräch kommen

In die Endlosschleife der Interviews zu den russischen Präsidentschaftswahlen hat sich ein weiteres mit ähnlichem Inhalt eingereiht: In der ZiB2 kam jüngst Rüdiger Fritsch zu Wort, deutscher Ex-Botschafter in Moskau. Der Erkenntnisgewinn des von Armin Wolf geführten Gesprächs war überschaubar.

Wolfgang Koppler *

Solche Interviews sind meist entbehrlich, zumal man gerade bei einem Konservativen wie dem ehemaligen deutschen Botschafter in Moskau sich die Antworten ausrechen konnte. Trotzdem kann man – wenn man eine Art Vogelperspektive einnimmt und sowohl die russischen als auch die westliche Ansicht zu Putin, Russland und dem Ukrainekrieg unbefangen und unemotional zu beurteilen sucht – vielleicht zu neuen Schlüssen gelangen. Die russische und die westliche Seite sind einander nämlich nicht gar so unähnlich. Und wirken eigentlich wie Kleinkinder, die an einer Puppe ziehen und sie entzwei reißen.

Der Westen ist der Ansicht, dass der Krieg unbedingt gewonnen werden müsste. Alles andere wäre ein Katastrophe für die freie Welt. Auch Putin möchte den Krieg gewinnen (wobei ihm angesichts der wirtschaftlichen Probleme, die auch Fritsch erwähnte, insgeheim vielleicht Verhandlungen doch lieber wären, wie einige Signale aus den letzten Monaten zeigen). Seine Rhetorik im Hinblick auf Forderungen nach einem Sturz der ukrainischen Regierung oder gar eine Wiedereingliederung ins russische Reich oder das Spiel mit der atomaren Bedrohung nimmt selbst im Westen in Wirklichkeit niemand ernst. Dass er sich mit dem Angriff auf die Ukraine verschätzt hat, ist nichts Neues und wiederum eine Endlos-Rhetorik des Westens, die zu nichts führt.

Nicht ganz uninteressant waren Fritschs Hoffnungen auf einen Sturz Putins und seine Unsicherheit, wer dem 71-jährigen russischen Staatschef nachfolgen könnte. Er hatte natürlich – so wie wir alle – keine Ahnung, wer das sein könnte bzw. wie die Zukunft Russlands aussehen könnte. Als Alternative fiel ihm eigentlich nur Nawalny ein. Dieser ist erstens tot und wäre wahrscheinlich auch kein echter Hoffnungsträger gewesen. Sowohl von seinen ziemlich chauvinistischen Ansichten als wohl auch von seinen Fähigkeiten her. Das hat jetzt nichts mit unserem Mitgefühl und unserer Empörung über Haft und Tod Nawalnys zu tun.

Tatsächlich fällt so gut wie allen politischen Kommentatoren, wenn es um Alternativen zu Putin und die Zukunft Russlands geht, immer nur ein: Nicht-Putin, alles ist besser als Putin. Ein westlicher Experte sprach das sogar vor einigen Monaten ganz offen aus.

Auch mir ist klar, dass die Putin-Ära, die ich keineswegs beschönigen will, sich in nicht allzu ferner Zukunft ihrem Ende zuneigen wird. Da wir aber alle nicht wissen, was dann kommen wird und was sich im Hintergrund der Nomenklatura abspielt, sollte man mit Wünschen nach einem Umsturz eher vorsichtig sein. Zumal der Zerfall einer Atommacht und die Transformationsprozesse in einem seit Jahrhunderten autoritär geführten Staat unabsehbare Folgen haben können. Nicht nur für Russland selbst.

Auch aus diesem Grund sollte man sich auf Verhandlungen im Ukrainekrieg einlassen. Denn die Wahrscheinlichkeit eines friedlichen Machtwechsels in die Nach-Putin-Ära würde sich nach einem für beide Seiten tragbaren Frieden zumindest erhöhen. Denn gekränktes Nationalgefühl ist gefährlich. Gerade bei den diesbezüglich eher empfindlichen Russen- Mit denen man wieder ins Gespräch kommen sollte. Ganz ohne westliche Selbstgefälligkeit. Zumal es auch bei uns mit der Meinungsfreiheit nicht gar so weit her ist. Wie man gerade am Ukrainekrieg sieht.

* Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien.

Medien-Politik im Abseits?

Die Zukunft von Medien angesichts wachsender Probleme und fehlerhafter Entwicklungen ist eine der drängendsten Fragen, die nicht nur seitens der Politik einer Lösung harren.

Ilse Kleinschuster *

Noch immer, also genau neun Monate nach der „völlig unnötigen Einstellung der der Republik gehörenden Wiener Zeitung“ (Fritz Hausjell) – ‚meiner‘ abonnierten Tageszeitung, vermisse ich sie. Gerne denke ich an die Zeit zurück, in der ihre tägliche Lektüre mir geholfen hat, die Welt in ihrer Schönheit aber auch mit all ihren Widersprüchen besser verständlich zu machen.

Die Frage, die sich Clemens Pig stellt „Muss es denn wirklich eine Vision bleiben, dass Journalismus dazu dient Welterklärungen zu demokratisieren und nicht als Einbahnstraße zu begreifen“ bewegt auch mich (Clemens Pig, u.a. geschäftsführender Vorstand der Austria Presse Agentur (APA) und Autor von „Hat die Wa(h)re Nachricht eine Zukunft?“. Er sieht die APA als „Gedächtnis der Nation und andererseits als medialen Pulsschlag der Republik.“ Er wünscht sich jedoch mehr Selbsterkenntnis im Journalismus, um die Bedürfnisse und Erwartungshaltung der Menschen in Bezug auf die Medien zu verstehen und darauf entsprechend einzugehen. Als Politikwissenschafter und kritischer Journalist ist er Mitbegründer von Media-Watch – Institut für Medienanalysen GmbH, das von der APA 2001 erworben wurde. Dort gibt es seither ein eigenes Ressort für Fact-Checking, d.h. dort werden Versuche unternommen, so nahe als möglich an normative Konzepte wie Wahrheit und Objektivität heranzukommen.)

Nun aber, wo unsere Welt in den letzten Jahren im Zuge der Globalisierung immer komplexer wird, fühlen sich viele Menschen abgehängt. Die Komplexität zu simplifizieren wird immer schwieriger und es erfordert dafür Meister des journalistischen Handwerks. Zeitungen mit Redaktionen, die sich unabhängig nennen, setzen sich unweigerlich einem mörderischen Wettlauf zwischen Schnelligkeit und Richtigkeit aus. Am Ende sollte sich natürlich immer die Richtigkeit durchsetzen. Wenn nun aber Fakten-Check aus Zeitmangel wegfällt, kommt es unweigerlich zu Massenmedien mit „medialer Einigkeit“ – was die Demokratie gefährdet (siehe Richard David Precht und Harald Welzers Buch „Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“).

Wenn es also bei uns in Österreich nicht zu einem totalen Verfall der APA als unabhängiger Nachrichtenagentur kommen soll, dann muss sich diese neue Geschäftsfelder erschließen. Das kann das multimediale Verbreiten von Pressemeldungen sein, aber auch professionelle Medienbeobachtung und damit in Zusammenhang die Erstellung von Qualitätskriterien für neue Medienförderung. Dafür sollte es aber mehr staatliche Unterstützung geben, denn unabhängiger Agenturjournalismus ist ein wesentlicher Baustein für eine freie Medienwelt und damit für eine liberale Demokratie.

In seinem Gastkommentar „Visionen für analogen Journalismus!“ (DIE FURCHE vom 29. Februar 2024) schreibt Fritz Hausjell: „Wie weit nach unten soll die tagesaktuelle Medienvielfalt noch gehen, bis endlich spürbar von Medienwirtschaft und Medienpolitik gegengesteuert wird? Neugründungen von tagesaktuellen journalistischen Digitalmedien sind Mangelware oder aus unterschiedlichen Gründen (Partei- und andere Interessensnähe, journalistische Substandards), sehr mangelhafte Ersatzangebote für die Verluste im Printbereich.“ Nun, Fritz Hausjell ist ein angesehener Medienhistoriker und Medienwissenschaftler an der Universität Wien und ich vertraue seiner Kritik an Österreichs Printmedien: „Die Branche hat kaum in Forschung und Entwicklung investiert. Und Versuche, Journalismus in der digitalen Welt auf eine ausreichend finanzierte Basis zu stellen, blieben bescheiden.“

Offensichtlich, so schließe ich daraus, sind es schwere Versäumnisse im Bereich der Medien-Politik, die zu einem verhängnisvollen Vertrauensverlust in die gesamte Politik geführt haben.

Es seien daher Medienmanager gewarnt,
wenn sie ihre journalistische Tätigkeit nach wie vor gerne als Vierte Gewalt im Staate sehen wollen, dann sollten sie alle Möglichkeiten wahrnehmen und erweitern, um ihre Aufgabe als Watchdogs besser erfüllen zu können. Hier und jetzt – in Anbetracht der Notlage, so denke ich -, wäre es ihre noble Aufgabe im Namen des Gemeinwohls als verantwortungsvolle Whistleblower zu fungieren, d.h. als Verhinderer einer zunehmenden Infragestellung der demokratischen Bedeutung von Parlamenten.

Ich meine, erst wenn Journalisten imstande sind, unseren Volksrepräsentanten zu helfen, Alarm zu schlagen, sich mehr um die Lösung langfristiger Probleme zu bemühen, diese nicht durch kurzfristiges Denken in Wahlzyklen in den Hintergrund zu verdrängen, werden sie verdienterweise als die Vierte Gewalt im Staat und als Meister öffentlicher Machtüberwachung anerkannt werden.

Es wird jetzt von verantwortungsvollen Politikern die Zivilgesellschaft oft zur Hilfe gerufen, wenn es darum geht, vertrackte Probleme ins Visier zu nehmen, wie z.B. in Hinblick auf Künstliche Intelligenz, Steuerparadiese, Umweltverschmutzung, Seuchen, Menschen auf der Flucht, unregulierter Waffenhandel und endlose Zermürbungskriege.

Warum braucht es jetzt immer öfter für jedes Problem außerparlamentarische Initiativen und warum werden Bürgerräte angefordert – statt den Ruf nach Qualitätsjournalismus, nach konstruktivem Journalismus lauter werden zu lassen? Ich glaube, erst wenn diesem Ruf auf breiterer Basis Folge geleistet wird, müsste uns um die demokratische Bedeutung von Parlamenten nicht mehr so bange sein. Dann könnten wir vielleicht eher wieder Demokratie ‚neu‘ denken. Bestenfalls aus der Perspektive von Bürgern, die sich emanzipieren wollen, weil sie darin eine Garantie sehen – die Garantie für ihre Freiheit vor räuberischer Macht in all den abstoßenden Ausprägungen, einschließlich ‚unseres‘ rücksichtslosen Umgangs mit der ERDE, auf und von der wir leben.

* Gastautorin Ilse Kleinschuster ist Journalistin und engagierte Akteurin der Zivilgesellschaft. Sie lebt in Wien

Richtige Worte gefunden

Kürzlich in der ZiB2 lieferte Bundeskanzler Karl Nehammer eine Überraschung. Er fand klare Worte zum Ukrainekrieg sowie zu Österreichs Neutralität.

Wolfgang Koppler *

Ich habe Bundeskanzler Nehammer, der diese Amt vielleicht gar nicht so gerne übernahm, bis jetzt immer für etwas hölzern und „patschert“ gehalten. Das Interview, das Armin Wolf mit ihm in der ZiB2 vom 28.2. führte, belehrte mich eines Besseren.

Es ging um den Ukraine-Sondergipfel in Paris, an dem Nehammer teilnahm und sich dort für Verhandlungen im Ukrainekrieg aussprach. Ein Tabuthema für Journalisten und Armin Wolf zeigte keine sonderliche Begeisterung, das bis jetzt vorherrschende Motto „Gerechtigkeit um jeden Preis“ aufzugeben und statt dessen wieder Vernunft, Menschlichkeit und Pragmatismus walten zu lassen.

Nehammer betonte zunächst die Solidarität Österreichs mit der Ukraine, unsere humanitäre Unterstützung und die Beteiligung an den westlichen Sanktionen. Es brauche aber neue Lösungen zur Beendigung des Konflikts. Er sprach von „westlichen Echokammern“ der USA, Kanada und der europäischen Staaten, welche die Spannungen stattdessen verschärfen würden. Etwa, das bis jetzt kaum ein Politiker auszusprechen wagte, das aber auf der Hand liegt.

Nicht an Bord genommen worden seien aber die BRICS-Staaten, welche sehr einflussreich seien in Bezug auf den russischen Präsidenten. Es brauche mehr Miteinander.

Nehammer parierte geschickt das von Wolf ins Spiel gebrachte Argument der strategischen Antiguität und Macrons Forderung nach dem Einsatz von NATO-Truppen, indem er auf dieGefahr einer nicht mehr zu stoppenden Eskalationsspirale und einer unmittelbaren Konfrontation von NATO-Truppen und russischen Soldaten verwies. Es gelte, eine weitere Ausweitung des Kriegs, allenfalls in einen Weltkrieg zu verhindern.

Wolf bohrte dann natürlich noch weiter nach und verwies auf die schon seit längerem kolportierte Anwesenheit von NATO-Soldaten zur Ausbildung und Aufklärung (offenbar nach dem Motto: is eh scho wuascht). Nehammer verwies auf die – eigentlich jedem einleuchtende – Unterscheidung zwischen offiziell anwesenden (kämpfenden) Truppen und inoffiziell im Hintergrund tätigen Einsatzgruppen. Wobei er sogar zugab, dass sich „nach Meinung von Experten“ tatsächlich bereits Spezialeinsatzkräfte auf ukrainischem Territorium befänden. Das sei mit einer unmittelbaren Konfrontation NATO-Russland aber nicht vergleichbar.

Hinsichtlich des derzeit aufgeschaukelten Konflikts um Transnistrien lieferte der Bundeskanzler sogar interessante Hintergrundinformation. In Wirklichkeit geht es dort um Waffenlager mit großen Mengen an Munition aus sowjetischer Zeit, an denen sowohl die Ukraine als auch Russland Interesse haben. Nebenbei bemerkt: Ein Eingreifen Russlands scheint dort schon aus geographischen und logistischen Gründen eher unwahrscheinlich.

Schließlich kam geradezu drehorgelartig von Seiten Wolfs der Einwand, dass Verhandlungen angesichts von Putins Sturheit aussichtslos seien, zumal dieser ja an den Verhandlungstisch kommen und ja von selbst den Krieg beenden könnte. Putin ist schuld, Putin ist schuld… Da könnten wir Diplomaten überhaupt einsparen und durch die Militärs ersetzen. Abgesehen davon, dass Putin erst jetzt wieder bei seiner Rede an die Nation nur in wenigen Zeitungen erwähnte Verhandlungssignale aussandte, indem er Gespräche mit den Westen über eine neue strategische Weltordnung forderte.

Nehammer fand auch hier die richtigen Worte. Man müsse mit Putin „auf Augenhöhe verhandeln, nicht belehrend“, zumal Russland sich in einer Sackgasse befinde und keines seiner Ziele erreicht habe. Im Gegenteil: Die NATO sei durch die Beschlüsse über höhere Verteidigungsausgaben gestärkt und zudem durch Finnland und Schweden erweitert. Anmerkung: Das wird wohl auch den Russen bewusst sein. Aber je mehr man sie abwertet, desto mehr betonieren sie sich ein. Sowohl Russen als Ukrainer tragen uralte Verwundungen mit sich herum.

Es sei wichtig, wie man aus diesem Konflikt wieder herauskomme. Dazu bedürfe es aber vieler Verhandlungsschritte.

Natürlich durfte auch die von Wolf schon des Öfteren ins Spiel brachte Debatte über Österreichs Neutralität und deren Sinnhaftigkeit nicht fehlen. Eingeleitet wurde diese mit dem sattsam bekannten Argument der Journalisten: Da unsere Neutralität durch die Zusage an Teilnahme bestimmter EU-Maßnahmen eingeschränkt wurde, können wir sie gleich aufgeben („is eh scho wuascht“, um dem Wiener Fatalismus entgegenzukommen).

Auch hier argumentierte Nehammer bemerkenswert klar und nachvollziehbar. Unsere Neutralität sei schon deshalb nützlich, weil sie uns zumindest außerhalb der EU außenpolitischen Spielraum biete, den wir sonst nicht hätten. Vor allem in den Kontakten zu den großen BRICS-Staaten Indien und Brasilien, die sich für eine Friedenslösung einsetzten und gute Kontakte zu Russland hätten. Eine derartige Bewegungsfreiheit hätten wir als NATO-Staat nicht (weil diese Länder dem westlichen Militärbündnis eher reserviert gegenüberstehen).

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien

Vorbildliches ORF-Weltjournal

Der im jüngsten Weltjournal-Spezial des ORF gezeigte US-Beitrag zu „Netanjahu, die USA und der Weg in den Gaza-Krieg“ ließ betreffend Objektivität, Detailgenauigkeit und Engagement kaum Wünsche offen.

Wolfgang Koppler *

Die erwähnte Sendung zeigt, was Journalismus sein könnte und wie weit wir in Österreich und Deutschland davon entfernt sind.

In etwas weniger als anderthalb Stunden wurden die Geschichte des Gaza-Konflikts und die Ursachen des gegenwärtigen grauenhaften Krieges ebenso wie die diesbezüglich oft problematische Haltung der USA verständlich, differenziert und einfühlsam geschildert. Er beschäftigte sich vor allem mit dem Aufstieg und letztlich dem Scheitern Benjamin Netanjahus, der das Osloer Abkommen und eine Zweistaatenlösung von Anfang an ablehnte und an Stelle einer Kooperation mit den Palästinensern auf militärische Stärke und Scheinsicherheit setzte. Und letztlich zum Getriebenen statt zum Akteur wurde.

Mit diesem Konzept versuchte er schon Rabin zu desavouieren, dessen Friedensbemühungen er als schädlich für Israel ansah. Rabins Ermordung kostete ihn vorübergehend die Gunst der Wähler. Erst Hamas-Attentate brachten Bibi wieder Popularität. 1996 wurde er erstmals Regierungschef und später Minister in Sharons Kabinett, aus dem er austrat, als dieser die israelische Armee aus dem Gazastreifen zurückzog und diesen abriegelte.

Sharons Fall ins Koma machte dann den Weg frei für Netanjahus neuerlichen Aufstieg an die Regierungsspitze. Angriffe aus dem Gazastreifen beantwortete er regelmäßig mit Luftangriffen und Militäraktionen („Rasenmähen“). Seine Siedlungspolitik wurde zwar von den US-Präsidenten Clinton, Bush und erst recht Obama kritisiert, aber nie wirklich behindert. Bis dann Trump die amerikanische Botschaft nach Jerusalem verlegte und den Likud-Hardliner auch noch beim Siedlungsbau ermutigte.

Der Beitrag zeigt interessante Interviews mit Vertretern der Palästinenser, kritischen israelischen Journalisten ebenso wie etwa mit Trumps US-Botschafter in Jerusalem. Der bis heute ebenso wenig vom Nahostkonflikt und dem Palästinenserproblem zu verstehen scheint wie sein ehemaliger Chef Trump, der meinte, mit einigen Milliardeninvestitionen im Westjordanland die Palästinenser befriedigen zu können.

Ein Beitrag, aus dem nicht nur amerikanische, sondern vielleicht auch Brüsseler Politiker etwas lernen könnten. Trotz oder gerade unserer historischen Verantwortung wegen. Vor allem, wie sich Emotionen einerseits und selbstgefällige Empathielosigkeit mit den Betroffenen anderseits auf beiden Seiten zu einem gefährlichen Gebräu entwickeln können. Vor allem, wenn man dabei vernünftige Interessenabwägung und Selbstbescheidung aus dem Augen verliert. Auch im Ukrainekrieg.

Sehenswert. Auch für Journalisten. www.tvthek.orf.at/profile/Weltjournal/1328

*Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Was nicht bzw. wie gesagt wird

In der Causa Nahost haben sich ähnlich der aktuellen Außenpolitik auch die meisten Medien Österreichs, unter ihnen der ORF, dem proisraelischen Mainstream verschrieben. Das Leid der Palästinenser bleibt weitgehend ausgespart. Die folgende Medienkritik bezieht sich auf einen jüngst veröffentlichten ORF-Beitrag.

Gabriele Matzner *

Unter dem Titel „US-Sanktionen gegen israelische Siedler“ berichtet ORF-online am 1. Februar ausführlich über Erklärungen von US-Präsident Biden und US-Außenminister Blinken über amerikanische Bemühungen, die von israelischen Siedlern in der West-Bank ausgeübten Angriffe auf palästinensische Zivilisten einzudämmen.

An dem Bericht ist zwar prima facie nichts direkt falsch, wichtig ist aber zu bemerken, was nicht gesagt wird und wie manches gesagt wird, also auf die Wortwahl zu achten.

Es entsteht der meines Erachtens zweifelhafte Eindruck (z.B. durch die Worte „deutliches Zeichen“), dass die USA ohnehin alles Mögliche tun, um solche Israelis zu zähmen, zumindest die schlimmsten Exzesse zu verhindern. Das ist im Grunde natürlich nicht der Fall. Ohne US-Waffen und Deckung im UN-Sicherheitsrat könnte Israel nicht so agieren, bzw. müsste viel mehr tun, um solche Verbrechen zu unterbinden.

US-Sanktionen gibt es nun gegen ganze 4 Siedler?! Das kann man wohl als Nebbich bezeichnen. Bei dieser Gelegenheit hätte der ORF erwähnen müssen, was diese Siedler, angeblich mit Unterstützung/Duldung des israelischen Militärs (Aufklärung, bitte!), seit Jahrzehnten und in den letzten Monaten verstärkt anrichten, man muss Zahlen nennen, um eine Vorstellung zu vermitteln!

A-propos Zahlen: Wenn man 400.000 Siedler nennt, sollte man auch angeben, wie viel Prozent Land sie vom Westjordanland (schon) einnehmen, und was das für die verbliebenen Palästinenser bedeutet. Zu sagen, die UNO halte die Siedlungspolitik auf der illegal besetzt gehaltenen West-Bank für völkerrechtswidrig, ist auch irreführend: sie ist völkerrechtswidrig. Punkt.

Schließlich: an der „siedlerfreundlichen“ Konferenz, die da samt den angeblich dort geäußerten Ungeheuerlichkeiten erwähnt wird, hat angeblich ein Drittel der israelischen Regierung, nicht nur der rechts-extremistische Sicherheits-Minister Ben-Gvir, teilgenommen, und das zwei Tage nach dem IGH-Urteil.

Dieser ORF-Bericht erscheint unangemessen unkritisch bzw. devot. Er entspricht nicht dem aufklärerischen Auftrag dieser wichtigen Institution.

* Gastautorin Dr. Gabriele Matzner, Diplomatin und Buchautorin, war österreichische Botschafterin in mehreren Ländern, zuletzt in London. Sie ist Sprecherin der Initiative Engagierte Neutralität und lebt in Wien.

Bedrohliches Kriegsgetöse (1)

In den Medien häufen sich bange Prognosen, dass es nur mehr eine Frage der Zeit sei, bis Russlands Präsident Putin auch weitere Teile Europas überfällt. Vor diesem Hintergrund wollen auch manche Akteure in Österreich das Bundesheer „kriegsfähig“ machen.

Wolfgang Koppler *

Fast wie bestellt zum im April bevorstehenden 75.Jahrestag der Gründung der NATO werden überall Unkenrufe laut, dass Russland in einigen Jahren Europa überfallen könnte, weil der kriegslüsterne Putin, sollte er im Ukrainekrieg nicht besiegt werden, dann vielleicht Lust auf mehr hätte. Im Presseklub Concordia beklagte Oberst Reisner die postheroische Gesellschaft in Österreich und den mangelnden Wehrwillen – im Gegensatz zu den seiner Ansicht nach opferbereiteren Gesellschaften Russlands und der Ukraine. Seinen Doktorvater Lothar Höbelt wird es wahrscheinlich freuen. Obwohl Reisner keine Antwort auf die Frage wusste, warum sich in der Ukraine und Russland so viele dem Wahnsinn zu entziehen suchen.

In der gestrigen ZiB2 wurde ebenfalls die Kriegshysterie geschürt, indem man über die Aufrüstungsabsichten des Heeres und die Befürchtungen von Heeresexperten berichtete, die 1 zu 1 jenen der NATO ähneln. Und der Generalsekretär des Außenministeriums musste Armin Wolf erklären, dass er als Beamter an die Verfassung und somit an das Verfassungsgesetz über die Neutralität gebunden sei. Der hohe Beamte des Verteidigungsministeriums hatte zuvor den apodiktischen Satz geäußert: „Österreichs Neutralität bietet keinen Schutz“.

Die russische Armee war in zwei Jahren Krieg weder imstande, Kiew, noch den gesamten Donbass einzunehmen. Und ein Angriff auf die NATO ist wohl ziemlich unwahrscheinlich, zumal Russland damit kämpft, seine Wirtschaft am Laufen zu halten. Und Putin wäre in 8 Jahren 80. So er dann angesichts seiner Chemotherapien noch lebt.

Naheliegender ist, dass die Mittel für die geplante Aufrüstung überall fehlen werden. Ob im sozialen Wohnbau, im Klimaschutz und in der Entwicklungszusammenarbeit.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Bedrohliches Kriegsgetöse (2)

Medien und Politik schüren Angst und Panik vor einem Angriff Russlands auf die EU und die NATO. Das erhöht die Zustimmung zu weiterer hemmungsloser Aufrüstung.

Wolfgang Koppler *

„Die NATO ist nicht nur von außen bedroht“, lautet ein Artikel jüngst in den Oberösterreichischen Nachrichten (OÖN). Darüber ein Foto mit Panzer und drauflos stürmenden Soldaten. Stoltenberg und das NATO-Emblem haben offenbar ausgedient und wirken zu wenig kriegerisch.

Anlässlich des uns bevorstehenden 75-Jahr-Jubiläums der NATO im April und wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Probleme im Westen müssen natürlich Ängste vor inneren und äußeren Feinden geschürt werden. Auch um die Opferbereitschaft der Bevölkerung zur Erhöhung der Rüstungsbudgets zu steigern. Und so beginnt der Autor natürlich mit dem äußeren Feind Russland. Ein zunehmend kriegerischer russischer Präsident Putin könnte das Militärbündnis in weniger als einem Jahrzehnt angreifen, wird der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius zitiert (vielleicht sollte er noch seinen Vornamen ändern: Boris könnte zu russisch wirken).

Wer weiß, was dann sein wird ? Auf jeden Fall wäre Putin dann an die 80. Und wer weiß, ob er dann noch am Leben sein wird, wer dann in Russland überhaupt an der Macht ist. Und Russland hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Interesse, Polen, das Baltikum oder gar Schweden anzugreifen. Das sind – aus der Sicht Russlands – keine strategisch oder auch nur kulturell – bedeutsamen Gebiete. Alles andere ist bloße Spekulation und Kaffeesudleserei. Genauso gut können wir uns auf einen Angriff der Außerirdischen vorbereiten oder auf einen Ausbruch eines der 50 Supervulkane, die es auf der Erde gibt. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit werden wir aber angesichts der jetzt schon besorgniserregenden Daten in 10 Jahren den Klimawandel und das Elend in den Entwicklungsländern weit stärker zu spüren bekommen als uns lieb ist. Aber mit solchen weitaus realistischeren Vorhersagen steigert man keine Rüstungsbudgets,

Um Politik und Bevölkerung aber trotzdem zu sensibilisieren, muss man Horrorvisionen erzeugen und sich dabei auf Experten berufen. Wie das auch Pistorius tut: „Unsere Experten rechnen mit einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren, in dem dies möglich sein könnte“ (man beachte das Wort „möglich“ und mein obiges Stichwort „Kaffeesudleserei“). Da es dem Autor scheinbar darum zu tun ist, die Panik noch zu steigern, stellt er in der Folge einige Suggestivfragen: „Ist der Angriff Russlands gegen die Ukraine nur ein Testlauf, um zu sehen, wie ernst es den westeuropäischen Staaten mit ihrer Verteidigungsbereitschaft ist ? Falls es Putin gelingen sollte, die Ukraine niederzuringen, wendet er sich dann seinem Hauptfeind ‚NATO‘ zu ? Testet er den Artikel 5 des NATO-Vertrages“ ? (Anm: Beistandspflicht)

Um diesen geradezu bohrenden, aber eher substanzlosen Fragen Nachdruck zu verleihen (wobei der Autor zugesteht, dass seine Visionen in Westeuropa als eher unwahrscheinlich abgetan werden), wird dann Schwedens Oberbefehlshaber General Michael Byden zitiert, der die Schweden aufgefordert hätte, sich „mental“ auf den Krieg vorzubereiten. Und dann folgt noch einmal Pistorius, der in seinem Interview die schwedischen Warnungen „aus skandinavischer Sicht als verständlich“ bezeichnet hätte. Ich würde eher sagen, aus Sicht der skandinavischen Regierung und der Militära, die den sich jetzt bald zwei Jahre hinziehenden Beitrittsantrag ja irgendwie rechtfertigen müssen.

Und natürlich darf im gegenständlichen ÖON-Artikel der Hinweis auf die historisch verständliche Besorgnis der Polen nicht fehlen. Weshalb Polen gegenwärtig gefährdet sein sollte, kann der Autor nicht darlegen.

Da dies alles wenig stichhaltig ist, um eine massive Erhöhung der europäischen Verteidigungsbudgets zu begründen, darf natürlich auch die Angst vor einem möglichen Sieg Trumps bei den kommenden US-Präsidentschaftswahlen nicht fehlen. Dieser hat ja – im Gegensatz zu Biden – an Europa und seinen antirussischen Reflexen wenig Interesse und liebt mehr die Auseinandersetzung mit China, Wenn dass kein Grund ist, die europäischen Verteidigungsbudgets hinaufzuschrauben ? Endlich auf die lästige „Friedensdividende“ zu verzichten ? Zumal die Polen ihr Rüstungsbudget schon unter der PiS-Partei auf 4 % (und heuer auf mehr als 4 %) hinaufgeschraubt haben ?

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Kultur der Unmenschlichkeit

Das neue ORF-Magazin „Weltweit“ hat kürzlich ein interessantes Thema aufgegriffen: Die Spekulation auf dem Internationalen Wohnungsmarkt.

Wolfgang Koppler *

Jahrzehnte lang haben Politik und Medien diese Entwicklung verschlafen. So wie überhaupt die Auswüchse des Neoliberalismus. Dieser wurde ja in den 80-ern und 90-ern sogar begrüßt. Auch von vielen Journalisten. Jens Tschebull etwa forderte meiner Erinnerung nach damals im Profil die Abschaffung der wettbewerbsverzerrenden Wohnbauförderung und den völlig freien Wohnungsmarkt. Für jene, die sich das nicht leisten könnten, müsse man halt Obdachlosenheime errichten. Nicht einmal die letztlich vom Staat eingedämmte Finanzkrise 2008 konnte an dieser Vergötzung des Marktes wirklich etwas ändern.

Und das Elend breiter Bevölkerungsschichten, wie es sich etwa in den USA abzeichnet, schon gar nicht. Diejenigen, die sich dort kein Eigenheim leisten können, sind auf die Mietwohnungen am freien Wohnungsmarkt angewiesen. Und der ist in der Hand international agierender Immobilieninvestoren. Im Beitrag wurde ein Mieter gezeigt, der sich ergebenislos über eine Rattenplage beschwerte. Und das bei Mieten von 2000 Dollar für eine Einzimmerwohnung. Kein Wunder, dass in den USA immer mehr in den seinerzeit so genannten „Thatcher-Betten“ auf der Straße landen.

Global Players wie Blackstone (Immobilien im Wert von mehr als 900 Milliarden Dollar) machen sich aber auch in Europa breit. Etwa in Dänemark, Deutschland, den Niederlanden und sogar Schweden. Horrende Mieten, die sich bei jeder Neuvermietung noch einmal steigern. Beschwerden über Missstände werden von der Hausverwaltung ignoriert. Geht man damit an die Öffentlichkeit, wird seitens des Vermieters mit Polizei und Kündigung gedroht.

Dass derartige Unternehmen von Demokratie und Meinungsfreiheit nicht viel halten, mussten auch die Journalisten von „Weltweit“ bei ihren Recherchen erfahren. Sie erhielten schon nach kurzer Zeit ein Mail von Blackstone, das ihnen zeigte, wie sie bei ihren Recherchen in den USA beobachtet wurden. Die von ihnen kontaktierten Mieter seien natürlich nur Querulanten…

Die Sozialdemokraten haben das Thema Wohnen in den letzten Jahren verschlafen, wie die deutsche Ministerin für Wohnen und Bau in dem Beitrag ganz offen zugab, Die Konservativen sowieso. Treffend die Bemerkung eines Mieters: Das Recht auf Wohnung wurde durch das Recht auf Spekulation ersetzt.

In dem hochinteressanten Beitrag hat mir allerdings eines gefehlt: Die Beschäftigung mit der Situation In Österreich, wo die Situation zwar noch besser ist, aber der soziale Wohnbau in den letzten Jahren angesichts steigender Bau- und Grundkosten und zu geringer Wohnbauförderung fast zum Erliegen gekommen ist. Und Kritik an der EU fehlte ebenfalls. Mit dem Thema Wohnen beschäftigt sich man dort allenfalls dann, wenn man Angst um den Wettbewerb hat. So mussten die Niederlande ihre Wohnbauförderung kürzen: Wegen Wettbewerbsverzerrung. Griechenland ist da geradezu vorbildlich: Dort gibt es überhaupt keinen sozialen Wohnbau mehr. Wieder einmal ein Zeichen, was in der EU Vorrang hat: Profit und Wettbewerb.

Dass sich diese Situation durch den Ukrainekrieg und die geplante europäische Aufrüstung verschärfen wird, ist klar. Denn die Gelder werden anderswo fehlen. Für Waffen ist ja immer Geld da. Seltsamerweise auch bei den Sparefrohs. Eine Kultur der Unmenschlichkeit.

https://www.swiss-architects.com/de/architecture-news/meldungen/wohnbauforderung-in-gefahr

https://www.derstandard.at/story/2000110039625/eu-laender-wohnbeihilfen-statt-wohnbaufoerderung

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als freier Journalist und Jurist in Wien

Dem Blickfeld entrückt

Verdeckt vom Ukraine- und dem Gazakrieg sind andere Kriege und Konflikte aus dem Blickfeld westlicher Politik und Medien verschwunden. Besonders stiefmütterlich behandeln Medien den globalen Süden, im Besonderen Afrika, und dort im Speziellen die schlimme Situation im Sudan.

Wolfgang Koppler *

Was dort passiert, interessiert kaum. Oder wann wurde in der ZiB2 das letzte Mal über die katastrophale Lage in Somalia oder im Südsudan berichtet? Oder die Konflikte zwischen Ägypten und Äthiopien um das Wasser des Nil und einen geplanten Staudamm. Es ist auch kein wirkliches Thema für die EU oder die USA, die mehr damit beschäftigt sind, sich gegen den globalen Süden zu wappnen. Militärisch natürlich.

Selbst die unvermindert anhaltenden Kämpfe im Sudan und die katastrophale Lage dort sind etwa für die ZiB2 schon seit dem Sommer kein Thema mehr. Obwohl dort inzwischen 7,5 Millionen Menschen auf der Flucht sind und auch noch eine Hungersnot droht , weil die Kornkammer des Sudan, der Bundesstaat Jezira, von den Paramilitärs eingenommen wurde. Auch in der Hauptstadt Khartum fehlt es an Wasser, Strom und leistbaren Lebensmitteln. Als das islamistische Regime von Al Bashir gestürzt wurde, herrschte Jubel (auch im ORF). Der sehr bald der Ernüchterung wich. Die zivile Übergangsregierung musste weichen. Das Militär übernahm auch formal die Macht. Und dann brachen innerhalb des Militärs Kämpfe aus. Die regulären Streitkräfte unter Abdel Fattah Burjan gegen die arabischstämmigen rapid support Forces (RSF) von Mohammed Daglo. Es ist einerseits ein ethnischer Konflikt (arabischstämmiger RSF gegen schwarzafrikanische Gruppen), wie er sich schon bei Abspaltung des christlichen Südsudan abzeichnete. Wobei gerade im Sudan auch der Klimawandel eine große Rolle spielt, der den Kampf um Wasser und Weideland, insbesondere im Darfur-Konflikt verschärfte. Und damit Spannungen zwischen den Volksgruppen.

Andererseits werden diese Konflikte natürlich von außen geschürt. Weshalb trotz Hunger und Elend den Bürgerkriegsparteien nie die Waffen ausgehen. Schon in den Fällen der seinerzeitigen Abspaltung des christlichen Südsudan vor einigen Jahren spielten Rohstoffe wohl eine große Rolle. Im schon seit Jahren unabhängigen Südsudan etwa liegen 75 % der sudanesischen Ölreserven. Aber die Unabhängigkeit hat der Masse der Bevölkerung dort wenig gebracht. Die Menschen hungern und die FAO war aufgrund mangelnder Bereitschaft der Geberländer sogar zeitweise gezwungen, die Essensreserven zu kürzen. Zudem gibt es dort ebenfalls bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppen. Das Interesse des Westens ist enden wollend. Hauptsache, der Südsudan ist unabhängig, und Al-Bashir ist weg.

Noch schlimmer die Situation im „Mutterland“ Sudan, wo selbst die humanitäre Hilfe immer schwieriger wird. Auch hier Unterstützung der Aufständischen von außen. In diesem Fall von den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die die USA auf diplomatischem Weg einzubremsen suchen. Da es sich aber nicht um antiwestliche „Bösewichte“ wie den Iran oder Putin handelt, natürlich nur vorsichtig. Und die EU schläft überhaupt. Der Ukrainekrieg ist schließlich wichtiger. Und die bevorstehenden EU-Wahlen.

Immerhin darf das ZDF darüber berichten. Zumal auch größere Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa zu erwarten sind. Auch neuer Nährboden für Terror könnte angesichts des von Chaos, Elend und Kriegsverbrechen entstehen. Stichwort Somalia. In österreichischen Medien weitgehend Schweigen.

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/sudan-krieg-vertreibung-100.html

https://www.deutschlandfunk.de/sudan-kaempfe-unruhen-militaer-102.html

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

4 zu 1 ausgewogen ?

Die Gestalter der ORF-Diskussionssendung Im Zentrum sehen sich immer wieder mit dem Vorwurf der einseitigen Zusammensetzung von Podiumsrunden konfrontiert. Vor allem bei Reizthemen wie der Debatte um Österreichs Neutralität oder den Kriegen im Nahen Osten und in der Ukraine. Letztere war Thema der jüngsten Podiumsdiskussion.

Wolfgang Koppler *

Wie stellt man sicher, dass bei einer Diskussionssendung ein bestimmtes Ergebnis herauskommt ? Und man doch nicht ganz einseitig erscheinen will ? Vor allem wenn man dummerweise an ein Objektivitätsgebot gebunden ist ?

Man lädt vier Gäste ein, deren Standpunkt man schon im Vorhinein kennt- Einen, der sicher nicht kommen wird (in diesem Fall der russische Botschafter). Und einen einzigen Andersdenkenden. So geschehen beim der sonntägigen ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ zum Thema: „Der Westen gegen Putin: Ist der Krieg noch zu gewinnen ?“ Schon der Titel erinnerte an Baerbocks Ausspruch vor dem Europarat, die den Westen im Krieg gegen Russland sah (wenn auch vom ORF etwas vorsichtiger formuliert).

Zu Beginn war natürlich von Putins Jahrespressekonferenz die Rede, wo er im Wesentlichen die Neutralität der Ukraine und ihre „Entnazifizierung“ gefordert hatte, eine Redewendung, die er schon letztes Jahr verwendet hatte. Und von der gescheiterten ukrainischen Frühjahrsoffensive. Signale von russischer Seite aus den letzten Monaten, die auf Gesprächsbereitschaft hindeuten, ließ man natürlich unerwähnt.

Oberst Markus Reisner vom Bundesheer trat nicht nur – wie zu erwarten – für mehr Waffenlieferungen ein (einen Krieg dürfe man nicht halbherzig führen) und hielt Verhandlungen für aussichtslos, sondern sprach auch noch von einem Konflikt zwischen dem Globalen Norden und dem globalen Süden (worunter er auch China und Indien verstand), der eine Aufrüstung des Westens, pardon des Globalen Nordens erforderlich mache.

Der ukrainische Botschafter Khymynets vertrat natürlich den Kurs der ukrainischen Führung, dass man bis zur Vertreibung des letzten russischen Soldaten aus dem ukrainischen Territorium kämpfen müsse, Verhandlungen sinnlos seien und die Ukraine die Freiheit des Westens verteidige. Putin sei gefährlich für die Zukunft Europas.

Martin Selmayr (Enkel zweier Generäle), der Vertreter der EU-Kommission in Wien, der sich von der Moderatorin auch noch ein Zaudern vorhalten lassen musste, erwähnte die Anstrengungen der EU und die jüngsten Ratsbeschlüsse zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen und zur Ausweitungen von Sanktionen und ging davon aus, dass auch die 50 Milliarden an weiterer Unterstützung für die Ukraine (ob mit oder Ungarns Unterstützung) in einigen Wochen beschlossen sein würden (die Welthungerhilfe und selbst die Entwicklungshilfe wären schon für einen Bruchteil der Mittel dankbar). In militärischer Hinsicht seien 1300 km Front von der russischen Armee auf die Dauer nicht zu halten (schätzungsweise 400.000 Tote sind offenbar nicht genug).

Die Historikerin Barbara Stelzl-Marx sprach von der politischen Zukunft Europas (die auf dem Spiel stehe), vom Konflikt der Werte (da war von anderen verwendete „Kampf der Werte“ noch ehrlicher), vom Verwandlungskünstler Putin. Diesem dürfe man nicht nachgeben, da er sonst seine Aggressionen fortsetzen würde. Moldawien könnte vielleicht das nächste Ziel sein. Immerhin strebe er die Wiederherstellung des Sowjetimperiums an. Putin wolle mit seiner Formel von der „Denazifizierung“, die er schon (zugegebenermaßen) sehr lange verwende, den „Großen Vaterländischen Krieg beschwören. Und was wird auf westlicher Seite beschworen ? Waren da nicht auch öfters Versatzstücke aus dem Zweiten Weltkrieg im Spiel ? Selenskyjs Churchill-Rede, „Blut, Schweiß und Tränen“ bei Timothy Garton Ash, Putin-Hitler-Vergleiche,,,

Alle versuchten zu begründen, warum man in keinem Fall nachgeben dürfe.

Friedensforscher Thomas Roithner verwies auf die Opfer und das menschliche Leid und damit auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Selbstverständlich verwies er auf die Völkerrechtswidrigkeit des Krieges und stellte dann die entscheidende Frage: Wie kommen wir da wieder raus, Er verwies auf mangelnden Weitblick der EU im Hinblick auf die kommenden US-Wahlen. und auch auf die in den UNO-Resolutionen erwähnte Möglichkeit von Verhandlungen. Man müsse und solle ein Verhandlungsergebnis gar nicht vorwegnehmen. Es reiche ein „Fahrplan“, um Gespräche in Gang zu bringen, Da hörte sogar Selmayr aufmerksam zu und erwähnte Verhandlungsbemühungen, die angeblich im Hintergrund laufen würden. Er verwies auf das Weltwirtschaftsforum im Jänner in Davos.

Man kann darauf wetten, dass auch im Jänner jede Äußerung russischer Politiker als Provokation oder zumindest als Verhandlungsunwille interpretiert werden wird. Die bis zu Befreiung von Kiew durchaus konstruktiv geführten (aber vom Westen wenig unterstützten) Verhandlungen verdrängt man. Wo sogar eine Neutralität mit Sicherheitsgarantien angepeilt wurde. Interessant ist aber, dass sogar der zwischenzeitig verstorbene Henry Kissinger, als er im heurigen Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz in einer Videoschaltung für eine Verhandlungslösung eintrat (wie er das schon seit dem Frühjahr 2022 getan hatte), sich die Bemerkung nicht verkneifen konnte: „Ich habe es schon lange gesagt. Man hat mich nicht gehört.“

Was für ein Glück für Politik und Medien, dass Kissinger tot ist. Und Macron im Juni auf eine US-freundlichen Kurs eingeschwenkt ist. Wenn da nicht bloß die vielen Toten wären. Die Hungernden. Die vielen Milliarden, die zu Bewältigung der Umweltkrise und in der Entwicklungszusammenarbeit fehlen. Die Radikalisierung. Bei uns im Westen und im verachteten globalen Süden. Nicht nur bei Randgruppen. Sondern bei vielen von uns,

Da kann man sich noch so einreden, dass Putin das Baltikum, Finnland, Schweden, Polen oder Moldawien angreifen könnte. Oder die Ukraine als Staat gefährden. Obwohl dies angesichts der geringen Wirtschaftskraft, aber auch der begrenzten Kapazitäten von Russlands Armee, die Mühe hat, den Donbass zu halten, wohl eher unwahrscheinlich ist. Und angesichts der (in Europa) seit Jahrzehnten auf eine Neutralität der – geopolitisch in einer äußerst heiklen Lage befindlichen – Ukraine fokussierten Interessen Russlands. Und jener des Westens an deren NATO-Mitgliedschaft. Die freilich keinen Krieg rechtfertigen. Weder auf russischer noch auf unserer Seite.

Seltsam, dass der völkerrechtswidrige Irakkrieg immer noch als gerechtfertigt angesehen wird. Und Ex-Präsident Bush im letzten Jahr noch eine Rede vor einem US-Think-tank hielt. Wo er dann den Irakkrieg mit dem Ukrainekrieg verwechselte. Während die etwas faireren Briten Tony Blair in der Versenkung verschwinden ließen. Inzwischen dürfte auch er schon verstanden haben, dass es nicht um den von ihm beschworenen „evil dictator“, sondern um westliche Interessen ging. Und nicht einmal die konnte man im Endeffekt verwirklichen.

* Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien